[HATRA] Hatra

  • Hatra ist die Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs,

    welches von einer lokalen arabischen Stammeselite geführt wird.

    Die Stadt ist eine typische Rundstadt und wird von

    einer 6 km langen, 3m breiten und 10m hohen Stadtmauer

    aus polygonalen Steinblöcken und Lehmziegeln geschützt,

    welche 11 Kastelle, 28 große und 163 kleine Wachtürme

    aufweist. Im Stadtzentrum liegt der zentrale

    Kultbezirk, welcher dem Gott Šamaš geweiht ist.

    Hatra ist ein wichtiger Handelsknotenpunkt für den

    Karawanenverkehr und liegt auch in einer bedeutenden

    strategischen Lage. Es ist zudem auch regionales Kult- und

    Verwaltungszentrum für die lokalen arabischen Nomaden.

    Bitte melden Sie sich an, um dieses Bild zu sehen.

  • Eine mysteriöse Schriftrolle


    Genauso wie es Ezra ben Abraham seinem palmyrenischen Freunde während ihres kürzlichen gemeinsamen Mahls angekündigt hatte, machte er sich wenig später auf den Weg seiner kleinen Handelsexpedittion, um zu seinem Freund nach Hatra zu gelangen. Er schloss sich dafür vom Parthischen Markt in Palmyra aus einer arabischen Handelskarawane an. Nach einer relativ ereignislosen, zehntägigen Reise kam er schließlich im 138 Meilen* entfernten Hatra an. Dort verabschiedete er sich von seinen Reisegefährten und machte sich auf eigene Faust ins Innere der Stadt.


    Ezra ben Abraham war schon ein oder zwei Mal in Hatra gewesen, doch kam er immer wieder von neuem gerne hierher zurück. Man konnte meinen, dass Hatra das arabische Gegenstück zu Palmyra war. Ein einzigartiger Mix der Kulturen, die ihren Reichtum aus dem Handel bezog, dominiert von einer teils sesshaften und teils nomadisierenden Elite, nur dass es hier keine Aramäer, sondern Araber waren. Genau wie in Palmyra bildete auch in Hatra eine einzigartige Synthese aus staatlichen und stammesstrukturellen Elementen das übergeordnete Staatswesen, welches von dem lokalen Herrscher Ma'nu regiert wurde, der den Titel "König der Araber" trug. Bei seinem allerersten Besuch der Stadt hatte Ezra ben Abraham König Ma'nu einmal von weitem während einer Prozession gesehen. Auch wenn es landauf landab hieß, dass Ma'nu ein parthischer Mustervasall war, der manchmal parthischer als der Großkönig selbst sein konnte, so fand er jedoch, dass der König der Araber ein ziehmlich jüdisches Aussehen hatte. Vielleicht war er ja über eine heimliche jüdische Mutter oder ähnliches ein verdeckter Volksgenosse von ihm?


    Derlei nichtssagende Gedankenspiele in seinem Kopf formend schlenderte er mit seinem Kamel am Zügel durch die Stadt, bis er beim richtigen Haus ankam und klopfte. In wenigen Augenblicken würde er endlich jene schon von langer Hand angekündigte Schriftrolle endlich zu sehen bekommen, Ezra ben Abraham war schon ziemlich gespannt.


    Sim-Off:

