• Kydonia (von den Römern auch Cydonia genannt) ist neben Knossos und Gortyna eine der drei großen Städte auf der Insel Kreta und wurde der Legende nach von König Kydon, Sohn des Götterboten Hermes und der Prinzessin Akakallis, gegründet. Kydonia besitzt einen geschützten Naturhafen und liegt an der Nordküste Kretas, östlich der Rodopos- und westlich der Akrotiri-Halbinsel am Kretischen Meer. Kydonia beherbergt ein Heiligtum der Artemis Diktynna, genauso wie einen Tempel der Britomartis am nahe gelegenen Berg Tityros. Seine Einwohner sind berühmt für ihre gekelterten Weine und ebenso für ihre Kunstfertigkeit mit Pfeil und Bogen.

    Kydonia kam 69 v. Chr. zu Rom und wurde 30 v. Chr. durch Augustus zur autonomen Stadt erklärt. Heute liegt Kydonia in der römischen Provinz Creta et Cyrene.

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  • Ankunft auf Kreta


    Die Astarte war das letzte Schiff, das an diesem Abend im Hafen von Kydonia einfuhr. Die Sterne funkelten bereits über ihren Köpfen, als die Matrosen auf den Steg sprangen und das Schiff festmachten. Kapitän Methusastartos kam auf Nasica zu und sagte: “Wir haben unseren ersten Anlaufpunkt erreicht. Wir werden den ganzen morgigen Tag in Kydonia bleiben und erst übermorgen in aller Frühe weiterfahren. Mach solange was du willst, aber steh nicht im Weg rum.
    Dann machte der Phönizier auch schon wieder kehrt, um Gisco wegen eines weiteren Unfalls mit einem Tau anzubrüllen. Methusastartos war immer noch merklich kühler zu ihm gewesen. Offenbar grollte er ihm immer noch wegen ihrer kürzlichen Auseinandersetzung wegen dem Schiffsjungen Hanno, die sie vor drei Tagen in den Gewässern vor Chersonesus Magna gehabt hatten. Nasica spürte einen kleinen Stich bei diesen Gedanken. Hanno war ihm seither aus dem Weg genangen, was er sehr bedauerte, denn er hatte den Jungen gern um sich gehabt. Doch er konnte im Moment nichts daran ändern. Vor ihm würde also morgen ein ganzer Tag in Kydonia warten. Das wäre ihr bislang längster Aufenthalt. Nasica war dabei sehr froh, dass er genug Silber besaß, um als Passagier ohne Arbeitsverpflichtung mitreisen zu können, denn gewiss würde morgen ein schwerer Tag auf die Matrosen warten, denn sie großteils mit dem Be- und Entladen der Astarte verbringen würden, während Nasica frei war und sich einen schönen Tag machen konnte. Was es dabei wohl alles zu entdecken gab? Kydonia war der erste bedeutende griechische Ort den er sah, denn das kleine Nest auf Cauda konnte ja wohl kaum zählen. Ob sich die kretischen Griechen sehr von denen unterschieden die er aus Alexandria kannte? Der morgige Tag mochte es ihm zeigen!


    Jetzt aber galt es zuerst einmal ein Quartier für die Nacht zu finden. So ging er zusammen mit ein paar anderen Seemännern von Bord und folgte ihnen zu einer nahen Hafentaverne. Es war ja nur für eine Nacht, da würde es selbst eine solche schon machen. Er folgte Himilkon dem Haizahn und Steuermann durch die Tür und musste sich gleich die Hand vor die Nase halten. Hier stank es über die Maße nach Seetang! Wie machten diese Hafenwirte das immer nur? Er konnte sich nur zu gut an sein letztes Mal in einer Hafentaverne erinnern, als er eine in Paraetonium betreten gehabt hatte und schon beim Eintritt gleich fast am entgegenschlagenden Rauch erstickt wäre. Nein, er und Hafenkneipen würden wohl niemals echte Freunde miteinander werden, so viel stand fest. Doch er wollte nicht schon wieder alleine übernachten. Diesen Abend wollte er zusammen mit den anderen Männern vom Schiff verbringen, besonders den Steuermann der Astarte hoffte er heute vielleicht noch ein wenig besser kennenzulernen, denn bislang hatte er noch nicht allzu viele Gelegenheiten dafür gehabt. Himilkon schien ein interessanter Mann zu sein und gewiss würde er einige spannende Geschichten zum Besten geben können.

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  • Würfelspiel zu Feierabend


    Nasica setzte sich zusammen mit Abdemon, Mago, Himilkon und zwei weiteren Matrosen an einen Tisch. Noch hatte er sich immer nicht an den Seetanggeruch gewöhnt. Am liebsten hätte er sich die Nase zugehalten, doch vor den Seemännern wollte er keine Schwäche zeigen. Er war auch schon ein Mann, genauso wie sie!
    Eine der beiden mitgekommenen Matrosen lachte und klopfte Nasica auf den Rücken. "Jetzt bekommst du von uns eine richtige Medizin und nicht das wirkungslose Zeug von Mago!" Dann drehte er sich zum Wirt um und rief: "Sechs Weine! Unverdünnt!"
    Ein wenig rümpfte Nasica schon die Nase über diese Bestellung. Dafür war er bei all seiner hellenisch-alexandriner Eigenart immer noch Römer genug, um das Trinken von unverdünnten Wein für barbarisch zu halten. Andererseits saß er mit fünf Phöniziern am Tisch, also was wollte man sich da noch groß beschweren. Nasica würde trotzdem mit ihnen mittrinken. So würde er im Ansehen der anderen aufsteigen und wer weiß, vielleicht hatte der Matrose ja recht mit seiner Behauptung, dass Alkohol gut für sein verletztes Ohr war? Mago hatte ihm ja bislang erfolgreich Heilpasten und dergleichen verweigert gehabt.
    Himilkon packte drei Würfel aus und legte sie auf den Tisch. "So Mädels, was wollen wir heute spielen, Unus Lumen vielleicht?"
    "Aach, das haben wir gestern auf Cauda schon gespielt, wie wärs mit Venus?" maulte einer der beiden Matrosen.
    "Venus ist was für Amateure, ich sage euch spielen wir eine Partie Canis!" ließ Abdemon von sich hören.
    "Oh ja, Canis ist gut! Ich freu mich schon euch um euer Geld zu erleichtern!" pflichtete ihm Mago bei. Himilkon nickte. "Gut, dann also Canis. Meine Herren, eure Einsätze bitte!"
    Danach legte der Haizahn gleich einen Dupondius vor sich hin. Mago tat es ihm gleich, Die beiden Matrosen und Abdemon platzierten jeweils zwei Asse vor sich. Nasica blickte sie etwas unsichter an. Was sollte er jetzt tun? Alle Blicke waren auf ihn gerichtet in der Erwartung, dass er etwas machen würde. "Wirds bald?" drängte ihn einer der Matrosen. "Ich, ähm.."
    "Weißt du eigentlich wie Canis gespielt wird?"
    Nasica schüttelte den Kopf. Himilkon seufzte kurz auf, dann erklärte er: "Jeder von uns setzt einen halben Sesterz als Einsatz. Man kann auch nur einen As setzen, aber wir spielen immer mit einem halben Sesterz, so bekommt man schneller nennenswerte Beträge zusammen."
    "Jau! Hört hört!"
    "Klappe, Abdemon! Also, jeder macht seinen Einsatz. Dann würfelt jeder reihum je 3x mit drei Würfel gleichzeitig, ehe der nächste drankommt. Würfelt wer drei Einser scheidet er aus und sein Einsatz wird in die Tischmitte gelegt."
    "Du meinst in den Pott eingezahlt.!"
    "Ich sagte Klappe! Also, hast du einen Hundewurf, bzw. drei Einser, scheidest du aus und verlierst deinen Einsatz. Sieger ist, wer als letzter noch keinen Hundewurf hatte, der erhält dann den ganzen Pott."
    "Klingt einfach, na dann los!"
    Himilkon begann. Er machte seine ersten drei Würfe. Zuerst 5,2,5, dann 1,6,1 und zum Schluss 2,3,5.
    "Au, knapp! Ein Würfel lag falsch im zweiten Wurf, einer nur und schon hätte dein Geld mir gehört!"
    Himilkon schnaubte und reichte die Würfel weiter an den Matrosen, der gerade gesprochen hatte. "Mal sehen was du zusammenbringst!"
    Der Matrose würfelte und hatte zuerst 3,1,3, dann 5,4,2 und als letztes 6,6,3.
    "So geht das! Jeder Wurf meilenweit weg von einem Canis!"
    Zufrieden mit sich reichte er die Würfel weiter an Mago. Der alte Navigator schüttelte die Würfel ein paar Mal in seiner Faust und warf. Er hatte 1,5,6, dann 6,4,2 und 1,2,4.
    "Hm, auch nicht schlecht", kommentierte der Matrose von vorhin.
    "Du bist dran Junge, zeig was du kannst!" Nasica nahm von Mago die drei Würfel entgegen. Hoffentlich war ihm Fortuna hold. Es wäre peinlich sollte er der erste aus der Runde sein, der einen Hundewurf hätte. Nasica atmete noch einmal tief durch und ließ dann die Würfel rollen. Er hatte 1,2,2, dann 2,4,4 und als letztes 1,4,6. Erleichtert gab er die Würfel an Abdemon weiter.
    "Nicht schlecht für den Anfang", meinte Mago aufmunternd. Der Hüne nahm die Würfel entgegen und blies auf sie, um Fortuna ein wenig mehr Glück für sich herauszukitzeln. "Seid ihr bereit zu sehen wie man das wirklich spielt?" fragte er schelmisch in die Runde und machte seinen ersten Wurf.
    Es waren 5,6,2 ("Gut, sehr gut, weiter so..."), 6,6,2 ("Wow! Fast ein Venuswurf!") und zum Schluss 6,4,1 ("Solider Start, ich bin zufrieden!"). Der letzte aus ihrer Runde nahm die Würfel entgegen, doch bevor er seinen Zug machen konnte, kamen die bestellten Getränke. Die Seemänner stießen ihre Becher zusammen ("Prost! Zum Wohle Gapris!*") und leerten gleich die erste Runde. Nasica hatte seinen Becher noch gar nicht richtig an die Lippen geführt, als da Mago, Abdemon und Himilkon ihre schon wieder leer auf den Tisch absetzten und sich die Münder abwischten. "Ah, das hat gut getan! Bestellt doch gleich die nächste Runde!" Gesagt getan. Während Mago aufstand, um ihre Bestellung für weitere sechs Becher unverdünnden Weins aufzugeben, trank Nasica erst mal seinen ersten aus, während der zweite Matrose als letzter von ihrem ersten Durchgang seinen Wurf machte. 1,1,2 ("Knapp! Sehr knapp!"), 2,3,4 und 1,4,5. Die erste Runde war beendet. Jeder hatte überlebt. Am ehesten waren noch Himilkon und der zweite Matrose an der Klippe gestanden mit je zwei Einser. Himilkon war wieder an der Reihe und würfelte, während Abdemon den ersten Matrosen fragte: "Was hast du eigentlich gestern mit der einen Porne** gemacht, die sich dir so aufgedrängt hatte? Hast du sie wirklich genommen?"
    "Jau! Zwei Mal!" Die am Tisch versammelte Seemannsrunde stöhnte kollektiv auf.
    "Das war doch diese Billige, die so komisch gerochen hat, oder?"
    "Jau, genau die!"
    Himilkon schnaubte. "Eher würde ich zulassen, dass mir der Schwanz abfällt, bevor ich die rangelassen hätte."
    Nasica konnte nur aus dem Kontext schließen über was sich seine Würfelkumpane da gerade unterhielten, immerhin hatte er gestern auf Cauda den Abend alleine verbracht durch einen kleinen Spaziergang und dann, weil er in einem anderen Gasthof übernachtet hatte als die Matrosen (wenn sie nicht überhaupt an Bord genächtigt hatten). Doch so wie es sich anhörte war da eine hygienisch eher vernachlässigte Prostituierte auf Kundenfang zu ihrem Tisch gekommen und der eine Matrose hatte sich ihrer erbarmt. So unterhaltsam er das Würfeln zusammen mit den Phöniziern auch fand (jetzt gerade war er wieder an der Reihe), so ganz war das Seemannsleben wohl doch nichts für ihn. Obwohl er es gerne mit den furischen Sklavinnen zuhause gemacht hatte, eine Lupa war ja doch etwas anderes, damit konnte er weniger anfangen.
    "Tja, ich habe den Tag noch nicht erlebt, wo du nicht einmal eine ausgelassen hättest" pflichtete der zweite Matrose bei. Dann drehte er sich zu Nasica zu und nickte mit dem Kopf in seine Richtung. "Was ist mit dir? Jungfau?"
    Empört sah Nasica zurück. "Natürlich nicht!"
    "Er hat zuhause ein Mädchen" meldete sich da jetzt auch Abdemon erneut zu Wort. Das wusste er, weil Nasica es ihm erst vor einigen Tagen während einer Partie Senet erzählt hatte. Zum Glück wurde das Tischgespräch für einen Moment von Nasicas Liebesleben weggeführt, denn in diesem Moment würfelte Mago einen Hund. "Verdammt!"
    "Ha! Ab in den Pott mit deinen Moneten!" Grummelnd legte Mago seinen Dupondius in die Tischmitte. "Dafür hole ich mir keine gonórrhoia, bloß weil ich zwanghaft alles bespringen muss, was bei Drei nicht am Baum ist." meinte er als kleiner Seitenhieb und die Tischrunde lachte (mit Ausnahme von Nasica) auf. Nasica war jetzt wieder an der Reihe mit Würfeln. Er hatte 3,3,1, dann 1,6,3 und... einen Hundewurf!
    "Oooh das wars dann wohl mit der Traumvilla auf Sizilien. Ab in den Pott!" kommentierte wieder der erste Matrose und lachte. Ärgerlich starrte Nasica auf seine drei Einsen, die ihn mit ihrer geringen Augenzahl zu verhöhnen schienen. Dann schob auch er seinen Einsatz (zwei Asse) zu Magos Dupondius in die Tischmitte. "Na also, ein Sesterz ist schon mal zusammen." zufrieden nahm Himilkon die Würfel entgegen, nachdem der zweite Matrose als letztes gewürfelt gehabt hatte. Da Nasica die Aufmerksamkeit aller ungewollt sowieso wieder auf sich gelenkt hatte mit seinen drei Einsen, kam auch der erste Matrose gedanklich erneut dazu sich näher mit ihrem Passagier zu beschäftigen. "He Kleiner, hast es schon Mal mit deiner Kleinen getrieben?" Nasica war empört. Was erlaubte sich dieser dreiste Kerl! Kannten Seemänner denn etwa wirklich keine anderen Themen, außer Alkohol und Frauen?!
    "Das ist meine Sache, denke ich wohl." antwortete er steif. Offenbar amüsierte er den Matrosen sehr mit seiner Reaktion. "Ach komm schon, jetzt zieh dir den Stock hinten raus, du bist hier unter Freunden!"
    "Jau! Du musst schon lockerer sein, wenn du dazugehören willst!" bemerkte der zweite Matrose. Die anderen drei enthielten sich eines Kommentars. Während die Würfelrunde weiterging dachte Nasica über die Worte der beiden nach. War er wirklich zu seriös in dieser Runde? Vermutlich hatten sie erwartet, dass auch er genauso wie Mago zuvor mit einem tollen Spruch konterte, damit die anderen was zu lachen hätten, doch für so schlagfertig hielt er sich einfach nicht. Nasica war Gelehrter, kein Sprücheklopfer.
    Da er sowieso schon raus war, blieb ihm nichts anderes übrig, als den übrigen vier noch verbliebenen Spielern zuzusehen und dabei seinen Gedanken nachzuhängen. Irgendwie war seine Stimmung etwas geknickt seit den Kommentaren der beiden Matrosen und eigentlich wollte er plötzlich nur noch ins Bett.
    Aber Nasica blieb sitzen bis zum Schluss. Das Spiel ging noch über einige Zeit in der sich die anderen glänzend amüsierten. Als nächstes hatte Himilkon einen Hund gewürfelt, dann der zweite Matrose. Am Ende knobelten es Abdemon und der erste Matrose unter sich aus und nach ein paar haarsträubenden Würfen konnte schließlich Abdemon das Spiel für sich entscheiden und strich den Tagesgewinn in Höhe von drei Sesterzen ein.
    Als sich die beiden Matrosen und Himilkon anschließend nach leichten Mädchen umsahen und Abdemon mit Mago noch eine kleine Runde Quinque anfing, hielt Nasica die Zeit für gekommen aufzubrechen und sich Schlafen zu legen. Den Seetanggestank hatte er inzwischen vollkommen vergessen.


