[Iuno] Vom Ende der Kindheit

  • Lange hatte ich ihn herbei gesehnt, den Tag vor der Hochzeit. Doch seitdem in der Villa die eifrigen Sklaven mit den Vorbereitungen für die Hochzeitsfeierlichkeiten begonnen hatten, war alles ganz schnell gegangen. Natürlich war auch für für den heutigen Tag alles sorgfältig und minutiös geplant worden. Es waren keinerlei Kosten und Mühen gescheut worden. Ein prächtiges Mutterschaf mit blütenweißem Fell war als Opfertier auserkoren worden. Die Sklaven hatten es mit Blüten geschmückt, bevor es unter den Klängen von Flötenspielern zum Tempel geführt worden war. Schließlich durfte heute nichts schief gehen, damit auch nicht das kleinste Anzeichen eines bösen Omens auf dem Opfer für Iuno liegen mochte, was dann womöglich auch auf die Hochzeit oder gar auf mein und Rufios künftiges Eheleben überschwappen würde.


    Nun stand ich da und blickte ehrerbietig hinauf zu Iunos Antlitz. "Oh Iuno, große Königin der Götter! Hüterin der Ehe! Ich, Claudia Agrippina trete heute am Tag vor meiner Hochzeit vor dich, um alles abzulegen, was zu meiner Kindheit gehört hat. Lass mich durch deine Gnade als Frau erwachsen. Nimm meine bescheidenen Gaben an und erhöre mein Gebet!" Ich streute ein wenig Weihrauch in ein kleines Opferfeuer, auf dass kurz darauf weißer Rauch aufstieg und der intensive Duft des Weihrauchs sich um mich herum ausbreitete.

    "Iuno, du höchste aller Göttinnen! Beschützerin der Schwangeren und Gebärenden, ich lege vor dir meine Spielsachen ab und damit alles, was mich mit der Kindheit verband." Speziell für diesen Tag hatte ich vor Monaten einige meiner Spielsachen mit aus Eleusis nach Rom gebracht, um die heute Iuno opfern zu können. Eine Puppe aus Elfenbein, das ich als Kind geliebt hatte, einige Murmeln aus Terracotta und einige bemalte Tiere aus Holz, mit denen ich als kleines Kind so gerne gespielt hatte. Ein wenig wehmütig trennte ich mich nun von meinen Sachen, die mich zum Lachen gebracht hatten und mir an den schwierigen Tagen meiner Kindheit Trost gespendet hatten.

    "Iuno, große Göttin!  Schutzherrin der Mutterschaft, ich lege vor dir auch meine Kinderkleidung ab, damit ich nun ganz zur Frau werde." Nun legte ich auch einige alte Kleider neben die Spielsachen auf den Altar. Meine Eleni trat schließlich zu mir heran und half mir aus meiner Tunika, die ich trug. Auch sie landete auf dem Altar neben den anderen Kindersachen. Anschließend half mir dabei sie eine einfache weiße Tunika überzustreifen.

    "Iuno, Herrscherin der Gottinnen, halte stets deine schützende Hand über mich, damit ich meine Ehe beginnen kann!" Dann wandte ich mich nach rechts, um das Gebet zu beenden. Ich begab mich nun nach draußen zum Altar, wo nun das blutige Opfer vollzogen werden sollte.

    Ein Priester trat hervor." Favete linguis!"hallte es über den Platz, woraufhin die Musik und auch alle Anwesenden verstummten. 

    Ich trat hervor und wandte meinen Blick gen Himmel. "Iuno, du Höchste unter den Göttinnen! Sieh dieses Schaf! Es sei dein, auf dass du mich heute, am Vorabend vor meiner Hochzeit segnen mögest! Do ut des!"

    Der Priester besprengte das Opferschaf mit Salsa Mola und ließ sich ein Opfermesser reichen. Damit strich er einmal über den Rücken des Tieres. "Agone?" fragte er und ließ dann seinen Blick zu mir hinübergleiten. Ich nickte daraufhin ein wenig schüchtern und unterstrich dies mit einem zaghaften "Age!"

    Ich trat einen Schritt zurück und ließ den Schlachter seine Arbeit tun. Nach einer Weile wurde die Leber des Tieres in eine goldene Schale gelegt und war nun bereit zur Leberschau.

  • Vom Duft des Weihrauchs aufmerksam geworden, richtete Iuno ihren Blick auf den Tempel der kapitolinischen Trias. Und wieder war da ein kleines Menschenkind, das seine Stimme zu der höchsten aller Göttinnen erhob, um ihr die Relikte ihrer Kindheit zu opfern und dafür im Gegenzug zur Frau erblühen zu dürfen. Solche Bitten der Sterblichen hatte sie schon immer besonders rührend gefunden. All die Spielsachen und süßen Kleidchen, die für die Kindheit, den fundamentalen Teil ihres Daseins darstellte, um dafür den nächsten Schritt zu machen. 

    Um sie gnädig zu stimmen hatte ihr jenes Menschenkind ein stattliches weißes Mutterschaft dargebracht. Man würde nichts Mangelhaftes bei der  Leberschau finden, denn Iuno war der jungen Sterblichen dort unten gewogen und würde ihr Opfer annehmen. Sie würde sie mit Fruchtbarkeit segnen und von nun an, wenn sie den Pfad der tugendhaften Ehe ging, stets über sie wachen.