Beiträge von Aurelia Corvina

    Natürlich wollte Graecina es jetzt etwas genauer wissen. Alles andere hätte Corvina auch gewundert – wobei sie fast noch verwunderter war, dass es ihr bisher noch niemand anderes erzählt hatte. Aber wahrscheinlich hatte niemand Graecina Angst machen wollen, und das war nun wirklich kein Gesprächsthema für das Abendessen zwischendurch.

    Corvina nickte also und versuchte, sich an alles zu erinnern. "Ja, mehr oder weniger. Faustus war Tresvir Capitales und hatte als solcher wohl einige Bandenmitglieder in der Subura festgenommen. Er war mit seiner Frau ein Opfer an Iuno erbringen, für die damals noch bevorstehende Geburt. Sie waren gerade fertig und sind die Stufen des Tempels hinabgestiegen, als sich ein Mann mit einem Messer auf ihn stürzte."

    Es schüttelte Corvina allein bei der Vorstellung des ganzen. Sie selbst, damals auch hochschwanger, hatte davon ja erst zwei Tage später erfahren, weil niemand sie aufregen wollte. "Es war wohl ein verwandter eines der Festgenommenen. Einer der Sklaven warf sich wohl dazwischen und hat so schlimmeres verhindert. Aber Faustus hatte wirklich großes Glück, es hätte auch ganz anders ausgehen können." Corvina wollte sich das lieber gar nicht vorstellen.

    "Onkel Sextus hat seinen ganzen Einfluss geltend gemacht und beim Praefectus Urbi die sofortige Hinrichtung des Mannes erwirkt. Er wurde wohl noch am selben Abend knapp außerhalb von Rom gekreuzigt." Wenigstens die Vergeltung war so rasch und endgültig erfolgt, und bislang hatte niemand mehr gewagt, Hand an die Familie zu legen, was zumindest Hoffnung gab, dass es damit ausgestanden war.

    Corvina, die in Gesellschaft wohl sehr viel geduldiger war und duldsamer war als Graecina, hob nur leicht bei deren Ausführungen die Augenbrauen. Ganz so gräßlich fand sie es jetzt nicht, aber sie merkte, wie aufgeregt Graecina auch jetzt noch deshalb war. "Nunja, ich befürchte, die Unart, einem dinge zu erklären, die man schon weiß, haben die meisten Männer", versuchte Corvina es möglichst diplomatisch. Im Grunde genommen waren ihre Erfahrungen da, seit sie mit Nero verheiratet war, eher schlimmer geworden. Nicht in Bezug auf ihren Mann, bei dem sie sich in der Tat manchmal wünschte, er wäre auch ihr gegenüber mitunter bestimmender und richtungsweisender. Aber bei so vielen Abendessen in feiner Gesellschaft hatte sie sich schon sehr viele Dinge von Gästen oder Gastgebern erklären lassen, die sie entweder schon wusste, oder, noch schlimmer, die sie nicht interessierten. Und zu allen hatte sie gelächelt, wie die Höflichkeit es gebot.

    Sie fragte sich einen Augenblick, ob Graecina das so tun könnte, und damit einhergehend, welche Art von Mann es wohl wäre, der an ihrer Seite stehen könnte und passen würde. Onkel Sextus hatte da wohl eine größere Aufgabe, als ihm vermutlich bewusst war.

    Aber Graecina hatte recht, erst einmal war es egal und das hatte ja auch alles Zeit.


    "Ich fürchte, bei den Märkten und Schneidern bin ich keine wirkliche Hilfe. Aber Kara wird mit dir ganz sicher stundenlang sämtliche Foren mit dir abklappern und kennt jeden Schneider, der auch nur halbwegs tauglich ist. Ihr könntet auch Rufio mit dazunehmen, der mag so etwas auch sehr gerne und hat, wenn ich Kara glauben darf, ein Gespür für Mode." Corvina hatte das gar nicht. Sie trug am liebsten die Kleider, die sie selbst gewebt und genäht hatte. Die neueste Mode war ihr meistens nicht einmal annähernd bewusst. Aber da sie die Frau eines Senators war und Kinder hatte und nicht mehr die Aufmerksamkeit eines Mannes der höheren Gesellschaft zu erringen hatte, war das wohl nicht mehr ganz so wichtig wie für Graecina, die dafür wohl eine Leidenschaft hegte.

    "Aber bevor du allein losziehst, solltest du zumindest ein paar Sklaven als Beschützer mitnehmen. Die Märkte sind leider nicht ganz ungefährlich. Hier gibt es leider viel mehr kriminelle Personen als in Athen. Du musst dir vorstellen, vor wenigen Monaten noch hat doch tatsächlich jemand versucht, Rufio und seine Frau anzugreifen, auf offener Straße vor einem Tempel! Die beiden hatten fürchterliches Glück, dass ihr Custos Corporis den angriff abwehren konnte." Daher glaubte Corvina nicht, dass ihr Onkel Graecina wirklich ganz allein hinausgehen lassen würde.

    "War es denn wirklich so schlimm?" fragte Corvina nach, ernsthaft neugierig, was Graecinas Vater ihr denn für Heiratskandidaten vorgestellt hatte. Corvina hätte sich wohl nie getraut, ihrem Vater zu widersprechen, daher fragte sie sich natürlich schon, wie schlimm es denn gewesen sein musste, dass Graecina genau das getan hatte. Aber vielleicht war ihre junge Cousine auch einfach viel wilder als Corvina. Wenn irgendjemand Kara hätte verheiraten wollen – also, wenn sie keine Sklavin gewesen wäre – hätte derjenige vermutlich auch nur eine breite Wand an Widerstand dafür erwarten können. Aber Corvina erinnerte sich zumindest nicht daran, dass Graecina ähnlich streitlustig war. Aber gut, sie hatten sich auch lange nicht gesehen.