    Sim-Off:

    Unus Lumen = "Einauge", ein antikes Würfelspiel
    Venus
    = "Venuswurf", ein antikes Würfelspiel
    Canis
    = "Hundewurf", ein antikes Würfelspiel
    Quinque
    = "Fünferreihe", ein antikes Würfelspiel


    Sim-Off:

    * Gapri/Gapn = Kaum erwähnter phönizischer Weingott


    Sim-Off:

    ** porne = griech.: "Prostituierte"

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  • Ein neuer Tag, ein neuer Sesterz


    Nasica erwachte, aufgeweckt vom Gesang der Vögel, aus einem traumlosen Schlaf. Er rollte sich zur Seite und blicke in den Raum hinein. Es war früher Morgen. Er befand sich in einem der Gästezimmer direkt über dem Schankraum in dem er letzte Nacht zusammen mit einigen Matrosen von der Astarte eine Partie Canis gespielt hatte. Heute fühlte er sich emotional schon wieder wesentlich besser, heute würde er sich von nichts die Stimmung vermiesen lassen! Noch einmal ein tiefes Gähnen, dann stand er auf. Während er sich wusch überlegte sich der Furier was er heute alles unternehmen wollen würde. Kapitän Methusastartos hatte ihm gestern gesagt sie würden heute den ganzen Tag über hier bleiben und auch nochmal hier schlafen, ehe es morgen weiter nach Athen gehen würde. Zeit genug also, um Kydonia gründlich zu erkunden. Jetzt am Vormittag wollte er zuerst einmal einen großen Spaziergang quer durch die Stadt machen, um die Ortschaft kennenzulernen und am Nachmittag würde er sich gerne irgendwo ein Pferd mieten, um dann die ländliche Gegend und die Hügel rund um Kydonia näher zu erkunden und vielleicht war sogar noch ein kleiner Ausritt auf die nordöstlich gelegene Akrotiri-Halbinsel drinn. Nachdem Nasica zur vollen Zufriedenheit seine Morgentoilette absolviert hatte, fiel sein Blick auf die Toga, die zu einem Haufen zusammengeknüllt in einer Ecke des Zimmers auf einem Stuhl lag. Bei den letzten zwei Landgängen in Paraetonium und auf Cauda hatte es sich als lebensrettend (bei ersterem vermutlich mehr, als bei letzterem) erwiesen, dass er bloß in einer Tunika gekleidet herumgewandert war, denn mit ihr hätte er unmöglich so schnell rennen können. Außerdem gefiel ihm die Vorstellung ohne dieses herausstechende Alleinstellungsmerkmal eines Römers quasi in der Menge unterzutauchen und vollkommen eins mit der eingeborenen Bevölkerung zu werden. Ob sein Griechisch sich sehr von dem der Leute hier unterscheiden würde? Zeit das herauszufinden!


    Nur mit Sandalen und Tunika bekleidet (natürlich auch mit Gürtel an dem allerhand hing, was man so tagsüber brauchte wie der Geldbeutel) trat Nasica auf den Flur und schloss hinter sich die Tür. Unten im Schankraum angekommen warf er dem Wirt ein paar Münzen auf die Theke ("Mein Zimmer bitte für noch eine Nacht besetzt halten.") und verließ die Hafenkneipe, nachdem der Wirt das Geld eingestrichen und genickt hatte. Draußen auf den Straßen war schon viel Volk unterwegs. Müde Nachtwächter, die der heimischen Bettstatt zuschlurften, Marktfrauen, die ihre Stände am aufbauen waren und die ersten Bauern aus der Umgebung, die mit ihren geernteten und hergestellten Landwirtschaftsprodukten nach Kydonia gekommen waren, um sie hier zu verkaufen. Das Hafenviertel schien in der Tat das Herz der Stadt zu sein. Nicht weit von seinem jetzigen Standpunkt aus thronte die Astarte an ihrer Pier. Er kam etwas näher. Die phönizischen Matrosen waren schon rege bei der Arbeit. Wie Ameisenkolonnen pendelten sie zwischen dem Schiff und den Lagerhäusern hin und her. Als Nasica diese Kolonnen kreuzte, ging Hanno direkt an ihm vorbei, beladen mit einer riesigen Amphore. Der Schiffsjunge warf ihm einen kurzen emotionslosen Blick zu und behandelte Nasica weiters wie Luft. Ein schlechtes Gewissen machte sich in seiner Brust bemerkbar. Er musste unbedingt versuchen sein Verhältnis zu Hanno wieder zu kitten, so wollte er nicht den Rest der Reise verbringen. Irgendwie musste sich diese Angelegenheit zur Zufriedenheit aller lösen lassen. Während Nasica so in Gedanken weiterschlenderte, kam er nach kurzer Zeit auf eine Art Marktplatz, wo das nächste was er wahrnahm eine wunderschöne junge Frau war.

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  • Retter in der Not


    Nasica blieb stehen, um sich die junge Frau genauer anzusehen. Sie war ein Bild von einer Griechin. Groß, schlank und langes lockiges schwarzes Haar, das in einer klassischen Lampadion-Frisur angeordnet war. Das Mädchen hatte einen klugen Blick, alles in allem hätte sie wohl genauso gut nach Alexandria gepasst, wie vermutlich auch nach Athen. Kydonia war natürlich mehr als bloß ein Dorf, doch eine Metropole war es trotzdem längst nicht. Dafür umso erstaunlicher für Nasica eine solche Frau hier zu erblicken, die von ihrer Aufmachung her eher in eine Großstadt gepasst hätte, als in einem mittelgroßen Hafen. Als Nasica ihr so zusah wie sie vor einem Obststand mit Äpfeln stand und gerade damit begann von ihrem Aussehen auf ihren Charackter zu schließen, tat die junge Frau etwas unerwartetes. Sie griff sich einen Apfel vom Stand, biss hinein und wollte gehen. Doch zu ihrem Unglück kam in diesem Augenblick der Standbesitzer zurück und hatte gerade noch mitbekommen was sie getan hatte. "He da! Stehenbleiben!" Das Mädchen zeigte eine erschreckte Miene und wollte sich schon zur Flucht wenden, doch der Obsthändler war schneller und packte sie am Handgelenk. "Hiergeblieben!"


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    Pseydione


    "Lass mich los!" Vergeblich versuchte die Schöne sich von ihrem Häscher zu befreien, doch leider war dieser zu stark. "So siehst du mir aus! Das wird mächtig Ärger geben, junge Dame! Los jetzt! Sag mir zu wem du gehörst! Vater oder oder Ehemann? Das wird auf jeden Fall ein gewaltiges..." Nasica konnte diese Szenerie nicht länger mitansehen. Er trat zu den beiden heran und fragte in festem Ton: "Was ist hier los?" Der Händler wandte seinen Blick auf den Furier. "Wer will das wissen...?" Auch die Frau sah ihn mit abschätzendem Blick an, vermutlich konnte sie in diesem Moment überhaupt nicht einordnen, ob dieser Fremde sich zu ihrer Gunst, oder Ungunst hier einmischte. Nach einem kurzen Blick zu der Schönen konzentrierte sich Nasica wieder auf den Mann vor ihm. "Das hier ist meine Ehefrau die du hier am Arm gepackt hast. Was fällt dir ein so grob mit ihr umzuspringen!" Sehr hoch gegriffen, zugegeben, aber mal sehen, ob er dieses Spiel gewinnen konnte. Der Händler plusterte sich auf. "Dann bist du also der Verantwortliche! Dein Weib hat mich bestohlen! Sieh her, diesen Apfel in ihrer Hand hat sie mitgehen lassen! Ohne zu bezahlen!" Stolz im Stillen auf sich und seine Schauspielfertigkeiten behielt Nasica eine grimmige Miene bei und antwortete: "Bestohlen? Dich? Mitnichten! Es kann kein Diebstahl sein, wo ich doch gerade zu dir kommen und den Einkauf meiner Frau bezahlen wollte." Nasica öffnete seinen Geldbeutel und warf dem verdutzten Händler drei Sesterze vor die Füße. "Da hast du! Sogar weit mehr, als du verdient hast! Behandelst du alle deine Kunden derart flegelhaft? Anklagen sollte ich dich!" Nasica hatte Griechisch mit dem Mann gesprochen (wie er das überhaupt so handhaben wollte, solange er in Griechenland verweilen würde), ihn aber mit römischem Geld bezahlt. Das hieß für den Händler entweder, dass er einen Römer vor sich hatte, oder einen hochgestellten Hellenen von außerhalb. Doch halt, er konnte keine Toga an dem Mann entdecken, seine Frau sah ganz klar griechisch aus und der sprachliche Akzent des Mannes war keinesfalls der eines lateinischen Muttersprachlers, viel mehr der eines Orientalen aus dem Osten. Anatolien, Iudaea, oder Ägypten vielleicht. Doch egal ob jetzt Römer, oder orientalischer Grieche, beides waren sehr einflussreiche Gesellschaftsschichten und der Obsthändler wollte es sich mit beiden nicht verscherzen. Ab dem Augenblick wo er die Münzen auf dem Boden herumkullern sah änderte sich sein Auftreten schlagartig. Er beeilte sich die Sesterze aufzuheben und einzustecken, dann hob er bittend die Arme in Richtung Nasica. "Tut mir unendlich Leid für diese Verwechslung, kyrios! Es war mein Fehler, verzeih, es wird nicht wieder vorkommen! Bitteschön, hier noch ein Apfel als Geschenk für deine reizende Gattin, bitte entschuldige noch vielmals!" Er drückte der Frau noch einen Apfel in die Hand und zog sich dann zurück. Dieser wiederum blickte immer noch überrascht ihren Beschützer an. "Ich danke dir. Doch, warum hast du das getan?" Während sie ein Stück zusammen gingen zuckte er mit den Schultern und lächelte sie freundlich an. "Ich glaube es war das richtige, deshalb." Jetzt lächelte auch die junge Frau, ja sogar mehr noch. Sie blieb stehen und schenkte Nasica einen Kuss auf die Wange. "Vielen Dank, mein Retter." Dann bog sie nach rechts in eine Seitengasse ab und verschwand mit den beiden Äpfeln aus Nasicas Blickfeld. Dieser sah ihr milde grinsend hinterher. Jemand der so aussah wie diese junge Frau konnte kein schlechter Mensch sein, da war er sich sicher. Penelope wäre bestimmt stolz auf ihn, wenn seine Liebste wüsste, dass er sich so sehr für das schwächere Geschlecht einsetzte. Mit neuer positiver Energie geladen setzte Nasica seinen Morgenspaziergang durch Kydonia fort.


