Eine Schulstunde im Feuermachen

  • Flora war nun schon eine ganze Weile bei den Vestalinnen. Anfangs hatte sie noch häufig geweint und sich nach ihrer Mutter und dem Vater gesehnt. Die Nachricht, dass die beiden aufs Land gezogen waren und sie allein gelassen hatten, war ein herber Rückschlag gewesen. Aber inzwischen waren die rebellischen oder verheulten Phasen seltener geworden und sie hatte sich an den Tagesablauf im Atrium Vestae einigermaßen gewöhnt. Sie verstand bei den meisten Dingen zwar immer noch nicht, warum die SO gemacht wurden und nicht anders, aber inzwischen akzeptierte sie, dass man das halt einfach so machte. Meistens war das in Variationen ohnehin die Antwort: Die Vestalinnen machten Dinge eben einfach anders als der Rest. Manchmal glaubte Flora da schon, dass Vesta schon eine sehr seltsame Göttin sein musste, wenn sie so komisches Zeug verlangte.


    Gut, manches war auch ziemlich lustig. Flora hatte sich sehr anstrengen müssen, bei den Argei möglichst würdevoll zu bleiben, als sie Strohpuppen in den Tiber geworfen hatten. Aber das war ja auch einfach spaßig gewesen! Sie hatte zwar auch da nicht verstanden, warum man das so machte, aber es hatte wenigstens Spaß gemacht. Gut, ohne das ganze Brimborium drum herum wäre es noch lustiger gewesen. Aber es war zumindest mal was anderes als Feuer hüten und Wasser holen.


    Und auch heute würden sie was anders machen als der Rest der Menschen. Feuer machen. Flora hatte noch keine Ahnung, was genau die Vestalinnen diesmal anders machten als normale Menschen, aber sie war sich sicher, dass auch diesmal die Antwort nach dem Warum wäre: Weil wir das so machen.

    Aber wenigstens durfte sie dafür einigermaßen bequeme Sachen tragen und brauchte den Schleier nicht, denn heute waren sie unter sich im Atrium und auf dem Innenhof und es stand nicht zu befürchten, dass ein Pontifex oder der Kaiser vorbeikäme und deshalb schimpfen würde. Nur ihre Haare waren zu dem fürchterlich unbequemen Tutulus wie jeden Tag, seit ihre Haare nachgewachsen waren. Flora hatte auch da aufgegeben, sich darüber zu beschweren, aber das hieß nicht, dass sie die Frisur deshalb auf einmal bequem fand.

    Und so fand sie sich auf dem Innenhof des Atriums ein und wartete schon mal, was da wohl gleich folgen würde.

  • Es war die gestrenge Vibia Perpetua, die heute unterrichtete und nicht die gutmütige Antonia Libella. Sie hatte einen Korb mitgebracht, in dem unter mehreren Schichten Leintuch irgendein geheimnisvoller Gegenstand lag.

    Virgo Vibia war grundsätzlich der Ansicht, dass früher die Vestalinnenschülerinnen fügsamer, fleißiger und nun ja, römischer gewesen waren als die heutige Generation, aber Fabia Flora hatte schon einmal etwas richtig gemacht: Das kleine Mädchen war nämlich pünktlich.

    "Discipula Valeria müsste auch schon anwesend sein. Aber gut, da du schon hier bist, steigen wir doch gleich ein in den Unterricht, Discipula Fabia. ", sprach sie und drehte sich um, dann wickelte sie einen tellergroßen Gegenstand aus den Tüchern. Er sah aus wie eine nach innen gewölbte Schale aus Messing. Er glänzte golden:

    "Das Original wird im Penus Vestae zusammen mit anderen Insignien aufbewahrt.", erläuterte sie: "Zum Üben gibt es diese ganz brauchbare Nachbildung. Erinnerst du dich daran, was wir damit tun... Und zähle doch gleich die Staatsinsignien auf, die hinter dem Vorhang aufbewahrt werden, die dir auffallen."

  • Valeria Maximilla kam aus der Bäckerei, wo sie mit Hortensia, einer der Aedituae, noch aufgeräumt hatte, dann hatte sie aber Mehlflecken auf ihrer Tunika entdeckt und war so schnell wie sie konnte, in ihr Cubiculum gelaufen, um sich umzuziehen. Die Sachen hatte sie liegen lassen, fleißige Hände würden sie ordnen, aber obwohl Maximilla gelaufen war, kam sie doch etwas zu spät zum Unterricht - zumindest hatte ihre Klepshydra, die als Storch gestaltet war, der Wassertropfen mit seinem Schnabel aufnahm, angezeigt, dass Virgo Vibia bestimmt schon mit der Lektion angefangen hatte.