    "Aber wie gesagt, kannst du bei Onkel Sextus da zumindest insoweit beruhigt sein, dass er zumindest bemüht sein wird, deine Wünsche in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Er möchte wirklich nur das beste für die Familie, und eine unglückliche Ehe gehört da nicht dazu." Auch wenn ihr Onkel das wohl so nie aussprechen oder auch nur zugeben würde. Aber wenn man erstmal hinter die sehr harte und stachelige Schale geschaut hatte, traf man auf einen überraschend wohlwollenden Kern. Meistens zumindest.

    "Und ja, Rom ist wirklich sehr groß", stimmte Corvina fröhlich und leicht lachend zu. "Und du solltest die Zeit nutzen. Ich weiß nicht, ob du gern einkaufen gehst, aber Kara schwärmt von den Märkten und den schneidern hier in Rom. Und natürlich gibt es auch mit den Spielen und Theatern jede Menge Ablenkung, die man besuchen kann. Oh, oder es gibt einige wirklich sehr schöne, öffentliche Gärten, falls du Spazierengehen möchtest. Die Horti Luculli und die Horti Maecenatis sind wirklich wunderschön. Und natürlich die ganzen Tempel..." Corvina wusste ja wirklich nicht, wo die Interessen ihrer Cousine lagen. Aber Möglichkeiten bot Rom nun wirklich sehr, sehr viele.

    Über diese Frage musste Corvina erst nachdenken. Würde Onkel Sextus Graecina einen Mann andrehen, auch wenn sie nicht einverstanden war? Nun, ja. Aber auch nein. Sie nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, möglichst ehrlich zu antworten.

    "Nun, anfangs wollte ich meinen Mann nicht heiraten. Es war ein regelrechter Schock für mich, dass Onkel Sextus damals meine Verlobung mit Nero beschlossen hat und mich vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Ich brauchte erst einen Augenblick, um mich an den Gedanken zu gewöhnen, zu heiraten, und einige Treffen mit meinem Mann, ehe ich erkannte, dass er wirklich eine gute Wahl für mich war. Und noch einige Treffen mehr, bis ich erkannte, dass ich mich tatsächlich in ihn verliebte." Corvina lächelte bei der Erinnerung. Ja, ihre erste Zeit mit ihrem Mann, als sie einander kennenlernten, die war wohl nicht einfach. Und Nero war anfangs sicher weit verliebter in sie, als sie in ihn. Corvina hatte erst einige Zeit gebraucht, um zu verstehen, dass sie ihn nicht nur aus Pflicht heiraten sollte, sondern weil sie ihn tatsächlich gern hatte.

    "Und auch Faustus hat seine Frau deshalb geheiratet, weil Onkel Sextus ihm genau das aufgetragen hatte. Nicht gebeten, sondern aufgetragen. Aber nun liebt er Claudia Agrippina, und ich glaube doch, dass er es aufrichtig tut, und sie liebt ihn auch."

    Corvina blinzelte kurz, zuckte mit den Schultern und sah Graecina an. "Onkel Sextus wird ganz sicher einen Ehemann für dich suchen und von dir erwarten, dass du ihn auch heiratest. Und er wird da sicherlich nicht so einfach davon abzubringen sein wie dein Vater." Das waren jetzt vielleicht nicht gerade aufmunternde Neuigkeiten für Graecina. "Aber er wird sich dabei um jemanden bemühen, der passt. Den du gern hast, und den du lieben können wirst. Er will nicht, dass Familienmitglieder unglücklich sind." Corvina versuchte ein aufmunterndes Lächeln.

    "Vielleicht solltest du dich einmal umsehen, welche Kandidaten dir denn so vorschweben könnten für eine Ehe. Vielleicht könntest du Onkel Sextus bitten, jemanden einzuladen, oder ob du auf ein Fest in einer angesehenen Familie gehen kannst. Ich könnte auch Nero bitten, vielleicht mal eines zu veranstalten, so dass du mit anderen Personen ins Gespräch kommst. Ich meine, es gibt doch sicher ein paar nette, junge Patrizier. Und ich bin mir sicher, wenn du einen jungen Mann ins Auge fasst, der deinem stand auch entspricht, und den du Onkel Sextus daher nahelegst, wird er das sicher berücksichtigen." Was sollte er auch gegen einen jungen Patrizier einzuwenden haben?

    "Oh ja, das bin ich. Wirklich", konnte Corvina es nicht lassen, noch einmal minimal von ihrem Mann zu schwärmen, als Graecina sich für ihr Glück freute. "Nur leider hat er als Aedil so viel zu tun, dass er manchmal erst spät Abends heim kommt. Ich hoffe ja, dass er nach dem Amt erst einmal eine längere Pause macht und nicht weiter seine Karriere voranbringen will, zumindest für zwei oder drei Jahre, damit wir auch ein wenig mehr Zeit gemeinsam haben", gab sie dann aber doch zu. Auch jetzt war ihr Mann irgendwo unterwegs und ging seinen Aufgaben als Magistrat nach. Und er hatte auch noch mehr vor in seiner Amtszeit und hatte sogar einen Tiro unter seine Fittiche genommen. Alles eben kleine Dinge, die die Zeit zu fünft als Familie schrumpfen ließ.


    Graecina fragte sie nach Ratschlägen, und Corvina überlegte. "Ja, anfangs ist Rom wirklich so viel… größer einfach als die villa Rustika, und selbst Athen", pflichtete sie bei. Und ein leises Seufzen lag in ihrer Stimme, denn sie vermisste diese einfache und doch sehr unbeschwerte Zeit.

