[Hortus] Einsame Seelen

  • Alarics Zweifel hatten sich noch immer nicht zerstreut. Seine Domina mochte sich in diesem alten neuen Heim wieder schnell eingewöhnt haben. Doch für ihn war all dies noch immer suspekt. Immerhin hatte jetzt ihr Mann das Sagen und Alaric wusste nicht, ob sein Nutzen in diesem Haus nicht zu gering war, ihn zu behalten. Er war nicht mehr als ein kräftiger Kerl, nicht besonders schlau oder talentiert. Leibwächter hatten sie hier sicher selbst und seine eigene Domina hatte seit jener Nacht kein besonderes Interesse mehr an ihm gezeigt.


    Seine Freizeit verbrachte Alaric häufig in diesem Garten. Grün gab es in dieser Stadt nur wenig und selbst diese schmalen Flecken hatten die Römer gezähmt. Es war, als mussten sie alles ihrem Willen beugen, um sich sicher zu fühlen. Sie waren ja recht klein. Vielleicht wurden sie sonst ja herumgeschubst oder so.

    Inzwischen hatte sich Alaric schon halb damit abgefunden, dass seine Zukunft hier unsicher war. Doch ein Leben in einer Miene schreckte ihn nichtsdestotrotz. Es war wie eine Ruhe vor dem Sturm. Dunkle Wolken am Horizont. Selbst jetzt, in der Stadt der Römer, war sein Leben noch in Gefahr, noch schrecklicher zu werden.

    Wie er so seinen dunklen Gedanken nachhing, bemerkte er eine zweite Seele, die sich hier aufhielt. Rhian hieß das Mädchen. Er kannte sie. Hübsches Ding, ja. Bei den Spielen hatte er sie zuletzt bewusst wahrgenommen und winkte ihr nun von seiner Ecke bei der Mauer zu.

    "Ich grüße dich", sagte er. "Du bist wohl ebenso frei heute, was?"

  • Mein Dominus war irgendwo in der Stadt unterwegs und ich hatte für heute meine Aufgaben erledigt. Noch immer haderte ich mit meiner Rolle und all den Dingen, die sie bedeutete. Und noch immer war ich mir unsicher, was mein Dominus eigentlich von mir wollte. Er war aber auch wirklich schwierig zu greifen! Ich verstand es einfach nicht. Vielleicht war ich auch einfach zu dumm und zu naiv für das Ganze, aber ich verstand einfach nicht, wie ich mich nun verhalten sollte und was er von mir wünschte. Es war, als wolle er, dass ich mich in ihn verliebe, obwohl er sich ganz sicher niemals in mich verlieben würde und es ihm auch irgendwie nicht recht wäre, wenn ich das täte. Aber ich sollte mit ihm schlafen wollen, seine Nähe haben wollen und das alles genießen. Aber wie sollte ich das denn wirklich, ohne Gefühle zu haben? Und die hatte ich einfach nicht. Und er erst recht nicht.


    Ich seufzte einmal und ging dann hinaus in den Garten. Hier war es wenigstens etwas ruhiger und man hatte sowas wie frische Luft. Manchmal glaubte ich, dass ich wirklich frische Luft schon gar nicht mehr kannte. Selbst in Bononia war es nicht so stickig gewesen wie in Rom, nie so laut und so, so… ich wusste kein Wort dafür. Ich seufzte nochmal und schlenderte zwischen den Blumen entlang.

    Eine Stimme riss mich irgendwie aus meinen Gedanken. Ich hatte Alaric bis eben gar nicht bemerkt. Überhaupt hatte ich bislang nicht wirklich mit ihm zu tun gehabt. Unser längstes Gespräch miteinander hatten wir wohl bei den Gladiatorenspielen damals, wo er mit mir kurz geflirtet hatte. Zumindest glaube ich, dass das ein Flirt hatte sein sollen. Er hatte mir angeboten, mich in die Arme zu nehmen, wenn es in der Arena blutig werden würde. Aber irgendwie hatte er das wohl selbst wieder vergessen, als er sich mit dem großen Sklaven der Tiberier unterhalten hatte. In jedem Fall war ich trotz allen Blutes in der Arena von ihm nicht berührt worden. Und ich war eigentlich auch ganz dankbar dafür. Noch mehr verwirrende Männer brauchte ich weder damals, noch eigentlich heute.

    Aber das war ja kein Grund, garstig zu sein. Wir konnten uns ja ganz einfach miteinander unterhalten. Und wahrscheinlich hatte er mich damals sowieso nur aufziehen wollen. Also drehte ich mich zu ihm um und zuckte leicht lächelnd die Schultern. "Mein Dominus ist außer Haus unterwegs und ich habe grade nichts zu tun. Und du, genießt auch grade den Garten? Oder versteckst du dich vor irgendwem?" Letzteres war durchaus denkbar. Alaric sah nach landläufigen Maßstäben wohl durchaus gut aus, und ich war mir sicher, dass die halbe Küchenbelegschaft wohl jederzeit mit ihm hinter einem Busch verschwunden wäre, wenn er es drauf anlegte. Das hatte ich ja durchaus schon gelernt, dass viele Sklaven und Sklavinnen in diesem Haus durchaus Interesse an sexuellen Abenteuern hatten, auch gänzlich ohne die romantische Komponente dabei.

  • Das Mädchen namens Rhian bemerkte ihn dann auch durchaus und hielt inne, um sich mit ihm zu unterhalten. Und Alaric freute sich auch darüber, immerhin war das doch ein recht einsames Eckchen und er hatte nicht das Gefühl gehabt, sich hier frei und offen jemandem mitteilen zu können. Aber das war wohl auch nicht zu erwarten. Das waren seine Herren, nicht seine Brüder und Schwestern.

    So hellte sich seine Miene ein wenig auf, als ihm die so verschlossen wirkende Rhian ansprach und er fragte:

    "Vor wem sollte ich mich verstecken?"

    Nun, es stimmte. An Interesse mangelte es nicht unbedingt, manchmal war es schon ein wenig lästig. Und das wollte was heißen, denn auch Alaric war definitiv niemand, der sich gegen ein unverbindliches Abenteuer sträubte. Doch manchmal hatte er ein wenig das Gefühl, für einen... Gegenstand gehalten zu werden. Zudem hatte er oft den Eindruck, dass sie ihn für dumm hielten.