    * = 205 km

  • RE: Eine mysteriöse Schriftrolle


    Er brauchte auch gar nicht lange warten, als ihm da auch schon geöffnet wurde. Es war ein Sklave, der da hinter dem Portal erschien. "Ērkaš, ich bin Ezra ben Abraham aus Alexandria. Ich bin gekommen deinen Herrn zu sprechen, er erwartet mich", sprach Ezra ben Abraham den Sklaven auf Persisch an, da der Unfreie dem großen persischen Händler Bardiya von Tiraziš gehörte, Herrn des Weines und aller edlen Gesöffe, wie sein inoffizieller Titel hier in Hatra lautete. Denn Bardiya von Tiraziš war ungeheuer reich geworden durch sein, vom haträischen König verliehenen Monopols auf den Import und Verkauf von persischem Wein hieher ins Königreich der Araber, die ihm gierig seine Ware nur so wegtranken. Die Ebene, in der die Stadt Tiraziš und die persische Hauptstadt Parsastaxra lagen, beherrschte ein mildes Klima und war wie geeignet für die Kultivierung von Wein. Es hatte Bardiya einige Winkelzüge, Bestechungen und weiterer derart "legaler" Mittel bedurft, doch am Ende hatte er es geschafft gehabt alle seine Konkurrenten vom Markt zu drängen und sein Monopol zu bekommen.


    Der Sklave nickte und schloss noch einmal die Tür, um Rücksprache mit seinem Herrn zu halten. Nach einer Weile kam er zurück und sprach: "Sei gesegnet von den Göttern, Freund meines Herrn, er sendet dir die allerbesten Grüße zu und lässt dir ausrichten, dass du so gütig seien mögest dich in den Hof zu begeben. Mein edler Herr hat noch eine wichtige geschäftliche Angelegenheit zu erledigen, danach widmet er sich sofort ganz deiner gnädigen Aufmerksamkeit." Nach dieser kleinen Ansprache verbeugte er sich und wies mit beiden Händen ins Hausinnere als Einladung für Ezra ben Abraham, um doch einzutreten. Der Bücherhändler musste beim Nachkommen dieser Bitte ein Schmunzeln unterdrücken. Achja, medische Sklaven... immer so melodramatisch.


    Das Haus des Bardiya von Tiraziš entsprach vom Baustil her völlig dem gängigen Typus einer gehobenen Behausung der Stadt Hatra. Ein Gebilde aus vielen vielen kleineren und größeren Räumen, die sich alle um einen zentralen Innenhof gruppierten. Als eleganter Übergang zwischen dem Hof und den Innenräumen, befanden sich zwischen diesen große Iwanhallen, um alles noch pompöser und wichtiger erscheinen zu lassen. Normalerweise würde eine ganze haträische Sippe in so einem großen Haus Platz finden, doch nicht so bei Bardiya von Tiraziš. Dieser lebte hier ganz alleine, nur umgeben von seinem kleinen Heer an Freunden, Gefolgsleuten, Sklaven und Konkubinen. Seine Ehefrauen und seine Söhne wohnten woanders in der Stadt in einem viel kleineren Haus. Bardiya besuchte es nur gelegentlich.


    An all dies dachte Ezra ben Abraham, als er dem Sklaven in den Hof folgte, direkt einmal quer hindurch in die, ihnen gegenüberliegende und zum Hof hin offene Iwanhalle. Dort war schon ein reich verzierter Sessel mit Kissen und ein kleiner Beistelltisch mit einer Erfrischung darauf für den Juden vorbereitet worden. Ezra ben Abraham bedankte sich höflich und setzte sich. Er nahm den bereitstehenden Kelch in die Hand und nippte an ihm. Er lächelte mild. Persischen Wein hatten sie ihm zu trinken gegeben, was auch sonst.

  • RE: Eine mysteriöse Schriftrolle


    So saß er unter dieser prunkvollen Arkade und blickte hinaus, während er seine Gedanken schweifen ließ. Dann endlich erschien der Hausherr. "Ērkaš, Sohn des Abraham! Viele Monde ist es her, dass wir uns zuletzt sahen!" Der Jude wandte den Kopf. "Ērkaš, Bardiya! Es stimmt es ist lange her, doch jetzt sieht mich das glanzvolle Hatra wieder!" Bardiya von Tiraziš war fett geworden von seinem Reichtum. Er trug blau-weiße Gewänder und war überhängt mit goldenen Ketten und Ringen. Seinem Haupt schmeichelte zudem eine Glatze. Der Perser ließ sich in dem anderen Sessel nieder und mit Blick auf Ezra ben Abrahams Erfrischung fragte er: "Ich möchte doch hoffen, dass du bereits von diesem Wein gekostet hast, sein Geschmack ist einfach göttlich!" "Ja aber nur sehr wenig."