    "Wofür interessierst du dich denn? Ich denke, Kara wäre dir da eine weit größere Hilfe, aber sie hat vor ein paar Tagen erst auch einen Sohn entbunden und ist noch im Wochenbett." Corvina ging davon aus, dass Graecina sich an Kara erinnerte. Immerhin waren Kara und sie fast so etwas wie Zwillinge ihr ganzes Leben lang gewesen, und Kara war dabei der vorwitzige, mutige und lautere Zwilling gewesen. Und bei allem, was kein hochoffizieller Anlass war, war Kara stets an ihrer Seite zu finden gewesen.

    "Aber wenn du einen Ratschlag bezüglich Onkel Sextus haben möchtest: Lass dich von seiner schroffen Art nicht verunsichern. Eigentlich ist er wirklich sehr nett, und er lässt sich sogar ein wenig um den Finger wickeln, wenn man nur sachte genug vorgeht. Er versteckt das nur sehr gut, weil er nicht will, dass andere das wissen."

    Corvina winkte ab, als Graecina anfing, sich für die Kurzfristigkeit ihrer Reise zu entshculdigen. Ach, das hat Onkel Faustus Quarto sich von meinem Vater abgeguckt. Und als Onkel Secundus Ursus dann auch Faustus Rufio auf dieselbe Art und Weise nach Rom brachte, witterte dein Vater wohl seine Chance, es seinen Brüdern gleich zu tun.[/talk] Corvina lächelte. Ja, sie sollte keine Kritik an ihrem Vater üben, das gehörte sich nicht. Und sie war ihm ja dankbar dafür, dass er das damals getan hatte. Aber die Spontaneität, mit der die aurelischen Männer solche Entscheidungen für ihren Nachwuchs trafen, war manchmal doch erschreckend.

    "Ich hoffe, du hast die Schiffsreise gut überstanden. Ich glaube, bei meiner Überfahrt war ich danach mehrere Tage noch seekrank. Ich hoffe immer, dass mein Mann nicht eines Tages noch in eine Provinz versetzt wird, wo man mit dem Schiff hinfahren muss." Nein, Corvina war für weite Reisen wirklich nicht geschaffen. Sie war am liebsten tatsächlich in Ruhe zuhause und hatte Zeit für ihre Kinder.

    Und ein Strahlen überzog ihre Lippen, als Graecina sie auf die ansprach. "Lass mich dir erst die Kinder vorstellen", meinte sie freudig. "Das hier ist Lucius Tiberius Ahala. Die kleine Dame, die so eifrig versucht, zu krabbeln, ist Tiberia Phila, und der friedlich Schlummernde ist Cnaeus Tiberius Fulvus – nach Großvater Fulvus benannt", zeigte sie der Reihe nach auf ihr Ein und Alles. Und ja, für sie selbst waren alle drei ihre Kinder, wenngleich wohl auch Graecina bemerken würde, dass Phila einen etwas dunkleren Hautton aufwies als ihre Brüder und es vom Alter her schlicht auch nicht sein könnte, dass Aurelia sowohl Phila als auch Cnaeus geboren hatte. Es lag einfach zu wenig Abstand zwischen den beiden, als dass beide ihrem Schoß hätten entsprungen sein können.

    Corvina atmete einmal glücklich seufzend durch, ehe sie sich wieder an graecina wandte. "Und mir geht es wirklich gut. Das hier, das… es ist besser, als ich gehofft hätte, damals, als ich nach Rom geschickt worden war. Und mein Mann ist einfach wundervoll. Unsere Ehe wurde zwar aus politischen Motiven von Onkel Sextus so arrangiert, aber… er ist der wundervollste Mann, den ich mir nur hätte wünschen können, und ich liebe ihn wirklich sehr."

    Corvina schwelgte einen Moment, dann lachte sie entschuldigend. "Oh, Götter, ich muss mich furchtbar kitschig anhören", meinte sie kichernd. Ja, verliebte Menschen waren mitunter nur schwer erträglich, das wusste sie. Aber auch nach den Jahren, die ihre Ehe nun schon dauerte, war sie tatsächlich noch in ihren Mann verliebt.

    "Reden wir lieber von dir. Wie geht es dir? Hast du dich schon eingelebt?"

    Corvina war mit ihren Kindern im Oecus, wie so häufig, da der Raum freundlich und hell war und einen schönen Blick auf den Garten erlaubte, ohne dass man direkt in der Sonne war. Und gerade jetzt, wo es heißer wurde, versprach der große Raum eine angenehme Kühle im Vergleich zu allem anderen draußen. Lucius spielte begeistert mit Bauklötzen und versuchte, Phila so gut es ging davon fernzuhalten, was diese mit häufigen Geheule quittierte, bis er sich erbarmte und ihr einen Klotz überließ. Cnaeus wiederum schlief ganz friedlich auf einer Decke und schien von alledem nichts mitzubekommen. Das war wohl der Segen daran, noch ein Säugling zu sein. Je lauter es war, umso friedlicher schlummerte er.

    Corvina saß auf einer Liege und reichte bisweilen Bauklötze an oder auch etwas zu trinken. Auf dem nahe Tischchen standen Krüge mit dem süßlichen Hagebuttenaufguss, jetzt im Sommer reichhaltig gemischt mit allerlei frischen Beeren, die ihm ein fruchtig-säuerliches Aroma verliehen.


    Als Graecina hereingeführt wurde in den großen, offenen Raum, sah Corvina auf und lächelte. Sofort erhob sie sich und bahnte sich ihren Weg vorbei an den sorgsam aufgeschichteten Bauklötzen ihres Zweijährigen, um ihre Cousine richtig mit einem Küsschen auf die Wange zu begrüßen

    "Oh, Graecina, wie schön! Es hatte mir gar niemand gesagt, dass du nach Rom reisen wolltest, und jetzt bist du hier!" Ja, dass ihre Cousine plötzlich nach Rom geschickt worden war, war für Corvina durchaus eine Überraschung gewesen. Aber eine schöne. Corvina liebte ihre Familie.