    "Nein, ich genieße die Sonne, da mich ausnahmsweise niemand braucht, um bedrohlich auszusehen, während wir einkaufen." Schmunzelnd deutete er auf die Stelle neben sich und fügte hinzu: "Willst du dich dazusetzen? Dann sieht es für den nächsten vielleicht nicht so traurig aus, wenn ich hier hocke. Außerdem haben wir seit den Spielen nicht mehr gesprochen. Ist merkwürdig, wie selten man sich sieht, obwohl man im selben Haus lebt, oder?"

  • Vor wem er sich verstecken könnte? "Hedwig, Arsinoe, Dina, Sofia...", fing ich an, an meinen Fingern abzuzählen, wenn auch die ein oder andere aufgezählte Sklavin nicht explizit Alaric hinterherschmachtete. Aber ja, dem jungen Mann schauten schon einige hinterher. Ebenso wie sie es bei Angus taten. Der letzte Gedanke kam ungewollt und verursachte einen leichten Stich in meinem Herzen, nach wie vor. Doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und lächelte einfach weiter.

    Ich war mir immer noch nicht sicher, ob er mit mir flirten wollte, oder einfach nur jemanden suchte, der eben genau das nicht tat und ihm ein Alibi bei den anderen gab. Ich legte kurz fragend meinen Kopf schief, ehe ich die Schultern zuckte und mich zu ihm auf seine Bank begab. Sollte er anfangen, übergriffig zu werden, konnte ich ihm immer noch eine reinhauen.

    "Wirst du denn so häufig gebraucht, um bedrohlich auszusehen?" fragte ich. Ich hatte mich nie wirklich mit ihm unterhalten und wusste ehrlich gesagt nichts darüber, was er den ganzen Tag so machte. Natürlich gab es da den Tratsch in der Küche, wie über jeden anderen auch. Und natürlich war in seinem Fall Teil des Tratsches, dass er eben dafür war, das Auge – und gegebenenfalls andere Dinge – der Damen des Hauses zu erfreuen. Aber ich wusste wohl auch, was über mich getratscht wurde. Und in meinem Fall stimmte es ja inzwischen auch. Dass ich dafür da war, das Bett meines Dominus zu wärmen in den Nächten, in denen er etwas Abwechslung wollte. Wie könnte ich ihm also jemals einen Vorwurf machen?

    "Und ja, es ist wirklich seltsam. Ich glaube, so viel haben wir noch nie miteinander gesprochen", bestätigte ich und grinste schief. "Bei den Spielen dachte ich ja, du wolltest mich aufziehen, weil ich mich ein wenig vor den Gladiatoren erschreckt hatte. Aber zu meiner Verteidigung, das waren meine ersten Spiele. Ich hab sowas noch nie gesehen!" Ich schaute zu ihm hinüber und legte den Kopf schief. "Hast du denn schon viele solcher Spiele gesehen? Domina Cornelia hat dich mitgebracht, richtig? Bist du schon lange ihr Sklave?"

  • Alaric schmunzelte hörbar, als sie die Namen der Klatschweiber aufzählte, die ihm alle hinterher starrten, als wollten sie ihn bald auffressen.

    "Na gut", lenkte er ein. "Punkt für dich." Nun, er wollte nicht so tun als würden ihm die Blicke überhaupt nicht gefallen... Es gab einem Mann schon was, wenn man zu denen gehörte, die gern angeschaut und denen Komplimente gemacht wurden. Die Frauen in seiner Heimat waren da eher anders und vom Humor ebenso derbe wie die Männer. Die Damen hier wussten schon viel eher, wie man einem Mann schmeichelte. Was nicht hieß, dass es nicht manchmal etwas zu viel wurde. Aber gut, lieber lieferte man der Domina was zum Schauen als uninteressant zu sein.

    "Oh, hin und wieder, ja", sagte er auf Rhians Frage. "Wenn ich gebraucht werde, um eine der Dominas dort draußen zu bewachen, wenn sie einkaufen gehen oder ihre Freundinnen treffen. Ich glaube, es geht mehr darum, mit mir anzugeben. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sie sich nicht einen älteren und erfahreneren Leibwächter gekauft hat. Aber ich will mich nicht beklagen. Es gibt schlimmere Aufgaben." Schulterzuckend fixierte sein Blick die gegenüberliegende Mauer, während er Rhian zuhörte. Dabei musste er lächeln. Er hatte sie ja schließlich auch aufgezogen.

    "Es waren auch meine ersten... 'Spiele'", gab er zu. "Obwohl sie mir nicht besonders vergnüglich vorkamen für die Spieler. Ich kenne Schaukämpfe, aber bei uns kämpften wir eben nicht... für Römer." Ja, da spielte der Stolz bei ihm mit. Für irgendwelche reichen Römer auf Leben und Tod zu kämpfen, war so... falsch. Er verstand, warum Rhian es abstieß, auch wenn seine Gründe sich wohl eher von den ihren unterschieden.

    "Und ja, ich komme von Domina Cornelia. Sie kaufte mich, als sie ihr Haus beziehen wollte. Doch dann kamen die Heiratspläne und wir sind nun wieder hier... und jetzt scheint sie mit mir nichts mehr anfangen zu können..."

  • Wenn ich Alaric so zuhörte, ging es ihm wohl nicht viel besser als mir. Nein, eigentlich ging es mir sogar besser, da mein Dominus zumindest noch nicht auf die Idee gekommen war, mich irgendwem vorzuführen. Wobei, nein, auch das stimmte nicht. Bei dem Pferderennen, wo er mich in die Loge mitgenommen hatte, hatte er mich ganz eindeutig vorgeführt, wenn auch nur kurz, da die Gesellschaft das anscheinend missbilligte. Ich hoffte gerade, dass sich das jetzt, wo er wusste, dass Angus mich nicht mehr wollte, nicht wiederholen würde. Ich konnte darauf wirklich verzichten.