    Da sie nicht rennen sollten, war Maxi auf dem letzten Teil der Strecke langsamer geworden. In einer ordentlichen weißen Tunika, vorschriftsmäßig die Haare zu einem Tutulus hochgebunden und verflochten, kam sie an und stellte sich neben Fabia Flora, die schon da war:

    "Salve Virgo Vibia, entschuldige meine Verspätung bitte.", sagte sie und bemühte sich, nicht geräuschvoll auszuatmen. Sie sah die Schale in der Hand der Vestalin. Sie sah aus wie eine Obstschale, doch das war sie natürlich nicht. Die Virgo Vestalis Maxima entzündete an den Kalenden des März mit einem ähnlichen Spiegel Vestas Flamme neu. Einen griechischen Namen hatte das Teil: Pyreia.


    Aber Virgo Vibia gönnte ihr eine Verschnaufpause, denn sie fragte erst einmal die kleine Fabia, was sie denn so wusste.

  • Oh nein, Vibia Perpetua! Flora hatte vor der älteren Vestalin ehrlicherweise ein wenig Angst, seit die ihr damals die Haare abgeschnitten hatte. Und auch sonst war Vibia Perpetua eher streng und wirkte auf Flora unnahbar, und ein oder zwei Mal hatte sie Flora auch gezüchtigt. Antonia Libella war Flora da tausendmal lieber, bei der durfte man auch mal blödeln und Quatsch machen.

    Hilfesuchend sah sie sich einmal um, ob Valeria Maximilla nicht doch gerade käme. Sie wollte nicht allein mit Vibia Perpetua bleiben, erst recht nicht, wenn sie ausgefragt wurde. Maximilla war manchmal so lieb und flüsterte ihr die richtige Antwort zu, aber jetzt so ganz alleine musste sie alles selber wissen. Und sie hatte doch keine Ahnung.

    "Ähm, wir machen damit Feuer", sagte Flora etwas piepsig, ohne dass sie es wirklich wusste. Aber heute sollte es ums Feuermachen gehen, also war es zumindest naheliegend.

    Beim Wort Staatsinsignien stand Flora dann aber doch einen Moment lang der Mund etwas undamenhaft offen. Sie sollte ALLE aufzählen? Oh je. Sie versuchte, zum Tempel zu schauen, aber da sah sie von hier aus natürlich nicht, was da alles drinnen war. "Staatsinsignien…. "Wie hieß das Ding doch gleich? Plutonium? "Ähm, Pa…lantir? Nein, Palladium!" Ja, so hieß das Ding. "Ähm… die Testamente?" Waren das Staatsinsignien?"Ähm, und die zwei Typen mit der Lanze..." Ja, da war so eine Statue im Tempel. Aber Flora hatte vergessen, wer das war.

    Sie ahnte schon, dass Vibia Perpetua eher weniger amüsiert wäre.

    Zum Glück kam da Valeria Maximilla auch und lenkte so kurz die Aufmerksamkeit von Flora ab. "Hilf mir", fiepste Flora leise. Sie hatte doch wirklich keine Ahnung, wie die Insignien alle richtig hießen!

  • Valeria Maximilla, die gerade froh gewesen war, dass die Frage nicht an sie ging, nickte Flora leicht zu und fuhr mit lauter Stimme fort:


    „Ja, also Fabi.....Discipula Fabia meinte natürlich Castor und Pollux, das sind die Penaten Romas. Sie werden mit Lanzen dargestellt. Und genauso ein Teil wie das, was du in der Hand trägst, die originale Pyreia, wird auch aufbewahrt. Und was der göttliche Aeneas sonst noch aus dem Haus retten konnte, als Troja abbrannte.“
    Sie fragte sich einen Moment lang, wie er all die schweren Sachen aus einem brennenden Haus transportiert hatte. Er trug doch seinen greisen Vater Anchises auf dem Rücken, hatte sie gelesen. Das war sehr nett von ihm. Sie fragte sich, wen sie auf den Rücken nehmen würde, falls es mal in der Aedes brannte, was die gütige Vesta verhüten mochte.

  • Virgo Vibia lächelte einen Moment und sagte: "Oh, eure Antworten sind durchaus in Ordnung….",

    und noch bevor sich die Schülerinnen in Lob sonnen konnten, verkehrte sie es sogleich in das Gegenteil:


    "Für gewöhnliche Mädchen hier in Roma. Aber nicht für Vestalinnen. Ich werde der Maxima empfehlen, mit euch noch einmal einen Lehrgang in den Penus zu machen. Aber das ist auch nicht das Thema der heutigen Stunde."


