Flora war nun schon eine ganze Weile bei den Vestalinnen. Anfangs hatte sie noch häufig geweint und sich nach ihrer Mutter und dem Vater gesehnt. Die Nachricht, dass die beiden aufs Land gezogen waren und sie allein gelassen hatten, war ein herber Rückschlag gewesen. Aber inzwischen waren die rebellischen oder verheulten Phasen seltener geworden und sie hatte sich an den Tagesablauf im Atrium Vestae einigermaßen gewöhnt. Sie verstand bei den meisten Dingen zwar immer noch nicht, warum die SO gemacht wurden und nicht anders, aber inzwischen akzeptierte sie, dass man das halt einfach so machte. Meistens war das in Variationen ohnehin die Antwort: Die Vestalinnen machten Dinge eben einfach anders als der Rest. Manchmal glaubte Flora da schon, dass Vesta schon eine sehr seltsame Göttin sein musste, wenn sie so komisches Zeug verlangte.
Gut, manches war auch ziemlich lustig. Flora hatte sich sehr anstrengen müssen, bei den Argei möglichst würdevoll zu bleiben, als sie Strohpuppen in den Tiber geworfen hatten. Aber das war ja auch einfach spaßig gewesen! Sie hatte zwar auch da nicht verstanden, warum man das so machte, aber es hatte wenigstens Spaß gemacht. Gut, ohne das ganze Brimborium drum herum wäre es noch lustiger gewesen. Aber es war zumindest mal was anderes als Feuer hüten und Wasser holen.
Und auch heute würden sie was anders machen als der Rest der Menschen. Feuer machen. Flora hatte noch keine Ahnung, was genau die Vestalinnen diesmal anders machten als normale Menschen, aber sie war sich sicher, dass auch diesmal die Antwort nach dem Warum wäre: Weil wir das so machen.
Aber wenigstens durfte sie dafür einigermaßen bequeme Sachen tragen und brauchte den Schleier nicht, denn heute waren sie unter sich im Atrium und auf dem Innenhof und es stand nicht zu befürchten, dass ein Pontifex oder der Kaiser vorbeikäme und deshalb schimpfen würde. Nur ihre Haare waren zu dem fürchterlich unbequemen Tutulus wie jeden Tag, seit ihre Haare nachgewachsen waren. Flora hatte auch da aufgegeben, sich darüber zu beschweren, aber das hieß nicht, dass sie die Frisur deshalb auf einmal bequem fand.
Und so fand sie sich auf dem Innenhof des Atriums ein und wartete schon mal, was da wohl gleich folgen würde.