RE: Die Öffnung von Pandoras Büchse
Es war Mittag, als Prinz Orodes in Edessa ankam. Die Torwache ließ ihn ohne Probleme passieren und so galloppierte er wie von den Furien gejagt durch die Straßen der Stadt. Erst gestern hatte er in Carrhae wieder das Pferd gewechselt, um noch schneller wieder zuhause sein zu können und die schrecklichen Drohungen des Großkönigs überbringen zu können. Dann, vor dem Palast seines Bruders angekommen, brachte Orodes schlitternd sein Pferd zum stehen und sprang ab. "Der König! Schnell! Wo hält er sich im Moment auf? Ist er im Palast anwesend?" Die verdutzte Wache hatte den Prinz erkannt und meinte nur: "An mir ist er heute noch nicht vorbeigegangen, also muss er sich im Palast aufhalten, ja Herr." Das genügte Orodes. "Hier" sagte er und drückte der Wache die Pferdezügel in die Hand, dann lief er weiter.
Im Inneren des Palastes fragt er noch einmal diverse Diener, bis er endlich herausbekommen hatte, dass sein Bruder sich im Moment im Westflügel im Sitzungssaal aufhielt bei einer Stabsbesprechung mit hochrangigen Generälen seiner Armee. Wie passend für das kommende Gespräch. In hohen Bogen sprangen die Türflügel zum Saal auf und Orodes stürzte keuchend herein und blieb vor den Anwesenden stehen.
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Abgar VIII., König von Osrhoene
König Abgar VIII. blickte überrascht auf. "Orodes, mein kleiner Bruder!", rief er erfreut, als er ihn erkannte und stand dann auf, um Orodes in den Arm zu nehmen. Dann streckte er ihn wieder eine Armlänge von sich und fragte: "Ich freue mich sehr dich lebend wiedersehen zu können, doch sprich, wie hat der Schahanschah reagiert?" Noch bevor sein kleiner Bruder auch nur den ersten Ton herausbrachte, sagte sein Gesichtsausdruck bereits alles was der König wissen musste. "Er möchte uns für unseren Ungehorsam bestrafen. Der Schahanschah möchte mit hunderttausend Soldaten in unsere Länder einfallen, unsere Frauen und Kinder umbringen, Edessa zerstören und deinen Kopf, geliebter Bruder.. deinen Kopf möchte er auf der Spitze eines Pfahls wiedersehen." König Abgar hatte diese Neuigkeiten mit Sorge aufgenommen und auch seine Generäle im Hintergrund hatten miteinander zu tuscheln begonnen. Abgar seufzte. "So wurde die Büchse der Pandora also über uns allen geöffnet. Wie steht es mit Rom? Wird es uns zu Hilfe eilen?"
"Ich weiß es nicht, mein König. Der Römer dort bei der Krönungsfeier hatte uns Hilfe zugesagt, doch hörte ich noch im Gehen, wie der Schahanschah seine Verhaftung befohlen hatte. Gut möglich also, dass er es nicht mehr aus Ktesiphon hinausgeschafft hat." Abgar nickte und brummte. "Gut, dann müssen wir uns noch einmal direkt an die Römer wenden. Auf ihren Gesandten dürfen wir uns nicht verlassen. General Philemon!" rief er und drehte sich zu seinen Generälen um. "Wieviel Zeit haben wir, bis wir mit dem Auftauchen der parthischen Armeen an unseren Grenzen rechnen dürfen?" Der Angesprochene General kratzte sich am Kinn. "Schwer zu sagen, es kommt darauf an aus welchen Ecken des Reichs der Schahanschah seine Truppen zusammenzieht. Wenn er nur auf Soldaten aus dem westlichen Teil, von Ekbatana bis Armenien, zurückgreift vermutlich so in 2 bis 3 Monaten, doch will er auch die Reiterhorden aus Chorasan einsetzen, vermutlich noch 1 oder 2 Monate länger." König Abgar nickte. "Gut, also im schlimmsten Fall in zwei Monaten. Wir müssen uns darauf vorbereiten und entsprechende Vorräte anlegen und Soldaten ausheben. Auf welcher Gesamtstärke liegen wir im Moment?"
