[AEGYPTUS] Alexandria - Ezra ben Abrahams Schrifthandel

  • Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros



    (Diese Geschichte spielt ein halbes Jahr bevor Tiberios nach Roma verkauft wird. )


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    Alexandros, Tiberios‘ zwölfjähriger Herr, war ungeduldig und seine dunklen Augen blitzten:

    „Was wollen wir hier ? Lass uns weiter gehen!“

    Tiberios schüttelte den Kopf : „Nein , Kyrios, dein Vater hat mir aufgetragen , für dich die Abhandlung über die Meere von Pytheas zu besorgen und das werden wir tun.“

    Außerdem hatte der junge Sklave Geld gespart , um sich sich einen Teil der Septuaginta , genauer gesagt , das Deuteronomium zu kaufen , und wo konnte er dazu besser beraten werden als bei einem jüdischen Händler?


    Tiberios interessierte sich für Kulte und Götter, doch er selbst betete zu der Göttin seines palmyrenischen Herren – Allat, die die Griechen Athena und die Römer Minerva nannten.


    „Meere? Können wir nichts über Pferde lesen?“, fragte Alexandros

    „Pytheas wird dir gefallen. Er ist in den hohen Norden gereist – bis nach Thule.“

    Alexandros seufzte:

    Du sagst immer, es wird spannend und dann wird es langweilig. Wann bin ich nur alt genug, in die Ala einzutreten ?“

    Athenodoros , der Vater des jungen Alexandros und Eigentümer von Tiberios, war dagegen, dass sein Sohn eine militärische Laufbahn einschlug – deshalb zog der junge Sklave es vor, darüber zu schweigen.:

    „Der Herr wünscht , dass du ein gebildeter Mann wirst.",  sagte er.

    „Ich muss doch nur Latein lernen, damit mich die anderen Soldaten verstehen .“, sagte Alexandros.


    Tiberios lächelte. 

    Er nahm seinen jungen Herren am Ellenbogen, schob ihn vorsichtig vorwärts, trat in die Buchhandlung ein und sagte :

    „ Chaire, Kyrie“


    Alexandros machte sich einen Spaß daraus, zwei, dreimal durch die Perlschnüre zu laufen.

    Tiberios wartete, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten.

  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


    Wie immer, wenn keine Kundschaft im Laden war, saß Ezra ben Abraham in seiner gewohnten Ecke inmitten der Weihrauchschwaden beim Lichte einer Öllampe und las in seiner eigenen Ware. Jetzt gerade brütete er über einem ganz interessanten Satyrspiel von Timon von Phleius, als sich neue Geräusche an sein Ohr bahnten. Er sah auf und schon im nächsten Moment teilte sich der Vorhang seiner Tür und ein junger Mann erschien mit einem Kind, das spaßeshalber nochmal mehrmals hin und her lief durch die Kugeln. Ezra ben Abraham stand von seiner Lektüre auf, um die neue Kundschaft zu begrüßen. "Chaire, mein Freund und...Hallo kleiner Herr. Du bist Alexandros, nicht wahr?"
    Natürlich kannte er als Händler des Deltas das Gesicht des Sohnes des allseits bekannten "Schutzherrn der Karawanen", wenn auch nur von weitem.


    Er breitete in einer freundschaftlichen Geste seine Arme aus, um mit ihnen so auf sein Sortiment zu verweisen. "Womit kann ich euch helfen? Soll es etwas erbauendes sein? Ein Lehrstück für den kleinen Herrn? Oder etwas ganz anderes? Tragt mir nur eure Bücherwünsche vor und ich werde sie erfüllen."

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  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros



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    Alexandros lächelte und sagte geschmeichelt: „Chaire ….“,

    „Eine Ausgabe der `Abhandlung über die Meere' des Pytheas wünscht mein Herr Athenodoros bitte.", sagte Tiberios, und dann holte er sein eigenes Geld aus dem Beutel aus seinem Gürtel:

    Ich besitze zwei Tetradrachmen. Ich möchte das Deuteronomium erwerben, wenn das denn preislich geht, wenn nicht, wäre ich auch mit einem Teil einverstanden, kyrios "


    Der junge Mann sah den Schriftenhändler flehend an. Er schätzte die Klugheit und die Ehrlichkeit des Juden, doch Schriften waren teuer für einen Sklaven. Dennoch – wenn Tiberios Geld hatte, kaufte er Lektüre.