    Aber Alaric klang jetzt nicht so, als wäre er besonders erbost darüber, wie ein Zuchtbulle vorgeführt zu werden. Ich schaute ihn von der Seite aus an und stellte mal wieder fest, dass ich Männer scheinbar nicht verstand. Ich hätte es furchtbar gefunden, wenn mein Dominus wirklich häufiger anfangen würde, mich vorzuzeigen und gar mit mir anzugeben. Aber Alaric klang beinahe besorgt, dass es nicht noch öfter vorkam. "Naja, vielleicht dachte sie, dass du noch aufmerksamer und stärker bist?" versuchte ich einen neutralen Ansatz, der nicht so klang, als hätte ihn seine Herrin nur gekauft, um mit ihm anzugeben und eben die Gerüchteküche anzuheizen.

    Als die Sprache auf die Spiele kam, machte er ein paar komische Sprechpausen. Als wollte er eigentlich etwas anderes sagen. "Und wo ist bei uns?" fragte ich also nach, eben weil er sich so komisch ausgedrückt hatte. Überhaupt klang er nicht so, als würde er gerne eine Römerin beschützen. Ich fragte mich, ob die Cornelia das wusste.

    Und wieder klang er irgendwie traurig, als er von seiner Domina erzählte. Die Frage, ob er in sie verliebt war, lag mir auf der Zunge. Aber ich traute mich nicht, sie zu stellen. Sowas fragte man nicht, es ging mich auch gar nichts an, und am Ende wäre er noch wütend auf mich. Aber es würde erklären, warum ich noch kein Gerücht gehört hatte, dass er sich eine feste Partnerin gesucht hatte. "Dann bist du noch nicht lange ihr Sklave?" fragte ich stattdessen. Ich hatte keine Ahnung, wann Domina Cornelia ein Haus gekauft hatte oder irgendwo eingezogen war. Ich selbst war ja erst einige Monate hier. Kurz nach meiner Ankunft hatte der Hausherr sie ja schon geheiratet.

  • Ein unsicheres Lächeln zeigend, blinzelte Alaric sie an.

    "Glaubst du?", fragte er mit einer Spur Neugier. "Nun, ich will mich nicht darüber beschweren. Stark und aufmerksam ist, was ich sein soll."
    Er zuckte mit seinen breiten Schultern und bemerkte - oder glaubte zu bemerken -, dass Rhian etwas zurückhaltend war. Ob sie ihm die Sache bei den Spielen noch übel nahm? Gut, er fand sie ganz heiß, aber es war nur ein harmloser Scherz gewesen.

    "Oh, bei 'uns'?", wiederholte er. "Ich meinte, zuhause. In meinem Stamm. Wir hatten auch Spiele und Wettstreite, aber da ging es mehr ums Ringen oder Wettläufe, Wettschwimmen. Schaukämpfe gab es auch, aber dabei kam in der Regel keiner zu Tode." Naja, bis auf dieses eine Mal... Es waren ein Fass Met, eine Klippe und zwei Dutzend Hühner involviert gewesen.

    Hach, die Heimat... Wie er sie vermisste. Selbst, wenn er irgendwann freikam, in vielen Jahren, und zurückkehren würde, würde er vermutlich nicht seine alte Heimat wiederfinden...

    Doch viel Zeit zum Sinnieren hatte er nicht, denn das Gespräch kehrte schnell zu Domina Cornelia zurück, zu der er so ambivalente Gefühle hatte. Einerseits war sie schön, ein guter Spaß im Bett, fair und eigentlich eine gute Herrin. Andererseits war sie unlesbar, immer noch eine Römerin und für ihn überhaupt nicht mehr präsent. Er wollte für sie eine größere Rolle einzig aus dem Grunde spielen, damit sie nicht vergaß, dass sie ihn behalten wollte.

    "Ich gehöre ihr seit kurz vor unserem Wiedereinzug hier", erklärte er Rhian. "Sie kaufte mich, da dachte sie noch, sie würde allein leben. Und nun sind wir hier und ich fürchte fast, dass sie mich bei all den anderen Sklaven, die hier zur Auswahl stehen, bald nicht mehr braucht. Mir ist im Grunde egal, in welchem Haus ich dienen muss, doch sieh mich an. Das hier war ein Glückstreffer. Viel größer, als nochmal in einem solchen Haus zu landen wäre doch die Wahrscheinlichkeit, in einer Mine zu landen oder in der Arena wie die armen Teufel bei den Spielen. Oder in einem dieser widerlichen Lupanare..." Na gut, widerlich waren sie nur, solange man nicht dort selbst Gast war. Doch er glaubte fast, seine Muskeln würden sein hübsches Gesicht schlagen und ein Minenbetreiber würde sich über die Arbeitskraft freuen. Alaric fürchtete nicht den Tod. Aber das langsame Dahinsiechen unter Tage, das trieb ihm einen Schauer über den Rücken.

  • Vielleicht hatte ich ihn wirklich ein wenig aufgeheitert. Zumindest schien es, dass ihm meine Worte gefielen, denn er wirkte nicht mehr ganz so unsicher. Er erzählte sogar von seinem Zuhause, auch wenn mich das genauso verwirrt zurückließ, wie davor. Die wichtige Information, welcher Stamm das denn war, die ließ er nämlich aus. Vielleicht wollte er nicht darüber reden, oder vielleicht hatte er es vergessen. Ich wägte ab, was wohl näher an der Wahrheit war, ich wollte ihn ja nicht verärgern. Und das nicht nur, weil er zwei Köpfe größer und definitiv muskulöser als ich war und ich ganz sicher mich nicht schnell genug ducken könnte, wäre er wütend. Wenn es Streit im Haushalt gäbe, würden wir am Ende sicher beide bestraft werden. Niemand hier schätzte Unruhe und Zickereien.

    "Bei den Spielen kam dieses Mal ja auch niemand zu Tode", wandte ich also hoffnungsvoll ein, auch wenn cih wusste, dass das wohl eher selten war. "Und ich hatte ehrlich gesagt geglaubt, dass es viel… ich weiß nicht. Dass es viel blutiger wäre mit abgeschlagenen Köpfen und ähnlich grauenvollen Dingen. Man hört immer so viel darüber, aber als ich es jetzt gesehen habe… Die Hinrichtungen waren schlimm. Ganz furchtbar. Aber die Gladiatoren? Die haben sich geradezu benommen." Zumindest sofern ich das auf die Entfernung in meinem Alter und mit meiner Erfahrung in Kampfdingen überhaupt sagen konnte. Oder anders gesagt: Ich war da wohl die am wenigsten geeignete Person in Rom, das zu beurteilen. Ich sah zu Alaric hinüber und überlegte noch immer, ob er so vage war, weil er nicht darüber reden wollte, oder ob er es einfach vergessen hatte. Wir kannten uns ja eigentlich gar nicht. Das war das erste längere Gespräch zwischen uns überhaupt. Aber wie sollte ich ihn kennen lernen, wenn ich nicht fragte?

