Raubtiere in der Subura


  • Die Hitze hielt die Subura immer noch fest im Griff, als sich Quintus am ausgemachten Treffpunkt einfand. Immerhin waren die schlimmsten Nachmittagsstunden vorüber.

    Quintus wartete auf Tiberios, den griechischen Schreihals, der zudem flink auf seinen Füßen war. Er wusste nicht mehr alle der ausgesuchten Beleidigungen – oder Schmeicheleien, je nachdem -, die ihm der Sklave an den Kopf geworfen hatte, doch noch immer überkam ihn ein Lächeln beim Gedanken daran. Wenn er daran dachte, dass seine Freundlichkeit gegenüber dem Griechen der einzige Grund, was, dass er sich nun in dieser Situation befand.

    Als er Tiberios erblickte, hob er grüßend die Hand und bereute es gleich wieder. Die Schläge waren noch ein wenig zu spüren, oh ja.

    „Und wieder zieht es dich hierher“, grüßte er Tiberios heiter. „Man könnte denken, du magst es hier. Tut mir leid, dass dein Dominus dir das aufbürdet. Er scheint zu denken, du könntest mich irgendwie zähmen oder so. Dieser Narr sagte übrigens, er würde mich aus dem Elend der Subura rausholen. Glaubst du, damit meint er meinen eigenen Domus oder soll ich für einen Hungerlohn in einem seiner Betriebe ackern?“

    Grinsend musterte er den Jungen, der noch viel zu brav aussah. Gut, dass er daran gedacht hatte. In der Tasche, die Quintus bei sich trug, befand sich eine weitaus schmutzigere Tunika, ebenso wie genügend Dreck, um Tiberios etwas „herzurichten“. Als Sklave eines reichen Hauses kam er hier jedenfalls nicht gut an. Sie mussten aus dem Griechen einen waschechten Abschaum machen.

  • Tiberios glänzte tatsächlich vor Sauberkeit, was aber auch daran lag, dass er den Kopf in das kalte Wasser der Pferdetränke gesteckt hatte, denn das war seine Methode, sich momentan wach zu halten. Er trug einen Bündel mit Wachstafeln und Griffeln, einen Salbentopf mit Deckel und dazu ein Päckchen mit Zuckerkringeln.

    Er schaute sich ab und an vorsichtig um, denn nein, er hatte es im Gegensatz zu Dominus Aulus für ganz und gar keine gute Idee gehalten, noch einmal so zeitnah in der Subura aufzukreuzen. Schließlich waren die drei Dolchmänner hinter ihm, Tiberios, hergewesen und nicht hinter seinem Herren. Was, wenn sie sich an ihn erinnerten? Das zweite Mal wäre vielleicht kein flinker Quintus in der Nähe, der jedes Schlupfloch kannte und ihm das Leben rettete...


    Doch da war er! Tiberios war höchst erleichtert und hob auch die Hand, dann bemerkte er, dass der andere leicht zusammen zuckte. Dominus Aulus hatte Tiberios erzählt, dass er den Dieb hatte zusammen schlagen lassen, nun auf den ersten Blick sah er nicht sehr verletzt aus, aber vielleicht waren die Verletzungen unter der Tunika verborgen. Etwas seltsam war es für den Griechen, einem Mann entgegenzutreten, den sein Herr misshandelt hatte.

    Quintus jedoch begrüßte ihn mit Heiterkeit, und Tiberios lächelte zurück:

    "Ich bin froh, dich zu sehen, Quintus.ich dachte du magst vielleicht etwas davon... ", er reichte ihm das Kringelpäckchen. Er wurde verlegen, als Quintus Dominus Aulus einen Narren nannte, tat aber so, als hätte er das nicht gehört und meinte:

    "Ich weiß nicht, was Dominus Aulus dir zugesagt hat, aber seine Versprechen hält er. Hat er dir Arbeit versprochen? Ich arbeite auch in dem Betrieb, und ich werde prozentual am Umsatz beteiligt. Es ist nicht soo schlecht. Aber sag, wurdest du arg verprügelt?Ich habe auch noch Pferdesalbe dabei, die kann ich dir auftragen. Sie wirkt gegen stumpfe Verletzungen. Ja, ich soll lediglich alles aufschreiben, was du in Erfahrung bringst, und dich begleiten, damit du nicht untertauchst. "

    Tiberios sagte nicht dazu, dass er gegenüber seinem Herren dann aber auch verantwortlich war. Wenn Quintus nicht tat, was von ihm erwartet wurde , würde der Grieche für die nächste Zeit im Keller an der Hypokaustenanlage stehen.