    Alexandros sah sich zwischenzeitlich um, dann fragte er : „ Hast du auch etwas Spannendes zu lesen, o Ezra Ben Abraham? Tiberios hat da keinen Sinn dafür. Ich möchte etwas mit Kriegern und Ungeheuern und Schlachten.“



  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


    Die Wünsche des jungen Mannes und des Kindes waren ganz nach Ezra ben Abrahams Geschmack. Besonders der zweiter und der dritte.
    So nickte er und ging zu einem Regal hinüber in dem die Reiseberichte und Landeskunden von berühmten griechischen Seefahrern, Entdeckern und Chronisten lagen, wie Anaximander, Herodot von Halikarnassos, oder Strabon. Er fuhr suchend mit dem Finger über mehrere Papyri, um deren Ettiket zu prüfen, ehe er das gewünschte fand. "Hier haben wir es ja."
    Er kam zurück und reichte eine Ausgabe von Pytheas' "Perì toi Okeanoi" an Tiberios weiter. Wunsch Nummer Eins war also schon mal erfüllt.
    "Was war das nächste? Das Deuteronómion?"
    Es war bloß eine rhetorische Frage, denn Ezra ben Abraham war gleich weitergegangen zu dem kleinen Regal neben der Tür in dem er seine jüdischen Schriften aufbewahrte. Er zog mit kundigem Griff eine Schriftrolle daraus hervor und betrachtete sie einen Moment.
    Dann kam er zurück und gab sie Tiberios, dabei legte er einen Arm um seinen Rücken und sprach in leicht gesenktem Ton: "Schau, mein Freund, wir werden es so machen. Normal kostet es etwas mehr, verstehst du, aber ich habe heute gut verdient und du bist mit Athenodoros' Sohn unterwegs, also bekommst du dein Deuteronómion für zwei Tetradrachmen, ja? Es ist ein gutes Buch das du lesen willst, ich würde es dir vermutlich wohl auch für die Hälfte geben, denn du kannst für dich nur Gutes tun, wenn du die Bücher des Tanach liest, ja? Sind wir uns einig? Sehr schön." Zufrieden nickte Ezra ben Abraham und zog die Hand von Tiberios' Rücken, nachdem er ihm das gewünschte Buch in die Hand gedrückt hatte.


    Dann brummte er und wandte sich Alexandros zu. "Nun zu dir kleiner Herr. Du willst also Blut und Monster? Da habe ich vielleicht etwas ganz besonderes für dich. Etwas das noch niemand von allen Leuten je gelesen hat, die du kennst. Na ist das interessant? Schau einmal." Ezra ben Abraham ging zum Regal mit den mythischen Sagen aus aller Welt und zog eine Schriftrolle hervor. Sie war nicht aus Papyrus gemacht, sondern sie wirkte anders. Ganz so, als ob sie aus der Haut eines toten Tieres gemacht wäre, aus Pergament. Mit dieser Schriftrolle ging er zu Alexandros und kniete sich zu ihm hin, damit sie auf gleicher Augenhöhe miteinander sprechen konnten. "Das was ich hier in Händen halte ist einzigartig auf der ganzen Welt. Es existiert nur diese eine Abschrift, die ich von einem punischen Händler aus Tyros erworben habe. Weißt du was das ist? Es ist eine Geschichte von der Kimbrischen Halbinsel ganz weit oben im kalten Norden Germaniens. So weit nördlich, dass sogar die uns bekannten Germanenstämme vom Rhenos* nicht so weit wandern würden. Dort war vor zehn Jahren ein junger griechischer Chronist auf Reisen gewesen, der aus Erfahrungen aus erster Hand über die nordgermanischen Stämme berichten wollte. Diese nordgermanischen Barbaren haben ihn am Ende auch getötet, doch bevor sie dies taten, hatte er noch die Zeit gehabt eine ganz besondere Sage von ihnen aufzuschreiben, diese hier. Fühle das Material auf dem sie geschrieben steht. Spürst du es? Das ist kein Papyrus, sondern Pergament. Gemacht aus der Haut einer germanischen Hirschkuh."
    Bei besonderen Schriftstücken seines Sortiments pflegte Ezra ben Abraham seinen Kunden auch immer von der Entstehung des betreffenden Textes zu erzählen und wie dieser in seinen Besitz gelangt war, so wie eben hier geschehen. Jetzt wies er auf das Ettiket des Pergaments auf dem nur ein Wort stand: Ragnarök.