    "Dann warst du nicht immer Sklave? Du erinnerst dich noch an das Leben davor?" fasste ich dann doch Mut und fragte einfach. Wenn er nicht wollte, konnte er mich ja immer noch zurückweisen und rüffeln. Aber seit Angus sich so von mir zurückgezogen hatte, hatte ich niemanden mehr zum reden. Die meisten hier waren schon ihr Leben lang Sklaven, die meistens sogar im Dienst der Aurelier geboren, und das war einfach irgendwie eine andere Welt für mich, noch immer. Vielleicht war ich aber auch einfach nur naiv, mich an Erinnerungen zu klammern, von denen ich nicht einmal mehr wusste, ob sie stimmten.


    Er erzählte noch ein wenig von seiner Domina und seiner Sorge, in den Minen zu landen. Ich sah ihn einen Moment an und sagte nichts. Ich kannte natürlich dieselbe Angst. Für einen Mann war ein Lupanar sicher nicht angenehmer als für eine Frau. Wobei ich von beidem glücklicherweise keine Ahnung hatte. Von mir wurde nur erwartet, mit einem Mann zu schlafen. Und der ließ mir sogar mehr oder minder die Wahl, ob ich das wollte. Wie konnte ich mich da also beklagen?

    "Du kennst deine Domina natürlich besser, aber meinst du wirklich, sie würde dich verkaufen? Nur weil du nicht… ähm..." Seine Anspielungen waren eigentlich zu deutlich, um sie nicht herauszuhören. Sie hatte ihn gekauft, weil er gut aussah und sie allein war. Das hatte er gesagt. Ich nahm nicht an, dass sie nur vor ihren Freundinnen mit ihm angeben wollte. Zumal jeder im Haus von den beiden Nubiern wusste, die der Dominus ihr zur Hochzeit geschenkt hatte und die im Grunde nur abwechselnd entweder eine der Sklavinnen oder die Hausherrin beglückten. Wie man so hörte, manchmal auch beides. Und der Hausherr wusste davon und machte auch mit. "Ich meine… Dominus Consular Aurelius hat ihr ja die beiden Nubier geschenkt, und… also damit er weiß, wenn sie ein Kind bekommt, ob es seines ist. Vielleicht… vielleicht war sie deshalb dir gegenüber zurückhaltender? Aber jetzt ist sie ja schwanger, und… naja..." Irgendwie fühlte es sich falsch an, jemandem Hoffnung zu machen, bald vielleicht wieder zwangsweise mit einem Römer ins Bett zu steigen. Mich fröstelte plötzlich und ich rieb mir die Arme.

    "Aber sie würde dich sicher nicht an die Mine verkaufen. So viel kannst du doch gar nicht angestellt haben, dass sie so eine Strafe über dich verhängt." Denn die Mine war eine strafe. Die Römer bestraften so auch die eigenen Landsleute, wenn die gegen das Gesetz verstoßen hatten.

  • Alaric fand das Gespräch mit ihr eigentlich ganz angenehm. Normalerweise starrten seine Gegenüber ihn entweder halb nervös oder halb lüstern an. Und auch, wenn ihm der sexuelle Unterton nicht unbedingt missfiel, war es doch mal eine Abwechslung, eine normale Unterhaltung zu führen.

    Oh, Rhian war durchaus anziehend. Ein Signal von ihr und er wäre bereit gewesen, ihr eine verdammt gute Zeit zu bescheren. Doch derlei kam nicht und obgleich er ein Barbar war, besaß er genug Anstand, sich zurückzunehmen.

    Sie schien sich Mühe zu geben, ihn zu trösten, nur… weshalb? Irgendwie wuchs in ihm der Eindruck, sie sprächen über zwei verschiedene Dinge. Und als sie auf die Nubier zu sprechen kam, wurde ihm auch klar, was das Mädchen meinte:

    „Ach… Du denkst, ich begehre sie und bin eifersüchtig auf ihre beiden Zuchtbullen?“, schmunzelte er. „Götter, nein. Keine Sorge, ich bin nicht so naiv und auch nicht so verliebt. Ich werde ganz sicher nicht nein sagen, wenn sie mich in ihr Bett holt, aber es gibt auch andere schöne Frauen.

    Meine Sorge ist einzig und allein, ob ich in diesem Haus benötigt werde oder mich bald auf dem Auktionsblock wiederfinde. Es stimmt, sie ist eine gute Herrin. Sie war gut zu mir – solange sie mich beachtet hat. Doch ohne einen Nutzen für sie, warum sollte sie mich behalten?“

    Alaric schüttelte den Kopf.

    „Entschuldige. Ich wollte dir nicht die Ohren volljammern mit Dingen, die nicht dein Problem sind. Du bist eine freundliche Zuhörerin. Es freut mich, dich endlich etwas besser kennenzulernen. Willst du mir nicht etwas von dir erzählen? Bist du denn eine Sklavin dein Leben lang? Ich kann mir das nicht vorstellen… Du musst die Römer ganz anders sehen, als ich. Wo kommst du denn her?“

  • Offenbar hatte ich ihn falsch verstanden. Oder so halb falsch. Er gab grade ziemlich unumwunden zu, dass er mit der Cornelia vögelte, und dass es ihm sogar gefiel, was mich doch ein wenig peinlich berührte. Ich könnte nie so darüber sprechen, was mein Dominus mit mir machte. Ich wurde schon rot, wenn ich daran dachte. Aber Alaric schien sich daran gar nicht zu stören, dass seine Domina ihn für ihre Befriedigung nutzte. Im Gegenteil. Er hatte nur Angst, dass sie ihn verkaufte.