Fragend blickte er in die Runde, bis sich einer der Generäle räusperte. "Unsere letzte Rekrutierungsinitiative letzten Monat hat uns zusätzliche 6000 Mann gebracht. Damit liegen wir jetzt bei einer Gesamtstärke von 45.000 Mann. 30.000 davon Kavallerie, die restlichen 15.000 Infanterie." Das gab dem König einen leichten Stich ins Herz. "Das ist zu wenig, das ist viel zu wenig..."
"Ich weiß, o königliche Majestät, doch nicht mehr lange und wir kommen an die Grenzen unserer Rekrutierungskapazitäten. Wir müssen auch noch genügend Leute auf den Feldern lassen zur Nahrungsmittelproduktion, damit der Nachschub gesichert ist. Wenn wir jedoch wirklich an unsere äußersten Grenzen in der Truppenaushebung gehen würden, dann würden wir zusätzliche Truppen in Höhe von..."
Abgar seufzte. "Es bringt nichts, wir werden wohl wirklich auf die Hilfe der Römer setzen müssen."
"Fragt sich eben nur, ob sie uns auch beistehen werden", mischte sich da Prinz Orodes ein.
"Das müssen sie einfach! Sie versuchen doch auch schon seit langem die Parther niederzuwerfen! Welche bessere Gelegenheit hätten sie denn, außer die jetzige?"
"Ja schon, aber es wird gewiss auch seinen Grund haben warum sie es bislang trotzdem nicht geschafft haben! Außerdem, was denkst du wieviele Krieger sie uns schon schicken werden?"
"Das weiß ich nicht, jedoch habe ich gehört, dass schon eine einzige Legion der Römer es mit einer barbarischen Übermacht von der doppelten Kriegerzahl und mehr aufnehmen kann! Alles was wir brauchen würden, wären also nur zwei bis drei ihrer Legionen, zusammen mit unseren eigenen Soldaten könnten wir den Angriff des Schahanschah abwehren..."
Schweigen herrschte für eine Weile im Raum, während der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Ob Rom zu Hilfe eilen würde oder nicht stand in den Sternen und alleine konnten sie den Partherkönig niemals zurückschlagen. Nicht nur, dass ihre Truppenzahlen viel zu niedrig dafür waren, sondern auch, weil sich die Soldaten Osrhoenes in ihrer Qualität nicht groß von denen der übrigen parthischen Streitkräfte unterschieden. Also war vielleicht eine genügend hohen Mannesstärke doch ausschlaggebend.
"Majestät, was befehlt Ihr nun?" unterbrach da dann General Philemon die Stille. Abgar leckte sich über die Lippen. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren, immerhin hatte Alexander der Große im gleichen Alter bereits den Perserkönig gestürzt und Persepolis gebrandschatzt gehabt und wäre gerade mitten in den Vorbereitungen seiner Feldzüge nach Sogdien und Indien gewesen, also sollte König Abgar VIII. doch wohl auch in der Lage sein Großkönig Mithridates V. von Edessa fernzuhalten!
"Hebt weiterhin Truppen aus und legt so viele Vorräte wie möglich an! Außerdem verstärkt die Stadtmauern von Edessa und holt die Landbevölkerung in den Schutz der städtischen Mauern, doch noch nicht sofort, sondern erst im Laufe des kommenden zweiten Monats. Das wäre es soweit." Für genauere Befehle und genauere Zahlen müsste der König noch einmal exakter die Unterlagen und öffentlichen Aufzeichnungen prüfen. Doch jetzt entließ er seine Generäle und seinen Bruder und machte sich auf den Weg in seine königliche Kanzlei. Immerhin galt es einen Brief an den römischen Imperator aufzusetzen. Jede Minute war kostbar, der Feind konnte schon in wenigen Monaten vor den Reichsgrenzen Osrhoenes auftauchen.