    "Es ist die Geschichte davon wie sich die Germanen der Kimbrischen Halbinsel das Ende der Welt vorstellen. Eine scheußliche Erzählung voller Blut und Gewalt. Riesige Weltenschlangen kommen darin vor und Wölfe so groß wie der Mond, sodass sie diesen sogar selbst verschlingen können. Und Götter fressen sie auch, die sich gegenseitig töten und Riesen kommen ebenfalls darin vor die mit Schwertern aus Feuer und Eis in die Schlacht ziehen. Das ist wirklich eine Geschichte bei der deine Mutter das kalte Grauen bekommen würde. Möchtest du sie?" fragte er Alexandros mit einem Augenzwinkern.
    Natürlich würde das nicht ganz billig werden, aber Ezra ben Abraham war sich mehr als sicher, dass es sich Alexandros' Vater leisten konnte.


    * Rhenos = keltischer Name des Rhein

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  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


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    Alexandros war restlos begeistert.

    Der Junge drückte er die Schriftrolle an sich und rief aus:

    „Tiberios, ich möchte das mit den Schwertern aus Feuer und Eis, den Riesen und dem Blut lesen !“, seine Augen glänzten.: „Vater erlaubt bestimmt, dass du mir das kaufst. Er mag es leiden, wenn ich etwas besitze, was keiner sonst hat und was einzigartig auf der Welt ist !“

    Tiberios nickte auch schon in seine Richtung :

    „Der kyrios wird sehr angetan davon sein, dass du unbedingt einmal etwas lesen möchtest, daher kaufen wir diese Geschichte “

    und wandte sich dann an den Schriftenhändler:

    "Du wärst ein großartiger Lehrer, o Ezra Ben Abraham.", sagte er bewundernd: "In meinem Herrren Alexandros so viel Enthusiasmus für ein Werk zu wecken, ist mir selbst noch nie gelungen."

    Seit Tiberios Ezra Ben Abraham kannte, hatte er immer das Gefühl gehabt, dass es den Händler nicht störte, dass er, Tiberios, nur ein Sklave war.

    Als ob sein Ladengeschäft ein geheimes Königreich beherbergen würde, in dem jeder, der die Liebe zum geschriebenen Wort besaß, ein polites sein konnte.

    Daher sprach der junge Sklave sehr offen.


    Alexandros nahm inzwischen brav die Pergamentrolle, stellte sich so in die Tür, dass das helle Sonnenlicht auf das Blatt fiel und begann, seine Lippen zu bewegen und halblaut zu lesen.

    Tiberios ergriff die Schriftrolle des Deuteronómion mit beiden Händen, als wäre sie etwas unendlich Kostbares :

    Du bist zu gütig, kyrios“, sagte er : Und ich kann dir nicht genug danken. Oder….“,

    nun hellte sich sein Gesicht auf:

    „Mein Herr hatte mich an seinen Gastfreund verliehen, der unbedingt eine lateinische Ausgabe der Aeneis übersetzt haben wollte – wenn du es wünschst, fertige ich dir eine Kopie von meiner Übersetzung an .“

    Er wurde ein wenig rot, denn dem Gastfreund war es nicht nur um eine Übersetzung gegangen, aber das ging niemanden etwas an.


    Der junge Sklave schaute wieder zu Alexandros hin.

    Sein kleiner Herr war völlig gefesselt von dem, was er las, so dass er selbst vielleicht dazu kommen würde, zu erfahren, was er wissen wollte.

    „Ich hätte Fragen zu der Schrift Exodos, den ich zuvor gelesen habe, kyrios Ezra Ben Abraham – und nebenbei bemerkt, die Geschichte von Moises ist überaus spannend.

