Funera - Die Beerdigung des Consulars Spurius Purgitius Macer

  • Atticus hatte mit vielem gerechnet, nicht aber damit, dass die Kaiserin zu ihm – oder besser gesagt, zu Albina – kommen würde, um sich hinzuknien und zu trösten. Eine Kaiserin kniete nicht. Erst recht nicht bei einem einfachen Tribun.

    Atticus war einen Moment lang dezent überfordert, denn er wusste ja, dass halb Rom zuschaute. Und das war menschlich sehr nobel von der Kaiserin, aber politisch war das doch irgendwie falsch. Er machte einmal stumm Ähm und überlegte schon, wie er das ganze lösen konnte, als auch schon die Amme zu ihm dazutrat. Wenn die nun auch noch mitkuscheln würde, würde Atticus wohl endgültig aufgeben. Aber sie deutete mit offenen Armen nur an, dass sie ihm Albina abnehmen würde.

    Atticus löste sich aus seiner Starre und schüttelte dezent den Kopf. Er würde Albina jetzt hier nicht so abschieben, das fühlte sich falsch an. Aber er konnte auch die Kaiserin nicht auf dem kalten und dreckigen Boden knien lassen. Also tat er das einzige, was als Möglichkeit übrig blieb. Kurzerhand schlang er einen Arm unter Albinas Kniekehlen und stand dann mit ihr langsam auf. So konnte auch die Kaiserin wieder stehen, Albina sich weiter an ihm festklammern und der Ruf aller hier blieb hoffentlich gewahrt.

    Er deutete der Kaiserin kurz an, dass er wieder die Tribüne hochzugehen gedachte. Er konnte ja schlecht vor ihr nach oben gehen, das wäre sicherlich auch wieder falsch. Aber er würde ihr folgen und dann oben sich auch mit Albina gemütlich hinsetzen, so dass diese vielleicht ein wenig vor Erschöpfung einschlafen konnte, bis das Feuer soweit niedergebrannt wäre.

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  • Die Kaiserin ihrerseits erhob sich nun auch wieder und ging so wie es wohl die Etikette verlange als erste auf die Tribüne zurück. Während nun alle wieder saßen, kam ein Sklave der Kaiserin zu dem jungen Tribun. „Die Kaiserin lässt ausrichten, dass sie dich in zwei Tagen zur Audienz erwartet.“ Der Sklave wartete nicht auf einen Antwort, sondern begab sich umgehend zurück zu seiner Herrin.

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  • Ja sie war Kaiserin, aber in erster Linie war sie Mutter und der Anblick der sich ihr gerade bot zerriss ihr Mutterherz. So schritt auch die Kaiserin die Stufen hinab und ging zu dem Tribun und dem kleinen Mädchen. Ihre Wangen waren mit Tränen bedeckt und so tat sie es dem Tribun gleich, kniete sich neben die beiden und streichelte dem Kind stärkend den Rücken. Ja es sollte spüren, dass auch wenn sie einen großen Verlust erlitten hatte sie nicht allein war. Das man für sie da sein und sich um sie kümmern würde. Sie sagte nichts, denn in erste Linie war sie Mutter, die einem Kind Beistand leisten wollte.


    Atticus hatte mit vielem gerechnet, nicht aber damit, dass die Kaiserin zu ihm – oder besser gesagt, zu Albina – kommen würde, um sich hinzuknien und zu trösten. Eine Kaiserin kniete nicht. Erst recht nicht bei einem einfachen Tribun.

    Atticus war einen Moment lang dezent überfordert, denn er wusste ja, dass halb Rom zuschaute. Und das war menschlich sehr nobel von der Kaiserin, aber politisch war das doch irgendwie falsch.

    In den Augen der Claudia Marcella machte die Augusta alles richtig: Eine Mutter war sie, Mutter des Volkes, und die Claudia war sich sicher, dass viele Matronae dachten wie sie. Selbst wenn ihre Arme niemals Kinder umfangen hatten, so sehnten sie sich danach.

    Und so rief Claudia Marcella zur Kaiserin, die das kleine Mädchen tröstete:

    "Mater Patriae!", und sie hoffte, dass ihr Ruf aufgenommen wurde, und in den römischen Herzen Widerhall fand.