    "Komm, setzen wir uns. Bei den Göttern, du bist so groß geworden!" Corvina war sich nicht sicher, wann sie Graecina zuletzt gesehen hatte, aber sie konnte nicht älter als zehn oder vielleicht zwölf gewesen sein, und jetzt war sie eine richtige, junge Dame.

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    Wie immer öffnete Argus die Porta. "Salve und willkommen in der Villa Tiberia. Was ist dein Anliegen?"

    Ja, vorhin war schon eine Sklavin dagewesen, um einen Besuch für die Domina anzukündigen. Da Argus aber nicht wusste, wie die Aurelia, die kommen wollte, aussah, fragte er lieber noch einmal nach.

    Corvina hörte sich die Erklärung ihres Mannes an und überlegte einen Moment. Ja, vielleicht war es wirklich der Preis, den die Göttin verlangt hatte. Corvina hatte noch nie erlebt, wie Hekate irgend etwas getan oder Zeichen gesandt hatte, aber nach dem, was sie wusste, konnte das sein. Es war zumindest plausibler als die anderen Gedanken, die Corvina kurz gehabt hatte, als sie das Kind das erste Mal gesehen hatte. Also nickte Corvina. "Das könnte sein, ja. Aber grausam und verwirrend ist es dennoch. Er war so zart...", sagte sie und weinte noch einmal.

    Nero hob sie wieder auf die Arme, obwohl Corvina sicher war, die kurze Strecke bis ins Nachbarzimmer auch laufen zu können. Aber sie ließ sich tragen und hatte das Gefühl, dass vor allen Dingen ihr Mann das gerade brauchte, um das Gefühl zu haben, auch etwas tun zu können an diesem anstrengenden Tag. Bei Anthousa und den Kindern angekommen aber wollte sie von seinem Arm, und nachdem er sie sanft zu Boden hatte gleiten lassen, tapste sie die Schritte zu dem Bett, in dem die drei Geschwister beieinander lagen. Sie streichelte Lucius über seine dicken, blonden Haare und fuhr Phila mit einem Finger sachte über die Wange. Sie bekam ganz krause Locken inzwischen, die am Kopf dunkel aussahen, aber je länger die Haare wurden, umso blonder sahen sie aus. Es würde ein Kampf werden, dieser Haare in späteren Jahren Herr werden zu wollen. Cnaeus Schmatzen ließ Corvinas Brüste schier bersten, und ein schmerzhaftes Ziehen machte sich in ihnen breit. Sie nahm ihn auf die Arme in gewohnter Bewegung und legte ihn an. Sofort drehte sich auch das Köpfchen und er fing an, zu trinken. Nach dem ersten, kurzen Moment des Schmerzes, der damit einherging, atmete Corvina einmal erleichtert durch, denn dann wurde es schön.

    Es störte sie nicht, dass sie nackt war, als sie sich einfach auf den bequemen Korbsessel im Raum setzte. Eigentlich wollte sie Anthousa auch ihre Nachtruhe gönnen, denn die Amme musste ja auch schlafen. Aber gerade brauchte Corvina noch diese unbedingte Nähe zu ihren Kindern. Die Gewissheit, dass es ihrer Familie gut ging. Sie fing ganz leise an, ein Lied zu summen, und über Cnaeus’ Kopf zu streicheln, während er trank.


    Und es dauerte nicht lange, bis sie so auf dem Stuhl einfach eingenickt war.

    Corvina leistete keinen Widerstand, als Nero sie in die Arme zog und schließlich hochnahm, um sie nach oben zu tragen. Der ganze Tag war so anstrengend gewesen. Nicht nur körperlich, sondern vor allen Dingen seelisch. Und das war viel schwerer zu verkraften als die reine Anstrengung es wäre. Aber Nero war lieb und so sanft und einfühlsam, dass Corvina loslassen und weinen konnte, bis zumindest ihre Seele sich etwas leichter fühlte, wenngleich ihr Körper jetzt umso schwerer wirkte.

    "Ich möchte noch Cnaeus sehen. Und Lucius, und Phila. Nur kurz… aber ich muss sehen, dass es ihnen gut geht", sagte sie leise, während ihr Mann sie ins Bett legte und sie in die Arme nahm. Ja, ihr war es sehr recht, wenn er bei ihr blieb, aber sie musste heute einmal ihre Kinder sehen. Sehen, dass sie atmeten und lebten. Dass es ihnen gut ging. Sie brauchte das jetzt einfach, selbst wenn die Kinder schon schlafen würden. Sie wollte sie einfach noch einmal sehen, sonst würde sie nicht in den schlaf finden.

    Trotzdem zog sie Neros Arm erst einmal enger um sich. "Das Kind… Karas Sohn, er...er war ganz hell… er hatte ganz sanfte, weiße Härchen und seine Haut…. Er war so zart und… ich verstehe nicht, wie das sein kann. Sein Bruder ist so, wie es zu erwarten war, aber der Erste… Ich verstehe das nicht", erzählte sie vielleicht etwas unzusammenhängend, aber sie musste darüber reden. Wenigstens dieses eine Mal musste sie darüber reden, da sie sicher war, dass Kara nie darüber würde reden wollen. Aber Corvina musste einfach davon sprechen. Wenigstens dieses eine Mal.

    Flamma fragte, ob er zu Flamma gehen konnte, und Corvina nickte, hielt ihn aber noch zurück. "Sie ist noch sehr schwach und ein wenig durcheinander. Ich weiß nicht, ob du wirklich mit ihr reden kannst." Und so ganz sicher, ob Kara das wollte, war Corvina auch nicht. Aber sie hoffte es, und sicher würde sie ihr Kind sehen wollen.