    "Na dann aber schnell! Es ist ein ganz besonderer Wein, dessen Rebe in Erde wuchs, die mit der Asche von Persepolis angereichert worden ist als Alexander der Große es niederbrannte!" Der Bücherhändler hob eine Braue. "Ist die Zerstörung von Persepolis nicht schon ein halbes Jahrtausend her?"

    Bardiya von Tiraziš lächelte. "Die Rebe ist eben ein Nachkomme einer sehr alten Pflanze", dann lachte er. Ezra ben Abraham lächelte nur höflich, aber nippte dafür erneut an dem Wein. Egal welcher das nun wirklich war, so oder so war er köstlich!


    "Nun denn ehrenwerter Bardiya, So mögen wir nun zu dem kommen weswegen ich hier bin."

    "Ah, die Schriftrolle! Aber natürlich! Ganz wie du willst." Er klatschte zwei Mal in die Hände. Sofort trat hinter einer Türöffnung ein Diener hervor, der auf einem Kissen eine goldene Schatulle trug. Der Diener stellte das Kissen mitsamt der Schatulle auf ihren Beistelltisch und entfernte sich wieder. Der Perser wies mit einer Hand auf die Schatulle; "Hier ist sie, ganz wie versprochen!"

    Ezra ben Abrahams Gespanntheit wuchs. Was wäre wohl darin? Er streckte die Hand aus und hob den Deckel. Darin lag eine eingerollte Schriftrolle aus merkwürdigem Material. Kein Papyrus, so viel war sicher. Er nahm die Schriftrolle aus der Schatulle heraus und entrollte sie. Was er da vor sich sah verschlug ihm den Atem. Alles war haargenau so wie es ihm Bardiya von Tiraziš einst in seinem Brief beschrieben hatte! Das Material sah aus wie Holz, doch war es keines, eher eine Art Schilfrohr und gleichzeitig so glatt wie polierter Marmor. Ihm völlig fremde Schriftzeichen waren darauf zu sehen, geschrieben mit schwarzer Tusche. Eine so komplizierte Schrift hatte Ezra ben Abraham noch nie zuvor gesehen, ganz klar, dagegen waren die lateinischen und griechischen Buchstaben, wie auch die alte mesopotamische Keilschrift nichts weiter als unbeholfene Krakeleien eines Kindes. Jeder einzelne Buchstabe bestand aus einer Kombination aus vielen einzelnen Strichen. Gerade Striche über Kreuz, Kästen mit Querstrichen oder Kreuzen, einzelne Schrägstiche und einige weitere Formen ergaben in der Kombination miteinander turmartige Gebilde, die als ganzes das Schriftzeichen bildeten. Und so beliebig diese Linien auch aussahen, sie mussten doch einem System folgen, denn einige wiederholten sich im Laufe des Textes, oder traten in einer abgewandelten Variante anderswo erneut auf. Auch war jeder Strich mit großer Präzision gezogen worden und keine Willkür oder Hastigkeit war in ihnen zu erkennen. "Lobet Gott, was ist das nur für ein Schatz! Was ist das für eine Schrift? Und auf welchem Material ist es geschrieben? Ich habe beides noch nie zuvor gesehen!" Auch wenn er nichts davon verstehen konnte, so wanderten seine Augen weiterhin in dem Dickicht dieser vielen schwarzen Striche umher.

    "Der baktrische Karawanenführer, der sie mir verkauft hatte sagte, dass diese Schriftrolle aus der Stadt Kaschgar stammte, einem Ort viele tausend Meilen von hier und etwa vierhundert Meilen von Alexandria Eschate entfernt hinter der Grenze Sogdiens. Der Nomade sagte weiter Kaschgar sei ein Vasall des Seidenlandes und dass diese Schriftrolle serisch ist! Vom Material weiß ich aber auch nichts näheres."