    "Naja, aber so viele Sklaven hat sie ja nicht mitgebracht. Meinst du nicht, dass sie dich schon allein aus Statusgründen behält, damit sie eigene Sklaven im Haus hat?" versuchte ich also, von dem Thema, wer mit wem vögelte, etwas abzulenken. "Und du kannst dich ja vielleicht auch anders nützlich machen. Also… ich meine… ähm…. Angus hackt zum Beispiel auch Holz und hilft bei schweren Arbeiten", sagte ich, denn Angus war ja auch Custos Corporis. Der Gedanke an ihn fühlte sich wieder wie ein Stich an, und ich schaute beiseite, damit Alaric es hoffentlich nicht bemerkte. Wer redete denn schon mit jemand fast fremden gerne über dessen Liebeskummer?


    Und dann entschuldigte er sich dafür, dass er jammern würde. Jetzt schaute ich doch zu ihm. "Du jammerst doch gar nicht", sagte ich mit schiefem Lächeln. Da hatte ich andere Männer shcon mehr jammern hören, und cih fand seine Sorgen ja durchaus nachvollziehbar. Ich machte mir ja auch mehr als genug Sorgen, dass mein Dominus mich verkaufen würde, wenn ich ihm langweilig geworden wäre. "Ich versteh deine Sorgen gut. Mir geht es da nicht viel anders. Also… ich meine… also, dass ich verstehen kannst, dass du dir Sorgen machst, was passiert, wenn du nicht mehr, ähm… also so ganz vollumfänglich… äh… eingesetzt wirst von deiner Domina." Oh, Götter, ich sollte aufhören zu reden. Zum Glück hatte er mich noch was anderes gefragt. Auch wenn ich sicher war, dass meine Wangen glühten, redete ich also schnell weiter, um die peinliche Situation hinter mir zu lassen.

    "Ich komme aus Britannia. Mein Dorf gehörte zu den Silurern." Ich schaute ihn einmal forschend an, ob ihm das was sagte, aber er war wohl kein Brite. Zumindest erschien auf seinem Gesicht jetzt nichts, was ich als Erkennen einstufte. "Ich war vielleicht acht Jahre oder etwas jünger, als… ich weiß nicht so genau, was geschehen ist. Aber die Römer haben mein Dorf niedergebrannt und die Überlebenden versklavt, auch mich." Ich schaute wieder nach vorn, auf einen Punkt irgendwo im grünen, ohne wirklich hinzusehen. "Es ist schon so lange her, ich erinnere mich kaum." Das stimmte nur halb. Ich erinnerte mich an einiges, aber ich verdrängte die Bilder, die es heraufbeschwor. Das brennende Pferd, und wie es schrie. Meine Schwester am Boden. Meine Mutter, die zu ihr lief, ehe das Schwert sie erwischte. Nein, ich wollte das jetzt nicht sehen. Ich schloss die Augen einen Augenblick. "Sie brachten mich nach Lugdunum, aber da wurde ich weiterverkauft, da war ich so zwölf. Danach war ich in Bononia. Das liegt im Norden. Aber als mein Herr starb… ähm… sein Sohn wollte mich nicht mehr haben und hat mich weiterverkauft. Naja, und jetzt bin ich hier."

    Das war sehr stark verkürzt wohl mein Leben. Wichtige Einzelheiten wie meine Liebe zu Gwen mal außen vor gelassen. Ich sah zu Alaric. "Und bei dir? Woher kommst du?"

  • Alaric hörte schweigend zu, während Rhian einerseits sinnierte und schließlich von ihrer eigenen Geschichte erzählte, die seiner eigenen sehr ähnlich war - nur war sie weit jünger gewesen und hatte sich offenbar schon an ihr Leben hier gewöhnt. Doch auch sie fürchtete offenbar, diesen Haushalt verlassen zu müssen, ohne zu wissen, wohin es sie als nächstes verschlagen mochte. Alaric konnte sich das nicht ausmalen. Rhian war auffallend hübsch, schien gehorsam und demütig zu sein. Welcher Mann wollte sie nicht? Götter, er selbst hätte sie nicht verneint!

    "Ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst", sagte er mit einem, wie er glaubte, beruhigenden Lächeln. Er widerstand der Versuchung, sie zu berühren, und sei es nur, ihr die Hand auf die Schulter zu legen. "Du bist unter den Sklavinnen des Hauses sicher eine der schönsten. Ich denke nicht, dass es für dich einen Grund gibt, dich in meine Lage zu versetzen."

    Mit ernster Miene hörte er dem Mädchen zu, wie es seine Geschichte erzählte und atmete tief durch, ehe er sprach:

    "Britannia. Das liegt noch weiter nördlich als meine Heimat, nicht wahr? Noch hinter dem Nordmeer. Dann hast du ja eine weite Reise hinter dir.
    Ich stamme aus Germanien. Mein Stamm sind die Caeroser und wir stehen schon immer mit den Römern auf Kriegsfuß, seit sie in unser Land eingefallen sind. Mein Vater ist der Anführer unseres Stammes. Ich hatte Sorge, dass sie mich hier vorführen und vor den Massen demütigen. Doch die Domina scheint sich dafür nicht zu interessieren... zum Glück."

  • War das wirklich ein Kompliment? Ich schaute kurz überrascht zu Alaric neben mir, denn ich hatte nicht angenommen, dass er mich hübsch fand. Wobei das ja noch überhaupt gar nichts hieß. Ihm schmachtete der halbe Hausstand hinterher und wenn er irgendwen wollte, konnte er das wohl ohne viel Mühe auch in die Tat umsetzen. Deshalb hatte ich ihn auch ein bisschen für einen Weiberheld gehalten, musste ich zugeben, auch wenn ich jetzt noch keinen Klatsch gehört hatte, dass er tatsächlich mit irgend einer Sklavin mal verschwunden wäre. Vorhin noch hatte ich gedacht, dass sei deshalb, weil er tatsächlich in seine Domina verliebt sei, aber das hatte er ja dann verneint. Und irgendwie konnte ich das alles jetzt mit dem kleinen Kompliment nicht in Einklang bringen und ich merkte, dass ich leicht errötete. Also schaute ich schnell wieder weg, bevor es peinlich wurde und ich wieder Schlüsse zog, wo es gar nichts zu schließen gab. Er wollte sicher einfach nur nett sein und nichts weiter. Er machte ja keinerlei Anstalten, irgendwie mehr Interesse als an einer Unterhaltung zu zeigen. Wo ich zugegebenermaßen auch nicht so traurig war, ich hatte schon einen Mann, der mich nun vollständig ignorierte, nachdem er sein Ziel einmal erreicht hatte, und einen zweiten, der mich täglich verwirrte. Allein die Idee, dass Alaric mit mir flirten könnte, machte das alles nur noch komplizierter, und ich hatte ja jetzt schon Kopfschmerzen wegen all dem. Abgesehen davon wollte er nur nett sein, so!