    Dann spürte sie die kleine Hand ihrer Nichte, die auch in schwarzer Tunika und offenem Haar ungemein lieblich aussah, wie sie bemerkte, und sie dachte daran, dass Pina genauso ein Waisenmädchen wie Albina gewesen war. Doch diese beiden kamen aus guten Familien; hatten die helfenden Hände von Verwandten und Freunden.

    Aber was geschah mit römischen elternlosen Mädchen, bei denen niemand da war; Töchter von Soldaten etwa?


    Eine Idee begann im Kopf der Claudia Marcella zu reifen, eine Idee, so groß, dass sie zwei, dreimal schlucken musste. Sie hatte sich immer Kinder gewünscht. Wenn ihre Idee Gestalt annehmen würde, würde sie welche haben.

    Sie durfte nur nicht nachlassen in ihrem Eifer , sprunghaft und oberflächlich wie sie war, diesmal nicht.


    Und sie wusste auch schon, wen sie mit in das Boot holen würde: Valeria Sorana, Kaiserin und Mater Patriae.

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  • Orestes war den Weg mitgegangen und hatte über das Vorbild des Consulars Purgitius Macer nachgedacht. Und über das Glück, dass der Aurelier nicht hatte anfangen müssen, wo der Purgitier begonnen hatte. Dann waren sie angekommen und man hatte der Trauerrede gelauscht. Nicht ganz sein Geschmack, aber doch gut. Nur eines wunderte ihn: warum weinte der Redner nicht. Er musste den großen Purgitier nicht besonders geschätzt haben, wenn er ihm diese Ehre nicht erwies. Wie es dem großen Germanicus ergangen war, so musste auch Purgitius Macer, nicht minder groß ohne die ihm gebührenden Tränen aus dieser Welt gehen.


    Doch diese unschönen Gedanken traten in den Hintergrund als das kleine Mädchen, wohl die Tochter des Verstorbenen auftrat und der Redner Gefühle zeigte und sogar die Kaiserin. Das war vielleicht der Grund, um die Kleine zu bewahren und ihr diesen Tag nicht noch schwerer zu machen. Wenn es denn so war, dann wollte Orestes versöhnlich sein und es nicht bei nächster Gelegenheit erwähnen. In Wirklichkeit rührte ihn diese Szene so sehr, dass er selbst eine Träne vergoß.

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    Quaestorius

  • Das Feuer brannte einige Stunden, aber was war Zeit? Er hatte unendlich viel Zeit, wenngleich er der schnellste aller Götter war. Aber hier und heute hatte er Zeit. Ebenso wie die Gestalt neben ihm. Sie besahen sich das herabbrennen des Scheiterhaufens, die Auflösung allen Irdischen und Vergänglichen, bis nichts mehr blieb außer Asche und einigen schwarzen Knochen. Sie besahen sich die Menschen, die gekommen waren, ihre Tränen, ihre Gedanken, ihre Herzen. Sie besahen sich das, was vom Leben zurückblieb, was überdauerte.

    Mercurius wartete geduldig, er hatte Zeit. Das Feuer war schließlich erloschen, und die Hinterbliebenen würden bald nach den Knochen in den Überresten suchen. Er blickte zu der Gestalt neben sich und wieder zurück zu dem kleinen Mädchen, das in den Armen eines blonden Mannes schlief, und entschied sich zu einem Akt der Gnade. Wind frischte auf und wehte über den Platz, wirbelte einmal über die Feuerstelle und nahm den Großteil der Asche und des Staubes mit sich ins Nichts hinauf.

    "Bist du bereit?" fragte Mercurius erneut die Gestalt neben sich und hielt ihm wieder die Hand hin, wie er es mit jeder Seele tat, um sie ins Totenreich hinüberzugeleiten. Diesmal nickte die Gestalt und ergriff seine Hand.

    Ein weiterer Windstoß fegte über den Platz und die Überreste, und Asche, Staub, Gott und Geist waren verschwunden.