    "Wenn du es schaffst, sie in ihr Bett zu tragen, wäre das auch eine große Hilfe", fügte Corvina hinzu, denn das war der Hauptgrund, waurm sie ihn zu Kara lassen wollte. Sie selbst konnte Kara nicht die treppe hinauftragen, oder auch nur ihr in ein Gästezimmer helfen. Aber Kara brauchte Schlaf. Sie war so erschöpft und müde. Corvina war auch so müde und erschöpft und merkte, dass sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.


    Als sie Flamma schließlich gehen ließ, sah Corvina einmal zitternd und erschöpft zu ihrem Mann, der die Amphore noch immer hielt. Sie nahm einen tiefen Atemzug und schlug sich dann die Hände vor das Gesicht, um ein wenig zu weinen. Sie wollte ihn zwar nicht ängstigen, aber heute war ein sehr anstrengender Tag gewesen, der seinen Tribut einfach forderte.

    Corvina betrat den Raum und sah, wie sich Karas Kopf bewegte. "Du bist wach!" rief sie erleichtert und kam an ihre Seite. Ängstlich begutachtete sie ihre freundin, die eingefallenen Augen, die so leer gerade wirkten. "Alles ist gut, Kara. Ich bin hier. Wir ziehen dir jetzt ein Kleid an, und dann kann dein Mann dich nach oben tragen, damit du schlafen kannst, ja?" Corvina versuchte, mit Kara zu reden, aber war sich nicht ganz sicher, ob die wirklich wach war. Sie sah Tränen in ihren Augen, und streichelte sanft über ihre Wange.

    "Alles wird gut, ich versprech es dir. Mach dir keine Sorgen. Und du hast einen so wunderschönen Sohn", erzählte sie sanft weiter, während sie zusammen mit der Hebamme versuchte, Kara soweit hinzubiegen, dass sie ihr das Kleid über den Kopf ziehen konnten. Kara wirkte so entsetzlich schwach, half aber ungelenk mit, so dass schließlich das Kleid vielleicht nicht so elegant und perfekt saß, wie es eigentlich sollte. Aber es bedeckte alles wesentliche, und das war wohl das wichtigste.

    "Ich hole dann deinen Mann, ja?" sagte Corvina und bedachte Kara noch einmal mit einem sorgenvollen Blick. Irgend etwas war nicht in Ordnung, das fühlte Corvina. Aber Kara hatte eben auch ein Kind verloren, da durfte diese tiefe Traurigkeit auch in ihr wohnen, die sie fühlte. Zumindest hoffte Corvina, dass es nur das war. Und sie wollte alles dafür tun, dass es ihrer Freundin bald besser ging.


    Sie löste sich sanft von Kara, die etwas murmelte, was Corvina nicht verstand, und ging wieder hinaus, wo sie hoffte, dass auch die Männer so weit wären.

    Die Männer waren nicht mehr direkt vor der Tür, was Corvina kurz verwunderte, ehe sie sie in der Nähe entdeckte. Als die beiden sie sahen, standen sie auf. Corvina fand die Szene irgendwie unwirklich. Flamma mit dem lebendigen, schlafenden Kind auf dem Arm, und sie mit dem toten, in ein Tuch eingeschlagenen Bruder. Eine kurze Träne rollte ihr über die Wange, aber sie riss sich zusammen. Das war jetzt nicht der passende Zeitpunkt, um die Nerven zu verlieren.

    Aber für den Moment konnte sie nicht sprechen, da sie ihrer Stimme nicht vertraute. Und so nickte sie nur zu Neros Ausführungen und sah noch einmal auf das eingeschlagene Bündel auf ihrem arm. Es war so verdammt leicht. Viel zu leicht. Und trotzdem fiel es ihr so schwer.

    "Hilfst du mir mit der Amphore?" bat sie mit gebrochener Stimme ihren Mann und war irgendwie froh, dass Flamma sich nicht weiter für den toten Säugling interessierte. So, wie sie ihn eingehüllt hatte, konnte keiner der Männer ihn sehen, und so würde Corvina auch keine fragen beantworten müssen, deren Antworten sie ja auch nicht kannte. Das war wenigstens ein kleiner Trost, auch wenn es sie irgendwie gleichzeitig verstörte. Wäre das ihr Kind, sie würde alles wissen wollen, auch wenn es tot war. Sie würde sich jedes feine Härchen einprägen wollen, damit sie es niemals vergessen würde. Selbst bei diesem Kind, das nicht ihr eigenes war, hatte sie es lange angesehen und mit Liebe Abschied genommen.


    Sie wartete also, bis Nero die Amphore geöffnet hatte, ehe sie so vorsichtig und behutsam wie irgendwie möglich den toten Säugling hineingleiten ließ. Es kam ihr so falsch vor, das alles hier. Und es fiel ihr schwer, das Bündel letztendlich loszulassen. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln, ehe sie vorsichtig den Deckel auf die Amphore legte und das dünne Band, das ihn hielt, darum festband. Sie zitterte, als es getan war, und nahm einen tiefen Atemzug.

    Stumm nickte sie ihrem Mann zu, in stummer Verständigung, dass er dem Kind eine würdige Bestattung zukommen ließ. Sie wusste nicht, ob die Tiberier in einem solchen Fall einen bestimmten Ort im Haus hatten, wo solch eine Amphore dann unter dem Fußboden verschwand. Sie wollte es vielleicht auch besser nicht wissen.


    Stattdessen nahm sie sich das Kleid und ging wieder zurück in den Raum, wo die Hebamme hoffentlich soweit fertig mit Kara war, damit sie sie ankleiden konnten.