  • Verwundert betrachtete Quintus die Süßigkeiten, die ihm Tiberios anbot und bediente sich kleinlaut an einem davon. Er war es nicht gewöhnt, dass Leute an ihn dachten. Einmal mehr fiel ihm auf, wie wenig er eigentlich mit anderen zu tun hatte...

    "Ähm... Danke", nuschelte er, überspielte die Verlegenheit aber ganz zuverlässig. Quintus räusperte sich, um zu überspielen, wie ihn die Geste erfreute und kam direkt zum nächsten Punkt.

    "Für den arbeite ich nicht in tausend Jahren. Ich will nicht in einem Steinbruch schuften oder in einer Manufaktur Knöpfe annähen." Er schüttelte den Kopf. Glaubte der Furier denn, dass ihn Tiberios aufhalten konnte? Doch zugegeben, er wollte nicht, dass der Grieche bestraft wurde...

    "Schön, also, ich habe einen Plan für heute Abend", erklärte der Dieb daher nun endlich und verschränkte die Arme. "Du erinnerst dich an die drei hässlichen Messerstecher? Die Rangelbrüder? Nun, du weißt es vielleicht nicht, aber die drei sind Tölpel. Wer sie für einen Affront wie für den gegen deinen Herrn engagiert hat, ist entweder dämlich oder hat damit schon bessere beauftragt, die abgelehnt haben. Normalerweise werden die drei nämlich eher für Kleinscheiß engagiert. Und wir beide werden uns gleich mit einigen der besten Auftragsmördern der ganzen Stadt unterhalten. Klingt das nicht spaßig?"

  • Tiberios wedelte mit der Pferdesalbe: "Wie gesagt, gegen Schmerzen.", da hätte er nichts dagegen, Quintus behilflich zu sein, der Grieche fand den Jüngling recht anmutig, doch er wäre auch im konträren Fall hilfsbereit gewesen:

    "Nun, Dominus Aulus hat so die Idee, jugendlichen Müßiggängern aus der Subura eine Ausbldung zu ermöglichen. Auch zur Senkung der Kriminalität.", erklärte er und ein wenig grinste er jetzt:

    "Du wärst dann eine Art Vorzeigeprojekt: Vom jugendlichen Dieb und Delinquent zum nützlichen Mitglied der Gesellschaft. Aber es ist deine Entscheidung, du bist ein freier Mann.", so war es ja auch, und, dies sprach der Grieche jedoch nicht laut aus, er hatte Zweifel an der Uneigennützigkeit seines Dominus.

    Aufmerksam hörte er zu und machte sich Notizen:

    "Du kennst die drei?", fragte er und wurde etwas blass um die Nase: "Ich war zugegeben nicht in der Lage, ihre Qualitäten als Auftragskiller zu bewerten - ich hatte einfach nur Angst", gab er zu:

    "Du meinst, du kennst noch schlimmere Männer als diese und da sollen wir hingehen? Was garantiert dir, dass sie uns nicht einfach töten - ich meine so zur Übung?"

    So wie ein Schreiber Schrift übte und ein Gladiator Finten, mussten sich wohl auch sicarii trainieren, nahm er an, obgleich er sich darüber vorher keine Gedanken gemacht hatte.

  • "Ist sicher eine gute Idee", sagte Quintus. "Hier laufen viel zu viele faule Säcke herum, die mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen." Nie und nimmer käme er auf die Idee, dies beträfe ihn selbst. Pah, der Procurator hatte wohl seine Tunika zu heiß gewaschen.

    "GLaub mir, ich wäre für deinen Dominus nur eine Enttäuschung, auch wenn ich zu gern dabei wäre, wie er seinen Ruf ruiniert, es zu versuchen." Er hatte seine Qualitäten, durchaus. Er konnte einem reichen Mann viel bieten. Aber ganz sicher nicht als minderbezahlter Lohnsklave.

    "Aber um auf deine Frage zurück zu kommen: Ich kenne noch vieeel schlimmere. Und die Rangelbrüder kennt hier jeder - ein Grund, warum sie so schlecht sind. Du musst dir aber keine Sorgen machen. Erstens bist du mit mir zusammen. Außerdem ist auf dich kein Preis ausgesetzt. Wenn sie wahllos alles und jeden abmurksen würden, würde sie vermutlich keiner mehr anstellen. Die drei, mit denen wir gleich sprechen, sind die Leoparden, drei Nubier. Die kennen mich ziemlich gut. Keine Sorge, die lieben mich."

    Wie könnten sie auch nicht?

