Corvina hielt Karas Hand, als die noch einmal presste, und versuchte,
nicht auf das tote Kind im Raum zu achten. Es dauerte auch nicht
lang, und auch das zweite Kind war da. Und es bewegte sich, bewegte
unkoordiniert die Arme und fing auch gleich an zu weinen und mit
seinem zarten Stimmchen den Raum zu erfüllen. "Du hast es
geschafft, Kara", sagte Corvina freudig, und auch die Hebamme
fing an, mit dem Neugeborenen zu reden und legte es noch
blutverschmiert auf Karas Bauch. Corvina legte eine Hand zur
Unterstützung dazu und achtete nicht auf das Blut und das alles,
sondern nur auf dieses kleine, quäkende Wesen. Kleine, schwarze
Haare kräuselten sich an dem Kopf, die Augen waren noch fest
zugekniffen, die Händchen zu Fäusten geballt, und ganz offenbar
hatte es schlechte Laune.
Corvina sah einmal
hinunter, sie hatte das Geschlecht nicht gesehen, und wie alle
Neugeborenen lag das Kind zusammengezogen auf dem Bauch, so dass sie
es nicht sehen konnte. Sie sah fragend zu der Hebamme. "Du hast
einen sehr hübschen Jungen geboren", sagte sie, während sie
die Nabelschnur durchtrennte.
"Hast du
gehört, Kara? Du hast einen Sohn!" sagte sie freudig und
schaute zu ihr, als ihr Kopf nach hinten wegsackte. "Kara?
KARA?!" rief sie voller Angst. Corvina wusste gar nicht, wohin
mit ihren Händen, denn sie konnte das Kind nicht loslassen, wollte
aber Kara gleichzeitig wachrütteln.
"Keine Angst,
Domina, sie ist nur ohnmächtig. Schau, sie atmet", sagte die
Hebamme abgeklärt, während sie mit den Händen die Nachgeburt aus
Kara löste und sie herausholte.
Corvina schaute noch
immer recht verzweifelt, versuchte aber, sich zu beruhigen.
Vorsichtig nahm sie das Kind auf und ging damit zu der flachen
Schale, die bereit stand. Mit einer Hand goss sie warmes Wasser
hinein und badete dann ganz vorsichtig den Jungen, dem das ganz und
gar nicht gefiel. Er schrie und weinte und wedelte weiter mit
Händchen und Füßchen. Aber es musste sein, das Blut und der
Schleim mussten herunter. Als Corvina fertig war, wickelte sie ihn in
ein weiches, weißes Tuch, um ihn abzutrocknen und zu wärmen und
drehte sich zu Kara um. Die war immer noch ohnmächtig und wurde von
der Hebamme gerade genäht.
Kurz huschte
Corvinas Blick zu dem Kind am Boden. Irgendwie sah es fast grau aus,
wie es da so tot lag. Auch das sollte gewaschen und in ein Tuch
gewickelt werden. Aber Corvina hatte nur zwei Hände, und die Hebamme
war beschäftigt, sich um Kara zu kümmern. Einen Moment stand sie
zweifelnd da, dann holte sie tief Luft und ging zur Tür.
Vorsichtig öffnete
sie sie, nur ein wenig, damit niemand hereinschauen konnte. Corvina
wusste, dass Kara das nicht wollen würde. Sie selber war ja schon
verschwitzt und hatte einige Flecken auf dem Kleid. Nein, Kara würde
lieber sterben, als dass sie jemand so sehen würde. Also achtete
Corvina darauf, dass niemand es tat, als sie hinausschlüpfte mit dem
kleinen Bündel in den Armen.
Draußen waren auch
sofort Flamma und Nero. Corvina schenkte ihm ein sehr erschöpftes,
kleines Lächeln, ehe sie sich an Flamma wandte. "Du hast einen
Sohn", sagte sie leise. Das Kind war gerade eben ruhig und
schien zu schlafen, und sie wollte ihn nicht wecken. Ganz vorsichtig
streckte sie die Arme so, dass Flamma sein Kind in die Arme nehmen
konnte, wenn er es wollte.
Sie sah dann kurz zu
ihrem Mann. "Wir brauchen noch eine kleine Amphore", sagte
sie ganz leise, und ihr Mann würde wissen, was das bedeutete.
Neugeborene, die bei der Geburt starben, wurden nicht mit Pomp und
Gloria verbrannt. Nein, man wusch sie, wickelte sie ein und tat sie
in eine kleine Amphore, die man dann meistens in den Zwischenraum
unter dem Fußboden beerdigte, oder in der Nähe des Hauses. Es gab
so viele Kinder, die starben, ehe sie einen Namen erhielten, für
jedes eine Beerdigung abzuhalten, wäre zu viel. Und für sie galten
auch nicht die Beschränkungen, dass Tote nur außerhalb der Stadt
beerdigt werden durften.