    Die Vestalin bückte sich und verteilte etwas Zunderwolle auf eine Steinplatte auf dem Boden:

    " Wärst du pünktlich gewesen, Discipula Valeria, hättest du gehört, was Discipula Fabia gerade gesagt hat:
    Wir lernen heute, mit Hilfe eines Brennspiegels das Heilige Feuer zu entzünden. Denn das Feuer der Vesta wird nicht mit Feuersteinen und einem Schlageisen entzündet, sondern direkt aus der Kraft des himmlischen Sol.
    Es versteht sich, dass die Zeremonie würdig und mühelos wirken muss.
    Wenn es nicht gelingen sollte, Vestas Flamme wieder herzurufen, wäre das ein Prodigium von größter Tragweite. Vielleicht sogar die Voraussage vom Ende unseres Staates.
    "

    Sie schwieg einen Moment lang, weil sie diese Ungeheuerlichkeit ausgesprochen hatte. Aber sie hatte ab und zu doch den Eindruck, dass es der etwas auf sie geistig träge wirkenden Valeria und der vorwitzigen Fabia an sittlicher Reife fehlte, auch wenn die Göttin bei ihrer Wahl natürlich keine Fehler machte:


    "Daher existiert dieser Brennspiegel aus Messing. Er bündelt die Strahlen des göttlichen Sol zu einem einzigen Strahl von außergewöhnlicher Hitze"


    Virgo Vibia zog eine Augenbraue hoch:

    "Wenn ich sage, außergewöhnliche Hitze, meine ich außergewöhnliche Hitze. Er kann Metalle zum Schmelzen bringen und Steine verglasen. Also seid bitte vorsichtig damit. Und dass ihr den Strahl genau zum Zunder richtet.
    Nun, Discipula Fabia, da du heute als Erste hier warst, darfst du es auch als erste üben.
    "
    sagte sie etwas umgänglicher.

  • Einen Moment lang glaubte Flora schon, jemand hätte Vibia Perpetua kaputt gemacht. Die hatte sie wirklich gelobt. Aber nur einen Augenblick lang, dann kam auch schon der erwartete Tadel. Flora versuchte, möglichst schuldbewusst dreinzuschauen, auch wenn sie insgeheim ihre Antwort jetzt nicht so schlimm fand. Als ob Vibia Perpetua das selber alles wüsste, die musste sicher auch nachgucken, so!


    Aber wenigstens war der Tadel nur kurz und gleich vorbei. Als Vibia Perpetua sich umdrehte schaute Flora einmal zu Maximilla rüber, wie die den Tadel aufgenommen hatte, kam aber nicht dazu, groß mit ihr zu reden, denn sofort erklärte die ältere Vestalin, was sie heute machen würden. Und natürlich machten die Vestalinnen wieder alles anders als der Rest. Flora verkniff sich die Frage nach dem Warum?, spätestens, als sie ihr Lieblingswort hörte: Würdevoll. Das ganze sollte würdevoll aussehen. Wie auch immer man besonders würdevoll beim Feuermachen war.


    Flora atmete einmal tief durch und ging dann nach vorne. Sie wollte eigentlich nicht anfangen. Sie sah noch einmal zu Maximilla zurück, und wahrscheinlich war ihr ihre Nervosität da auch anzusehen. Aber gut, dann versuchte sie es eben. Auch wenn Vibia Perpetua grade alles tat, um ihnen Angst zu machen. Aber Flora hatte keine angst vor einer Messingscheibe.

    Sie nahm das Ding in ihre Hände, denn für eine einzelne Kinderhand war es zu groß. Und zu schwer. "Was passiert, wenn ich dich treffe, Vibia?" fragte Flora, die so ein klein bisschen versucht war, das auszuprobieren. Vielleicht verwandelte sich Vibia Perpetua ja dann auch in Glas.

    Flora versuchte, mit dem Messingspiegel zu hantieren, aber das war schon schwerer, als es aussah. Die Sonne stand über ihnen, und wenn sie den Spiegel drehte, tanzte auch eine lustige Reflexion über den Boden. Flora versuchte, damit den Zunder zu treffen, aber das schwere Ding ruhig zu halten, war nicht so einfach. "Ich glaube, der ist kaputt", beschwerte sie sich nach einer Weile und zielte weiter in den aufgeschichteten Zunder. Aber außer einem winzigen Rauchfähnchen passierte da nicht viel.

  • Flora nahm den Brennspiegel in eine ihrer kleinen Hände, aber er war aus Metall und bestimmt schwer, und sie hatte damit zu kämpfen, ihn ruhig zu halten. Maximilla hob den Finger:

    "Muss man die Pyreia jetzt unbedingt mit einer Hand nehmen oder gingen auch beide?", fragte sie.


    Aber dann fragte ihre Mitschülerin glatt, was denn passieren würde, wenn der Strahl Vibia treffen würde.