  • "Na eben. Schafft man Resozialisierung bei dir, schafft man sie bei den meisten. Du bist ein schwieriger Fall. Hinter dir waren die Urbaner her.", meinte Tiberios. Bei gewöhnlichem Diebstahl kümmerten sich die Ordnungskräfte keinen Pfifferling darum, da halfen nur Selbstjustiz oder eine Verfluchung. Bei einem Einbruch bei der Cura Annonae sah es schon anders aus:


    "Sag einmal, wie bist du eigentlich zum Dieb geworden?", ihn interessierte Quintus Geschichte:

    "Und du bist ja ein guter, oder? Ich meine, in die Basilica Iulia einzubrechen, ist bestimmt nicht so einfach, mit den ganzen Urbanern in der Nähe. In deren Hände wollte ich nicht fallen.", die Urbaner gingen bei der Befragung der unteren Stände nicht zimperlich vor, hieß es, und ihre Aufgabe war es auch, alles niederzuhalten und Aufstände im Keim zu ersticken. In der Subura waren sie besonders verhasst:

    "Wolltest du mit deinem Leben nie etwas anderes machen?"


    Er drückte die Salbe Quintus in die Hand, er hatte sie schließlich für ihn mitgebracht:


    "Drei Leoparden also? Das klingt ..."Es klang gefährlich:

    "Und sie lieben dich? Das beruhigt mich ungemein." Tat es nicht. Wenn die drei Auftragskiller waren, konnten sie ihre Vorlieben jederzeit ändern. Aber er musste es hinter sich bringen.

  • "Und deshalb will er mich also 'resozialisieren', ja? Als Musterprojekt? Pah, da kann er lange warten", schmunzelte Quintus. Der Plan seines neuen Chefs klang irgendwie sehr utopisch. Diese reichen Geldsäcke hatten doch keine Ahnung.

    Verwirrt nahm er die Salbe von Tiberios an, die er ihm geradezu aufdrängte und war schon wieder ganz irritiert von der Güte, die der Sklave zeigte. Warum wohl? Er schuldete ihm schließlich nichts.

    "Danke...", murmelte er leise. Nein, nicht verlegen werden, alles gut. "Äh, warum ich Dieb geworden bin... Nun, wenn du plötzlich auf der Straße bist und dir niemand helfen will, musst du sehen, wo du bleibst. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich gut darin bin und nun stehen wir da wo wir stehen. Es ist wirklich keine große tiefsinnige Geschichte, die dahinter steht. Ich war nie so schlau, dass es für mehr gereicht hätte."

  • Tiberios war es so gewöhnt, dafür zu sorgen, dass es allen in der Casa gut ging, dass er es ganz automatisch tat, doch als Quintus nun Danke sagte, lächelte er: "Wir haben genug Salben. Und auch wenn ich nicht wirklich die Erlaubnis bekommen habe, eine fortzunehmen, muss ich doch alles tun, damit du deinen Auftrag ausführen kannst. Ich finde, diese Anweisung kann man sehr weit auslegen.", doch als Quintus sagte, er wäre nicht so schlau, schüttelte der Grieche vehement den Kopf:

    "Du bist bestimmt schlau.", sagte er: "Dumme Menschen glauben von sich nämlich nie, dass sie dumm sind. Aber ich verstehe nur zu gut, dass du sehen musstest, wo du bleibst. Das musste ich auch schon.", es waren unangenehme Dinge gewesen, um sein Leben zu retten, aber er hatte es gerettet. Sich dann noch weiter einen Kopf machen, brachte nichts, da war er ganz Stoiker

    "Doch das ist die Vergangenheit. Vorbei ist vorbei", Tiberios blieb stehen, denn noch ein Gedanke drängte sich ihm auf:

    "Bevor wir zu deinen nubischen Leoparden gehen, eines möchte ich dir sagen, Quintus. Ich habe dein Versteck nicht verraten.", sprach er.

  • Quintus war einmal mehr von Tiberios' Worten erstaunt. Der Gleichaltrige konnte mit Worten umgehen, soviel war jedenfalls sicher. Vielleicht war es aber auch seine ehrliche Art, die er so ansprechend fand. Und natürlich seine Bereitschaft, die erhaltenen Anweisungen kreativ zu interpretieren, wenn es sein musste. Verlegen und doch erfreut musterte Quintus die Salbe, ehe er sie einsteckte.

    "Hehe... danke für das Kompliment", winkte er geschmeichelt ab. Straßenweise vielleicht, aber schlau? Naja. Quintus war kein Verständnis für seine Lage gewohnt, weshalb ihn Tiberios natürlich auf gewisse Weise berührte. Nicht, dass er es sich anmerken lassen würde.