    "Als ich gekauft wurde, wurden im gleichen Zug zwei sehr schöne Sklavinnen verkauft, weil die Domini keine Bastarde im Haus haben wollten", klärte ich also Alaric über einen Denkfehler in seiner Argumentation auf. Wahrscheinlich wusste er das nicht oder konnte sich nicht vorstellen, dass die Männer hier Frauen wegschickten, die ein Kind von ihnen erwarteten. "Und mein Dominus hatte schon einige Sklavinnen vor mir. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich ihm langweilig werde", sagte ich leise und ehrlich. Denn auch, wenn mein Dominus gerade sehr nett und verständnisvoll mir gegenüber war, ich konnte nicht meine Augen einfach davor verschließen, dass er schon einige andere wie mich gehabt hatte und sicher auch noch mehr haben würde, und dass er wohl wenig Skrupel hätte, sollte ich schwanger werden. Ich hoffte nur, dass ich ihn dann überzeugen konnte, dass er mir wenigstens die Möglichkeit gab, das Kind anderweitig los zu werden, auch wenn das gefährlich war und nicht mal ganz so selten mit dem Tod der Frau endete.


    Nein, da war es leichter, über die Vergangenheit zu reden. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wo Germania genau lag und was nördlicher war, Britannia oder Germania. All sowas wusste ich nicht. Ich konnte nicht lesen. Karten lesen schon zweimal nicht.

    "Weiß deine Domina, dass dein Vater ein Anführer ist?" fragte ich leise. Er hatte es so ganz leicht dahin erzählt, aber eigentlich war das für ihn doch gefährlich. Anführer wurden öffentlich hingerichtet, damit alle Welt sah, dass Rom immer obsiegte. Daher konnte ich seine Sorge, dass man ihn vor den Massen demütigen würde, gut verstehen. Das war nicht wirklich unwahrscheinlich. "Und wie alt warst du, als… als du zum Sklaven wurdest?"

  • Alaric folgte den Ausführungen des Mädchens mit einiger Verwunderung, doch auch einer Miene, die dem Ernst der Situation und ihrer Angst angemessen war. Rhian machte sich Angst, irgendwann nicht mehr nützlich zu sein und dann wohl verkauft zu werden – wie er selbst. Auf merkwürdige Weise waren sie beide in genau derselben Situation. Und da er wusste, wie beschissen das war, wusste er auch oder ahnte es zumindest, was sie jetzt brauchte. Jemand, der zuhörte, war schon Gold wert.

    „Ich?“, fragte er abwinkend. „Das ist noch nicht lange her. Ein paar Monate, vielleicht ein Jahr. Ich habe bis vor meinem Kauf durch Domina Cornelia fast mein ganzes Leben in meinem Stamm verbracht. Ich… vermisse meine Familie sehr. Aber vielleicht sehe ich sie irgendwann wieder. Man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben. Spätestens in Wotans Hallen sauf ich meine Brüder dann unter den Tisch.“

    Er sagte das so leicht daher, doch in Wahrheit spürte auch er Angst. Er beschäftigte sich im Augenblick nicht gern mit seiner Situation, weshalb er zu Rhian zurückkehrte.

    „Aber du“, grinste er in einer Manier, die aufmuntern sollte. „Ich finde ja, es wäre Verschwendung für den Dominus, seine hübscheste Sklavin einfach zu verkaufen. Er weiß doch sicher, was er an dir hat. Da kann von den anderen kaum eine mithalten. Glaub mir, ich kenne mich da aus.

    Aber… Wenn du dir wirklich Sorgen machst, warum fragst du den Dominus nicht? Er wirkt auf Anhieb doch wie ein ehrenhafter Mann. Ich bin sicher, er würde dich anhören? Und wenn nicht, sag mir Bescheid. Dann haue ich ihm eine rein.“

  • Erst ein Jahr, und er durfte Domina Cornelia beschützen, außer Haus herumlaufen und sich hier frei bewegen? Ich versuchte, mich an meine erste Zeit als Sklavin zu erinnern. Gut, ich war ein Kind gewesen und so viel davon wusste ich nicht mehr. Aber ich erinnerte mich daran, dass ich oft eingesperrt wurde. Und auch oft geschlagen, damit ich lernte, mich zu benehmen und aufzuhören, zu kratzen und zu beißen. Und die Sprache der Römer zu benutzen und nicht meine eigene. Meine erste Zeit war wirklich nicht schön gewesen. Aber ich war auch viel jünger als Alaric gewesen, der vielleicht schneller gelernt hatte, zu kooperieren.

    "Dafür sprichst du die Sprache aber schon echt gut. Ich hätte nicht gemerkt, dass du erst so kurz Sklave bist, wenn du es nicht erzählt hättest", sagte ich frei heraus. Schon allein deshalb, weil ich keine Ahnung hatte, wer Wotan war, wo der wohnte und warum Alarics Familie bei ihm sein sollte. Ich wollte aber nicht, dass er mich für dumm hielt, falls das irgendwas berühmtes war, was ich nur nicht kannte.

    Dann änderte er irgendwie die Körperhaltung, und jetzt war ich mir wirklich, wirklich nicht mehr sicher, ob er nicht doch mit mir flirtete. Eben war ich noch eine der hübschesten Sklavinnen, jetzt die hübscheste, und er wollte meinen Dominus hauen. Ich war mir sicher, dass meine Wangen zu glühen anfingen, und ich wusste nicht wirklich, was ich da jetzt sinniges darauf erwidern sollte. Ich kannte eine ganze Horde Sklavinnen hier im Haus, die jetzt sicher weggeschmolzen wären und ihn angehimmelt hätten oder irgendwas schlagfertiges und kokettes gesagt hätten, um zurückzuflirten. Ich schaute nur kurz verwirrt und sagte dann etwas so romantisches, wie: "Damit du erst ausgepeitscht und dann doch in die Minen verkauft wirst?" Romantik-Spartaner! Huah!