    Maxi blieb erst einmal der Mund offen, dann spürte sie wie sich ein unaufhaltsames Kitzeln von ihrem Magen her in ihre Kehle schob - das war Lachen. Sie wünschte niemanden etwas Böses, aber der Gedanke, dass Virgo Vibia wie ein aufgescheuchtes Huhn .... nein! Dieses geistige Bild musste sie stoppen. Discipula Valeria biss sich auf die Lippen und grub ihre Fingernägel in die Handflächen, damit sie nicht herausplatzte.

    Bei Virgo Vibia ging Gelächter gar nicht, sie würde das persönlich übel nehmen. Virgo Antonia war da anders. Die hätte kurz überlegt und ganz ernsthaft geantwortet: "Das wäre aber ungünstig, mein Liebes." Und die Maxima stand ohnehin so über allem mit ihrer Art, fand sie.

  • Vibia Perpetua beantwortete die Frage nicht, was geschehen würde, wenn man sie träfe. Sie trat wider Erwarten zu Flora hin und nahm ihr den Spiegel ab: "Erlaube mir, Discipula, einen Moment", sprach sie.


    Sie schaute zur Sonne hoch ; ihr weißes Gewand umfloss ihre Glieder. Einen Moment wirkte sie ganz anders als die sonst so biestige Vibia im Alltag, nämlich selbst wie eine weiße Flamme. Der Brennspiegel glänzte in ihrer Hand, sie machte eine Drehbewegung und es war, als wären sie und der Spiegel eins. Fast wie ein Blitz schoss ein Strahl aus der Mitte der gewölbten Schale und setzte den Zunder in Brand.


    Sie löschte mit dem Fuß den Brand wieder und gab Fabia Flora den Brennspiegel zurück:


    "Nimm ruhig beide Hände, wenn es dir hilft, ihn ruhig zu halten.", sagte sie: "Wie du gesehen hast, ist es eine Frage des Fokussiertseins. Fokussiere deinen Geist, Discipula Fabia, und im Namen der Göttin wird es gelingen."

  • Es sah schon beeindruckend aus, mit welcher Leichtigkeit Vibia Perpetua das Sonnenlicht einfing und die Flamme entzündete. Sie sah ein bisschen wie eine Statue aus, fand Flora. Und ganz sicher würdevoll. Nicht wie bei Flora.

    Sie bekam den Spiegel wieder zurück und sollte es noch einmal versuchen. Diesmal aber fokussiert. Flora verstand es so, dass sie sich einfach noch viel mehr anstrengend musste. Sie atmete einmal tief durch und versuchte noch einmal, das Licht einzufangen. Diesmal versuchte sie, sich so wie Vibia Perpetua hinzustellen, aber das scheiterte eher noch viel kläglicher als der Versuch davor. Sie knurrte leise und trotzig und zog eine Flunsch. Das sah sicher nicht würdevoll aus, aber Flora war mit dem Spiegel durchaus beleidigt, dass der einfach kein Feuer machen wollte.

    "Ich fürchte, ich muss noch mehr üben, geehrte Vibia", sagte Flora niedergeschlagen und wollte ihr den Spiegel reichen. "Vielleicht sollte Maximilla versuchen. Die kann sowas würdevoller als ich", schlug sie vor. Aber ja, Maximilla war älter und konnte solche Sachen schon sehr viel besser als Flora, die noch Probleme dabei hatte, sich die Schuhe ohne Hilfe zuzubinden.

  • Maximilla hatte zugesehen, wie Virgo Vibia es gemacht hatte, und sie war beeindruckt. Es sah so mühelos aus und bestimmt würden die Anwesenden im Tempel alle "Aaaaaa", raunen, wenn auf diese Weise die Heilige Flamme aufzulodern begann. Sie war so beeindruckt, dass sie das Bild "Flora fackelt das Gewand von Vibia ab und wir kriegen Ärger" wieder aus dem Kopf bekam. Die junge Discipula hielt sich selbst allerdings nicht für die Schlauste. Schon gar nicht für fokussiert im Geist. Aber Augen im Kopf hatte sie.

    " Man muss die Sonnenstrahlen irgendwie genau in der Mitte einfangen?", sagte sie halb fragend und grinste kurz, als Flora vorschlug, sie wäre noch dran. Ja klar kam sie noch dran. Schade, dass es immer nur zwei Discipulae gab. Da wurde nie eine übersehen.

    "So, ein bisschen Zunder", erklärte sie und baute das Häufchen auf, das tat sie langsam und richtete sich auf. Dabei wurde ihr etwas schwindelig, weil sie zu schnell aufgestanden war:

    "Dann die Pyreia." Der Brennspiegel war schwer, fast als sei er aus Blei und kein Messing. Dennoch hielt sie ihn in EINER Hand, auch wenn ihr dabei fast das Handgelenk zu brechen schien.