    Die Arme verschränkend bemerkte er, dass sein neuer Freund sich für den guten Riecher seines Dominus rechtfertigte. Leise schnaubte der Dieb, der entgegen seiner folgenden Worte erleichtert war, dies zu hören:

    "Verdammt. Das würde ja bedeuten, dass dein Dominus ja doch etwas Verstand in diesem Pickel hat, der auf seinem Hals sitzt." Und das bedeutete, dass ein Wiederfinden nicht ausgeschlossen war. Doch machte nichts, musste er halt schlauer sein, als der Furier. "Mach dir keinen Kopf deswegen. Auch, wenn es mich natürlich freut, dass du nichts gesagt hast. So, und nun zurück zu unserer Aufgabe: Bevor wir reingehen, müssen wir was an deiner äußeren Erscheinung machen. Du siehst zu sauber und adrett aus, mein Freund. Ich habe hier ein paar Lumpen für dich. Und gib mir eine Minute und ich bringe dir noch eine Handvoll Dreck."

  • Tiberios nahm die Lumpen mit einer gewissen Todesverachtung in beide Hände. Er legte tatsächlich Wert auf seine Erscheinung, badete mindestens einmal täglich und zupfte sich jedes Körperhaar aus.

    "Auf die Handvoll Dreck freue ich mich besonders", sagte er: "Dominus Aulus ist nicht wirklich mein Eigentümer übrigens, das ist seine Cousine Domina Furia Stella. Er hat mich von ihr nur ausgeliehen. Daher kann er zwar über meine Arbeitskraft verfügen, müsste sie aber vor einer harten Bestrafung um Erlaubnis fragen. Es war demnach nicht wirklich mutig von mir, dich nicht zu verraten. ", gab er zu und lächelte nun:


    " Oh ... ist das der Dreck? Wirklich sehr exquisit ausgewählt. Wo trägt der Hauptstädter von Heute ihn am besten? Auf dem Haupt? Im Gesicht?
    Doch sag einmal, wie gerietst du auf die Straße, Quintus? Bist du ein Waisenjunge?
    "

  • Quintus ignorierte gekonnt die Fragen zu seiner Vergangenheit. Tiberios schnüffelte ihm ein wenig zu sehr herum. Solche Sachen erzählte man doch nicht jedem! Und Quintus erst recht nicht, der erzählte sowas keinem. Denn wenn man keinem traute, konnte einem auch nichts passieren...

    Stattdessen rieb er sich den Dreck sorgfältig in die Handflächen und fuhr dann "zärtlich" damit durch das Gesicht seines neuen Kumpanen. Er wollte ihn schließlich dreckig machen und nicht einer Schlammkur unterziehen. So schmutzig waren sie in der Subura nun auch nicht.

    "Wirklich hübsch", urteilte er. "Wenn du es jetzt noch schaffst, in deine hübsch blumigen Worte ein, zwei Todesdrohungen einzuflechten, bist du bereit für die Meute. So gefällst du einem ja fast, Tibs."

  • Tiberios bemerkte, dass Quintus ihm auswich, und er zügelte seine Wissbegier. Er hatte keine bösen Intentionen dahinter versteckt; ein ganz fremdes, von ihm verschiedenes Leben interessierte ihn nur brennend. Etwas daraus lernen konnte man immer.

    Der blonde Dieb verrieb ihm nun etwas Dreck auf den Wangen, nicht zu viel, und der Sklave kniff die Augen zu, damit ihm kein Staub hinein geriet. Er hätte ja nichts gegen die Hände des gutaussehenden Jünglings in seinem Gesicht gehabt, aber doch nicht so.


    "Fluchen? Oh, ich kann gut fluchen", antwortete er: "Mögest du wie König Ixion zur Strafe im Tartaros auf ein ewig kreisendes Feuerrad geflochten werden oder auf eines aus lebendigen Schlangen, und mögen die schauerlichen Keres mit spitzen Zähnen dein gesamtes schwarzes Blut trinken und es wieder hochwürgen und dann wieder trinken, so dass du nie zur Ruhe kommst. Oder noch besser, ich wünsche dir die Satyriasis an den Hals, der Medicus Aretais beschreibt sie so, dass du anfängst wie ein Bock zu stinken und eine Dauererektion bekommst, und die ist so schmerzhaft, dass du innerhalb einer Woche unter grässlichen Qualen dahinscheidest! ",

    Nachdem Tiberios einem imaginären Feind all diese Probleme an den Hals gewünscht hatte, hielt er inne und lächelte wieder:

    "Meintest du es so, Quintus?", fragte er sanft.

  • Das Lächeln auf Quintus' Zügen konnte man beinahe mitleidig nennen.