    Moises war wohl ein Mann mit großem Charisma, wenn er sein ganzes Volk aus der Sklaverei führen konnte.", sagte er und neigte den Kopf, seine grauen Augen auf sein Gegenüber geheftet:

    "Erlaubst du mir, sie dir zu stellen?"

  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


    Ezra ben Abrahams Blick ruhte erfreut auf dem kleinen Alexandros, wie dieser schon ganz dabei war die Buchstaben des Ragnarök zu entziffern. Es war immer wieder schön, wenn ein weiterer junger Geist zu den Freuden des Lesens und der reichhaltigen Gedankenwelt fand, die diesem Metier verhaftet war. Dann wandte er sich wieder Tiberios zu, der ihm zum Dank ein kleines Gegenangebot unterbereitete.


    Wenn der Buchhändler ihn richtig verstand, so wollte er Ezra ben Abraham eine griechische Übersetzung des ursprünglich lateinischen Werks der Aeneis bringen. Hm, lateinische Literatur. Ezra ben Abraham hielt nicht gerade viel davon. Diese römischen Autoren waren viel zu sehr dem praktischen verhaftet. Außerdem, was war schon urtümlich römisch, was sie nicht von einem anderen Volk übernommen hatten? Ihre Tempel und Götter waren griechisch, "typisch römische" Dinge wie die Fasces und die Bulla kamen von den Etruskern, die Karthager waren ihre Lehrmeister zur See gewesen...also was war schon wirklich römisch? Er hatte Teile des Inhalts der Aeneis schon einmal gehört und das hatte eher weniger nach einem völlig originären Werk geklungen. Aber er wollte Tiberios seine Freude nicht verderben, weshalb er antwortete: "Du ehrst mich mit deinem Angebot und ich nehme es gerne an. Natürlich werde ich dich auch dafür bezahlen, ich bin sicher du wirst eine gute Einsatzmöglichkeit für dieses Geld finden."


    Tiberios schloss dann mit einer Frage zu Moses. Gütig lächelte der Buchhändler und winkte ab. "Bitte, junger Freund, Ezra ben Abraham genügt völlig, du musst mich nicht Herr nennen. In meinen Verkaufsräumen sind alle Freunde des geschriebenen Wortes gleichgestellt." Zumindest aus der Sicht des Juden.
    "Moses, Sohn des Amram aus dem Stamm Levi, war in der Tat einer der größten Nachkommen von Vater Abraham", nickte er. "Wenn es in meiner Macht liegt so beantworte ich gerne deine Frage, junger Freund."

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  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


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    Tiberios freute sich, seinen jungen kyrios so gefesselt von diesem Raknarök zu sehen, und er war froh, dass er dem Buchhändler vielleicht auch von Nutzen sein konnte.

    Dessen Zögern hatte er wohl bemerkt; Ezra Ben Abraham schien nicht allzu viel von römischer Literatur zu halten. Aber Tiberios hatte in diesem Moment nichts anderes zu geben.

    Als der Buchhändler vom Bezahlen sprach, lächelte Tiberios: "Die Münzen werden zurück in deine Hand fließen, kyrios, und zwar jede einzelne. Die Arbeit möchte ich nicht bezahlt haben, nur Papyrus und die Tinte, wenn es geht.", sprach er und schaute sich neugierig um. So viele Schätze, die auf ihn warteten.


    Nun, da er die Erlaubnis hatte, wie zu einem Gleichgestellten zu sprechen versuchte er seine Worte exakt zu wählen,:

    "Ich verstehe den Rang des Gottes – ho theos – der Hebräer nicht ganz, o Ezra Ben Abraham:

    In der Oikumene , der bekannten, bewohnten Welt, wird er einzig von den Juden verehrt – wir Griechen kennen ihn , soweit mir das bekannt ist, ebenso wenig wie die Römer oder die Aegypter, daher verzeih mir, wenn meine Frage unangemessen sein sollte:

    Aber als der Gott das Herz des Pharaos verhärtet – heißt das denn, dass er den aegyptischen Gottheiten übergeordnet ist?

    zumindest spricht er doch `Über alle Götter Ägyptens halte ich Gericht, ich, der Herr'.