    Und dann würdevoll.... gütige Vesta hilf mir, betete sie. Valeria Maximilla war fromm. Manchmal bei den Ritualen spürte sie, dass die Göttin im Raum war wie ein wirklicher, ganz und gar präsenter Mensch:

    "Und dann schauen, dass die Sonnenstrahlen in die Mitte der Schale eintreffen....", das Problem war, dass sie aus ihrer Warte gar nicht sah, wohin der Strahl letztendlich gehen würde. Mit der Position der Sonne über dem Kuppeldach des Vestatempels gab es bestimmt Erfahrungswerte, aber hier gab es keine:

    "Habe ich.... Flora, guck mal bitte, wo der Strahl ist? Ich möchte mir nicht den Fuß durchlöchern. Und auch von sonst keinem. Sag rechts oder links."

    Sie hielt den Spiegel nun vor sich auf Kopfhöhe. Vielleicht war es richtig, aber würdevoll wirkte es bestimmt nicht, dachte sie. Eher als wollte ich Discuswerfen.

  • Maximilla nahm die Pry.. die Piri… das Brenndings in die Hand und stellte sich hin. Sie versuchte, es so zu machen, wie Vibia Perpetua es zuvor gemacht hatte. Flora war ein klein bisschen neidisch, denn selbst mit noch so viel Mühe hätte sie den Brennspiegel so nicht halten können. Mit zwei Händen und knapp vor dem Bauch war das schon schwer genug gewesen. Aber Maximilla schaffte es sogar über den Kopf! Naja, oder zumindest fast.


    Dann fragte Maximilla Flora nach Hilfe beim Zielen. Flora schaut, wo denn der Lichtpunkt grade war. "Links… nein, das andere links, ähm, rechts… ja, wärmer… wärmer, STOOOOP! Und jetzt, ähm… ähm… also, nach vorne? Also nein, genau andere Richtung…. Und noch ein bisschen… Ja, da ist der Zunder!" Flora hüpfte aufgeregt immer wieder beim dirigieren und zeigte – wenig würdevoll – wild fuchtelnd immer mit den Händen in die Richtung, die sie meinte. Sie wusste doch nicht wirklich, wo links und rechts waren, aber irgendwie bekamen sie das hin. Es war ein wenig wie bei dem Spiel Topfschlagen, wenn einer die Augen verbunden hatte und die anderen ihm die Richtung anwiesen.


    Und dann wartete Flora gespannt, was passieren würde, und ob das Brenndings nun auch bei Maximilla funktionieren würde.

  • Maximilla versuchte Floras Anweisungen zu folgen*, die sehr schnell und ab und zu sich widersprechend gegeben wurde, doch es gelang ihr, obwohl sie das Gefühl hatte, dass ihr Handgelenk endgültig durchbrach. Die Sonnenstrahlen gleißten und blitzten im Messing, und dann schossen sie gebündelt auf den Zunder zu und setzten ihn in Brand. Als der Feuergeruch in Maximillas Nase stieg, senkte sie den Brennspiegel und nahm ihn wieder in beide Hände, dann sah sie staunend auf die kleine Flamme, die alsbald erlosch - viel Zunder war es nicht gewesen - und sie lief auf Fabia Flora zu:

    " Flori, Mensch, wir haben es geschafft!", rief sie aus und musste sich zusammennehmen, nicht der Kleinen den rechten Arm hoch zu reißen als wäre sie eine siegreiche Athletin beim Diskuswurf.

    Doch dann kam ihr in den Sinn, wo und wer sie waren, sie straffte die Schultern: " Virgo Vestalis Vibia, melde, dass Discipula Flora und ich das Feuer entzündet haben." Maximillas Vater war ein Veteran gewesen, und auch in seinem Haus hatte ein eher militärischer Ton vorgeherrscht. Noch während sie sprach, legte sie den Brennspiegel zurück auf den Korb.


    Sim-Off:

    * Erinnern mich an meine Fahrstunden :D

  • "Nun ja, eine Flamme war da. Ihr habt das Prinzip eines Brennspiegels begriffen.Und der Göttin sei Dank war das nicht die echte heilige Pyreia, sondern nur ein Übungsbrennspiegel, mit dem ihr herumgefuchtelt habt. Und Discipula Valeria, sei nicht albern, du brauchst keine Meldung erstatten, du bist kein Tiro.
    Discipula Fabia, deine geringen Körperkräfte seien dir verziehen, das wird sich mit den Jahren noch ändern. Nun, es gäbe noch eine andere Möglichkeit, mit dem Licht des heiligen Sol das Feuer zu entzünden, und die eignet sich vielleicht besser für deine kleine Hand.
    "


    Virgo Vibia griff in die Falten ihres Gewandes. Sie holte etwas hervor, was wie eine etwa apfelgroße durchsichtige Glaskugel aussah, die mit reinem Wasser gefüllt war. Sie wog die Brennkugel in der Hand, sie wog wesentlich weniger als die Messingschale.

