Auf der Flucht in Richtung Westen

  • Irgendwo in einer Höhle saß Senator Gnaeus Helvidius Eburna. Die Hitze draußen war unerträglich und er wartete darauf, dass die Sonne endlich untergehen würde. Davor machte es keinen Sinn, auch nur einen Fuß nach draußen setzen zu wollen. Die Sonne würde den Rest seiner Haut, der noch nicht verbrannt war, auch noch verbrennen, und die Hitze würde ihn wahnsinnig machen und seinen Augen Streiche spielen.

    Das Pferd war vor zwei Tagen gestorben. Es war schnell gewesen, schneller als die Tiere seiner Verfolger, aber das hatte nur ein Stück weit geholfen. Eburna wusste, dass er nicht einfach der Straße folgen konnte, um zurück ins römische Reich zu gelangen. In der nächsten Stadt würde er sonst aufgehalten werden, gefangen genommen und zurück nach Kthesiphon geschleift werden. Also hatte er recht bald die Straße verlassen und war querfeldein geritten, immer Richtung Westen, Richtung Rom. Was er aber vollkommen unterschätzt hatte, war die Weite der unwirklichen Sandsteinwüste, die sich abseits der Flüsse und Oasen ausdehnte. Der Sandsturm, der ihm zunächst wie ein Geschenk der Götter für seine Flucht vorgekommen war, erwies sich im Nachhinein betrachtet als mehr als tückisch. Eburna hatte keine Ahnung, wo genau er sich befand. War er noch in Parthien? War er schon in der Provinz Syria? Wo lag die Grenze in dieser grenzenlosen Weite von Sand und Sonne? Wo war die Sicherheit?

    Und noch wichtiger: Wo war Wasser? Eburna betrachtete den traurigen Rest in seinem Wasserschlauch. Er hatte Glück gehabt, dass am Sattel des Pferdes einer gehangen hatte, aber darin waren nur noch ein paar jämmerliche Tropfen. Wenn er morgen kein Wasser finden würde, würde die Wüste ihn einfach verschlucken.

    Er lehnte sich an den warmen Fels. Wenigstens war hier in dieser Höhle etwas Schatten, wenn auch sonst nichts. Er betrachtete seine Hände, die rot waren. An einigen Stellen war die Haut auch blasig und schmerzte. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Hatte er nicht einfach den Mund halten können? Was mischte er sich im absoluten Alleingang in parthische Innenpolitik ein? Selbst wenn er es nach Rom schaffen sollte, bestand die Gefahr, dass er angeklagt und verurteilt wurde, weil er seine Befugnisse überschritten hatte. Er verfluchte sich selbst, und er verfluchte Osrhoene. Was war das für ein König, der ihn in so eine Situation brachte, und es nicht einmal für nötig befunden hatte, im Vorfeld darüber zu reden? Rom hätte Vorbereitungen treffen können! Rom hätte Vorbereitungen treffen müssen! Aber jetzt? Jetzt wusste Rom von nichts und er würde vermutlich irgendwo im Nichts sterben, ohne dass auch nur irgendjemand ihm ein ordentliches und angemessenes Begräbnis ausrichten würde.

  • Nachdem die Sonne untergegangen war, war Gnaeus Helvidius Eburna losgelaufen. Immer in Richtung Westen – oder nach da, wo er den Westen vermutete. Wo tagsüber schon alles gleich aussah, tat es das nachts erst recht. Und Eburna war nicht bewandert in der Navigation nach den Sternen. Er war römischer Senator, verdammt, und kein Seefahrer. Woher also sollte er das wissen? Und wer hätte auch nur erahnen können, dass er das jemals brauchen würde?

    Sollte er je wieder nach Rom kommen, so schwor er sich, würde er nie wieder auch nur einen Fuß aus der Stadt setzen. Ja, nicht einmal in den Sommermonaten wollte er die grenzen der Stadt verlassen. Da müsste Rom schon lichterloh brennen. Aber er würde niemals mehr eine diplomatische Mission, einen Posten in einer der Provinzen oder irgendetwas annehmen, egal, mit wie vielen Ehrungen das ganzen verbunden war. Er wollte nur noch nach Hause, in seinem eigenen Bett schlafen und sich höchstens über das Kaufverhalten seiner Ehefrau Sorgen machen. Mehr nicht.


    Als die Sonne aufging, tat sie es auf seiner rechten Seite, was ihm sagte, dass er gerade nach norden ging. Er seufzte. Hätte er noch Tränen gehabt, die er hätte vergießen können, vielleicht hätte er sie hier und jetzt vergossen. So aber stolperte er weiter über die scharfkantigen Steine in diesem Teil der Wüste und ignorierte tapfer die Vögel, die über ihm am Himmel zu kreisen anfingen. Nein, er durfte nicht aufgeben. Er musste es versuchen.


    Als die Sonne immer heißer wurde, überlegte er aber dennoch, dem ganzen ein Ende zu machen. Er sah vor sich ein Schimmern wie von Wasser, aber das kannte er mittlerweile schon. Die Wüste spielte einem Streiche, und was einem wie ein Naher See erschien, konnte hunderte Meilen entfernt sein. Ein Trugbild der Götter. Die parthischen Götter straften ihn für seine Anmaßung, soviel war sicher.

    Dann schickten sie ihm auch noch das Trugbild einer Ziege mit Glöckchen um den Hals. Sie verspotteten ihn eindeutig. Als dann ein kleiner Junge mit langem Stab auftauchte, der die Ziege einfing, lachte Eburna hysterisch. Der Junge blieb wie angewurzelt stehen und rief irgendetwas in einer Eburna fremden Sprache. Dann verschwand er hinter dem Steinhügel, hinter dem er hervorgekommen war.

    Eburna stolperte weiter. Und erst, als noch zwei größere Jungen kamen und aufgeregt riefen und zeigten, merkte er, dass es kein Trugbild war, sondern dieses Mal echt. “Wasser“, krächzte er mit blutig verkrusteten Lippen, während er auf die drei Jungen und ihre Ziegen zustolperte. Alles andere war ihm egal. Er wollte nur Wasser.

    Sie verstanden ihn auch ohne das Wort zu kennen, und stützten ihn, als er ihnen entgegentorkelte. Sie führten ihn ein kleines Stückweit zu einem Brunnen und ein paar knorrig aussehenden Bäumen. Hier war ein kleines Becken für die Ziegen, aus dem die Tiere tranken. Eburna vergaß seine römische Würde und fiel einfach auf die Knie, ja auf den Bauch, schubste eine Ziege beiseite und trank wie ein Tier. Das Wasser brannte auf den ausgetrockneten Lippen, und mehr noch in seinem Körper, wo er jeden einzelnen Schluck in seinen Gedärmen schmerzhaft fühlen konnte. Widersinnigerweise wollte sich sein Magen umdrehen und nur mit Mühe behielt Eburna die Schlucke drinnen. Er drehte sich erschöpft auf die Seite.


    Da lag er noch, als ein Schatten auf ihn fiel. Er vermutete einen der Jungen und sah auf, um sich zu bedanken. Das war das mindeste. Er war sicher, dass er ohne diese Hirtenburschen jetzt tot wäre. Aber das Gesicht, das auf ihn heruntersah, war wesentlich älter und grobschlächtiger. Und der dazugehörige Mann trug eine parthische Rüstung. Er grinste.