    Ezra ben Abraham nickte. Jetzt hatte er eine Vorstellung davon von wie weit her diese Schriftrolle tatsächlich kam. Sie kam aus Seres*, vom anderen Ende der Welt! "Kaum zu glauben was ich hier in Händen halte. Kaschgar ist ja schon sehr weit entfernt, doch Seres selbst soll ja noch einmal viele tausend Meilen hinter dieser Oasenstadt liegen. Dass die Serer ihr Reich wirklich so weit nach Westen bis an die Grenzen der bekannten Welt herangeschoben haben könnten?**"


    Sim-Off:

    Man kann sich die Schriftrolle in etwa so vorstellen.


    Sim-Off:

    * = Seres = Antiker griechischer Name für China in der Bedeutung "Seidenleute".


    Sim-Off:

    ** = Nach einer rund hundertjährigen Unabhängigkeit war die Oasenstadt Kaschgar mitsamt der übrigen lokalen Stadtstaaten des Tarimbeckens um 127 n. Chr. durch die Eroberungen von General Ban Yong (Sohn des berühmten Feldherrn Ban Chao, dem ersten Eroberer des Tarimbeckens) erneut als Vasallenstaat unter chinesischen Einfluss gelangt. Der König von Kaschgar, Chenpan, sandte daraufhin dem chinesischen Kaiser Shun (Han Shundi) einen Abgesandten mit vielen Opfergaben, woraufhin der Kaiser Chenpan den Titel eines "Großen Oberbefehlshabers der Han" verlieh.

  • RE: Eine mysteriöse Schriftrolle


    Bardiya von Tiraziš zuckte mit den Schultern. "Das weiß ich nicht, doch sollten die Serer jemals nah genug sein um persischen Wein zu kaufen so bin ich zur Stelle!" Wieder lachte er, während Ezra ben Abraham die serische Schriftrolle auf den Tisch legte und in die Schatulle hineinsah. "In deinem Brief erwähntest du auch eine sakische Übersetzung und deine eigene in das haträische Aramäisch, doch die Kiste ist leer. Wo hast du die beiden anderen Schriftrollen?" Der Perser klatschte erneut in die Hände und der Diener erschien wieder. "Hol mir das andere Kistchen!" Der Diener verschwand und kam kurz darauf wieder. In Händen hielt er ein weit schlichteres Kästchen aus Zedernholz, welches er neben die große goldene Schatulle auf den Beistelltisch legte.


    "Nur zu, öffne sie", ermunterte ihn Bardiya und so kam Ezra ben Abraham dieser Aufforderung nach. Darin befanden sich zwei Papyri. Einer war dunkler und wirkte so als wäre er aus gröberen Fasern gemacht, während die zweite Schriftrolle den üblichen sandigfarbenen, gelben Ton hatte. Der Bücherhändler griff zuerst nach dem dunkleren Papyrus und entrollte ihn. "Ah, das ist die erste Übersetzung des Gelehrten aus Alexandria Eschate!" Die Schriftzeichen der Rolle waren sakisch* und sagten Ezra ben Abraham ungefähr genauso viel wie zuvor die serischen, doch diese Schrift wirkte alleine von ihrem Aussehen für ihn schon wieder sehr viel vertrauter. Das war also jene Schriftrolle gewesen, die mitgeholfen hatte die serische zu übersetzen. Die Saken waren ein, mit den Völkern Persiens, Sogdiens und Chorasans verwandtes Volk und lebten in den Gefilden des Tarimbeckens, also im Ursprungsgebiet der serischen Schriftrolle, weshalb es westlich des Iaxartes** wohl kaum jemanden gab, der schon einmal einen lebenden Saken zu Gesicht bekommen hatte. In Alexandria Eschate hingegen war die Chance schon sehr viel höher, dass auch Saken dorthin kamen, wo Alexandria Eschate und Kaschgar ja in etwa genauso weit voneinander entfernt waren wie das nabatäische Petra von Antiochia am Orontes. Vielleicht hatte jener Gelehrte, der die Übersetzung angefertigt hatte, ja sogar selbst sakisches Blut in sich, dass er ausgerechnet jene Sprache benutzt hatte.