    Sim-Off:

    Pseydiones Vornamen gibt es so nicht in Echt, jedoch verrät er etwas über ihren Charackter

  • Opfer, Hex' und Stadtrundgang


    Kydonia war zwar nicht gerade groß, doch es besaß Charackter. Die Häuser waren fast alle weiß gekalkt und mit den verschiedensten Farben und Mustern verziert, hauptsächlich Streifen in kühlen Farben, meistens blau. Nasica kam in den Sinn, dass diese Häuser hier sich nicht viel von denen unterschieden die er schon aus Paraetonium kannte, doch schienen sie etwas höher und auch robuster gebaut. Vermutlich war das dem Umstand geschuldet, dass die Menschen auf Kreta reicher waren und außerdem so viel Holz als zusätzliches Baumaterial zur Verfügung hatten, wie sie sich nur wünschen konnten. Insgesamt sah Kydonia einfach schöner aus, auch in Verbund mit der Landschaft in die es eingebettet war. Ob die beiden anderen größeren Städte Kretas, Knossos und Gortyna, ähnlich aussahen? Nasica bereitete es jedenfalls viel Freude die Leute um sich herum zu beobachten. Im großen und ganzen unterschieden sie sich eigentlich nicht viel von den Griechen aus Alexandria, nur, dass sie blasser waren. Außerdem fehlten ihm die Ägypter in den Straßenszenen.


    Es dauerte nicht lange, bis sein Weg ihn auch am Hauptheiligtum Kydonias vorbeiführte, dem Tempel der Artemis Diktynna. Es war ein solider Tempel von klassischer Bauart, dessen Giebelfriese bunt bemalt waren. Sie zeigten die Göttin Artemis mit Pfeil und Bogen, begleitet von einigen Nymphen und einer Hirschkuh. Griechische Tempel von dieser reinen Prägung gab es in Alexandria nicht, wo dort ja die hellenische und die ägyptische Bauweise zu etwas neuem, der alexandrinischen Art verschmolzen waren, weshalb er guten Gewissens sagen konnte, dass das sein erster griechischer Tempel sein würde, den er betrat, denn genau das hatte er vor. Nasica hatte schon den Fuß auf die erste Stufe gestellt, als ihm einfiel, dass er ja gar keine Opfergaben bei sich trug. Was war der jungfräulichen Göttin eigentlich heilig, abgesehen von Tieren? Er musste eine Weile überlegen, doch dann fiel ihm der Unterricht ein, den er einmal als Kind bei einem griechischen Tempelverwalter in der Heimat erhalten hatte. Damals hatte er von den zwölf Hauptgöttern des Olymps alle ihnen heiligen Dinge lernen müssen. Jetzt wo er sich wieder das Antlitz und die Stimme seines alten Lehrmeisters in Erinnerung gerufen hatte, fiel es ihm auch wieder ein. Artemis waren Pinien, Quitten, Granat- und Eichenbäume heilig! Also würde er wohl nicht allzu viel falsch machen, wenn er losging, um am Markt einige Quitten und Granatäpfel für ein kleines Opfer zu besorgen. Natürlich nicht von dem unflätigen Obsthändler vor dem er gerade eben die junge Frau gerettet hatte! Am anderen Ende des Platzes jedoch wurde er bei einem verhuzelten alten Mütterchen, fündig, das schon halb blind zu sein schien. Es saß auf dem Boden neben ihrer Ware und krächzte:


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    Marktfrau


    "Birnen, frische Birnen. Kommt und kauft meine Birnen. Birnen, Quitten, Äpfel, süß und saftig. Quitten frische Quitten, direkt aus der Umgebung."
    Na wenn das mal nichts versprach! Beim näherkommen besah sich Nasica die Ware genauer. "Chaire, Mütterchen, was sollen denn deine Quitten kosten? Hast du auch Granatäpfel?" Die Alte versuchte zuerst Nasica in ihr Gesichtsfeld zu bekommen, um zu sehen wer sie da angesprochen hatte, erst dann griff sie hinter sich und hob ein Deckchen von einem Korb. Darin lagen massig Granatäpfel. "Granatäpfel, Quitten alles da. Quitten kosten zwei Drachmen das cheonix*, Granatäpfel ebenfalls." Das waren doch ganz vernünftige Preise! In Alexandria war das gleiche Obst doppelt so teuer. "Ich nehme drei Granatäpfel und vier Quitten, bitte. Und sag mir noch Mütterchen, wo kann ich hier Weihrauch kaufen?" Die Marktfrau nahm Nasicas Geld (er bezahlte wieder mit Sesterzen) entgegen und lächelte dann ein ziehmlich zahnloses Lächeln. "Wohl ein frommer Mann, der der großen Artemis huldigen will?" Natürlich war die Alte nicht blöd und konnte Zwei und Zwei zusammenzählen, wo Nasica ja nicht der Erste war, der Weihrauch und der Artemis heilige Früchte kaufen wollte in einer Stadt mit einem riesen Artemistempel direkt in der Nähe. "Dort drüben bei Períandros, doch pass auf, er legt seine Kunden gern aufs Kreuz." Nasica dankte und nahm seine Ware entgegen. Bei besagtem Händler (augenscheinlich ein Phönizier, gefangen im Körper eines Griechen) besorgte sich Nasica Weihrauch und musste allerhand Zusatzangebote ausschlagen, die Períandros ihm noch "exklusiv" anbot, außerdem wäre um ein Haar ein kleiner Junge nah genug an seinen Geldbeutel gekommen, um ihn zu stehlen, hätte er es nicht rechtzeitig bemerkt. Beim weggehen wurde er das Gefühl (oder eher die Ahnung) nicht los, dass das Langfingerkind unter einer Decke mit dem Händler gesteckt hatte. Jedenfalls seiner mangelnden Reaktion nach zu schließen. Doch jetzt hatte er alles und konnte sich endlich an sein Opfer machen. Einer spontanen Anwandlung folgend kaufte sich Nasica kurz vorm Tempel auch noch einen Lorbeerkranz, um das Opfer nach griechischem Ritus zu vollziehen. Außerdem hatte er sowieso keine Toga bei sich, deren Zipfel er für die Kulthandlung über den Kopf hätte ziehen können so wie es der römische Ritus verlangte.


    Derart wohlgerüstet betrat Nasica ein zweites Mal die Tempelstufen. Er kam zum Brunnen für die rituelle Waschung und reinigte sich dort nach Vorschrift. Außerdem zog er seine Sandalen aus und setzte sich seinen Kranz aufs Haupt. Nachdem das alles geschehen war schritt er ins Innere des Tempels.
    Das Kultbild der Artemis Diktynna war viel kleiner als erwartet, doch zum Glück stand auch davor ein foculus und ein Weihrauchbecken auf dem er seinen Weihrauch entzünden konnte. Nasica wollte auf Griechisch beten, doch als Römer trotzdem vorher Ianus anrufen und auch die restliche Opferung nach römischem Gebrauch durchführen.
    Schnell war der Weihrauch entzunden und verteilte überall im Raum seinen wohlriechenden Duft. Nasica ließ sich Zeit und schnupperte im Halbdunkel des Tempels zuerst einmal eine Weile lang diesen Geruch, ehe er beide Hände zum Gebet anhob um weiterzumachen. "Pater Ianus, du der mit den zwei Gesichtern, ich rufe dich an um die Tore zur Götterwelt aufzustoßen, damit Artemis mich hört und sieht bei meinem Opfer." Mit einer Wendung nach rechts schloß Nasica das Gebet ab. Jetzt folgte das Hauptgebet. Er legte seine Quitten und Granatäpfel auf den Foculus und hob wieder seine Handflächen. "Artemis, größte Jägerin und jungfräuliche Göttin! Höre mich, ich, Marcus Furius Nasica, Sohn von Titus Furius Alienus, stehe heute hier vor dir und erflehe deine Gunst für meine weitere Reise. Sende einen Pfeilschuss geradewegs nach Roma ab, dem ich getreulich folgen und nimmer fehlgehen kann. Darum bitte ich dich große Göttin und will dir auch weiterhin dafür opfern." Mit einer Wendung nach rechts schloß er das Gebet ab.
    Damit war es getan. Nasica sah noch einen Moment zum Kultbild der Göttin hoch und sog den Weihrauchgeruch in seine Lungen, ehe er sich umdrehte und den Tempel verließ. Draußen setzte er seinen Kranz ab und schnürte sich seine Sandalen.
    Als Nasica sich wieder aufrichtete um zu gehen, merkte er, dass jemand direkt vor ihm stand und ihn anblickte.


    Sim-Off:

    * cheonix = Antikes Volumenmaß, ursprünglich für Weizen. Entspricht 1,09 l, also ungefähr einem Kilo.

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  • Ein Diener des Apollon


    Nasicas Blick folgte langsam der Silhouette des Körpers vor ihm entlang, angefangen bei den sandalenbewährten Zehen, über die Füße, die kräftigen Waden, die schlanken Oberschenkel, den in weiß gewandeten Oberkörper, den Hals und hoch bis zum Gesicht. Vor ihm stand ein junger Mann von gut und gerne 19 oder 20 Jahren, also Nasicas Alter in etwa. Der Fremde lächelte ihn an und grüßte ihn:


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    Spyrídon


    "Chaire, Reisender, wie ist das werte Befinden?" Warum sprach ihn dieser Unbekannte an? Aus reiner Vorsicht sah sich Nasica einmal um sich herum, ob noch andere Personen in der Nähe waren, doch das war nicht der Fall, sie waren allein. Hätte ja sein können, dass jemand die bekannte Masche mit ihm abziehen wollte, dernach einer das Opfer ablenkte und in ein Gespräch verwickelte, während sein Komplize ihn heimlich beklaute. Doch als er sah, dass alles sicher war, antwortete Nasica dem Mann: "Chaire, Fremder, mir geht es gut, danke. Was kann ich für dich tun?" Der Gefragte lächelte nur weiterhin. "Nichts besonderes, ich wollte dich einfach nur ansprechen. Weil eigentlich hatte ich geplant in den Artemistempel zu gehen, um selbst ein kleines Opfer durchzuführen, ..." (er hielt bei diesen Worten kurz zwei Votivfiguren hoch die er in der rechten Hand hielt) "... hatte aber dann gesehen, dass schon jemand drinnen war, du eben. Ich wollte schon wieder gehen und es später versuchen, bis ich deine Eröffnung gehört habe. Du hattest dein Opfer mit der Anrufung des römischen Gottes Ianus begonnen! Auch sonst gab es viele weitere Dinge die nicht so recht zusammenpassten und das weckte eben meine Neugier. Du bist gekleidet wie ein Grieche, hast einen östlich-orientalischen Akzent in deiner Sprache und vollziehst das Opfer nach griechischem Ritus mit einem Lorbeerkranz und mit Griechisch als Gebetssprache. Doch du hast dein Opfer mit der Beschwörung eines römischen Gottes eingeleitet und auch in weiterer Folge hattest du einen römischen Namen für dich und deinen Vater gebraucht. Jedoch habe ich noch nie einen Römer ohne Toga gesehen, der auch kein Latein gebraucht, wenn er denkt er sei allein, also, was stimmt jetzt? Wer bist du?" Nasica staunte nicht schlecht auf diese Springflut von Worten hin. War der Kerl wirklich die ganze Zeit über heimlich beim Tempeltor gewesen und hatte ihn bei seinem Opfer beobachtet? Und wo war er dann abgeblieben, als Nasica den Tempel wieder verlassen hatte? Oder hatte er ihn schlicht übersehen, ehe er auf ihn zugetreten war während des Sandalenschnürens? Trotzdem wusste er noch nicht so genau wie er das finden sollte, dass der Typ ihn heimlich beschattet hatte. "Wer will das wissen?" fragte er deshalb kühl zurück. Der junge Mann gluckste, als ob Nasica einen Witz gemacht hätte und strubbelte sich durch die Haare. "Ja klar, verstehe schon. Da kommt einfach irgendjemand zu dir den du nicht kennst und will von dir wissen wer du bist. Mein Fehler, bitte verzeih mir. Also, ich bin Spyrídon, hiereús des hiesigen kleinen Apollonheiligtums." Nasica reagierte überrascht. "Was, du bist ein Priester?"