    "Ich meinte eigentlich weniger ein Gedicht als vielmehr sowas wie "Ich stech dich ab, du Drecksack!". Weißt du was? Vielleicht lässt du besser mich sprechen, ja? Und lass den griechischen Mumpitz weg. Die sind zu dumm, um sowas zu verstehen."

    Er tätschelte Tiberios' Wange wie einen Hund und wartete darauf, dass er sich komplett herrichtete.


    Wenig später war Quintus endlich zufrieden. Wie so manche Patrizierin einen Aufriss um gutes Aussehen machen konnte, so anspruchsvoll war der Dieb bei Tiberios' Verkleidung. Perfekt, befand er jedoch schließlich stumm und legte einen Arm um die Schultern seines neuen Kumpans, den er nun in einen der berüchtigsten Schuppen in der Subura hineinführte wie der Fuchs das Kaninchen...

    "Keine Sorge", raunte er leise, als sie reinkamen. Die Taberna war ein einziges Klischee: Überall saß das Gesindel, häufig mit Augenklappe und/oder bösem Bart mit Krügen in der Hand und natürlich schauten sie alle feindselig auf. Als sie Quintus erkannten, nahm die Alarmhaltung wieder ab, doch folgten die Blicke ihnen dennoch heimlich. "Die kennen mich hier. Und die Leoparden finden mich gut. Dir passiert nichts."

    Sie hielten auf den hinterletzten Tisch zu, an dem drei gewaltige Nubier im Stillen ihre Getränke einnahmen. Mit breitem Lächeln trat der Dieb näher, als der Mittlere und Größte der drei seinen Bierkrug abstellte, ihn musterte und mit tiefer Stimme brummte:

    "Na du hast ja Nerven, dich hier nochmal blicken zu lassen nach der Sache mit meiner Schwester."

  • "Ich steche dich ab du Drecksack", wiederholte Tiberios in seinem sorgfältigen Latein mit dem exalktierten alexandrinischem Akzent: "Oh, ich kann das nicht, Quintus, ich glaube, es ist eine ausgezeichnete Idee, dass du das Reden übernimmst. Ich protokolliere dann für Dominus Aulus, was du so sagst."

    Mit der Feder fühlte er sich wesentlich sicherer. Als der blonde Dieb endlich mit seinem Äußeren zufrieden war, brachen sie zu einer Taberna auf, die, nun mit Leuten bevölkert war, auf die das Adjektiv verwegen auf jeden Fall zutraf, wenn nicht sogar berüchtigt, abgerissen oder kriminell.

    Acherontis pabulum, Futter für den Acheron, Galgenvögel, dachte er.


    Keine Sorge, sagte Quintus.

    "Keine Sorge?", wiederholte Tiberios leise: "Die sehen alle so aus, als würden sie so einfach töten, wie andere atmen, und das sind noch nicht einmal die Meuchelmörder."


    Drei riesenhafte Nubier, das waren wohl die gesuchten Leoparden, saßen mit dem Rücken zu ihnen. Ihre Bierkrüge hatten die Dimensionen eines kleineren balneum.


    Quintus trat mit breitem Lächeln näher... und....

    "Schwester? Was für eine Schwester?", Tiberios spürte, wie bei den Worten des mittleren Kerls - wenn er sich erhob, stieß er sich den Kopf garantiert an der rauchgeschwärzten Mörteldecke an, so groß war der, Panik in ihm hoch kroch und er krallte eine Hand in Quintus Tunika:

    "Bei Aphrodites Gürtel, was war mit seiner Schwester?", zischte er.

  • Nun, er hatte es Tibs ja angekündigt, dass sie hier nicht in ein gewöhnliches Balneum gingen. Dies hier war nur einer der wirklich, wirklich dunklen Orte Roms. Natürlich nicht so dunkel wie der Senat oder das, was auch immer hinter den weißen Marmorfassaden abging, aber immer noch nicht nett.

    "Halt dich einfach an mich, dann passiert dir nichts", hatte er gezischt, als sie die drei Nubier konfrontiert hatten.

    In der Mitte saß Tabid, der Größte und der Anführer. Ein Berg von einem Mann, was man auch durch die Kleidung hindurch mehr als erahnen konnte. Er hatte Oberarme wie Baumstämme und mochte zwischen diesen einen Mann von Quintus' oder Tiberios' Statur sicherlich zerbrechen können wie einen Zweig.

    Neben ihm zur Linken saß Koloda, ebenso groß, wenn auch schweigsam, glatzköpfig und mit Bart. Auf seinen Oberarmen konnte man noch die Male von Ketten und Narben erahnen, die aus seiner Zeit in der Sklaverei stammten. Er war ein mitleidloser Killer, wie Quintus wusste. Gut, dass selbst Auftragsmörder ihre Prinzipien hatten. Wer auf Kolodas Liste landete, den konnte man nur bemitleiden.