    Nachdem Ezra ben Abraham den sakischen Text eine Weile betrachtet hatte, fragte er: "Zweifellos muss dieser Text immer im Verbund mit der serischen Schriftrolle verbleiben und darf nicht von ihr getrennt werden, wo er doch ein weiteres Zeugnis für die Authentizität der Übersetzung ins Aramäische ist und dass das Original wortgetreu übernommen wurde. Denn das wurde es doch oder?" Bardiya von Tiraziš schnalzte mit der Zunge. "Aber natürlich! Immerhin steigert das nur den Wert meiner Schriftrolle! Sie wäre um vieles unwichtiger, wenn ihr Text weiterhin unverständlich geblieben wäre!" Das war einleuchtend. Ohne Übersetzung war sie bloß ein hübsches Kuriosum, mit ihr aber gleich das dreifache wert, wo sie doch Einblick in die Gedankenwelt einer völlig fremden Kultur gab. Und wenn man die Mühe und die Finanzmittel aufwenden mochte, so konnte man ja theoretisch jederzeit überprüfen lassen, ob der aramäische Text dem sakischen entsprach und in weiterer Folge dann der sakische dem serischen. Man musste nur die entsprechenden Leute für eine Gegenprüfung auftreiben, auch wenn das hieß notfalls bis Kaschgar selbst zu reisen. Doch davon war im Moment ja glücklicherweise nicht die Rede.


    "Vielen Dank schon einmal, dass du so gütig warst mir dieses Mirakel zu zeigen. Auf meinen Reisen habe ich schon viele wunderbare Schriften und Geschichten gesehen, doch weniges war bislang darunter, das diesem hier gleich kommt. So darf ich nun auch endlich die Übersetzung lesen?"

    "Aber natürlich, schließlich bist du ja genau dafür hier. Und wenn dir zusagt was du gelesen hast so verhandeln wir um den Preis."

    Jetzt war Ezra ben Abrahams Anspannung auf dem Höhepunkt, als er den sakischen Papyrus zurück in das Kästchen legte und nach der aramäischen Übersetzung griff. Jetzt würde er endlich erfahren was auf der serischen Schriftrolle in diesen kunstvollen Zeichen geschrieben stand.

    So entrollte der Jude den Papyrus und begann zu lesen.


    Sim-Off:

    * = Wer wissen möchte wie sakische Buchstaben aussehen, ungefähr SO.


    Sim-Off:

    ** = Heute der Fluss Syrdarja östlich des Aralsees

  • RE: Eine mysteriöse Schriftrolle


    Der Text begann damit zu erzählen, dass am Anfang der Zeit alles Chaos gewesen war und das Chaos die Form eines Eis gehabt hatte. In dem Ei verborgen waren Yin und Yang, die beiden universellen gegensätzlichen Kräfte. Yin und Yang waren das Kicht und die Finsternis, alt und jung, heiß und kalt, nass und trocken. Dann eines Tages waren die Kräfte von Yin und Yang so groß geworden, dass sie das Ei sprengten. Ezra ben Abraham las weiter, dass die leichten Bestandteile hinaufschwebten und zum Himmel wurden, während die schweren Bestandteile absanken und sich zur Erde formten. Und zwischen Himmel und Erde war ein mythisches Wesen namens Pángǔ. Die Schriftrolle erzählte weiter, dass sich Himmel und Erde immer mehr voneinander entfernten, immer so viel wie Pángǔ zwischen ihnen wuchs und so ging es 18.000 Jahre lang. Am Ende war Pángǔ, das erste Wesen, ein gewaltiger Riese. Ezra ben Abraham las, dass Pángǔs Körper menschlich, aber dicht behaart gewesen war. Auf seiner Stirn wuchsen zwei Hörner und er hatte Stoßzähne im Maul. Wenn Pángǔ fröhlich war gab es gutes Wetter, wenn er in Zorn geriet, stürmte und regnete es. Nachdem die Welt vollendet war, fielen Pángǔs Flöhe von ihm ab und wurden zu den ersten Menschen. In weiterer Folge erzählte die Schriftrolle von vielen Wanderungen, die Pángǔ mit seinen vier Begleitern, der ersten Schildkröte, dem ersten Drachen, dem ersten Phönix und dem ersten Einhorn gemacht hatte und beschrieb auch die Eigenschaften und Wesenszüge dieser Geschöpfe näher im Detail. Die Geschichte berichtete auch davon, dass Pángǔ der Herr und Lehrmeister der ersten Menschen gewesen war. Jeden Tag saß er auf seinem hohen Thron, der aus einem Berg gemeißelt worden war, und unterrichtete die Menschen, bis diese alles über das Universum, über Sonne und Mond, über die Sterne und die vier Meere wussten. Als es dann nichts mehr zu lehren gab, kamen die Menschen am nächsten Tag zum Throne Pángǔs, doch der große Lehrmeister war verschwunden und seither nie mehr gesehen worden...


    Ezra ben Abraham hatte zu Ende gelesen. "Das ist eine Schöpfungsgeschichte!" rief er aus. Bardiya von Tiraziš hatte Ezras Gesichtszüge während dem Lesen genau beobachtet und lächelte jetzt verschlagen. Sein Kunde hatte mit dem Lesen des Textes entgültig Feuer für die Schriftrolle gefangen, das war ihm anzusehen. "Ich wusste mein Schatz würde bei dir auf Interesse stoßen! Darauf noch einen Schluck!" Bardiya prostete ihm zu und leerte seinen Weinbecher in einem Zug. "Nachfüllen!" Wies er einem Sklaven an. Der Höflichkeit halber legte Ezra ben Abraham die Schriftrolle weg und griff seinerseits nach dem Wein, um auch zu trinken. Dann senkte sich wieder sein Blick auf sie herab. "Diese Schriftrolle gibt uns eine Vorstellung davon wie sich die Serer den Beginn der Welt vorstellen, überaus interessant! Besonders angesichts der Tatsache, dass wir ja sonst fast nichts über sie wissen, außer dass von ihnen der beliebte Seidenstoff kommt und dass sie in einem ähnlich großen Land unter der Regentschaft eines Kaisers wie das römische Imperium leben. Das macht sie überaus wertvoll!"

    "So ist es und trotzdem wäre ich bereit mich von ihr zu trennen, gegen gutes Geld versteht sich. Doch ich bin ein einfacher Händler", dabei klimperte er geräuschvoll mit seinem ganzen Haufen goldener Handketten an seinem Gelenk, "der auf Dauer nichts anzufangen weiß mit nicht lesbaren Schriftrollen und darauf verzeichneten netten kleinen Gutenachtgeschichten. Du jedoch, geehrter Sohn Abrahams, bist da ganz anders. Zu dir passt sie also sagen wir überlasse ich dir dieses Schmuckstück für...", der Perser überlegte kurz und nannte dann den Kaufpreis für die serische Schriftrolle, für die goldene Schatulle, das Zedernkästchen, den sakischen und den aramäischen Papyrus. Eine ziemlich stolze Summe! Ezra ben Abraham drückte sie dahingehend, dass er die goldene Schatulle vom Kauf ausschloss (er würde sie später anderweitig doch genauso edel unterbringen) und auch über die dahingehend verringerte Summe feilschten sie noch eine kleine Weile, bis sie sich einig wurden.