    Spyrídon nickte, als wäre er ziehmlich stolz darauf. "So ist es, Priester des Apollon und das schon seit einem ganzen Monat. Lass dich von meinem Äußeren nicht täuschen, die Haare wachsen noch und weil ich privat unterwegs bin, habe ich auch auf meine übliche Ausstaffierung wie die kostbaren Kleider und den Stab verzichtet." Nasica wusste natürlich worauf sein Gegenüber anspielte. Griechische Priester pflegten nämlich normalerweise ihre Haare lang zu tragen und sie mittels eines stróphion, eines speziellen Haarbandes, zu bändigen. Auch sonst waren sie normal schon von weitem als Priester erkennbar durch ihre kostbaren weißen, oder purpurfarbenen Gewänder, einem besonderen Gürtel und des Stabes, der sie als Priester auswies. Spyrídon jedoch war gekleidet wie ein normaler griechischer Jugendlicher. "Jetzt weißt du wer ich bin, wie steht es mit dir? Du willst also nach Rom, wie ich gehört habe?" Spyrídon setzte sich neben Nasica auf die steinerne Bank, direkt neben dem Becken des Tempelbrunnens für die rituelle Reinigung hin und erwartete gespannt seine Antwort. "Ja... so ist es. Ich bin wie gesagt Marcus Furius Nasica und reise tatsächlich nach Rom."
    "Wahnsinn, echt? Ich war noch nie dort. Wäre natürlich toll mal zu erfahren wie das dort so ist, versteh mich nicht falsch! Aber mein Gefühl sagt mir, dass ich nicht so schnell einen Fuß raus aus Griechenland setzen werde." Spyrídon kicherte über seinen eigenen Witz, während Nasica neben ihm saß und darauf wartete, dass er endlich erkannte wohin dieses Gespräch führen sollte. Er wusste nicht genau, ob er den jungen Priester mochte. "Jedenfalls, wie kommt es, dass du wie ein Grieche verkleidet bist? Seid ihr Römer nicht alle unverbesserliche Togaträger, oder bist du gar kein Römer, sondern willst mich nur anschwindeln mit deinem pseudo-römischen Namen? Ich hab dich auch noch gar nicht Latein sprechen hören. Kannst du das überhaupt? Sag mal was auf Lateinisch!" Ein wenig aufdringlich dieser Spyrídon, doch das strahlende Gesicht das er die ganze Zeit über dabei machte, ließ bestimmt so manches Frauenherz dahinschmelzen, so unschuldig wie er aussah. Nasica jedoch war keine Frau und daher hatte das nur mäßigen Einfluss auf ihn. "Nein danke. Mir gefällt mein Griechisch gerade viel zu gut, als dass ich jetzt die Sprache wechseln wollte." Spyrídon lachte, als ob Nasica ernsthaft einen Witz gemacht hätte. "Gute Antwort! Du gefällst mir, Marcus Furius Nasica, oder wie auch immer du sonst heißt! Weißt du was? Bestimmt sehen wir uns irgendwann wieder und dann werde ich bestimmt herausfinden was du jetzt genau bist! Also dann, auf bald!" Und mit einem letzten Gruß mit der linken Hand stand er auf und trat in den Tempel, immerhin war ja Spyrídon ursprünglich deswegen hergekommen. Auch Nasica stand jetzt auf und dachte nach. Sollte er auch vielleicht ans Tor und den Priester belauschen, so wie dieser es bei ihm getan hatte? Doch am Ende entschied er sich dagegen. Er war besser erzogen! So drehte er sich um und lief langsam die Tempelstufen hinunter, zurück ins Gewühle der Straßen Kydonias.

  • Ein vergnügliches Mahl


    Nasica nutzte den übrigen Vormittag, um jeden Winkel der Stadt zu erkunden. An den Priester Spyrídon dachte er schon gar nicht mehr. Als die Sonne dann im Zenit stand und auch schon sein Magen zu rumoren begann, suchte er sich eine gemütliche Taverne und ging hinein. Gelandet war Nasica in einer ulkigen Gaststube, dessen Türschild draußen jedem Passanten mitteilte, dass das hier die "Taverne zur kichernden Olive" wäre. Der Wirt passte jedenfalls zu diesem Namen. Klein und kugelig war er und besaß einen gewaltigen Rauschebart. "Grüß dich, grüß dich, liebenswerter Reisender! Willkommen in der Kichernden Olive! Was darf ich dir bringen? Ich empfehle unseren Kydonischen Wein, ein fabelhafter Jahrgang heuer! Was darf es dazu sein? Ein Schweinsbraten vielleicht? Oder besser gebratener Fisch? Du musst unbedingt unseren Fisch kosten! Eine ausgezeichnete Fangsaison dieses Jahr!" Jetzt musste Nasica doch wieder an den Apollonpriester von vorhin denken, denn der Olivenwirt schien ein ähnlich aufgewecktes Temperament wie Spyrídon zu haben! Da der Wirt ja schon quasi Nasicas Menü vollkommen zusammengestellt hatte, noch bevor dieser den Mund aufbekommen hatte, nickte er nur. "Ja bitte", "Einmal Gebratener Fisch mit Kydonischem Wein, kommt sofort!" Und schon war der Wirt wieder hin und weg. Nasica nutzte die Wartezeit, um ein wenig die Leute um sich herum zu beobachten. Da sah er unter anderem zwei bärtige Männer die in eine intensive Diskussion vertieft waren, ein Spieler der gerade vier Matrosen beim Würfeln ausnahm, ein Mann, der mutterseelen allein bei seinem Wein saß und ins Leere starrte und einen wohlhabend wirkenden Mann der einer Bedienung erklärte er wolle die Essensreste für seine Frau zuhause mitnehmen. Die Griechen schienen wohl insgesamt ein ziehmlich aufgewecktes Völkchen zu sein nach all den bunten Gestalten die ihm bislang so untergekommen waren. Endlich kam der Wirt zurück und brachte Nasica gleich beides mit, sowohl Trinken, als auch Essen. "So, hier bitteschön! Nur das Beste!"


    Nasica bedankte sich und begann von dem Gebotenem zu probieren. Es schmeckte wirklich vorzüglich! "So einen guten Wein habe ich ja wirklich noch nicht getrunken! Woher ist der?" Der Wirt strahlte ob dieses Lobes und setzte sich an Nasicas Tisch. "Das ist wie gesagt Kydonischer Wein und stammt von einem Mann namens Phaiax Toxotios. Er ist einer der größten und wichtigsten Weinproduzenten und Weinhändler in der Gegend und eine bedeutende Persönlichkeit in unserer kleinen Polis.", "Wirklich? Na dann muss ich mir später auf jeden Fall noch ein paar Amphoren von ihm mitnehmen, er schmeckt ausgezeichnet. Verkauft er auch nach Alexandria? Ich habe nämlich noch nie zuvor von der Qualität Kydonischen Weins gehört, doch bei diesem Geschmack sollte das Gebräu eigentlich bekannter sein wie mir scheint." Der Wirt tippte sich an die Nase. "So nehme ich an du stammst aus dieser Ecke des Erdkreises, wenn du schon fragst, hä? Dachte ich mir schon", meinte er, als Nasica zur Bestätigung nickte. "Ja, ich bin Alexandriner und gerade auf dem Weg nach Rom, um meine Verwandten zu besuchen. Ich möchte nämlich als Schüler am Museion aufgenommen werden und schreibe dafür gerade an einer Abhandlung über die furische Familiengeschichte, ich bin übrigens Furier, Marcus Furius Nasica." stellte er sich kauend vor. Er hatte nämlich neben dem Erzählen mit Essen angefangen, auch der Fisch brauchte sich seines Geschmacks wegen keinesfalls zu verstecken! "Sehr lobenswert, muss ich schon sagen. Fährst also um die halbe Welt, wegen... ?"
    "Wegen unseres Familienarchivs in Rom. In Alexandria haben wir sowas leider nicht, aber vielleicht lege ich eines einmal an."
    "Ahaaa, so ist das. Na dann wirst du ja schon einiges erlebt haben, oder? Früher als junger Mann bin ich auch gerne zur See gefahren. Ich war Matrose auf den Schiffen eines betuchten spartanischen Olivenölhändlers, bevor ich mich mit dieser kleinen Gaststätte hier zur Ruhe gesetzt habe, weißt du?" Der Wirt wirkte sympathisch auf ihn und auch was er zu erzählen hatte war überaus interessant. Denn während der Furier weiteraß, erzählte ihm der Wirt ein paar seiner abenteuerlichsten Erlebnisse, die er in seiner jahrzehntelangen Dienstzeit so miterlebt hatte. Im Gegenzug gab ihm dann dafür Nasica seine eigenen Abenteuer zum Besten. Insgesamt verstanden sie sich ganz gut. Der Wirt saß die ganze Zeit über seelenruhig an seinem Tisch, ganz so, als ob er gar nicht für die übrigen Gäste zuständig, sondern seinerseits bloß Gast in der Kichernden Olive wäre. Dafür mussten seine beiden Hilfskellner doppelte Arbeit leisten, um des Kundenansturms Herr zu werden. Als nach einer Stunde dann der Teller leer und jeweils sechs Becher des guten Kydonischen Weins die Kehlen hinabgeflossen war, wollte Nasica aufbrechen, um sich mit einem kleinen Weinvorrat bei diesem Phaiax Toxotios einzudecken. Auf die Frage hin was seine Konsumation kosten sollte, machte der Wirt eine abwehrende Handbewegung. "Ach, lass gut sein! Du hast mich wunderbar mit deinen Geschichten bezahlt, schon lange habe ich nicht mehr so gut mit jemanden reden können! Betrachte dich als eingeladen."
    "Vielen Dank!" freute sich Nasica überrascht. Das hatte er wirklich nicht kommen sehen, doch auch er hatte sich gut unterhalten während dieses Mittagsmahls. So verabschiedete er sich von dem Olivenwirt in angemessener Weise und verließ die Taverne zur kichernden Olive.

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  • Die Sorgen des Weinhändlers


    Bevor Nasica die Kichernde Olive verlassen hatte, hatte er sich vom kleinen kugeligen Wirt vorher extra nochmal den Weg zu Phaiax Toxotios beschreiben lassen. Er plante um die 20 Amphoren beim Weinhändler zu kaufen und auf die Astarte liefern zu lassen, damit er auch später noch etwas von jenem köstlichen Kydonischen Wein haben würde, den er heute beim Olivenwirt entdeckt hatte. Je schneller das erledigt war, desto besser, denn schon war die achte Stunde* des Tages angebrochen und er wollte ja auch noch einen Ausritt auf die Akrotiri-Halbinsel machen. Phaiax Toxotios hatte seine Weinfelder südwestlich der Stadt, sein Geschäft jedoch, wo er seine Ware zum Verkauf anbot, lag mitten in der Stadt in bester Lage auf der Agora von Kydonia. Dafür, dass der Besitzer ein so reicher und mächtiger Mann war und feinste Weine anbot, machte das Äußere seines Ladens einen direkt nüchternen Eindruck. Eine weiß verputzte Fassade bot sich dem geneigten Betrachter zur Schau, verziert mit einem zwei Schritt hohen roten Farbstreifen auf Bodenniveau. Ein einfaches Holzschild über dem offenen, doppelflügeligen Eingang verhieß:


    - Phaiax Toxotios -
    ---------------------------

    Weine aus Kydonia
    Weine aus aller Welt


    Im Inneren kam auch gleich der Besitzer auf Nasica zu.