    Ich lief noch etwas roter an und schaute deshalb beiseite, als ob er es dadurch nicht bemerken würde. "Ich habe mit ihm geredet. Er sagt, er verkauft mich nicht, aber… du weißt ja selber, wie es ist. Wenn sich die Zeiten ändern, ändern sich auch die Versprechungen. Ich will ihm ja glauben und er gibt mir auch keinen Grund, an seinem Wort zu zweifeln, aber… naja, wir werden sehen. Im übrigen kann ich den Rat dann nur an dich zurückgeben, denn deine Domina scheint doch auch sehr… ähm, ehrenhaft zu sein."

    Ich schmunzelte jetzt doch. "Ich werd aber niemanden für dich hauen, erst recht keine Römer." Ich hing an meinem Leben. Auch wenn ich glaubte, dass er einen Scherz gemacht hatte und einfach nur flirten wollte oder so etwas. Männer waren da kompliziert.

  • Ach Götter, die Ärmste nahm ihm das ja noch glatt ab. So panisch wie Rhian reagierte (oder war es Scham?) wollte er sie am liebsten in den Arm nehmen und „Alles gut!“ sagen. Nicht zu erwähnen, dass er sich gerade noch zurückhalten konnte.

    „Keine Sorge!“, lachte er gutmütig und winkte ab. „Meine Domina hau ich schon selber.“ Halt, Moment.

    „Äh. Das war eine Metapher.“

    Er würde sich hüten, geschweige denn, dass sowas nicht seine Art war.

    Alaric meinte, in Rhian eine Art Unruhe zu erkennen. Mal wirkte sie heiter, dann wieder erschrocken und ständig sah sie ihn so seltsam an, wenn sie seinem Blick nicht direkt auswich. Er fragte sich, ob es daran lag, dass sie so gar nicht interessiert und unangenehm berührt war oder aber sich voll in ihn verknallt hatte. Alaric dachte über beide Möglichkeiten in etwa gleich: Schade, aber in Ordnung. Arbeiten konnte man mit beidem. Und auch, wenn ihm bei hübschen Frauen einfach ein flirtender Unterton zu Eigen war, hatte er es doch nur nett gemeint.

    „Wie auch immer. Dann lass uns doch vereinbaren, dass wir uns beide an den Rat halten und uns weniger verrückt machen. ‚Trink am Feuer, lauf Schrittschuh auf Eis, kauf mager das Ross und stumpf das Schwert. Tu dies und sei zufrieden mit deinem Los.‘

    Es bedeutet soviel wie ‚gib dein Bestes, halt den Kopf unten, mehr kannst du nicht tun. Was passiert, passiert. Und solange kann man es sich auch gutgehen lassen. Das ist, äääh, nur eine Weisheit aus meiner Heimat. Von denen und den alten Liedern kenne ich einige.“

    Komisch, wie er das so sagte, musste er sich Rhian beim Tanzen vorstellen. Die machte sicher eine großartige Figur. Doch nein, Konzentration. Er wollte sie wirklich nicht drängen.

  • Als er sagte, dass er seine Domina selber haute, schaute ich doch einmal kurz überrascht zu ihm. Er revidierte es natürlich gleich wieder, aber trotzdem war allein der Satz schon so seltsam anzuhören gewesen, und irgendwie hatte ich gerade völlig unangemessene Bilder im Kopf. Die hatten viel weniger mit einer Prügelei zu tun, sondern viel mehr damit, was Alaric mit seiner Domina sonst so tun wollte und worüber er besorgt war. Nein, ich sollte nicht weiter in diese Richtung denken.

    Und er wollte es auch nicht, denn er lenkte gleich an und gab ein Gedicht oder so etwas zum Besten, das ich nicht kannte. Und ohne seine Erklärung dazu hätte ich diesen Wust an Empfehlungen auch nicht verstanden. Warum sollte ich ein Pferd oder ein Schwert kaufen? Abgesehen davon, dass ich für keines von beidem das Geld hätte, stumpf, mager oder sonstwie. Mit seiner Erklärung ergab das schon viel mehr Sinn.

    "Du singst?" fragte ich mit grinsendem Gesicht und legte den Kopf schief. Ich kannte wenig Männer, die im nüchternen Zustand sangen. Und wenn, dann selten gut. Wobei ich auch wusste, dass es einige professionelle Sänger und Kithara-Spieler gab. Aber ich hatte noch nie einen gesehen oder einem zugehört. Und irgendwie hätte ich Alaric damit nicht in Verbindung gebracht. Mein Bild von so einem Mann war eher… nun, weniger männlich. Was eben an den Erzählungen über sie lag. "Kannst du mir ein Lied aus deiner Heimat vorsingen?" Ich würde zwar kein Wort verstehen, aber das machte nichts. Ich versuchte, mich an die Lieder aus meiner Heimat zu erinnern, aber meine Erinnerung daran war bestenfalls schwammig. Etwas germanisches zu hören war da keine allzu schlechte Alternative.

  • „Ja, ich singe“, gab Alaric mit einem verlegenen Lächeln zu. Hier schien das ja höchst unüblich zu sein. „Aber da bin ich bei uns wirklich nicht der einzige. Es ist üblich. Bei Festen, am Feuer oder vor einem Kampf, um die Moral zu heben. Ein Instrument spielen kann ich allerdings nicht.“ Nun schien Rhian doch zumindest neugierig. Nun, es wäre eine Lüge gewesen zu behaupten, dies sei völlig unbeabsichtigt gewesen, doch Alaric lachte und räusperte sich.

    „Aber dann hab ich was bei dir gut“, stellte er grinsend fest und begann, zu singen. Es war ein tiefer Gesang, dennoch hatte er einen heiteren Unterton, obwohl er natürlich in Alarics Heimatsprache vorgetragen wurde:


    "Das Wesen, das man die Nixe nennt,

    Bekanntermaßen keine Liebe kennt


    Denn ist sie, wie durch bösen Bann,

    Immer Frau und niemals Mann


    Und gibt es halt nur ein Geschlecht,

    Klappt’s mit Romantik nicht so recht


    Da ich als Freund der süßen Triebe

    Gern Spieler bin im Spiel der Liebe


    Wär ich doch lieber Hühnergeier

    Als eine Nixe ohne Freier"


    Natürlich musste er den Text nachdem er geendet hatte, für Rhian noch übersetzen und fasste es in aller Kürze zusammen. Als er geendet hatte, wartete er gespannt auf ihr Urteil.