  • Viel zu spät hatte man mir berichtet, welch ein Mann von uns gegangen war. Zwar kannte ich den Purgitier nur eher flüchtig, doch hatte mein Cousin viel mit ihm zu tun gehabt. So meinte ich zumindest und hervorragnde Leute sollte man immer ehren. Ich selbst war ihm ja bei den Wagnrennen begegnet. Also hatte ich mich - wenn auch recht spät am Tage - in die Trauerleidung begeben und war nun schon fast zu spät. Das Feuer brannte schon. Unerannt (mich kannte ja auch aum jemand), mischte ich mich nun unter die Menge und suchte mir einen Platz. Einer war noch frei und befand sich neben einem jungen Mann mit dunlem Haar und einem - offensichtlich - Sklaven, mit ebenso dunklem Haar. Ich nickte dne beiden zu und schwieg, wie es nun auch angemessen war. Begräbnisse waren nichts, was ich gerne aufsuchte. Feierlichkeiten dieser Art lagen mir nicht. Ich hatte die hauseignen Custodes mitgenommen, welcher aber in einiger Entfernung auf mich warteten. Immerhin musste ich im Dunklen zurück zur Casa Decima und wollte dabei nicht ähnlich enden, wie derjeniger, zu dessen Ehren hier so viele versammelt waren. Also schaute ich aufrecht und würdevoll dabei zu, wie das Feuer nieder brannte und bedauerte das junge Mädchen, welches os bitterlich weinte. Ich selbst hatte ja keine Kinder, was ich bisweilen sehr bedauerte. Unter diesem Gedanken seufzte ich nun sogar leise, ehe ich mich weiterhin in Schweigen erging.

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  • Glücklicherweise war Albina eingeschlafen. Atticus hielt sie einfach im Arm, während das Feuer herunterbrannte, und hing seinen Gedanken nach, sowohl denen an seinen Patron, als auch denen an Albina und jetzt noch zusätzlich denen an die Kaiserin. Er war froh, dass er das schlafende Kind im Arm hatte und so nicht in Verlegenheit kam, mit irgendjemandem sprechen zu müssen. Er zog einfach seinen schwarzen Mantel über sie und wartete, bis das Feuer heruntergebrannt war. Gnädigerweise frischte auch ein wenig Wind auf und verwirbelte schon einen Großteil der Asche.

    Eigentlich wäre es ebenfalls Albinas Aufgabe, die Knochen ihres Vaters zu sammeln und in die vorbereitete Urne zu geben, aber da sie schlief, ließ Atticus sie auch in Morpheus Armen und hoffte, dass er ihr wenigstens etwas Erleichterung schenkte an diesem Tag.

    Vorsichtig stand er mit dem schlafenden Kind auf und ging zu Tiberius Caudex hinüber, um sie ihm mitsamt seinem Mantel in den Arm zu drücken, damit sie weiterschlafen konnte. Ihm war so zwar kalt, aber das war nicht wichtig. Er würde es schon überleben für die kurze Zeit.


    So ging er hinunter zu dem abgebrannten Scheiterhaufen, während zwei der Freigelassenen die große Alabasterurne brachten, die die sterblichen Überrreste fassen sollte. Die kleinere Knochen waren komplett verbrannt, aber Atticus fand den Schädel, ein paar gesprungene Rippen, die Bein- und Armknochen und sammelte sie alle sorgfältig auf und legte sie mit aller Andacht in die Vase.

    Erst, als er wirklich nichts mehr fand, ließ er sich das Reisigbündel reichen, um den Rest der Asche wegzufegen. Viel war es dank des Windes nicht. Nur er war komplett durchgefroren bis dahin.


    Die Klageweiber aber hatten wieder ihren Auftritt. Sie bewaffneten sich mit Bündeln aus Lorbeer und Wasserschalen und zogen los, alle Anwesenden mit Wasser zu besprengen, um sie so rituell zu reinigen. Dabei riefen sie den so besprenkelten zu "LICET!" – Es ist erlaubt, zu gehen.

  • Es gab in der Zuschauermenge noch jemanden, der Senator Purgitius die letzte Ehre erwies, dies jedoch inkognito abseits des Rampenlichts. Kaiser Antoninus war nicht von Anfang an beim Leichenzug mitgegangen, sondern erst sehr viel später -und auch erst nach seiner Frau- zu ihm hinzugestoßen, da es noch wichtige Regierungsangelegenheiten zu erledigen gegeben hatte, doch als er damit fertig war, kam auch der Augustus in einer schwarzen Toga gekleidet ohne jeden weiteren Schmuck zum Begräbnis hinzu, umringt von einer diskreten Traube aus sechs Praetorianern, ebenfalls in zivil und schwarzen Togen, um nicht weiter aufzufallen. Bärtige Männer gab es ja immerhin inzwischen genug in Rom und so konnte man den Augustus wirklich sehr leicht übersehen in der Menschenmenge, es sei denn man würde ihm direkt ins Gesicht sehen (und zudem wissen wer er genau war).