    Corvina nickte nur stumm auf seine Fragen. Sie wollte nicht so viel vom Tod reden, damit dieser sich nicht noch ermutigt fühlte, noch mehr zu holen, als er genommen hatte. Und sie war froh, dass er nicht weitere fragen zu dem Kind stellte, sondern es schnell bestatten wollte. Corvina würde ganz sicher über ihre Eindrücke und Gedanken später mit ihrem Mann noch sprechen, weil sie darüber sprechen musste, aber sie wollte das nicht vor Flamma machen, damit dieser keine falschen Gedanken bekommen würde. So viel Treue schuldete sie Kara in jedem Fall. Sogar mehr.


    Bei seiner letzten frage zögerte Corvina und sah zurück zu der geschlossenen Tür. Sie wusste, wie es in dem Raum dahinter aussah, und sie wusste, dass Kara sicher nicht wollte, dass Flamma sie so sehen würde.

    "Wir müssen sie noch waschen, und… es wäre gut, wenn ihr mir eines ihrer Kleider bringt, damit sie sich anziehen kann." Dass das alte Kleid nicht mehr geeignet war, angezogen zu werden, erwähnte sie nicht. Wenn die Männer nicht ganz dumm waren, würden sie das wohl ohnehin wissen. "Und der Raum muss auch gesäubert werden. Es wäre gut, wenn du solange deinen Sohn nehmen könntest." Die ersten Stunden nach einer Geburt brauchten die kleinen nichts. Die ersten Tage tranken sie auch so wenig, dass es da nicht sofort darauf ankam. Solange Kara ohnmächtig war, ging ohnehin nichts wirklich. Aber Corvina wollte wenigstens, dass sie sauber und angezogen war, ehe sie erlauben würde, dass jemand Kara in ein Bett trug oder so etwas.


    Da die Männer nun ihre Anweisungen hatten, löste sich Corvina auch wieder und ging zurück in das Zimmer, immer darauf bedacht, die Tür nur soweit zu öffnen, wie es unbedingt nötig war. Drinnen war die Hebamme damit fertig, Kara zu versorgen, und hatte die Nachgeburt schon in ein Tuch gewickelt. "Kannst du Kara waschen und den Boden säubern? Ich kümmere mich um das Kind", sagte Corvina leise, und die Hebamme nickte. Sie fing damit an, Karas leblos wirkenden Körper von Schweiß, Blut und sonstigem Unrat vorsichtig zu säubern, während Corvina sich nach dem leblosen, kleinen Körper bückte. Das Kind war so winzig. Es wirkte fast wie eine Puppe. Und es fühlte sich so leicht an. Corvina unterdrückte ein Schluchzen und trug es zu der flachen Schale, in der zuvor schon sein Bruder gebadet worden war. Corvina schüttete das alte Wasser aus und nahm frisches, warmes Wasser. Ganz vorsichtig wusch sie das kleine Kind, genauso vorsichtig, als wäre es lebendig, mit denselben sanften Bewegungen. Sie wusch alles an halb getrocknetem Blut von ihm, achtete auf diese winzigen Fingerchen und noch kleineren Zehen, säuberte die Haare. Sie schlug es in ein warmes, weiches Tuch und trocknete es ganz vorsichtig ab. Es war so winzig klein. So zart. Und die helle Haut, die blau zu schimmern anfing, wirkte wie Papyrus.

    Einen langen Augenblick lang wiegte Corvina das Kind einfach in den Armen, dann gab sie ihm einen sanften Kuss auf die kalte Stirn, ehe es fest in die Decke einschlug. Zuletzt war nur noch das Köpfchen frei, und mit einem langen, zitternden Atemzug nahm Corvina den Zipfel des Tuches und zog ihn über den Kopf und das Gesicht, so dass alles eingehüllt war. Sie sah noch einmal nach Kara, drückte ihr sanft die Hand, aber sie schlief noch immer. "Ich kümmere mich um deinen Sohn", flüsterte sie ihr leise zu und wartete einen Moment, ob sie nicht doch aufwachen würde. Aber nein, Kara war noch immer ohnmächtig. Corvina drückte noch einmal ihre Hand, ehe sie sich der Tür zuwandte.


    Wie schon zuvor schlüpfte sie vorsichtig und leise hinaus, und hoffte nur, dass die Männer unterdessen sich um ein Kleid für Kara und um die Amphore und vor allen Dingen um den Säugling gekümmert hatten.

    "Vorsicht mit dem Köpfchen", flüsterte Corvina leise, als sie Flamma das Kind in die Arme legte, und passte auf, bis Flamma ihn richtig hatte. Neugeborene wirkten immer so winzig und zerbrechlich. Und gerade in Flammas Armen sah dieses Kind noch viel winziger aus. Kaum vorstellbar, dass aus etwas so kleinem mal ein großer Mann werden würde.

    Flamma fragte flüsternd nach Kara, und auch Nero fragte nach dem anderen Kind. Corvina schluckte und trat wieder einen Schritt zurück. "Kara lebt. Sie… ist nach der Geburt ohnmächtig geworden, aber die Hebamme meint, dass das nur an der Erschöpfung liegt und wir uns keine Sorgen machen sollen." Dass Corvina sich dennoch Sorgen machte, konnte sie wohl nicht verheimlichen. Dazu war sie selbst viel, viel zu müde.

    Aber eigentlich betraf diese Sorge weniger Karas Überleben, auch wenn das natürlich mit hinein spielte. Aber Kara war stark, eine Kämpferin. Sie hatte ihr Leben so ungünstig begonnen, wie es nur möglich war. So zart und zerbrechlich wie ihr Sohn, ausgesetzt, und dennoch lebte sie. Ja, sie würde es sicher schaffen. Die Sorge galt vielmehr der Reaktion von Flamma wegen dem zweiten Kind. Und Corvina wollte nicht, dass er wütend auf Kara war. Sie selbst konnte ja nicht erklären, was passiert war, denn Kara war sich immer sicher gewesen, Flammas Kind in sich zu tragen. Und Corvina wollte die Freundin da auch vor falschen Anschuldigungen schützen.