    "Komm, Discipula Fabia, probiere diese hier. Und ihr beide sagt mir dann, worin der Unterschied zwischen beiden Methoden besteht und warum der Strahl der Pyreia reiner ist als der der Kugel."

  • Bei Maximilla funktionierte die Scheibe, wenn auch mit etwas von Floras Hilfe. Aber als da ein kleines Flämmchen züngelte, hüpfte Flora doch aufgeregt auf und ab und klatschte begeistert in die Hände. Wahrscheinlich war das ganz und gar nicht würdevoll, aber sie freute sich so, dass es geklappt hatte. Zwar nicht bei ihr, aber doch.

    Maximilla machte dann auch gleich so zackig Meldung, dass Flora sich gleich daneben stellte und sich im militärischen Gruß die rechte Faust auf die Brust schlug. Genau: Melde gehorsamst: Feuer gemacht! Jawollja!

    Aber Vibia Perpetua war davon wohl nicht ganz so begeistert von ihrer beider militärischer Disziplin – oder wie auch immer man das nennen mochte. Stattdessen holte sie jetzt eine lustige Glaskugel hervor und drückte die Flora in die Hand. Sie sollte es nochmal versuchen. Flora seufzte. Reichte es denn nicht, dass Maximilla Feuer machen konnte? Und überhaupt, das Feuer durfte doch sowieso nie ausgehen, warum also musste man wissen, wie man es machte? Aber Vibia Perpetua kannte keine Gnade und schichtete schnell ein wenig Zunder wieder auf.

    Flora wartete also, bis alles bereit war, und stellte sich dann wieder hin. Die Kugel war tatsächlich etwas einfacher als das Messingdings, aber auch da war es nicht so einfach, das richtig hinzubekommen. Flora sah den Lichtpunkt, den die Sonne durch die Kugel warf, und zielte, aber es war gar nicht so einfach, die richtige Entfernung zu finden, so dass das wirklich nur ein Punkt war und kein großer Fleck. Flora probierte, hob die Kugel hoch und runter, verzog dabei ihr Gesicht, probierte weiter…

    Es dauerte. Sogar ziemlich lange, aber mit der Kugel war es wirklich einfacher als mit der Metallscheibe. Und nach einer ganzen Weile des Rumprobierens hatte Flora die richtige Position gefunden – verdreht auf einem Bein stehend und die Kugel hochhaltend. Ganz und gar nicht würdevoll – und siehe da: Der Zunder fing erst an, zu qualmen, und dann leckte ein winziges Flämmchen empor.

    "Ja, da! Es brennt! Maximilla schau, es brennt!" freute Flora sich und schaute, wie die Flamme den Zunder fraß und dann wieder erlosch.


    Und das machte sie etwas nachdenklich. "Vibia, darf ich etwas fragen? Die Sonne ist doch von Sol, oder? Aber wenn Sol das Feuer macht, warum gehört es dann Vesta? Und wenn es Vesta gehört und wir das hier machen, hätten wir das Feuer dann nicht schnell reinbringen müssen zu dem anderen Feuer, damit es nicht ausgeht?"

  • Maximilla hätte sich beinahe am Kopf gekratzt, um über Virgo Vibias Frage nachzudenken, ließ das aber, es wirkte höchst bäuerlich. Sie hatte genau zugesehen, wie jetzt Flora Feuer gemacht hatte und sich mit ihr gefreut, dass es so gut geklappt hatte. Sie lachte breit und machte zu ihrer kleinen Mitschülerin hin das Siegeszeichen.


    Sie fragte sich aber schon, warum nicht die Brennkugel genommen wurde, die doch viel einfacher zu bedienen war als der große Brennspiegel:

    "Kann es sein, dass beim Spiegel der Strahl ja nur wiedergespiegelt wird während er durch das Glas hindurch gehen muss? Und durch die Berührung mit dem Glas verliert er etwas von seiner Reinheit? Oder von seiner Würde?"