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    Phaiax Toxotios


    "Chaire, Willkommen bei Phaiax Toxotios' Weinen! Ich bin Phaiax Toxotios, wie kann ich dir helfen?" Phaiaxs Stimme** hatte absolut freundlich geklungen, doch sein Blick war neutral geblieben. Auch sonst sah er eher ernst drein. Er strahlte mehr die Würde eines römischen Consuls, als die eines griechischen Weinhändlers aus, wie Nasica fand. Auch der samtene Unterton war ihm aufgefallen. Bislang hatte der Grieche nichts weiter getan, als eine 0815-Frage an seinen hereingekommenen Kunden zu stellen, doch die Artikulation seiner Stimme, wie überhaupt seine gesamte Ausstrahlung verdeutlichten einem trotzdem sehr eindrücklich, dass man diesen Mann lieber nicht zum Feind haben wollte. Glücklicherweise war Nasica nur hier um Wein zu kaufen. "Chaire! Ich war vorher in der Kichernden Olive essen und habe dort einen äußerst exquisiten Wein vorgesetzt bekommen, den der Wirt "Kydonischer Wein" genannt hat. Es hieß man kann diesen Wein hier erwerben, ich würde gerne 20 Amphoren kaufen." Phaiax Toxotios neigte leicht sein Haupt. "Gerne doch. In der Tat verkaufe ich Kydonischen Wein, er stammt aus eigenem Anbau von meinen eigenen Weingütern nahe der Stadt. Wenn du mir bitte folgen willst." Er führte Nasica in den hinteren Teil des Ladens zwischen hohe Weinregale in denen aberhunderte von Weinamphoren liegend und übereinander gestapelt waren. An jedem Amphorenverschluss klebte ein kleiner Zettel der Aufschluss darüber gab welche Weinsorte sich im Inneren befand. Nasica staunte nicht schlecht. Noch nie zuvor hatte er so viele Weine aus aller Welt an einem Ort versammelt gesehen. Von Hispanien bis Ägypten war wirklich fast jede Region vertreten. Sogar solch Weinexoten wie Noricum, oder Germania Superior, also Gegenden, wo es der Furier niemals für möglich gehalten hätte, dass dort Wein gedeihen konnte. Fast war er auch schon versucht von diesen beiden jeweils eine Amphore mitzunehmen. Doch lange konnte er nicht darüber nachdenken, da in diesem Moment ein ohrenbetäubender Krach aus einiger Entfernung im Haus zu ihrer rechten Seite ertönte. Sofort hatte Phaiax Toxotios den Kopf in Richtung des Lärms gewandt und war losgelaufen, dicht gefolgt von Nasica, der natürlich wissen wollte was da los war. An der Ostseite des Verkaufsraums schloss direkt ein weiteres größeres Gebäude an, das durch eine offene Doppeltür im Inneren mit Phaiax Toxotios' Weingeschäft verbunden war. Das hier war das eigentliche Weinlager seines Unternehmens von dem aus eine "kleine" Auswahl regelmäßig hinüber in den Verkaufsraum gebracht wurde, um von den Kunden begutachtet zu werden.


    Nicht weit von der Verbindungstür zwischen Weinladen und Lager entfernt lag in letzterem ein junger Mann auf dem Boden inmitten der Scherben von gut 50 zerbrochenen Amphoren. Überall klebte rote Flüssigkeit um den Jungen herum, wobei man nicht immer sagen konnte, ob es Wein, oder Blut war, verursacht durch die Schnittwunden an den scharfen Tonscherben der kaputten Gefäße. Es war als ob Nasica wachen Auges eine Art Rückblende vor sich sah, die sich über die Realität schob. Er sah Gisco am Lagerraumboden der Astarte vor sich liegen, inmitten der Scherben des verlorenen Garums, das er unabsichtlich vor der Insel Cauda zerdeppert hatte. Doch das hier war nicht Gisco und auch kein Garum war zu Bruch gekommen, sondern... "Onos! Was hast du nur mit meinem Wein gemacht!" Ganz zerknirscht versuchte Onos, der tollpatschige Gehilfe, auf die Beine zu kommen. Anscheinend hatte er versucht mittels eines kleinen Wägelchens all diese Amphoren auf einmal in den Verkaufsraum zu schaffen. Ein Wunder überhaupt, dass er es so weit von den übrigen Regalen weggeschafft hatte bei dieser riesen Ladung! "Tut mir leid!", rief er ganz kleinlaut, "Das kommt nicht wieder vor!" Phaiax Toxotios blickte langsam von den Scherben zu Onos hoch, sein Gesichtsausdruck war undefinierbar. "Das stimmt..." hob er gefährlich ruhig an, "... denn du bist damit ab sofort entlassen. Marsch! Raus hier! Nähere dich nie wieder meinem Geschäft!" Onos zuckte wie vom Blitz getroffen und beeilte sich dem gebellten Befehl seines ehemaligen Arbeitgebers nachzukommen. Er lief mit Tränen in den Augen an Nasica vorbei, vermutlich nicht nur wegen der verlorenen Arbeitsstelle, sondern auch, weil er ein kleines Rinnsal von Blut hinter sich herzog. Knurrend blickte Phaiax Toxotios auf den angerichteten Scherbenhaufen. "Einfach kein gutes Personal mehr heutzutage. Jetzt muss ich extra nach Ladenschluss nochmal zum Töpfer neue Amphoren bestellen und eine neue Arbeitskraft brauche ich auch, ist das zu glauben?" Phaiax Toxotios blickte dabei Nasica in einer Weise an, als ob er von ihm eine Antwort darauf erwartete. Doch noch bevor dieser den Mund aufbekommen hatte, zuckte der Weinhändler mit den Schultern und sagte: "Wie auch immer. Das sind meine Sorgen und jetzt zurück zu dir. Entschuldige dieses kleine Zwischenspiel. Du wolltest also Kydonischen Wein kaufen, ja? 20 Amphoren? Liege ich dann richtig, dass du sie irgendwohin liefern lassen willst?" Einem Chameläon gleich hatte der Grieche die Stimmung gewechselt. In einem Augenblick noch hatte er auf die Mitarbeiter geschimpft und im nächsten bediente er seine Kunden schon wieder ganz so als ob nichts vorgefallen wäre. Gut, also ging es jetzt wieder um das Geschäft. "Ja bitte und zwar heute noch auf die Astarte. Das ist ein phönizisches Handelsschiff, das im Augenblick unten im Hafen vor Anker liegt."
    Phaiax Toxotios nickte. "Verstehe. Ist dieser Kauf privater oder offizieller Natur?" Nasica verstand nicht, woraufhin der Grieche die Lippen schürzte. "Kaufst du die Weine für den Eigenbedarf, oder um sie weiterzuverkaufen, da du ein Handelsschiff erwähntest?", "Eigenbedarf" antwortete Nasica. "Was macht das denn für einen Unterschied?", "Ganz einfach, weil bei gewerblichen Käufen im Sinne des Weiterverkaufs eine Lizenz auf den Handel mit Kydonischen Wein erworben werden müsste." Nasica staunte nicht schlecht. Eine Lizenz auf den Handel mit Kydonischen Wein? Was es nicht alles gab. Doch besser er vertiefte dieses Thema nicht weiter. Stattdessen wollte der Furier als nächstes den Preis wissen. Phaiax Toxotios nannte ihn, woraufhin Nasica große Augen machte. War das sein Ernst?! Doch in seinem Hirn hatte er schnell geschaltet und unter Einbezug der jüngsten Entwicklungen im Unternehmen "Phaiax Toxotios - Weine aus Kydonia - Weine aus aller Welt" gleich eine (hoffentlich) preisreduzierende Alternative parat.
    "Wie wäre folgendes, ich laufe jetzt gleich für dich los, um beim Töpfer die benötigten Amphoren zu bestellen und dafür bekomme ich einen Preisnachlass von.. sagen wir 20%, abgemacht?"
    "10%" lautete da des Weinhändlers Antwort.
    "Machen wir 15 daraus"
    "Einverstanden"


    Und so war es beschlossen. Phaiax Toxotios würde Furius Nasica einen fünfzehnprozentigen Preisnachlass gewähren und die bestellten zwanzig Amphoren Kydonischen Weins (zum Eigengebrauch) auf die Astarte liefern lassen im Austausch für das noch schuldige Geld und einem kleinen Botengang zum Töpfer. Bei der Präzisierung des Bestellauftrags nannte der Weinhändler gleich eine wesentlich höhere zu bestellende Stückzahl an Weinamphoren, da demnächst auf seinen Weingütern wieder neuer Rebensaft abgefüllt werden müsste. So lief also Nasica los, um Amphoren zu bestellen. Unterwegs fragte er sich, ob Phaiax Toxotios nicht sowieso immer ein paar zusätzliche leere Amphoren auf Lager haben müsste, wo er ja auch Weinproduzent war, doch ohne jede Möglichkeit Einblick in die tieferen Geschäftsbeziehungen des Griechen zu bekommen würde das wohl ein ewiges Rätsel bleiben. Nasica hatte sich den Weg zu seinem Ziel genau beschreiben lassen und verbunden mit seinem morgendlichen Spaziergang fand er ziehmlich problemlos die Werkstatt des kydonischen Töpfers Telemach.
    Das Innere der Werkstatt wirkte ziehmlich grob und hätte wohl unverändert auch genauso gut ins Delta-Viertel in Alexandria gepasst. Die Werkstatt war aus Lehmziegeln errichtet worden und die Wände waren nur höchst halbherzig verputzt, weshalb man überall noch die Form der einzelnen Ziegel erspähen konnte. Es gab keine Tür, stattdessen trennte ein Vorhang das Innere der Wekstatt von der Außenwelt ab. Überall standen massenhaft Keramiken, von kleinen und großen Vasen, über tönerne Gegenstände für den Tempelgebrauch bis hin zu Amphoren in allen denkbaren Größen und Formen. Ein weiterer Vorhang in der rückwärtigen Wand ließ vermuten, dass es bei dieser Werkstatt wohl noch wesentlich mehr Räume als bloß diesen gab. Zur linken Hand war ein Korridor zwischen den Keramiken frei, der geradewegs zum Meister führte. Telemach der Töpfer war nur einige Jahre älter als Nasica, jedoch dafür doppelt so breit. Wie es wohl ein so einfacher Handwerker schaffte so dick zu werden? Telemach saß an einer extra für ihn verstärkten Töpferscheibe und war gerade dabei einen Klumpen feuchten Lehms in ein weiteres Kunstwerk seiner Zunft zu verwandeln. Mit beiden Händen formte er die schon zu erahnende Vase, die sich in einem fort um die eigene Achse auf der Töpferscheibe drehte, angetrieben durch Telemachs Füße. Nasica räusperte sich und grüßte: "Chaire." Der Töpfer sah nur kurz auf. "Was gibts?" fragte er kurz angebunden. Nasica teilte ihm mit, dass der Weinhändler Phaiax Toxotios ihn geschickt hätte und gab anschließend dessen Bestellung wieder. "Alles klar. Man sieht sich." Und damit war das Geschäft abgeschlossen. Nasica konnte nur den Kopf schütteln beim Verlassen der Werkstatt. Telemach schien nicht gerade ein Ausbund von Freundlichkeit und Kreativität zu sein. Sein Handwerk beherrschte er aber, das musste man zugeben.


    Sim-Off:

    * = 13:00 Uhr
    ** = Ich stelle mir Phaiax Toxotios' Stimme genauso wie die deutsche Synchronstimme von Professor Snape aus den Harry Potter-Filmen vor.