    Bedeutet das, dass seine Macht die des Zeus oder die des Serapis übertrifft?“

  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


    Der Sklave des Athenodoros hatte doch keine Frage zu Moses, so wie der Buchhändler das eigentlich angenommen hatte, sondern im Gegenteil gleich eine viel höhergeordnete über den jüdischen Gott selbst. Natürlich war sie nicht schwer zu beantworten, so also nickte Ezra ben Abraham nur und sprach dann im Tone eines Schriftgelehrten zu dessen Schüler: "Egal an welche Götter du glaubst, es herrscht immer Hierarchie. Nimm nur die Götter Griechenlands. Zu aller unterst stehen nichtgöttliche Geisterwesen wie Nymphen und Satyrn. Über ihnen stehen die überlebenden Titanen und niederen Götter wie Helios, Atlas, Pan, oder Hebe und auch die etwas abseits der Rangordnung stehenden hohen Götter wie Hades, Persephone, oder Aphrodite. Und noch einmal über all diesen sind die zwölf olympischen Götter deren König der Göttervater Zeus ist, du verstehst junger Freund?"


    Gewiss würde Tiberios mit den griechischen Göttern als Einstieg alles leichter verstehen können, weshalb er auch sie gewählt hatte.


    "Doch selbst in der griechischen Mythologie ist Zeus kein allmächtiger Herrscher, der über alle Dinge dieser Welt bestimmen kann. Zeus ist wie alles andere auf der Welt ebenso den Launen der Moiren unterworfen, die das Schicksal mittels ihres Garns weben. Die Moiren stehen über Zeus, denn sie bestimmen was in der Welt geschah, geschieht und geschehen wird, genauso wie es auch unser HaSchem, der Allmächtige, tut. Er war da bevor alles andere da war. Er erschuf den Himmel und die Erde. Er offenbarte sich meinem Volk im Brennenden Dornenbusch und er schloss mit Mose unseren heiligen Bund. HaSchem führte uns aus der ägyptischen Sklaverei und schenkte uns Kanaan. Er ist das Anfang und das Ende und alle Dinge die da sind, sind von ihm gemacht, das Gute wie auch das Böse. Gut und Böse sind irdische Dinge, denen HaSchem als der Herr gegenübersteht. Er ist alles und nichts, nirgends und überall zur gleichen Zeit. Die griechischen Götter hingegen sind irdische Wesen. Sie wohnen auf dem Berg Olymp, sie kamen sehr spät auf die schon existierende Welt nach den Titanen und sie haben menschliche Wesenszüge. Sie sind gierig, rachsüchtig, eifersüchtig und sie können sterben. Genauso verhält es sich mit den ägyptischen Göttern, da du Serapis erwähntest. Serapis ist eine Verschmelzung von Osiris, Apis, Hades und Zeus und wo die Grenzen des Göttervaters sind haben wir ja schon aufgezeigt."


    Vielsagend nickte Ezra ben Abraham.


    "Also kann auch Serapis nicht höher stehen als Zeus. Bei seinem ägyptischen Ursprungsgott ist es genauso. Osiris ist ein Gott und trotzdem konnte er von Seth getötet und zerstückelt werden. Das beweist, dass sie alle, die ägyptischen wie auch die griechischen Götter als irdische Geisterwesen in der Welt des jüdischen Glaubens nicht höher als die Engel stehen können und selbst diese stehen noch Äonen unterhalb von HaSchem. Selbst die Engel mit dem Titel ha-Satan, die Ankläger am göttlichen Gerichtshof, sind von HaSchem gesteuert und handeln nach seinem Willen. Du siehst jetzt, junger Freund, wie unendlich weit unterhalb die griechischen und ägyptischen Götter von HaSchem stehen, beantwortet das deine Frage?"


    Ezra ben Abraham hatte langsam und mit vielen Pausen gesprochen, damit der Junge auch ja alles verstehen und aufnehmen konnte. Ihm war nämlich bewusst, dass vielen Völkern die unendliche, allwissende und allmächtige Macht des jüdischen Gottes anfangs immer suspekt war, wo sie doch so sehr an ihre menschlich-irdischen Götter mit ihrer Begrenztheit und ihrem Füllhorn an Emotionen gewöhnt waren.