    "Ja, es gab einen Zwilling. Das erste Kind… er hat bei der Geburt nicht geatmet. Er hat seine Augen nie geöffnet." sie sah immer noch diese weißblonden Härchen vor sich und diese Haut, so hell wie der Mond. Sie blinzelte die aufkommenden Tränen weg.

    "Ich würde dann auch wieder hineingehen und es noch waschen und einwickeln, damit… damit wir es in der Amphore bestatten können. Ich weiß nicht, ob wir damit warten sollten, bis Kara wach ist, oder..." Sie wusste es wirklich nicht, sie wusste nur, dass so etwas nicht zu lange dauern durfte. Bald schon würde der kleine Körper blau werden und Fliegen anlocken. Sie wollte nicht, dass das passierte. Es sollte vorher sauber und sicher sein und in Würde bestattet werden.

    Corvina hielt Karas Hand, als die noch einmal presste, und versuchte, nicht auf das tote Kind im Raum zu achten. Es dauerte auch nicht lang, und auch das zweite Kind war da. Und es bewegte sich, bewegte unkoordiniert die Arme und fing auch gleich an zu weinen und mit seinem zarten Stimmchen den Raum zu erfüllen. "Du hast es geschafft, Kara", sagte Corvina freudig, und auch die Hebamme fing an, mit dem Neugeborenen zu reden und legte es noch blutverschmiert auf Karas Bauch. Corvina legte eine Hand zur Unterstützung dazu und achtete nicht auf das Blut und das alles, sondern nur auf dieses kleine, quäkende Wesen. Kleine, schwarze Haare kräuselten sich an dem Kopf, die Augen waren noch fest zugekniffen, die Händchen zu Fäusten geballt, und ganz offenbar hatte es schlechte Laune.

    Corvina sah einmal hinunter, sie hatte das Geschlecht nicht gesehen, und wie alle Neugeborenen lag das Kind zusammengezogen auf dem Bauch, so dass sie es nicht sehen konnte. Sie sah fragend zu der Hebamme. "Du hast einen sehr hübschen Jungen geboren", sagte sie, während sie die Nabelschnur durchtrennte.

    "Hast du gehört, Kara? Du hast einen Sohn!" sagte sie freudig und schaute zu ihr, als ihr Kopf nach hinten wegsackte. "Kara? KARA?!" rief sie voller Angst. Corvina wusste gar nicht, wohin mit ihren Händen, denn sie konnte das Kind nicht loslassen, wollte aber Kara gleichzeitig wachrütteln.

    "Keine Angst, Domina, sie ist nur ohnmächtig. Schau, sie atmet", sagte die Hebamme abgeklärt, während sie mit den Händen die Nachgeburt aus Kara löste und sie herausholte.

    Corvina schaute noch immer recht verzweifelt, versuchte aber, sich zu beruhigen. Vorsichtig nahm sie das Kind auf und ging damit zu der flachen Schale, die bereit stand. Mit einer Hand goss sie warmes Wasser hinein und badete dann ganz vorsichtig den Jungen, dem das ganz und gar nicht gefiel. Er schrie und weinte und wedelte weiter mit Händchen und Füßchen. Aber es musste sein, das Blut und der Schleim mussten herunter. Als Corvina fertig war, wickelte sie ihn in ein weiches, weißes Tuch, um ihn abzutrocknen und zu wärmen und drehte sich zu Kara um. Die war immer noch ohnmächtig und wurde von der Hebamme gerade genäht.

    Kurz huschte Corvinas Blick zu dem Kind am Boden. Irgendwie sah es fast grau aus, wie es da so tot lag. Auch das sollte gewaschen und in ein Tuch gewickelt werden. Aber Corvina hatte nur zwei Hände, und die Hebamme war beschäftigt, sich um Kara zu kümmern. Einen Moment stand sie zweifelnd da, dann holte sie tief Luft und ging zur Tür.


    Vorsichtig öffnete sie sie, nur ein wenig, damit niemand hereinschauen konnte. Corvina wusste, dass Kara das nicht wollen würde. Sie selber war ja schon verschwitzt und hatte einige Flecken auf dem Kleid. Nein, Kara würde lieber sterben, als dass sie jemand so sehen würde. Also achtete Corvina darauf, dass niemand es tat, als sie hinausschlüpfte mit dem kleinen Bündel in den Armen.


    Draußen waren auch sofort Flamma und Nero. Corvina schenkte ihm ein sehr erschöpftes, kleines Lächeln, ehe sie sich an Flamma wandte. "Du hast einen Sohn", sagte sie leise. Das Kind war gerade eben ruhig und schien zu schlafen, und sie wollte ihn nicht wecken. Ganz vorsichtig streckte sie die Arme so, dass Flamma sein Kind in die Arme nehmen konnte, wenn er es wollte.

    Sie sah dann kurz zu ihrem Mann. "Wir brauchen noch eine kleine Amphore", sagte sie ganz leise, und ihr Mann würde wissen, was das bedeutete. Neugeborene, die bei der Geburt starben, wurden nicht mit Pomp und Gloria verbrannt. Nein, man wusch sie, wickelte sie ein und tat sie in eine kleine Amphore, die man dann meistens in den Zwischenraum unter dem Fußboden beerdigte, oder in der Nähe des Hauses. Es gab so viele Kinder, die starben, ehe sie einen Namen erhielten, für jedes eine Beerdigung abzuhalten, wäre zu viel. Und für sie galten auch nicht die Beschränkungen, dass Tote nur außerhalb der Stadt beerdigt werden durften.