  • Der Lohn für Natternhilfe


    Nachdem der kleine Auftrag für Phaiax Toxotios beendet war, war Nasica endlich wieder Herr seiner eigenen Zeit. Jetzt konnte es endlich hinaus auf die Ebene gehen auf dem Rücken eines strammen Mietsrosses! Beim örtlichen Stall holte er sich einen ansprechenden Araber und schwang sich in den Sattel hinauf. Ein wirklich erhebendes Gefühl, als er so schön und langsam aus der Stadt hinaustrabte. Gegen den Stadtrand dann bemerkte er rechts vor sich einen kleinen Tumult. Eine Person wand sich von zwei anderen Gestalten los und lief ihm in seine Richtung entgegen. Es war die schöne Frau von vorhin vom Markt, Pseydione! Als sie den entgegenkommenden Nasica auf seinem schönen schwarzen Pferd oben bemerkte, begann sie zu rufen und zu winken. "Rette mich! Nimm mich mit!" Die Schöne war anscheinend wieder in Gefahr! Die beiden Männer hinter ihr verfolgten sie zweifelsohne, also stand er in der Pflicht ihr zu helfen. Er verschnellerte den Schritt seines Pferdes und lenkte es in Richtung Pseydiones. Bei ihr angekommen langte er nach unten und hievte sie mit einem Ruck hoch zu sich in den Sattel. Nasica schnalzte mit den Zügeln und der Araber stürzte den beiden Häschern davon. Der Furier konnte sie nur kurz im Augenwinkel sehen, doch war ihm, als wäre ihm einer von ihnen bekannt vorgekommen. Doch der Moment war zu kurz gewesen und überdies war jetzt wichtigeres zu durchdenken, wie z.B. nicht vom dahinrasenden Pferd zu stürzen. Die junge Frau keuchte hinter Nasica erleichtert. "Danke."
    "Keine Ursache. Was wollten die von dir?"
    "Mich gegen meinen Willen verschleppen und verheiraten, nur gut, dass du vorbeigekommen bist!"
    Nasicas Stirn runzelte sich. Hatte er sie etwa gerade von ihrem versprochenen Bräutigam weggezerrt? Na hoffentlich nicht, sonst konnte das noch unschön für ihn werden. Doch besser, wenn er mehr Informationen einholte, bevor er seine nächsten Schritte plante. Ein Blick zurück sagte ihm, dass sie weit genug von Kydonia weg waren, damit sie kurz anhalten konnten. Es waren keine Verfolger in Sicht gewesen. Nasica lenkte den Araber in ein nahes Gebüsch, während die Gerettete unruhig wurde. "He! Halt! Was soll das werden! Wir müssen weiter, schnell!"
    "Nein", antwortete Nasica fest und drehte sich am Sattel dann halb zu ihr um. "Wir gehen nirgends hin, bevor ich nicht genauer weiß, was hier vor sich geht. Was war das gerade mit verheiraten? War das etwa dein versprochener Ehemann?! Falls ja, dann muss ich dich zurückbringen." Pseydione versuchte ihre Hacken in die Flanken des Pferdes zu schlagen, damit es wieder lief, doch Nasica konnte die Zügel bei sich behalten. "Nein! Keine Zeit! Wir müssen weg hier!"
    "Nichts da! Wir bewegen uns erst von der Stelle, wenn ich nähere..."
    "Ist ja gut! Ja das waren mein Vater und mein Onkel eben..sie hatten mich zu meinem Bräutigam bringen wollen."
    "Und was war so schlimm daran, dass du Hals über Kopf getürmt bist?"
    Pseydione spuckte aus. "Pah! Ich war Telemach dem Töpfer versprochen, ein wahrer Barbar! Grob und ohne Manieren, ich werde nicht seine Hure werden! Niemals!"
    Eine Braue des Furiers schoss in die Höhe. Telemach der Töpfer? Genau bei dem war er doch gerade noch eben gewesen!
    "Gut und was hast du jetzt vor? Immerhin sind wir hier auf einer Insel, du wirst also nicht ewig davonlaufen können, ehe du auf Wasser triffst..."
    Pseydione verdrehte die Augen.
    "Ha... ha... nein, ich liebe schon jemand anderen. Spyrídon den Priester, nämlich. Ich möchte, dass du mich in unseren Unterschlupf bringst, wo er mich dann..."


    Pseydione unterbrach sich. Es waren neue Geräusche an ihre Ohren gedrungen, Pferdehufe! "Unsere Verfolger!" rief sie panisch aus und in der Tat galoppierten einige Männer von Kydonia kommend geradewegs auf sie zu. Ehe sich's Nasica versah stieß ihn die Frau vom Pferd und ergriff selbst die Zügel. Verzweifelt wagte sie einen Fluchtversuch im Alleingang. Nasica indes war zu Boden gestürzt und rappelte sich hustend wieder auf. "Dort ist er! Er hat meine Tochter entführt! Auf ihn!" drang es da an sein Ohr. Es war Phaiax Toxotios' Stimme! Eine Traube von Reitern umringte Nasica und nahm ihn gefangen, während dieser noch ganz benebelt war. Pseydione war Phaiax Toxotios' Tochter! Er hatte sich einen der mächtigsten Männer Kretas zum Feind gemacht, da alle Welt jetzt dachte er, Marcus Furius Nasica hätte sie böswillig entführt! Ein paar der anderen Reiter waren der Entflohenen nachgeritten und hatten auch Pseydione etwas später festsetzen können, da sie nicht gerade eine gute Reiterin war. Toxotios' Tochter und Nasica wurden zurück nach Kydonia gebracht, wo der Furier unentwegt auf seine Häscher einzureden versuchte, dass er unschuldig und das alles nur ein großes Missverständnis war. Doch es half alles nichts. Nasica wurde ins Gefängnis geworfen, während der Weinhändler Boten aussandte, um das Gericht zu versammeln. Er wollte diesen römischen Halunken im Eilverfahren aburteilen!

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  • Vor den Elfmännern


    Nach seiner Einverleibung ins Römische Reich war Kydonia vor 87 Jahren durch Kaiser Augustus zu einer autonomen Stadt erklärt worden. Dies hatte zur Folge, dass sie auch nicht nach römischem Recht Gerichtsprozesse abhielt, sondern nach griechischem. Marcus Furius Nasica war (vermeintlich) ep’ autophoro (auf frischer Tat) beim Menschenraub ertappt worden, was hieß, dass das Recht der Apagoge schlagend wurde. Diese ermächtigte den Kläger dazu den Täter eigenmächtig gefangenzunehmen, um ihn anschließend in einem Schnellgerichtsverfahren der Hendeka, dem Elfmännergericht, vorzuführen. Die Hendeka bestand aus zehn Beamten und einem Schreiber, die jährlich durch das Los ausgewählt wurden.

    Ihnen oblag die Aufsicht über das Staatsgefängnis, der Haftvollzug und die, von ihren unterstellten Bediensteten durchgeführten Hinrichtungen. Ferner führten sie die Listen der konfiszierten Güter. Wegen bestimmter Straftaten wie etwa Diebstahl, Wegelagerei, Menschenraub und Mord konnten auf frischer Tat ertappte Beschuldigte im Wege der Apagoge festgenommen und den Elfmännern vorgeführt werden.Gestand der Beschuldigte seine Tat vor der Hendeka, wurde die Strafe (auch die Todesstrafe) sofort vollstreckt. Bestritt er sie jedoch, wurde er wieder inhaftiert und ein ordentliches Gerichtsverfahren eingeleitet. Konnte er einen Bürgen stellen, so konnte der Beschuldigte bis zum Prozess auch auf freien Fuß gesetzt werden.


    Nasica hatte verständlicherweise keinen Bürgen, wo er Kydonia erst gestern zum aller ersten Mal überhaupt betreten hatte und so musste er in einer Zelle warten, bis Phaiax Toxotios' Boten die Mitglieder der Hendeka zusammengerufen hatten. Eine halbe Stunde später schon waren die Elfmänner versammelt, denn niemand in Kydonia wollte trödeln, wenn Phaiax Toxotios rief. So musste Nasica nicht allzu lange warten, bis er ihnen endlich vorgeführt wurde. Die Elfmänner tagten im säulenbewährten Innenhof des Bouleuterion, dem Sitz der Bule von Kydonia. Im Halbkreis angeordnet saßen die zehn Beamten dort, etwas abseits von ihnen der Schreiber. Phaiax Toxotios und dessen Bruder waren ebenfalls anwesend und sogar... ein Scharfrichter. Letzteren hatte der Weinhändler ebenfalls schon herbeordert, nur für den Fall der Fälle, verstand sich.


    Einer der Zehn erhob die Stimme: "Marcus Furius Nasica, du wurdest hier und heute durch den kydonischen Bürger und Weinhändler Phaiax Toxotios vor die kydonische Hendeka gebracht, da er dich der Entführung seiner Tochter bezichtigt. Wie bekennst du dich?"


    Die Elfmänner kannten seinen Namen, zweifelsohne durch den Weinhändler, da Nasica bei diesem ja noch kurz zuvor eine Bestellung aufgegeben hatte. Wie er sich bekannte? Keine Frage! Nasica antwortete mit fester Stimme: "Ich bekenne mich nicht schuldig! Die ganze Sache beruht auf einem Missverständnis!"

    Phaiax Toxotios' Augen verengten sich zu Schlitzen. "Unfug! Mein Bruder, Perieget Toxotios, ist mein Zeuge, dieser Rhomäer hat vor unserer beider Augen meine Tochter auf sein Pferd gezogen und ist geflüchtet!"

    Das Hendekamitglied hob die Hand. "Das genügt! Der Angeklagte bestreitet die Tat, hiermit soll also ein Gerichtsverfahren über die Sache entscheiden und zwar in drei Tagen zur..." beim Anblick von Phaiax Toxotios' ermahnenden Blick verbesserte sich der Beamte rasch: "...ähm, ich meinte morgen! Morgen zur Mittagszeit soll die Heliaia zusammentreten, um in diesem Fall zu urteilen. Die Sitzung ist beendet!"


    Die Elfmänner standen von ihren Sitzen auf. Nasica fühlte sich wie von einem Schlag getroffen. "Das geht nicht! Morgen fährt mein Schiff bereits wieder ab! Ich muss an Bord!" Doch keiner der Beamten beachtete ihn, während zwei Soldaten Nasica wieder in ihr Gewahrsam nahmen. Nasica rief noch einmal die Beamten an, doch vergebens. Schon bald wehrte er sich nicht mehr und war nur noch fassungslos und die Wachen brachten ihn zurück in seine Zelle.

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  • Der Vorabend vor der Offenbarung des Schicksals


    Nasica saß in seiner Zelle und war immer noch ganz betäubt. Morgen bei Sonnenaufgang würde die Astarte die Segel setzen und nach Athen abfahren, doch Nasicas Gerichtsverhandlung wäre erst morgen! Das konnte einfach nicht wahr sein! Alle seine Sachen waren noch an Bord, außerdem wollte sich Nasica einfach nicht vorstellen, dass er mit einer anderen Passage nach Rom kommen sollte, als mit Kapitän Methusastartos' Schiff. Viele der Phönizier an Bord hatte er als Freund gewonnen, sollte es das wirklich gewesen sein? Er wollte dies einfach nicht wahr haben!

    Kurz spürte er Tränen in seinen Augen hochsteigen, doch gleich sobald er sich ihrer gewahr wurde wischte er sie sich wütend ab. Dies war jetzt nicht die Zeit, um weichlich herumzuheulen! Er musste aktiv werden! "Reiß dich zusammen, Mann!" fuhr er sich in Gedanken selbst an. Denn wenn dies morgen zu seinen Ungunsten ausging, dann würde der Tod ihn erwarten und spätestens dann wäre es für Nasica ziehmlich egal, ob die Astarte mit oder ohne ihn fuhr. Also musste er sich für seine Verhandlung morgen so gut es eben ging vorbereiten. Er musste morgen eine überzeugende Verteidigungsrede vorbringen und er hatte nur eine Nacht Zeit um sie zu schreiben und einzustudieren. Außerdem musste er sich irgendwie mit den Phöniziern in Verbindung setzen. Nasica rief nach der Wache und fragte, ob er ihnen eine Botschaft schicken dürfte. Zuerst verneinte sie dies, doch nach einer kleinen Bestechung ließ sie sich doch "überreden". So schrieb er also eine kurze Nachricht an den Kapitän, um ihn darüber zu informieren, dass er wegen eines Missverständnisses im Gefängnis saß und morgen erst seine Verhandlung hätte und dass die Phönizier doch bitte auf ihn warten sollten. Dann übergab er den Brief an die Wache, die ihn weiterleitete.


    Eine Stunde später bekam Nasica Methusastartos' Antwort:


    Ich habe immer schon gewusst, dass du Ärger machst. Wir fahren morgen wie geplant ab, die Geschäfte in Athen sind zu wichtig, als dass ich sie aufschieben könnte. Danach bleiben wir drei Tage dort. Solltest du bis dahin wieder auftauchen sollst du wieder mitfahren dürfen, ansonsten war es das. Deine Sachen werden so oder so in Athen bei einem Spediteur zwischengelagert, sein Name ist Euxenes für den Fall, dass wir uns nicht mehr sehen sollten.

    M.


    Kurz spürte er wieder Wut und Ärger in sich hochlodern, doch dieses Mal nicht über sich selbst. Dieser miese Wurm!

    Doch es half nichts, Nasica musste sich jetzt auf wichtigeres konzentriern. Sein morgiges Schicksal würde davon abhängen, was er heute Nacht noch als seine Verteidigung zustande bringen würde. Methusastartos konnte er danach genauso gut immer noch verfluchen.

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  • Marcus Furius Nasica vor Gericht - Teil 1


    Die Heliaia war das oberste Gericht von Kydonia. Es war eine ursprünglich athenische Rechtssituation, doch hatte Kydonia in seiner Vergangenheit als noch freier Stadtstaat viel vom athenischen Recht übernommen gehabt, ehe sich der erste Römer in Griechenland blicken ließ und so verwunderte es nicht weiter, dass das athenische Rechtssystem in verkleinerter Weise auch heute noch im rechtlich autonomen Kydonia weiterexistierte, während in Athen selbst lange schon das römische Recht die Gesetze diktierte, da dort keine entsprechende Sonderstellung existierte, wie sie einst Augustus der kretischen Stadt geschenkt hatte. Insgesamt bestand die Heliaia aus 6000 Richtern, die jährlich aus allen kydonischen Männern über 30 ausgelost wurden. Diese unterteilten sich dann nochmal in kleinere Gruppierungen. Pro Tag konnten mehrere Gerichtsprozesse gleichzeitig und räumlich voneinander abgetrennt stattfinden. Pro Fall konnten ungefähr 201 bis 501 bzw. 1001 bis 1501 Heliasten beisitzen, in ganz besonderen Angelegenheiten auch alle zusammen. Außerdem tagte es immer unter freiem Himmel, manche leiteten daraus auch den Namen dieser Gerichtsart ab, von Helios, der Sonne.