    "Ein harter Geschäftspartner durchaus, doch ich schlage ein! Der Handel gilt!" So wechselten die entsprechenden Münzen den Besitzer und Ezra ben Abraham war neuer stolzer Besitzer eines überaus seltenen Artefakts.

  • Zu Gast bei den Bene Attar


    Nachdem Ezra ben Abraham sein Geschäft mit Bardiya von Tiraziš, Herrn des Weines und aller edlen Gesöffe, abgeschlossen hatte und neuer stolzer Besitzer einer serischen Schriftrolle geworden war (vermutlich der einzige im ganzen Mittelmeerraum, wie überhaupt westlich des Iaxartes), waren seine Geschäfte in Hatra damit eigentlich auch schon wieder abgeschlossen und so hätte er sich schon nach nur einem halben Tag in der Perle der Araber wieder auf sein Kamel schwingen und die Heimreise antreten können. Doch Ezra ben Abraham wäre nicht Ezra ben Abraham gewesen, wenn er das getan und somit die Chance verpasst hätte tiefer in diese Stadt einzutauchen. Sonst hätte er ja auch irgend einen Boten schicken können. Nein, er hatte vor länger zu bleiben und zu versuchen noch mehr zu erfahren. Was genau wusste er jetzt noch nicht, doch wenn er es erst erführe würde er schon wissen dass es das gewesen war was er damit gemeint hatte. Um in Hatra bleiben zu können brauchte er natürlich eine Unterkunft. Beim persischen Weinhändler blieb er nicht, dafür waren ihre Bande zu oberflächlich. Auch auf eine Herberge oder Karawanserei konnte er verzichten, wo er doch von Athenodoros ein so vorzügliches Empfehlungsschreiben für die hiesigen Bene Attar erhalten hatte, weshalb er beschlossen hatte an die Tür des Nasri ben Attar zu klopfen.


    Er ging davon aus, dass auch die Bene Attar Hatras Kaufleute waren so wie die aus Palmyra, weshalb Ezra ben Abraham als allererstes zum größten Marktplatz der Stadt ging und sich von dort aus bis zum richtigen Haus durchfragte. Als er endlich davor stand klopfte er und wartete ab.

  • Re: Zu Gast bei den Bene Attar



    Bitte melden Sie sich an, um dieses Bild zu sehen.Nasri Ben Attar war in der Tat ein Kaufmann wie die meisten Verwandten, und er besaß ein prächtiges Haus. Als nun geklopft wurde, öffnete ein Wächter, der einen Stock in der Hand hielt, die Tür und sah einen alten Herren vor sich, den er für einen Hebräer hielt. Wie die Palmyrener auch hatten die Juden das Geschick, sich im Römischen Reich wie auch im Partherreich frei zu bewegen, und es gab große Kaufleute unter ihnen. Der Wächter hielt den Fremden auch für einen Händler, der vielleicht in Geschäften zu seinem Herren unterwegs war:

    " Shlomo edler Herr", sagte er: " Wie ist dein werter Name und was kann ich für Dir zum Gefallen tun?"

  • An

    Bardiya von Tiraziš

    Hatra


    Ērkaš, mein guter Freund!

    Ich schreibe dir heute wegen einer Bitte, die mir sehr wichtig ist. Du weißt ja noch diese serische Schriftrolle, die du mir kürzlich verkauft hast, dieser lag ja auch ein sakischer Text bei, den ein Bekannter von dir ins Aramäische übersetzt hat. Ich werde in zweieinhalb Monaten wieder in Hatra sein, bitte hol ihn bis dahin zu dir, mir ist es wichtig ihn kennenzulernen. Nähere Details werde ich dann persönlich preis geben, jedoch frag ihn schon im Voraus, ob er zu einer längeren Reise bereit wäre.


    Möge Gott dich und die deinen stets auf allen Wegen schützen!


    Ezra ben Abraham