    Sie war schon länger dabei als die Fabia, und daher wusste sie schon, dass es meist um Reinheit oder Würde ging bei der göttlichen Vesta. Und damit war spirituelle Reinheit gemeint, nicht unbedingt die körperliche; die Hälfte der Rituale hatte mit Blutopfern, Schweifen von toten Pferden und Mist und Dung zu tun, da war eher die zupackende Art gefragt. ( Maxi selbst hätte lieber mit beiden Händen im Mist gewühlt, als Virgo Vibias herablassende Art zu ertragen)

  • Virgo Vibia merkte nicht, dass im ersten Stock des Atriums die Maxima Scribonia stand und die Schulstunde beobachtete. Ab und zu zuckte ein Lächeln um ihren Mund, als sie die Freude der Mädchen sah. Sie selbst war wie Flora gewesen, als sie ihre Captio erlebte. Im Unterschied zu Vibia hatte sie nicht vergessen, wie es war, so jung zu sein. Ja, die geforderte Disziplin und das Wissen, welches erwartet wurde, waren hoch, doch dafür hatte die Schwesternschaft weit mehr Privilegien, als sie ihrem Geschlecht sonst zugestanden wurde, lebte ohne finanzielle Sorgen, wurden von der ganzen Bürgerschaft hochverehrt und waren von der Last der Ehe und des Kindergebärens entbunden. Nicht umsonst blieben die meisten Vestalinnen auch nach ihrem aktiven Dienst bei ihnen; kaum eine wollte heiraten, obgleich ihnen das freistand. Die Virgo Vestalis Maxima sah die Mädchen mit Liebe und Großmut, und sie hielt sie keineswegs für unfähiger oder undisziplinierter als vorige Vestalinnen- Generationen. Sie beschloss, sich in den Hof zu begeben, als die Akustik des Innenhofes die Frage der jünsten Vestalinnenschülerin zu ihr trug.


    " Discipula Maximilla, richtig. Der Strahl des Brennspiegels ist reiner als der durch die Brennkugel. Doch antworte nicht auf eine Frage mit einer Frage. Du bist jetzt in der Mitte deiner Lehrzeit, da antwortet man selbstsicher und voller Überzeugung, dass man etwas weiß und etwas gelernt hat.", entgegnete derweil Virgo Vibia.


    Die Frage von Discipula Flora jedoch ließ sie innehalten. Warum Sol... was? Wie kam das Kind immer nur auf solche Gedanken. Dabei nahm Virgo Vibia ihren Lehrauftrag ernst, und sie würde durchaus eine zutreffende Antwort geben wollen. Aber ......einen Moment lang war sie unsicher. Was wenn Discipula Flora recht hätte und auch dieses kleine Übungsfeuer zu Vesta gehörte...:

    "Das müsste ich recherchieren, Discipula Fabia"


    Sie verstummte, als die hochgewachsene Gestalt der Virgo Vestalix Maxima aus der Tür kam. Diese war vorschriftsmäßig gekleidet, und der Schleier umfloss sie, eine blendende Erscheinung in Weiß:

    " Salve meine liebe Vibia, salvete puellae", sprach sie und schaute beide Mädchen freundlich, aber durchdringend an, bevor sie fortfuhr:

    "Lass mich deine Frage beantworten, Discipula Fabia. Du kennst doch bestimmt unsere Tugenden, und eine davon ist die liberalitas, die Großzügigkeit. Der göttliche Sol ist so großzügig und schenkt der göttlichen Vesta von seinem Feuer. Und er hat so viel davon und ist so überaus gütig und großzügig, dass er nicht nur der Göttin Feuer schenken kann, sondern auch zwei Vestalinnenschülerinnen ein bisschen davon überlässt, die gerade üben, das Feuer am ersten März, dem Neujahrestag der Vorväter, wieder neu zu entzünden.Möge das nie außerhalb dieses Tages geschehen müssen."

    Einen Moment lang blickte die oberste Vestalin ernst drein, sollte das Feuer aus Unachtsamkeit einer Vestalin ausgehen, so wurde die Betreffende hinter einem dünnen Vorhang, um die Schicklichkeit zu wahren, vom Pontifex Maximus dafür ausgepeitscht:

    "Großzügigkeit gegenüber Göttern und Menschen ist eine schöne Tugend - du stimmst mir doch zu, Virgo Vibia? Freut euch also, Schülerinnen, über die Großzügigkeit von Sol, der euch hilft, dazu zu lernen und über die Güte der göttlichen Vesta, die nicht darauf besteht, dass euer Übungsfeuer in ihren Tempel getragen werden muss. Habe ich deine Frage beantwortet, Discipula Fabia?"


    Das wäre auch völlig unmöglich gewesen, da das Feuer schon aus und der Zunder verbrannt war. Die Götter verlangten in ihrer Weisheit niemals Unmögliches von den Menschen. Wenn man sie ehrte und ihre Riten befolgte, hielten sie ihre schützende Hand über das Imperium.


    Virgo Vibia errötete ganz leicht: "Ich stimme zu o Maxima", sagte sie rasch.