    Da vermeintlicher Menschenraub ein "gewöhnliches" Verbrechen war, waren bei Nasicas Prozess nur ungefähr 300 Heliasten auf dem Gelände der Gerichtsstätte auf der Agora, als Nasica ihnen vorgeführt wurde. Es war eine Art verflachtes Halbrund mit ansteigenden Tribünen auf denen die Heliasten, ähnlich wie in einem Theater saßen, nur eben mit flacherem Winkel, ohne Bühne und bloß einige Schritt hoch und abgezäunt vom Rest der Agora. Zuhörer aus dem gemeinen Volk mussten hinter dieser Absperrung bleiben. Viel Volk hatte sich dort versammelt, denn es hatte ein großes Hallo hervorgerufen, dass es jemand gewagt haben sollte die Tochter des Weinhändlers zu rauben. Nasica konnte sich also sicher sein, dass spätestens mit heute ganz Kydonia seinen Namen kannte. Die Zuseher zusätzlich auch noch sein Gesicht. Der Hegemon, der vorsitzende Beamte des Gerichts, saß schon auf seinem Platz und hatte den Blick auf zwei Wachstafeln vor sich gerichtet. Nachdem alles bereit war, begann die Verhandlung.

    Der Hegemon blickte auf und sprach: "Wir haben uns heute hier im Namen der Causa Marcus Furius Nasica versammelt. Der kydonische Bürger, Phaiax Toxotios, beschuldigt den Römer Marcus Furius Nasica, dass dieser seine Tochter Pseydione gestern zu entführen versucht haben soll, was der Angeklagte aber vor der Hendeka bestritten hat. Wir wollen nun mit dem Plädoyer der klagenden Partei beginnen."

    Bei einem Verfahren der Heliaia war es üblich, dass zuerst der Ankläger seinen Standpunkt vortragen durfte, dann nach ihm der Angeklagte. Danach wurden die Zeugen gehört, wobei von jeder Partei die ihr zustehende Redezeit mittels einer Wasseruhr gemessen wurde. Die Involvierten standen für sich selbst ein vor Gericht, konnten jedoch ihre Rede zuvor auch durch einen Logographen, also einem professionellen Gerichtsredenschreiber, abfassen lassen. Dass Nasica auch solch einer nicht zur Verfügung gestanden hatte, war vermutlich klar. Das Ende eines Prozesses bestand im Fällen eines Gerichtsurteils mittels einer geheimen Abstimmung. Hierfür legten die Heliasten ihre bronzenen Stimmsteine in eine von zwei Urnen. Bei Stimmengleichheit galt die Klage als abgewiesen. Nun trat Phaiax Toxotios vor und begann mit seiner Rede:


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    Phaiax Toxotios


    "Ich stehe heute hier vor euch, ehrenwerte Mitglieder der Heliaia, weil ich Gerechtigkeit für ein Verbrechen fordere, dass sich vor meinen eigenen Augen abgespielt hat! Dieser Mann...", er zeigte auf den am Rande stehenden Furier, "...hat, während ich mit meinem Bruder Perieget Toxotios und meiner armen Tochter Pseydione auf der Straße stand, sich uns auf dem Rücken eines Pferdes genähert, meine arme Tochter zu sich hinaufgezogen und ist hinaus in die Wildnis geflüchtet! Ich hatte sofort meine Männer ausgeschickt, um den Strauchdieb einzufangen und meine arme Tochter zu retten und Zeus sei Dank konnten sie sie wirklich nahe des Stadtrands stellen und zurückbringen! So hat es sich also zugetragen, ehrenwerte Heliasten, ich fordere lediglich, was mir zusteht! Was die Beweggründe von Marcus Furius Nasica für diese Tat angeht, so sind sie mir schleierhaft, doch an der Tat selbst gibt es keinerlei Zweifel, ich habe sie selbst gesehen! Vor dem gestrigen Tag war er mir unbekannt gewesen. Er kam in mein Geschäft mit einer Weinbestellung, das auf ein Schiff gebracht werden sollte, mit dem er angeblich reisen würde, danach hat er noch einen kleinen Auftrag meinerseits ausgeführt und neue Amphoren beim Töpfer Telemach bestellt und das war es. Eine tiefergehende Verbindung besteht zwischen uns nicht, weshalb ich es um so unverständlicher finde, dass er mir derart schaden wollte und ich finde es auch um so schändlicher, da ich ihm kurz zuvor noch einen großzügigen Rabatt auf meine Preise gewährt hatte für die Erledigung des kleinen Auftrags bei Telemach und so dankt er es mir! Wollte mein einzig eigen Fleisch und Blut verschleppen, womöglich auf dieses besagte Schiff! Daher fordere ich euch ein weiteres Mal dazu auf, ehrenwerte Heliasten, verschafft einem verletzten Vater und in seiner Ehre gekränkten Händler aus eurer Mitte Genugtuung und bestraft diesen Römer!" Der Weinhändler hatte seinen Fall vorgetragen und trat nach seinem Schlusssatz aus dem Kreis zurück.


    Dafür wurde jetzt Nasica, der Angeklagte, dorthin geführt, wo er nun begann seine Sicht der Dinge zu schildern. "Ehrenwerte Heliasten, meinen Namen und das mir angelastete Vergehen habt ihr ja gerade gehört, lasst mich nun berichten, wie es wirklich geschehen ist. Es stimmt, ich bin ein Außenstehender, ein Römer aus Alexandria auf der Durchreise und vor dem gestrigen Tag kannte auch ich nicht Phaiax Toxotios! Er lastet mir an seine Tochter entführt zu haben, doch das ist eine Lüge! Denn was er euch verschwiegen hat ist, dass nicht ich es war, der den ersten Schritt in dieser Sache getan hat! Ich war gerade dabei einen kleinen Ausritt ins Umland von Kydonia zu machen, als ich nahe des Stadtrands eine Gruppe von drei Leuten bemerkte. Zwei Männer und eine Frau. Die zwei Männer hielten die Frau fest und redeten auf sie ein, diese jedoch schrie und versuchte sich loszumachen. Dies waren niemand geringeres als Phaiax Toxotios, Perieget Toxotios und die Tochter des Ersteren, Pseydione! Pseydione machte sich mit Gewalt von ihrem Vater und ihrem Onkel los und lief mir entgegen und flehte mich an sie mitzunehmen! Ich hatte gedacht, dass sie erneut in Schwierigkeiten wäre und dass die zwei Männer ihr schaden wollten, also beschloss ich ihr helfen zu wollen und zog sie hinter mir hoch und galoppierte in die Richtung davon die sie mir wies! Ihr seht also, nicht ich hatte diese Flucht bewerkstelligt, sondern Pseydione selbst! Außerdem, was..." Nasica wurde durch die erhobene Hand des Hegemon unterbrochen. "Einen Moment, da gibt es Dinge, die ich noch nicht so ganz verstehe. Du hast kurz davor eine Weinbestellung beim Kläger aufgegeben und schon kurze Zeit darauf gedacht, er wäre an einer Entführung einer jungen Frau auf offener Straße beteiligt? Und dazu noch von seiner eigenen Tochter? Und wie meinst du das, die Tochter des Klägers wäre "erneut" in Schwierigkeiten? Kanntest du sie etwa schon zuvor? Wie käme sie sonst dazu sich zu einem fremden Passanten zu flüchten, wo du doch selbst sagst, dass du neu in unserem schönen Kydonia bist? Verrate uns das!" Nasica stutzte kurz. Er hatte nicht erwartet gehabt, dass er unterbrochen wurde und durch den Hegemon zusätzlich befragt werden würde, denn er war von einer vollständigen Rede ausgegangen, so wie sie auch die Gegenpartei halten hatte dürfen. Doch Nasica kam natürlich der Bitte des Vorsitzenden trotzdem gerne nach. "Nun, ich wusste nicht, dass Pseydione seine Tochter ist, außerdem hatte ich Phaiax Toxotios nicht erkannt, weil alles so schnell ging! Ich dachte deshalb es seien zwei Fremde, die sie entführen und wollte ihr daher helfen. Pseydione hatte ich kurze Zeit zuvor schon auf dem Markt kennengelernt und war ihr beigestanden, als sie einen Apfel stehlen wollte und dabei erwischt worden war. Ich hatte dem Händler den Apfel bezahlt, weshalb sie mir dankbar war. Vermutlich ist sie mir deshalb anschließend entgegengelaufen, als ich mit dem Pferd vorbeiritt." Der Hegemon hob eine Braue. "Du warst also zuvor schon an kriminellen Aktivitäten in Kydonia beteiligt und gibst dies offen zu?" Nasica entglitten seine Gesichtszüge vor Schreck. "Nein! Nein, natürlich NICHT!"

    "Du hast uns doch gerade gestanden, dass du Beihilfe am Diebstahl eines Apfels geleistet hast? Und kurz darauf noch eine Entführung? Mir scheint, als ergebe sich da ein Muster."

    "Nein, verehrter Hegemon, hoch geehrte Heliasten! Ich hatte dem Händler den Apfel doch bezahlt, es liegt also kein Diebstahl vor!"

    "Jedoch erst, nachdem das Vergehen aufgeflogen war! Warum solltest du überhaupt der Tochter des Phaiax Toxotios bei diesem, ihr angelasteten Diebstahl geholfen haben? Was war die Motivation dahinter?"


    Nasica fühlte sich schon so, als wäre er mitten in einem öffentlichen Verhör, anstatt beim Vortrag seines Verteidigungsrede, also Athen war das hier wirklich nicht. "Es war die gewöhnliche Torheit eines jungen Mannes, der eine schöne Frau sieht, nicht mehr und nicht weniger. Ich war geblendet von ihrer bezaubernden Anmut und wollte sie retten, als ich sah, dass diese Frau in Not war, denn auch wenn die klagende Partei das Gegenteil behauptet, so bin ich ein grundehrlicher und rechtschaffener Mann, das ich gerne hier vor euch auch darlegen möchte, wenn man mich nur lässt!" Der Hegemon nickte und gab mit einem Handzeichen zu verstehen, dass Nasica nun mit seiner Verteidigung fortfahren durfte.

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  • Marcus Furius Nasica vor Gericht - Teil 2


    "Bevor ich vorhin gerade vom ehrenwerten Hegemon unterbrochen worden war, wollte ich gerade eine Frage in den Raum stellen. Welchen Nutzen hätte ich von ihrer Entführung? Welche Motivation sollte mich zu solch einer wahnsinnigen Tat verleitet haben? Ich möchte es euch sagen; gar keine! Ich habe kein Interesse an der Tochter des Phaiax Toxotios und stehe hier wegen Vergehen vor Gericht, die ich nicht begangen habe! Ich bin ein einfacher Reisender aus Alexandria auf der Reise nach Rom, um in den Archiven meiner dortigen Verwandtschaft Informationen für eine Arbeit für das Museion zu extrahieren! Und ich habe auch Zeugen für die Richtigkeit meiner Aussagen! Fragt meine Mutter in Alexandria, fragt die Mannschaft des Schiffs auf dem ich reise, ja sogar meine Verwandten in Rom können dies bezeugen, weil ich ihnen mein Kommen und meine Motivation für diese Reise in einem Brief angekündigt habe!" Wieder unterbrach ihn der Vorsitzende. "Deine Verwandten in Rom und Alexandria können wir aber leider nicht befragen, außerdem konnte die Voruntersuchung dieses Gerichtsfalls ebenfalls nicht jenes Schiff ausfindig machen, mit dem du angeblich hergekommen sein willst. Wo befindet es sich?" Nasicas Herz setzte einen Schlag lang aus. "In Athen...", flüsterte er. Nur die erste Reihe und der Hegemon hatten diese Worte verstehen können, sodass sie der Vorsitzende für alle Versammelten noch einmal laut wiederholte. "In Athen also? Wie passend, oder? Wie stellst du dir dann vor, dass wir sie befragen könnten?" Nasica fühlte sich elend. Alles schien im Moment gegen ihn zu sprechen, jedes Mal, wenn er versuchte sich aus dem Sumpf dieser falschen Anschuldigungen emporzuziehen, wurde er auch schon wieder in eben jenen hinabgerissen. Hilfesuchend blickte er sich um. Was sollte er nur jetzt sagen? Was könnte er tun? Wie sollte er dem Gericht jene Idee austreiben, dass er ein erwischter Krimineller wäre, der nur eine Ausrede nach der anderen hervorbrachte, um seine Haut zu retten? Sein Blick schweifte über die Zuschauermenge, Kopf über Kopf. Doch halt! Zwei Köpfe zurück, war das nicht... Spyrídon der Priester? Nasica deutete auf ihn und rief: "Der dort! Spyrídon der Priester, er kann bezeugen, dass ich gestern der Göttin Artemis ein Opfer dargebracht habe zum Gelingen meiner Reise nach Rom! Außerdem ist auch er involviert, er hat ein heimliches Liebesverhältnis mit Pseydione!" Als sich unversehens der Fokus der Aufmerksamkeit auf Spyrídon richtete, erschrak dieser und wollte im ersten Moment reflexartig sich ducken, um in der Menge wieder zu verschwinden, doch er besann sich und blieb stehen, nachdem er einmal geschluckt hatte. "Das Gericht registriert den kydonischen Apollonpriester Spyrídon hiermit also als weiteren Zeugen in diesem Verfahren, er möge sich bitte zu den anderen Zeugen begeben, seine Aussage wird später gehört werden!" Der Priester tat mit der Miene eines geschlagenen Hundes wie ihm geheißen und verschwand aus Nasicas Blickfeld. Phaiax Toxotios indes blickte wie vom Donner gerührt aus der Wäsche. Seine Tochter, die schon Telemach dem Töpfer versprochen war, sollte ein Verhältnis mit Spyrídon dem Priester haben?