    Und zuletzt war da Urtod. Durchaus muskelbepackt, doch weder in Höhe noch in Breite an seine Kameraden heranreichend. Er war der Jüngste und mochte durchaus eher an Quintus' Alter als an jenem seiner Kameraden liegen. Er hatte kurzgeschorenes Haar und trotz des düsteren Gesichtsausdrucks, den alle drei zeigten, glomm in seinem Blick noch dieser jugendlich schalkhafte Funke, wie ihn Quintus auch bei sich selbst fand.


    Als Tabid ihn angesprochen hatte, machte sich Tibs beinahe in die Tunika. Nun, Quintus konnte es ihm nachfühlen. Natürlich erzählte er das keinem.

    "Shht, ganz ruhig", flüsterte er, bevor er sich räusperte. "Tabid, mein Freund-" "Wir sind keine Freunde." "- ich bin ja so froh, dich zu sehen. Ähm, was war das gerade?"

    "Meine Schwester. Was fällt dir eigentlich ein, du kleiner Mistkerl?"

    "Ah, du hast von der Sache gehört", nuschelte Quintus verlegen. "Tja, peinlich..."

    "Du hast sie mit der Lanze fast aufgespießt."

    "Also, das war ein Versehen. Erstens kenne ich mit damit durchaus aus, zweitens ist es doch nicht meine Schuld, wenn sie den Mund zu voll nimmt."

    "Ich bin deine verrückten Spielchen leid, Quin. Und dann dieser andere Kerl."

    "Oh, das war Janus. Sie schien ihn zu mögen."

    "Du lädsts einen Dritten ein, ohne meine Schwester zu fragen!?"

    "Hey, zu Dritt ist lustiger. Außerdem musste doch einer Schmiere stehen, sonst hätte uns der Hauseigentümer bei unserem kleinen Einbruch noch überrascht. Und ja, er hat es vermasselt. Aber ich hab deine Schwester jedenfalls nicht gezwungen, mit der Lanze aus dem Fenster zu springen wie ein verrückter olympischer Stabspringer."

    "Du kannst von Glück reden, dass sie sich nicht den Hals gebrochen hat, sonst würdest du hier nicht sitzen."


    Quintus hielt es für besser, ihm da nicht zu widersprechen, sonst gab es mehr Ärger als er sich bei diesem Versuch vorgestellt hatte. Stattdessen war es Zeit, das Thema zu wechseln.

    "Äh, kennt ihr schon meinen neuen Freund Tibs hier? Guter Mann. Sehr flink."

    "Wurde auch Zeit, dass du dich mal nach deiner Kragenweite umsiehst. Endlich mal ein Kerl, der es dir besorgen kann", knurrte Tabid mit einem Grinsen, sehr zu Quintus' Ärger, dessen Gesicht rot anlief. "He, Urtod. Ich fürchte, du wurdest geschlagen."

    Der jüngste Mörder lachte nur spöttisch und beobachtete die Jungs wölfisch.

    "Hast ihn doch gehört. Du dritt ist lustiger."

    Quintus hatte heute keine Lust auf Urtods Avancen und räusperte sich erneut.

    "Wir sind hier, weil wir vor einer kleinen Weile einen kleinen Zusammenstoß hatten mit den Rangelbrüdern, diesen Idioten. Die hat wohl wer für eine kleine Racheaktion an einem der Geldsäcke oben angeheuert und Tibs und ich hier sind denen versehentlich vor die Latichte gelaufen. Wir haben sie natürlich abgehängt, aber leider sind die Brüder nachtragend. Und da ich ja weiß, dass die drei Idioten sind, habe ich mich gefragt, ob der geheimnisvolle Hintermann nicht zufällig zuerst bei den Besten der Besten angefragt hat und aus gewissen Gründen abgewiesen worden ist."

  • Es ging also um einen Einbruch oder sonst eine kriminelle Tat. Quintus hatte die Schwester nicht geschwängert, was Tiberios erst vermutet hatte, warum denn auch nicht, der blonde Dieb war ansehnlich. Es wäre ihm nur zu wünschen gewesen, dass die Geschwisterähnlichkeit zu Tabid nicht zu groß war, sonst hätte man sehr unerschrocken sein müssen, sich zu der Nubierin in die Arme zu kuscheln. Aber es war gar nicht gekuschelt worden. Irgendwie hatte die Frau sich verletzt, und Quintus hatte damit zu tun.


