Vor dem Bau des Marcellustheaters stand vor dem Tempel der Pietas die Columna Lactaria - eine große Säule, an der Ammen ihre Dienste anboten und am Rand des Forums auch etliche Sklavinnen als Amme verkauft wurden. Heutzutage war hier keine Säule mehr und auch kein Tempel der Pietas. Aber immer noch wurde dieser Platz so genannt, und immer noch fanden sich hier die Ammen Roms, sowohl die zum Verkauf, als auch die gegen Honorar.
Corvina sah einmal zum Marcellustheater auf. An der Wand hier war ein Bild gemalt von der Caritas Romana - Pero, die ihren Vater Cimon säugte, nachdem dieser zum Tod durch Verhungern verurteilt worden war und dies die einzige Möglichkeit für sie war, ihm heimlich Nahrung zu bringen. Corvina schluckte schwer, dann trat sie näher heran. Da sie Patrizierin von hohem Stand war, machten die anderen anwesenden Frauen ihr Platz. Viele Frauen kamen hierher, nicht nur diejenigen, die eine Amme kaufen wollten. Auch diejenigen, die zu arm für eine Amme waren und Kinder zu versorgen hatten, für die die Milch fehlte. So bettelten sie um Mildtätigkeit, und viele der Ammen hier stillten dann die fremden Kinder umsonst, während sie auf zahlende Kundschaft warteten.
Corvina hatte wenig Ahnung, auf was sie achten musste. Etwas verloren sah sie sich um, als auch schon ein Händler kam und das auszunutzen gedachte. "Oh, salve! Mein Name ist Dentrius Dexter, ich bin Eigentümer dieser hervorragenden Ammen! Dein Besuch ehrt mich, werte Patricia. Ich sehe, du hast ein gutes Auge. Darf ich dennoch deine Aufmerksamkeit auf die Vorzüge meiner Sklavinnen lenken und dir so die Auswahl vielleicht etwas erleichtern?"
Nein, Corvina wollte wirklich nicht hier sein. Eigentlich wollte sie keine einzige dieser Frauen haben. Keine davon sollte Lucius anfassen, wenn es nach ihr ginge. Aber es ging nun einmal eben nicht nach ihr. Der Wunsch ihres Mannes war eindeutig gewesen. Und auch, wenn sie nicht vorhatte, das Bett mit ihm zu teilen, würde sie seinem Wunsch nach einer Amme entsprechen. Also schluckte sie den Schmerz hinunter und sah sich die Frauen an. "Ich möchte eine Griechin. Und nicht jünger als fünfundzwanzig." Nein, Corvina wollte keine junge, hübsche Griechin kaufen, die sich um Neros Kind kümmern würde. Am liebsten wäre ihr sogar eine noch ältere Frau, aber wenn sie zu alt war, bestand die Gefahr, dass ihre Milch auch nicht mehr so gut wäre. Und vielleicht wünschte ihr Mann noch einen weiteren Erben, da wäre es gut, wenn sie diesen auch noch versorgen könnte und nicht zwischenzeitlich sterben würde. Auch wenn Corvina nicht dachte, dass das passieren würde, zumindest nicht so schnell.
"Gewiss doch, gewiss. Ich würde dir nie widersprechen, Domina. Auch wenn jüngere Sklavinnen natürlich ihre Vorzüge haben, da sie gesünder sind und mehr aushalten. Aber du hast natürlich recht, die älteren sind allgemein keuscher", stimmte der Händler ihr zu und führte sie herum durch seine Sklavinnen.
Die meisten waren Corvina zu hübsch, und die, die es nicht waren, waren ihr zu alt. "Hast du nichts anderes?" fragte sie etwas unwirsch. Eigentlich konnte der Händler nichts dafür. Sie wollte aber nunmal eigentlich gar nicht hier sein.
Der Händler zuckte etwas mit den Schultern. Er wurde nicht schlau aus dieser Kundin. "Nun, ich habe noch ein paar Sklavinnen, aber ich glaube nicht, dass die deinen Anforderungen entsprechen..." sagte er etwas unsicher. Trotzdem rief er noch eine Sklavin herbei, die gerade Kinder von Hilfsbedürftigen stillten. Und Corvina verstand, was er meinte. Die Frau war einmal sehr hübsch gewesen, aber dann musste etwas passiert sein. Eines ihrer Augen war blind und auf einer Wange zeigten sich Vernarbungen wie von Flammen. Aber die Haut war nicht schwarz. Corvina sah einen Augenblick verwundert, ehe sie sich fasste und die Frage stellte, die die Sklavin sicher schon oft gehört hatte. "Wie ist das passiert?"
Die Sklavin tauschte einen kurzen Blick mit ihrem Besitzer, ehe sie antwortete. "Kochendes Wasser, meine Herrin. Ich spielte mit einem Kind und stieß dabei an einen Topf, der auf der Tischkante stand. Er verbrühte mich, und seitdem ist es so."
Corvina nickte und sah sich die Frau einen sehr langen Augenblick an. Sie war nicht hübsch. Sie war nicht jung. Und sie würde mit ihrem Aussehen wahrscheinlich nicht viele Stellen bekommen, erst recht keine guten. Sie wäre Corvina also dankbar. Und Corvina hatte eine Schwäche für Vögel mit gebrochenem Flügel.
"Ich bezahle siebenhundert Sesterzen für sie" sagte Corvina, und wusste, dass das ein guter Preis für eine verstümmelte Sklavin mit nur einem Auge war.
Der Händler zögerte einen Moment. Man konnte ihm ansehen, wie er rechnete und sie abschätzte, ob er einen besseren Preis aushandeln könnte. Aber er schürzte nur die Lippen und nickte, ehe er übertrieben freundlich lächelte. "Siebenhundert, so sei es. Wohin soll ich sie bringen lassen?"
"Sie wird mich sofort begleiten. Dein Geld bekommst du bei der Villa Aurelia. " Sie besiegelten den Handel, indem Corvina ein Familiensiegel in Wachs drückte und die Summe bestätigte. Auf dem Heimweg würde sie bei der Villa Aurelia vorbeigehen und dort bescheid geben, damit der Händler erwartet wurde.
Als sie sich so also auf den Rückweg zu Kara machte, die etwas am Rand des Forums mit Lucius gespielt hatte und mit ihm auf die Suche nach Spielzeug gegangen war, wandte sie sich der Sklavin zu. "Mein Name ist Aurelia Corvina. Wie heißt du?"
"Anthousa, Herrin."
Corvina nickte. Sie wollte jetzt nicht reden. Sie fühlte sich elend. Sie würde später mit ihr reden und sie in ihre Pflichten einweisen. Erst einmal wollte Corvina nur zurück zu ihrem Kind. Und vor allem wollte sie laufen. Weit laufen.