    Die Geburt zog sich sehr lange. Corvina hatte zunehmend Sorge, dass Kara sterben könnte. Irgend etwas in ihr sperrte sich dagegen, ihr Kind zu bekommen, egal, wie sehr Corvina auf sie auch einredete und versuchte, ihr die Angst zu nehmen.

    Zwischendrin musste Corvina drei Mal hinaus gehen, um Cnaeus zu stillen. Anthousa stillte ihn zwar sicher auch dazwischen, aber Corvinas Brüste explodierten sonst noch. Und sie erwischte sich dabei, diese kurzen Momente der Ruhe zu genießen, weil auch in ihr die Angst wuchs, was im Geburtszimmer passierte. Aber jedes Mal kam sie wieder zurück, bereit, ihrer Freundin etwas Stärke zu geben und ihr zur Seite zu stehen.


    Aber es wurde immer später, sogar Nacht. Corvina zündete einige Öllampen an, damit sie noch Licht hatten, auch wenn der Vollmond sehr hell durch das kleine Fenster schien. Und endlich ging es voran. Corvina hielt Karas Hand, während die presste und presste. Als das Kind endlich da war, zögerte die Hebamme, und auch Corvina sackte das Herz in die Untertunika, als sie sich leicht streckte und hinunterschaute. Das Kind bewegte sich nicht und atmete nicht. Es war tot, noch ehe es den ersten Atemzug gemacht hatte.

    "Oh, Kara...", sagte Corvina sanft, ehe sie einen zweiten Blick auf das Kind warf und stutzte. Es war so hell. So wahnsinnig hell. Sie verstand das nicht und irgend etwas nagte an ihrem Verstand. Etwas, das sie sehen sollte. Etwas, das sie wissen musste. Etwas, das nicht sein konnte und nicht stimmen konnte. Etwas, das Vertrauen erschüttern wollte und Dinge in Zweifel ziehen wollte, die sie nicht anzweifelte.

    Aber das war vergessen, als Kara wieder anfing, zu stöhnen und zu pressen. Ein zweites Kind? Zwillinge? Corvina hielt Karas Hand und versuchte, nicht zu dem Kind hinüber zu sehen, das so tot und so hell auf dem Boden lag.

    Corvina sah die Verzweiflung, die Kara erfasste, und es brach ihr beinahe das Herz. Sie würde so gern verstehen, was in ihr vorging, und wie sie ihr helfen konnte. Aber sie verstand zumindest, dass Kara nicht wollte, dass jemand sie so sah. Da war dieser Raum hier aber völlig ungeeignet dafür. Und ein paar Menschen würden sie sehen müssen.

    "Anthousa!" brüllte Corvina, und als die einäugige Amme kam, nickte Corvina kurz in Richtung der Wiege. "Pass auf Cnaeus bitte auf" bat sie und stützte dann weiter Kara.

    "Wir gehen ins Geburtszimmer, ja? Dann muss niemand mehr reinkommen. Nur du, ich und die Hebamme, ja?"

    Auch, wenn Kara nicht gewollt hätte, das musste sein, und Corvina stützte sie und half ihr durch die Gänge der Villa möglichst schnell, um ihrer Freundin und Schwester den einen Wunsch zu erfüllen, so nicht von allen angestarrt zu werden. Trotzdem kam ihr der Weg unendlich weit vor und sie war froh, als sie endlich dort angelangt waren. Corvina half Kara eben noch, sich festzuhalten an dem Geburtsstuhl, ehe sie sich wieder zum Flur wandte und den neugierigen Sklaven dann Befehle gab. Sie würden Wasser und Tücher brauchen, und Weihrauch zum entzünden. Und Corvina stellte mehr als klar, dass niemand, und zwar wirklich niemand dieses Zimmer betreten durfte, wenn sie denjenigen nicht dazu aufforderte. Egal, was auch passieren würde.

    Die letzten Wochen waren angespannt gewesen. Corvina merkte, wie es in Kara arbeitete, wie sie verzweifelt gegen etwas kämpfte, was sie nicht greifen und benennen konnte, und wie die Angst sich nach und nach in ihre Freundin hineinfraß. Corvina wollte ihr so gerne helfen, wollte ihr so gerne beiseite stehen und ihr die Angst nehmen, oder wenn das nicht ging, sie wenigstens teilen. Aber Kara ließ niemanden an sich heran, vor allen Dingen nicht ihren eigenen Mann. Und auch Corvina wurde nur dann geduldet, wenn sie nicht zu sehr auf Kara drängte. Und es war unendlich schwer für Corvina, ihre Schwester so leiden zu sehen und nichts tun zu können. Aber sie bemühte sich, wenigstens für sie da zu sein.


    Sie waren gerade in Corvinas Nähzimmer. Der kleine Cnaeus schlief friedlich in seiner kleinen Holzwiege, die Corvina nur immer leicht mit dem Fuß antippen musste, damit sie sich bewegte. Corvina summte leise vor sich hin, während sie an einer kleinen Tunika für ihn nähte, als Kara mit einem Mal noch heftiger schnaufte als zuvor und sich an der Wand abstützen musste. Und kurz darauf sah Corvina auch schon die ihr doch recht bekannte Pfütze auf dem Boden entstehen und der süßliche Geruch von fruchtwasser verbreitete sich.

    "Oh, Kara, warum sagst du nicht, dass du Wehen hast?", sagte sie erschrocken und eilte zu ihrer Seite, um sie zu stützen. Auch wenn Kara gerade keine Berührungen wollte, aber bei einer Geburt würde sie die über sich ergehen lassen müssen.

    Corvina öffnete auch gleich die Tür und rief den Sklaven zu: "Wir brauchen die Hebamme!" Mehr musste sie nicht sagen, zumindest hoffte sie das. So ein Ruf kam ja nicht, wenn es nicht ernst war.