    Jetzt stellte Quintus den Furiersklaven als Tibs vor, und der Grieche hob zum Gruß leicht die Hand:

    "Salvete. Sehr erfreut. Ich hoffe, das Fräulein Schwester befindet sich auf dem Weg der Besserung.", sagte er höflich.


    Der jüngere der Nubier, den die anderen Urtod nannte, flirtete mit Quintus, und Tiberios taxierte ihn für einen Moment. Er war groß und muskulös, wenn er auch nicht an seine.... wie sagte man bei Meuchelmördern? ...Kollegen?... heranreichte, und er hatte einen wachen Blick. Ein Bad, ein guter Haarauszupfer und etwas Nardenöl hätte ihn durchaus in ein attraktives Exemplar von Mann verwandeln können.


    Jetzt aber kam Quintus auch schon zum punctum saliens und fragte nach den drei sicarii, die Tiberios damals zu Tode erschreckt hatten. Im Geiste machte sich Tiberios schon einmal Notizen. Seine Wachstafeln herauszuziehen traute er sich nun doch nicht.

  • Die drei Mörder musterten Tiberios neugierig und misstrauisch und Quintus klatschte sich im Geiste die Hand an die Stirn. Konnte er nicht schweigen? Während Urtods Blick voller Interesse war, waren die beiden älteren Krieger weitaus düsterer anzuschauen.

    "Und dein Freund... hatte der mit der Sache zu tun?"

    "Nun, er...", begann Quintus, der sich noch was ausdenken musste. "Er sah rein zufällig dem eigentlichen Mordopfer ziemlich ähnlich. Und ich, nun, ihr kennt mich, bin immer am falschen Ort."

    "In der Tat, das bist du."

    "Und dieser Junge sieht rein zufällig aus, wie einer von den Furiern, ja?"

    "Aha! Also hat man euch gefragt!"

    DIe drei kicherten leise. Tabid erhob das Wort. Er war der Sprecher der Gruppe.

    "Wir wissen, mit wem man sich anlegt und mit wem nicht. Aber dieser Kerl schien wirklich dringend auf der Suche nach Sicarii zu sein. Er ging sogar ins Mare Lamentorum."

    Quintus machte große Augen. Riesige Augen.

    Das konnte nicht sein.

    "Das hat er nicht wirklich gemacht."

    "Doch, genau das hat er", bestätigte Tabid. "Aber du kennst die Leute dort. Und so sind es wohl schließlich diese drei Vollidioten geworden."

    "Aber wieso sollten sie dann uns angreifen?", murmelte Quintus nachdenklich. "Wenn jemand so verzweifelt ist, ins Mare Lamentorum zu gehen... Klingt für mich nach einem Vollidioten."

    "Vielleicht. Aber dein rein zufällig da reingeratener Freund sollte sich vielleicht gut umsehen", schloss Tabid, der Tiberios nicht aus den Augen ließ.


    Als sie die Taberna - unbehelligt - wieder verließen, atmete Quintus tief aus.

    Sie hatten einen Namen erhalten. Natürlich brauchten sie weit mehr Beweise. Einen Bürger Roms zur Rechenschaft zu ziehen auf das Wort dreier Auftragskiller hin, kam nicht gut an.

    Doch sie hatten noch mehr erfahren. Quintus fuhr sich durch das Haar und versuchte, die Informationen zu verarbeiten.

  • Tiberios wagte in Urtods Richtung ein zaghaftes Lächeln. Es war ja seine Aufgabe, hilfsbereit und zuvorkommend zu sein, und wenn man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden konnte, um so besser.

    Aber als die Nubier die Furier erwähnten, konnte er nicht verhindern, dass er zutiefst erschrak. Eine weitere und noch wichtigere Aufgabe war es, seine Herren in jeder Situation zu beschützen. Tiberios nahm das ernst, darin lag sozusagen die Ehre eines Sklaven.


    Er zupfte Quintus aufgeregt am Ärmel, als die Sicarii und er von einem Mare Lamentorum (????) sprachen und flüsterte ihm zu:

    "Darf ich darauf aufmerksam machen, dass Roma, wenn man vom Flavischen Amphittheater rechnet, etwa zwanzig römische Meilen oder siebzehn griechische stadia vom Meer entfernt liegt? "

    Soweit er wusste, gab es in der Subura kein Meer, ja nicht einmal ein Schwimmbecken oder eine Therme.


    Der Grieche war einen Moment lang froh, als sie die Spelunke lebendig verlassen konnten, doch sein neuer Freund Quintus schien nicht allzu glücklich zu sein. Er atmete tief aus und wirkte noch besorgter als vorhin, soweit das möglich war. Auch Tiberios war besorgt.