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  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


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    Tiberios nickte eifrig, als Ezra Ben Abraham die griechischen Götter und ihre Hierarchie aufzählte, ja, er kannte sie natürlich, und er betrachtete Athena - Allat als Schutzgöttin seines Hauses.


    Darüber, dass selbst Zeus den Moiren unterworfen war, hatte er noch nie nachgedacht – doch auch hier hatte der jüdische Buchhändler Recht :

    Die Götter waren dem Schicksal unterworfen wie die Sterblichen auch , und hatte nicht zur Regierungszeit des Imperator Tiberius eine Stimme verkündet, dass der große Pan tot sei ?*

    Götter konnten in der Tat sterben.


    Tiberios war ein frommer junger Mann, der allen Gotheiten mit Respekt begegnete, und ihm lief ein Schauer über den Rücken, als Ezra Ben Abraham HaSchem benannte und all die Dinge aufzählte, die der Gott für sein Volk getan hatte. Wie gesegnet mussten die Juden sein, von solch einem mächtigen Gott beschützt zu werden?

    „Das beantwortet meine Frage, Ezra Ben Abraham, und ich danke dir dafür “, sagte Tiberios ,

    doch dann fiel ihm ein, dass die göttlichen Imperatoren Vespasianus und Titus vor fast vierzig Jahren das Volk Ezra Ben Abrahams in Judaea besiegt und viele vertrieben hatten, und dass viele Juden seitdem verstreut im Osten des Imperiums lebten.


    Er fragte weiter:

    Existiert denn HaSchem , wenn er so erhaben und allmächtig ist, fern von den Menschen und mitleidlos wie ein Erdbeben, und alles ist ihm gleich? "

    So ganz fremd war die Vorstellung, das Göttliche als unpersönliche, höchste, Idee zu betrachten, für den Sklaven von Athenodoros nicht; er hatte schließlich Platons politeia gelesen.

    Tiberios merkte, wie eine Frage die nächste aufwarf und diese noch eine und immer so weiter, bis vielleicht ein kleiner Schritt in Richtung Erkenntnis getan war.

    Das war aufregend, und er hätte Ezra Ben Abrahams Erläuterungen am liebsten stundenlang zugehört.


    Aber Alexandros rollte in diesem Moment seine Pergamentrolle zusammen und machte Tiberios ein Zeichen :

    „Bring mich nach Hause, ich möchte baden und etwas essen und danach das Ragnarök weiter lesen!“, befahl er ihm und schenkte dann dem Schriftenhändler ein hinreißendes Lächeln:

    „Das Buch ist soo toll. Ich danke dir sehr dafür. Ich hoffe, mein Sklave hat dich nicht belästigt - es ist so , dass Tiberios einfach zu viel redet. Ich werde meinem Vater sagen, dass er ihn prügeln soll.“

    Das klang harsch , aber die Augen des Jungen funkelten vergnügt , und sofort ergänzte er: „Nein, edler Ezra Ben Abraham, das war nur Spaß. Tiberios wird überhaupt nie geschlagen.“


    Tiberios, der ja den Auftrag hatte, den Jungen zu erziehen, schüttelte tadelnd den Kopf: Alexandros hatte sein Gespräch mit Ezra Ben Abraham einfach beendet, doch die Höflichkeit hätte es geboten, sich an den Buchhändler zu wenden und zu sagen, dass er jetzt seinen Sklaven wieder beanspruchte.

    „ Ich danke dir für deine Güte, junger kyrios“, bemerkte er: "Doch du weißt schon, dass es wohlerzogener ist, ein Gespräch nicht zu unterbrechen."

    Dennoch sagte er zu dem Schriftenhändler:

    "Sicherlich hat mein junger Herr Recht, dass ich zu viel geredet habe. Wenn ja - vergib mir bitte "

    Er wollte keinesfalls aufdringlich oder unverschämt wirken, dazu mochte er Ezra Ben Abraham viel zu sehr.