  • Flora wusste nicht, was Vibia Perpetua mit Recherchieren meinte, aber da kam auch schon Scribonia Sabina um die Ecke und antwortete sehr, sehr ausführlich. Flora versuchte, es zu verstehen. Aber so ganz zufrieden war sie noch nicht. "Heißt das, dass das Feuer jetzt Sol gehörte? Aber woher wissen wir denn dann, dass das Feuer im Tempel wirklich das von Vesta ist und nicht auch nur ein Feuer für uns von Sol? Sagt Sol dir da vorher bescheid?" Flora konnte jetzt wirklich nicht erkennen, worin jetzt genau der Unterschied bestand. Dass Sol sein Feuer Vesta schenken konnte, das war irgendwie klar. Aber woher wusste man denn dann, ob er das getan hatte und man jetzt wirklich das richtige Feuer hatte und nicht nur ein Übungsfeuer? Immerhin war das Feuer ja so wichtig. Auch wenn Flora sonst nicht wirklich viel gelernt hatte über das Vestalin-Sein. Aber dass das Feuer superwichtig war, das hatte sie sofort gelernt.

  • Virgo Vestalis Vibia schnaubte ein wenig durch die Nase. In ihren Augen hatte Discipula Flora einzig das unschlagbare Talent, sich wichtig zu machen und in den Mittelpunkt zu stellen.


    Aber die Maxima dachte anders. Auch wenn die Fabia noch jung war, erkannte sie in ihr einen wachen Geist und eine originelle Denkensart. Zwei Eigenschaften, die es nicht unbedingt einfacher machten, Rituale zu befolgen, die so alt und ehrwürdig waren, dass selbst die Überlieferung der Vestalinnen über die wahren Hintergründe nichts mehr wusste.

    Aber dennoch gab es ein unschlagbares Argument "pro Flora und Maximilla". Die Göttin hatte beide Mädchen erwählt. Die Göttin hatte ihre Gründe, die die Sterblichen nicht durchschauten:

    "Nein, Sol gibt mir nicht Bescheid. Doch dass das Feuer, welches von der wirklichen Pyreia entzündet wird, Vesta gehört, sagt man seit tausend Jahren.", erwiderte die Virgo Vestalis Maxima und dachte einen Moment lang, dass ihre Antwort auch nur eine Variante von "Das war schon immer so" darstellte, wenn auch in liebevollerem Ton als der der Vibia:

    "Am besten betest du zu der gütigen Vesta und bittest sie darum, dass sie deinen Geist erhellt und dir ein Zeichen gibt."


    Und mahnend hob sie den Zeigefinger:

    "Aber lass die Hände vom Heiligen Feuer, hörst du. Der Drang nach Wissen ist gut, doch gibt es Grenzen . "


    Da sie nun mit Discipula Fabia gesprochen hatte, wandte sie sich auch noch an das ältere Mädchen:

    "Ich habe gehört, dass du heute morgen in der Bäckerei fleißig gewesen bist, Discipula Valeria", nickte sie: "Es fehlen noch Reisigbesen für Q.ST.D.F Würdest du jetzt gleich helfen, noch welche zu binden?"


    Dann ging sie, und sofort übernahm Vibia wieder das Kommando:

    "Schluss für heute, Schülerinnen. Nächste Woche um die gleiche Zeit geht es hier weiter. Und eine kleine Aufgabe habe ich für euch. Du, Discipula Valeria schreibst in eigenen Worten auf, was du heute gelernt hast. Und du, Discipula Fabia, machst das gleiche, aber du darfst zu mir in mein Officium kommen und Fannia schreibt auf, was du ihr diktierst."

    Fannia war eine der Tempeldienerinnen. Sie war jung und nett, und sie war stolz darauf, für die Heiligen Jungfrauen Roms tätig zu sein.

  • Als die Maxima die Valeria fragte, ob sie Besen binden wollte, nickte sie eifrig und sagte: "Aber gerne, Virgo Vestalis Maxima"


    Doch bei der Vergabe der Hausaufgabe duckte sie sich sofort. Aufschreiben war ihr eine Qual. Sie würde ewig dran sitzen, und wie gerne hätte sie mit Flora getauscht, die ihren Text diktieren durfte. Das sie sich durch alles Schriftliche durchkämpfte, war aber ihr Geheimnis; lieber hätte sie die ganze Nacht über Reisigbesen gebunden, als Virgo Vibia gegenüber diese Schwäche zuzugeben.


    Über Flora staunte sie. Was ihr immer für Fragen in den Kopf kamen. Schneller als ein Ferkel blinzelte. Doch ja, woher wussten denn alle, was genau richtig war. War denn alles wahr, nur weil man es schon vor tausend Jahren so gemacht hatte?