    "Deine drei Leoparden haben explizit von meiner Familie gesprochen.", sagte er : "Dann war es kein Irrtum gewesen. Sollten wir weiter nachforschen oder zur Casa Furia gehen, um meinen Dominus sofort zu warnen? Und von welchem Meer habt ihr eigentlich gesprochen?"

  • Quintus war immer noch ein wenig aufgelöst nach dem Gespräch mit den Leoparden. Tiberios‘ Worte bekam er nur am Rand mit, denn er suchte immer noch nach Worten. Wie beschrieb man das Unbeschreibbare? Es war ein Konzept, das die meisten Römer nicht einmal kannten, das so weit weg von all dem schien, das sie es sich nicht einmal vorstellen konnten.

    „Stell dir… Stell dir vor, etwas geschieht plötzlich in deinem Leben. Etwas, das so schrecklich ist, dich so zerstört, dass danach nichts als Verzweiflung bleibt. Und Verzweiflung, echte, wahrhaftige Verzweiflung, die ist wie ein Meer, in dem du dich vergeblich versuchst, über Wasser zu halten. Und schließlich ertrinkst du und all die Sorgen und Ängste und Nöte brechen über dir zusammen. Du bist ohnmächtig und resigniert und wünschst dir nur eins: Zu sterben. Das ist Mare Lamentorum. Ein Ort, an den die verzweifelten Seelen gehen, um zu sterben.“

    Quintus schluckte beim Gedanken an diesen schrecklichen Ort. Manche hielten ihn für eine Legende. Die meisten wussten nicht einmal, dass es ihn gab, geschweige denn, wie man hin kam.

    „Man… erzählt sich, dass hin und wieder, ganz selten, Männer hineingingen, um die Verzweiflung zu beenden. Priester, die den Glauben bringen wollten, Reiche, welche ihnen Arbeit geben wollten. Den Geschichten nach wurden sie von der allgegenwärtigen Verzweiflung erfasst und verblieben dort unten an Ort und Stelle, nur um dort auf ihren Tod zu warten. Wenn es auf Erden einen Ort gibt, der der Unterwelt am nächsten ist, dann ist das Mare Lamentorum.“

    Mit einem Kopfschütteln wachte Quintus aus seinen dunklen Erinnerungen auf.

    „Wer dort runtergeht, um den Abschaum zu rekrutieren, eine einflussreiche Familie anzugreifen, ist entweder wirklich hartnäckig oder dumm. Nun, was deine Frage angeht, so würde ich weitere Nachforschung einer vorzeitigen Anklage vorziehen… Sonst wird es vielleicht einem Unschuldigen schlimm ergehen, wie ich deinen Herrn einschätze.“

  • Tiberios sah Quintus prüfend an und überlegte, ob er selbst schon einmal so verzweifelt gewesen war wie es der junge Römer beschrieb. Verzweifelt ja, kurz sah er sich vor seinem geistigen Auge in Ketten gelegt auf dem Sklavenschiff, das ihn aus seiner Heimatstadt wegführte, ohne dass er wusste, was er verbrochen haben sollte. Aber leben, leben hatte er wollen, nicht sterben, weshalb er….nun gut, er hatte jedenfalls nicht sterben wollen. Nicht einmal in der schwärzesten Nacht der Seele. Und dann fragte er sich, ob Quintus bereits solch eine fürchterliche Verzweiflung kennen gelernt hatte:


    "Ist jenes Mare Lamentorum denn ein realer Ort auf dieser Welt? ", fragte er stirnrunzelnd, und versuchte, die düsteren Gedanken zu verbannen, wohin er sie immer verbannte, in die hinterste Ecke seines Gemüts:


    "Oder so etwas wie der Hades, an dem die Toten sind, obgleich ich glaube, dass keiner weiß, wo die sich aufhalten, und alle widersprechen sich sowieso.
    Oder ist das Mare Lamentorum eher sowas wie galene, eine Metapher für die Stille der Seele, wenn sie da liegt wie ein spiegelglatter Ozean, von Emotionen unbewegt?
    "


    Tiberios hoffte, sein neuer Freund würde seine Worte richtig verstehen, und er setzte nach:

    "Ich meinte: Kann man da hin? Einfach so und jetzt gleich?"


    Es klang grauenvoll. Es klang überhaupt nicht wie ein Ort, an dem Tiberios oder Quintus oder sonst jemand sein wollte. Aber die Feinde seiner Familia hatten es offensichtlich gewagt, dort hinunterzusteigen, und es waren wohl Männer und keine daimones, also war es machbar.

    Der Schrecken begann einem anderen Gefühl Platz zu machen: Neugier. Oder wenn man es freundlicher ausdrückte: Forscherdrang.