    Sim off *Plutarch, DIE EINGEGANGENEN ORAKEL(De defectu oraculorum) Kap. 17: Der Tod des Pan

  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


    Ezra ben Abraham war in der Tat erfreut darüber, dass Tiberios alles gleich verstanden und so bereitwillig aufgenommen hatte. Er sah sich in erster Linie mehr als Händler, denn als Rabbi, doch machte es ihm doch Vergnügen sich zur Abwechslung einmal wieder mit jemand Außenstehenden über seinen Glauben zu unterhalten. Die Alexandriner waren bei all ihrem Forschungsdrang eben doch meist immer noch viel zu verbohrt bei diesem Thema.


    Er nicht und begann: "In der Tat kann unser Gott auch ein grausamer sein, wenn wir an die Sint..." doch weiter kam er nicht mehr, da in diesem Augenblick der junge Alexandros beschlossen hatte nachhause zu wollen. Ganz das reiche (vielleicht etwas verzogene?) Kind das er war, machte er auch einen Scherz über eine mögliche Strafe, für Tiberios, was eher weniger nach dem Geschmack von Ezra ben Abraham war. Er hielt generell wenig von der Sklaverei als Institution.
    Er neigte den Kopf in Richtung von Athenodoros' Sohn. "Sei versichert, kleiner Herr, dass es mir ein Vergnügen war mich mit deinem Freund hier zu unterhalten. Er hat mich nicht belästigt, im Gegenteil."


    Schön langsam kam also das Ende dieser Zusammenkunft in Sicht, weshalb er als nächstes sagte: "Es gibt nichts zu vergeben, keine Angst. Kommen wir nun zur Bezahlung, dann könnt ihr nachhause gehen und weiter das Ragnarök studieren." Ein kleiner schelmischer Seitenblick auf Alexandros, dann nannte ihnen Ezra ben Abraham die fällige Summe.

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  • RE: Rückblick: ANTE DIEM XV KAL NOV DCCCLXIX A.U.C Tiberios und Alexandros


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    Es war nicht meine Absicht, dich zu unterbrechen, Ezra Ben Abraham, ich weiß schon, dass das unhöflich war! Bitte sei nicht böse auf mich !“, sagte Alexandros zerknirscht.. Bei den Bene Attar  galt, was bei allen Stämmen Palmyras, ja vielleicht sogar bei allen Orientalen Sitte war: Die Alten waren besonders zu ehren, und ein Junge hatte ihnen nicht ins Wort zu fallen. Auch Alexandros war so erzogen worden.

    Doch die gute Laune des Jungen kehrte zurück, als Ezra ben Abraham die Summe für den Pytheas und das wundersame Ragnarök nannte. Er liebte es, wertvolle Dinge sein Eigentum zu nennen.

    Der Preis war hoch, aber gerechtfertigt.

    Tiberios hoffte einen Moment lang, er hätte nicht die gesamte Summe dabei – dann hätte er die Möglichkeit gehabt, Alexandros nach Hause zu begleiten und in die Schriftenhandlung zurückzukehren, um vielleicht das Gespräch wieder aufzunehmen, doch Athenodoros ließ sich, wenn es um Ausgaben für seinen einzigen Sohn ging, nicht lumpen.

    In Tiberios‘ Beutel befanden sich nicht nur Silbermünzen, sondern sogar Golddrachmen, und das Geld reichte aus.


    Der junge Sklave bat Ezra ben Abraham darum, ihm über beide Werke eine Rechnung auszustellen .

    Dann nahm er sein Deuteronómion und Pytheas' "Perì toi Okeanoi", der für Alexandros Unterricht bestimmt war, in den Arm, als handle es sich um zwei Schätze.

    Er war immer glücklich, wenn er mit neuer Lektüre die Schriftenhandlung verließ, doch diesmal war auch der kleine kyrios glücklich.

    „Chairete – alles Gute, Ezra ben Abraham und vielen Dank !“, sagten beide. 

    Zwei hochzufriedene Kunden machten sich auf den Heimweg.


    Zumindest für Tiberios würden Jahre voll mit einschneidenden Erlebnissen vergehen, bevor er wieder vor der Tür des Abraham Ben Ezras Schrifthandel stehen würde.