    Heute war er nur ein namenloser Bürger Roms unter vielen die hier standen und Abschied nahmen von einem großen Mann, der ihrer aller Ehrerbietung verdient hatte. Auch wenn Antoninus' Frau eine kleine öffentliche Rolle bei der Zeremonie einnahm, doch das war ihre eigene Entscheidung gewesen. Septimius Antoninus fand, dass dieser Tag heute ganz Spurius Purgitius Macer und seiner Verdienste gehören sollte und nicht ihm, oder sonst jemand anderem. Apropo Verdienste... während der Kaiser den restlichen Verlauf des Begräbnisses verfolgte, begann in ihm eine Idee zu fruchten. Hm, ja, das wäre eine angemessene Art wie das Imperium den Verstorbenen ehren könnte! Und zudem um vieles langlebiger als eine schnelle Rede am offenen Grabe, ja so wollte er es machen!


    Nachdem das Feuer heruntergebrannt war und die Klageweiber die Menge besprenkten, gab der Augustus seiner Eskorte ein diskretes Zeichen zur Umkehr und verließ den Ort des Begräbnisses.

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  • Im letzten Geleit des Spurius Purgitius Macer fanden sich auch Gaius Iulius Caesoninus und ein Großteil des iulischen Haushalts wieder. Dies war nur mehr als verständlich, wo der Senator doch Caesoninus' politischer Lehrmeister gewesen war. Bei ihm hatte er einst sein tirocinium fori absolviert, von ihm hatte er seine ersten Schritte in der großen Politik gelernt. Macer war eine große politische Stütze für Caesoninus gewesen, auch später noch, als er sich um sein erstes Amt beworben hatte. Da war Macer inmitten des Senats aufgestanden und hatte sich für ihn ausgesprochen, eine großzügige Tat die Caesoninus immer noch zu tiefst ehrte, wo sie ja bedeutend zu seinem Wahlerfolg beigetragen hatte. Es gab also viel, was Caesoninus diesem großen Mann verdankte, sowohl an lehrreichen Lektionen, als auch tatsächlicher politischer Unterstützung. Er hatte dafür gesorgt, dass Caesoninus im See der Politik schwimmen gelernt hatte und deshalb war er hier und heute anwesend, um seinem alten Meister die letzte Ehre zu erweisen.


    Wie alle anderen war Caesoninus schlicht und schwarz gekleidet und unrasiert, in Gedanken ganz auf den Verstorbenen konzentriert. Rom würde nicht mehr Rom sein ohne Purgitius Macer, zumindest nicht so wie er es bislang gekannt hatte. Mit seinem unerwartetem Ende war ein großes Vakuum in der römischen Politik entstanden, hoffentlich würde es nicht von destruktiven Kräften gefüllt werden. Auch er selbst hatte sich in den ersten Momenten etwas verletzlich gefühlt, als ihm bewusst geworden war, dass eine große Schutzmacht über seine politische Zukunft jetzt nicht mehr existierte, doch hoffte Caesoninus inzwischen genug eigenes politisches Kapital angesammelt zu haben, um auf eigenen Beinen laufen zu können.


    So derart in Gedanken ganz bei sich und dem Toten ging Caesoninus im Leichenzug mit. Ein weiterer erster Impuls war gewesen ebenfalls das Wort ergreifen und seine Gedanken gegenüber Purgitius Macer kund tun zu wollen, doch entschied er sich dann dagegen. Es gab doch bestimmt haufenweise junge Politiker die Macer einst ausgebildet hatte, was machte ihn, Caesoninus daher besonderer als die, dass er wirklich das Wort ergreifen sollte? Nein, sollte das besser die Familie für den Verstorbenen tun. So also blieb Caesoninus ein Zuseher unter vielen und geleitete Spurius Purgitius Macer auf seinem letzten Weg bis zum Ende.

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