    Nasica bekam vom Hegemon nun folgende Frage gestellt: "Du erwähntest, dass der Apollonpriester ebenfalls in diesen Fall verwickelt sein soll, wie begründest du das?" "Das möchte ich gerne machen, ehrenwerte Heliasten! Denn dies ist das letzte Mosaiksteinchen, das noch gefehlt hat bei der Erzählung des "Tathergangs". Denn wie schon von mir erzählt, hatte ich Pseydione in dem Glauben mit mir genommen, sie damit aus einer Gefahrensituation zu retten! Ich hatte nur gute Absichten. Während unseres Rittes erkannte ich jedoch schnell das Missverständnis, als sie mir sagte, die zwei Männer von eben wären ihr Vater und ihr Onkel gewesen, die sie gegen ihren Willen verheiraten wollten, sie jedoch schon andere Pläne hätte. Denn Pseydione selbst offenbarte mir, dass ich sie weiter in ein Versteck von ihr und Spyrídon bringen sollte, damit sie anschließend gemeinsam durchbrennen könnten! Ich habe sofort mein Pferd gestoppt, nachdem ich dies erfahren hatte, um mehr Details zu erfahren, oder wieso denkt ihr, wurden wir sonst so nahe der Stadt angetroffen? Jeder an der Jagd beteiligte Mann kann bezeugen, dass wir noch ziehmlich nahe waren, ein Umstand, den ich um jeden Preis vermeiden hätte wollen, sollte ich wirklich auf einer Flucht sein!" Das war natürlich ein Argument, wenn auch nur ein kleines. Immerhin war doch ein wenig Zeit vergangen bis der Weinhändler seine Männer alamieren und diese ihre Rösser besteigen hatten können und für diesen Vorsprung waren Nasica und Pseydione wirklich noch sehr nahe der kydonischen Stadtgrenzen aufgegriffen worden. Bei einer ernst gemeinten Flucht hätten sie sie eigentlich erst einige Meilen weiter weg antreffen dürfen. "Ich sage es daher noch einmal in aller Deutlichkeit, dieser ganze Fall basiert auf einem Missverständnis! Meine Absichten in Kydonia waren niemals andere gewesen, als mir einen Tag lang eure schöne Stadt anzusehen und dann am nächsten Morgen weiterzufahren! Stattdessen wurde ich in diese Schmierenkomödie mithineingezogen aufgrund unglücklicher Verwicklungen und Verwechslungen! Ich bin auch bereit einen Eid auf die Götter abzulegen, dass meine Worte aufrichtig sind, ich bin unschuldig und möchte nichts weiter, denn als freier Mann von Kreta wieder abreisen zu dürfen! Ich interessiere mich für das Wissen, Philosophie und die schönen Künste, ich habe keinen Gewinn daraus Menschen zu verschleppen, ich bin kein Krimineller! Ich appelliere an jeden von euch, hoch geehrte Heliasten, dass ihr einen Mann erkennt, der vergehenlos vor Gericht gestellt wurde und dass ihr ihm das zurückgebt, was ihm rechtmäßig zusteht; seine Freiheit!" Jetzt war Nasica aber wirklich am Ende mit seinem Latein. Hoffentlich hatte er mit seinen Worten irgendwas bei den Richtern bewirken können. Dabei hatte er versucht nicht allzu sehr zu betteln, hoffentlich war es ihm geglückt. Er war mit seiner Verteidigung auf jeden Fall nun fertig, so trat auch er aus dem Kreis zurück und der Hegemon ging daran die Zeugen aufzurufen.


    Als im Anschluss Nasica diese in einer Reihe aufmarschieren sah, staunte er nicht schlecht. Trotz der extremst kurzen Vorlaufzeit hatte die Voruntersuchung dieses Prozesses einige vielversprechende Personen ausgegraben. Zuvorderst schritt da natürlich Pseydione einher, hinter ihr ein fremder Mann, dann Perieget Toxotios, gefolgt von einer fremden Frau, Spyrídon, dann die alte Marktfrau von der Nasica seine Opfergaben an Artemis gekauft hatte, der Wirt aus dem Gasthaus mit dem üblen Seetanggeruch, der von Pseydione bestohlene Apfelhändler und sogar der Wirt aus der Kichernden Olive! Besonders bei dessen Anblick wurde ihm gleich um einiges leichter ums Herz. Mit dem Wirt hatte er sich immerhin lang und breit über seine Reisen unterhalten, wie hatte es das Gericht nur geschafft sie alle aufzutreiben?


    Die Befragung der Zeugen begann. Das Gericht hatte versucht jede Person in Kydonia ausfindig zu machen, die irgendetwas über den Fremdling Marcus Furius Nasica wusste, damit sich die Heliasten ein umfassendes Bild vom Angeklagten machen konnten. Einige hatten sich auf einen öffentlichen allgemeinen Gerichtsaufruf von selbst gemeldet, andere waren aufgrund der Vorermittlungen aufgefunden und beigezogen worden. Als erstes war das vermeintliche Entführungsopfer, Pseydione, an der Reihe. Sie zürnte Nasica dafür, dass dieser sie nicht zu jenem Versteck gebracht hatte, von dem aus sie später mit Spyrídon hätte fliehen wollen und rächte sich jetzt mit Gift und Galle dafür. Sie bestätigte die Version ihres Vaters, wonach Nasica sie gegen ihren Willen verschleppt hätte und bemühte sich ihn im schlechtesten Licht darzustellen. Vielleicht übertrieb sie dabei auch ein wenig zu sehr. Onkel Perieget unterstützte ihre und Phaiax Toxotios' Sichtweise. Der fremde Mann hingegen war Augenzeuge gewesen, wie Pseydione sich von den zwei Männern von alleine losgerissen und Nasica laut rufend entgegengelaufen war. Die Marktfrau sagte aus, dass Nasica bei ihr drei Granatäpfel und vier Quitten als Opfer für die Göttin Artemis gekauft hätte, eine Tat, die ein echter Verbrecher wohl nicht gemacht hätte und sie Nasica für aufrichtig hielt, wie sie frei war anzumerken. Die fremde Frau hingegen war höchstwahrscheinlich von Toxotios gekauft, denn sie unterstützte dessen Sichtweise, und gab während der Befragung teils Dinge von sich, die so gar nicht passiert waren.

    Der Apfelhändler nahm eine gemischte Position ein. Einerseits räumte er ein, dass Nasica bezahlt hatte und somit faktisch kein Diebstahl erstanden war, doch andererseits hatte der Angeklagte ihn belogen und sich als Pseydiones Mann ausgegeben. Diesen Zeugen wertete Nasica daher für das Toxotios-Lager.

    Der Wirt aus dem Gasthaus mit dem üblen Seetanggeruch hingegen war wieder ein kleiner Lichtblick, denn er bestätigte, dass Nasica wirklich in Gesellschaft von phönizischen Kaufleuten unterwegs wäre und sich bei ihm ein Zimmer genommen hätte. Ja mehr noch, da die Phönizier regelmäßig bei ihm einzukehren pflegten, wann immer sie ihre Reisen nach Kydonia führten, kannte er sie halbwegs und konnte daher bestätigen, dass Kapitän Methusastartos und seine Mannschaft alles rechtschaffende Leute waren und keine Piraten, oder Menschenhändler. Auch der Wirt aus der Kichernden Olive schlug in die selbe Kerbe und gab zu Protokoll, dass der Angeklagte ein rechtschaffender und freundlicher Mann sei, der auch ihm von seiner Reise nach Rom und von der wissenschaftlichen Arbeit fürs Museion erzählt habe und er ihm daher glaube, wenn er sagte, er wäre unschuldig. Der letzte Zeuge war Spyrídon. Dieser saß wie auf glühenden Kohlen, wo er sich plötzlich im Zentrum der Affäre befand, nachdem Nasica sein Verhältnis mit Pseydione öffentlich gemacht hatte. Als Priester war er überdies besonders zur Wahrheit und einem rechtschaffenen Leben verpflichtet, weshalb man es ihm durchaus ansehen konnte welch Überwindung es ihm kostete, als er zähneknirschend zugab, dass Nasicas Aussage wahr sei. Er und Pseydione hatten wirklich zusammen weglaufen wollen und er habe Nasica auch wirklich vor dem Tempel der Artemis Diktynna angetroffen und miterlebt, wie dieser ihr ein Opfer zum Gelingen seiner Weiterfahrt nach Rom dargebracht hatte. Nach ihm waren die Zeugenbefragungen abgeschlossen. Mittlerweile rechnete sich Nasica plausible Chancen auf einen Freispruch aus. Mit angehaltenem Atem verfolgte er, wie es nun zur Abstimmung der Heliasten kam. Die Wahlurnen gingen einmal durch alle Hände der ungefähr 300 anwesenden Richter, welche ihren Stimmstein in eine davon hineinsteckten. Entweder in die für eine Verurteilung, oder die für einen Freispruch.


    Als jeder in der Heliaia seine Stimme abgegeben hatte, wurde ausgezählt. Die Zeit schien sich endlos hinzuziehen, während Nasica gespannt verfolgte, wie ein Stimmstein nach dem anderen wieder aus den Gefäßen hervorgeholt und gezählt wurde. Dann kam der Moment der Wahrheit. Der Hegemon erhob sich und verkündete: "Die Heliaia hat mit 164 Stimmen für einen Freispruch und 156 Stimmen für eine Verurteilung gestimmt. Marcus Furius Nasica, hiermit wirst du von diesem Gericht von der erhobenen Anklage freigesprochen! Der Fall ist beendet!" Eine hauchdünne Mehrheit von acht Stimmen zu seinen Gunsten hatten Nasica gerettet, so ganz konnte er es immer noch nicht fassen. Nasica war frei!

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  • Kreta, ade!


    Es war später Nachmittag, als Nasica von der kydonischen Heliaia freigesprochen wurde, genug Zeit also noch, um sich eine Schiffspassage nach Athen zu organisieren und am Abend des gleichen Tages Kreta zu verlassen und der Astarte hinterherzufahren. Er kannte diese Insel erst seit einem Tag und trotzdem hatte sie ihn schon durch ein schäumendes Meer der Gefühle getrieben, von glücklich bis tief traurig. Insgesamt war dies sein dritter Landgang gewesen nach Parateonium und Cauda und wieder war so viel aufregendes passiert, fast so, als ob sich dies alles irgendjemand eigens dazu ausgedacht hätte. Auch wenn er noch längst nicht in Rom war, so konnte Nasica jetzt all die Reisenden um Welten besser verstehen, die leidenschaftlich gern neue Orte erkundeten, denn es passierte anscheinend wirklich immer an jeder Ecke etwas neues, wenn man draußen in der Welt unterwegs war.


    Es brauchte einige Zeit, doch dann hatte Nasica doch noch einen Kapitän gefunden, der ihn nach Athen mitnehmen wollte. Er holte sein Habe aus der Taverne mit dem Seetanggeruch, in der er geschlafen hatte, was jedoch nicht viel war, wo der Großteil noch auf der Astarte ihm vorrausfuhr, und brachte es auf das Schiff (ein kleiner griechischer Händler, der ausschließlich die Küstenorte der Ägäis ansteuerte). Bei Sonnenuntergang machte das Schiff dann seine Taue los und steuerte mit dem einsetzenden Gezeitenwechsel hinaus auf die offene See. Kydonia wollte Nasica nicht allzu schnell wiedersehen, so viel stand für ihn fest.