  • Sein Volk war irgendwie komisch. Ich musste lächeln, noch ehe er angefangen hatte, und hörte dann zu, wie er sang. Es klang jetzt wirklich wie irgend was, das man im angetrunkenen Zustand auf einem Fest singen mochte. Nicht wie ein schweres Lied von verzweifelter Liebe oder sowas, sondern lustiger, auch wenn ich kein Wort verstand. Aber Alaric hatte eine gute Stimme und sang fröhlich, so war die Stimmung ansteckend und ich lächelte ihn freudig an.

    "Was bedeutet es?" fragte ich neugierig, als er geendet hatte, und er übersetzte es mir. Aber ich hatte keine Ahnung, was eine Nixe war, also erklärte er mir auch das und meine Augen wurden mit einem Mal groß. "Ein Selkie! Das Lied geht über eine Selkie-Frau!" rief ich verblüfft, denn Angus hatte mir ja von den Selkies erzählt. Auch wenn Alaric nicht sagte, dass die Frau sich in eine Robbe verwandeln konnte, war die Geschichte doch hinreichend ähnlich, dass ich mich daran erinnern konnte. Und auch, wenn mich das wieder schmerzlich an Angus erinnerte, musste ich doch lächeln bei der Erkenntnis, dass auch die Caeroser die Meerwesen kannten. Auch wenn sie wohl wesentlich weniger blutige und trübsinnige Geschichten über sie erzählten.

    Ich legte den Kopf leicht schief und überlegte. "Aber warum sollte die Selkie… also die Nixe Mann sein wollen? Kann sie nicht einfach einen Menschen-Mann als Mann nehmen?" Ich überlegte wirklich einen Moment, wo die Schwierigkeit liegen sollte. Gut, die Geschichten meines Volkes gingen bei solchen Dingen nie gut aus, wenn jemand aus der Anderswelt und jemand aus der diesseitigen Welt miteinander eine Familie gründete. Aber es passierte doch hinreichend oft, dass es viele Geschichten darüber gab.

  • Sim-Off:

    Ich glaub, du hast mal Angus mit Alaric verwechselt. Ich glaub, der hat ihr nix von Selkies erzählt. :D


    Alaric musste schmunzeln. Nicht zu fassen, sie überinterpretierte dieses Volkslied ja völlig!

    "Es ist nur ein Lied", versuchte er, sie zu beschwichtigen und seine Schultern bebten vor Belustigung. "Es hat nichts zu bedeuten. Natürlich holen sie sich Menschenmänner. Klar, wenn es bei ihnen keine gibt, oder?"

    Nun, es klang zumindest etwas logisch, wenn man es so betrachtete. Manchmal fragte sich Alaric jedoch, ob es wirklich nur Lieder und Geschichten waren. Schließlich sollte es auch hier im Süden Geschichten von unvergleichbar hübschen Frauen aus dem Meer geben. Wenn man sich auf der ganzen Welt davon erzählte, dann musste das doch stimmen, oder?

    "Kannst du denn auch singen? Oder bist du eher eine Tänzerin? Also, das würd ich gern mal sehen."

  • Sim-Off:

    Was, verwechselt? Nein, nie! Ich hab auch überhaupt nicht editiert. :unschuldig:


    Irgendwas amüsierte ihn, aber ich verstand nicht, was. Wahrscheinlich ich, aber ich wusste nicht, was ich lustiges gemacht hatte. Vielleicht gab es da einen Witz über die Selkies, der nur seinem Volk bekannt war, und ich hatte ihn unfreiwillig zum Besten gegeben? Da mein Volk im Allgemeinen und ich im Besonderen sehr fest an die Anderswelt und alle ihre Bewohner glaubte, wär mir nicht einmal der Gedanke gekommen, das Lied könnte einfach nur nichts bedeuten. Darum blinzelte ich auch und wurde dann rot, als ich zu verstehen anfing, dass das alles nur ein großer Scherz war und sein Volk solche Dinge sehr viel weniger ernst nahm. [alk]Oh[/talk], machte ich und schaute schnell etwas beiseite, damit er nicht sehen konnte, wie rot ich wurde. Es war mir ja doch ein wenig peinlich, und sicher hielt Alaric mich nun für fürchterlich naiv. Abgesehen davon vertrieb ich gerade Bilder von Meerfrauen, die sich an Menschenmänner ranschmissen, um eine Familie zu gründen, aus meinem Kopf.


    Als er mich fragte, ob ich singen konnte, schaute ich dann überrascht zu ihm und schüttelte den Kopf. Ebenso beim Tanzen. Ich glaube, ich konnte gar nichts. Kein Wunder, dass ich nur zum Bettwärmen zu taugen schien. Und auch das konnte ich nicht wirklich.

    "Ich kenn gar keine Lieder. Und hier ist ja auch gar keine Musik und ich glaube nicht, dass ich das gut kann. In Bononia haben Gwen und ich… also wir haben uns höchstens an den Händen gehalten und uns gedreht, bis uns schwindelig war, aber das zählt glaube ich nicht als tanzen", gestand ich. Aber woher sollte ich sowas denn können?

    "Aber ich kann das sicher nicht so wie die Tänzerinnen vor dem Theatrum, wo die Gladiatorenspiele waren." Abgesehen davon, dass ich wesentlich mehr anhatte als die jungen Frauen, die sich dort zur Unterhaltung der Leute geräkelt und verbogen hatte.

    Da fiel mir etwas ein. "Aber Morrigan kann tanzen. Erzählen wohl die anderen, dass sie das zu den Saturnalien immer macht. Wenn du jemandem beim Tanzen zugucken willst, solltest du sie fragen, das ist sicher… ähm… sehenswerter als alles, was ich anstellen könnte." Außer, es ging dabei darum, mal herzlich zu lachen.

    "In deinem Volk wird wohl viel getanzt und gesungen, oder?" fragte ich dann nochmal nach. Er war ja schon erwachsen gewesen, als er zum Sklaven geworden war. Da musste er noch sehr viel aus seinem Leben davor wissen. Und ich, die ich fast nichts mehr über mein Leben davor wusste, fand so etwas immer faszinierend.