[Camera Textoria] Unwissenheit ist ein Segen, Vermutungen ein Fluch

  • Die Gedanken wollten nicht wirklich aufhören, zu kreisen. Corvina saß in ihrer Handarbeitskammer und bestickte den Saum einer Tunika. Es war eine einfache Arbeit, bei der sie den Kopf freikriegen konnte, da sie sich nur immer auf den nächsten Stich ihrer Nadel konzentrieren musste und alles andere ausblenden konnte. Aber heute gelang es nicht so sehr, wie sonst. Was vor allen Dingen daran lag, dass auch Kara dieses Mal fehlte, um ihre Gedanken mit der Freundin zu teilen. Dieses Mal aber war Kara mit ein Grund der Gedanken, so dass es schwieriger war.

    Aber sie bemühte sich, auch wenn die Gedanken darüber, was passiert war, beständig an ihr nagten.

  • Den Vormittag über hatte Kara eigentlich nur vorsichtig gebadet und sich ausgeruht. Verdammt noch eins, sie hatte nicht gewusst, dass zwei Männer so anstrengend sein konnten. Es war die Sache wert gewesen, mehr als das, aber es hatte sie körperlich ganz schön gefordert.


    Aber am Nachmittag war sie dann doch wieder aufgestanden und zwang sich, etwas zu tun. Wer feiern konnte, konnte auch arbeiten. Zumindest langsam.


    Kara musste auch nicht lange suchen, wo sie Corvina finden würde. Sie war da, wo sie meistens war: Bei ihrer Handarbeit.

    Kara kam also in das Handarbeitszimmer und sah dort ihre Freundin über eine Näharbeit. Sie lächelte sie zur Begrüßung an. “Na, am nähen?“, fragte sie wenig originell. Als sie von Corvina als Antwort aber nur ein Schulterzucken bekam, wusste sie schon, was Sache war. Corvina war sauer. Gut, sie war auch zurecht sauer auf Kara. Aber das wusste Corvina ja nicht! Und von Kara würde sie es selbst unter Folter nicht erfahren!

    Aber gut, erst einmal wieder verbaler Freundschaftsaufbau. “Und, weißt du schon, wie lange du sauer auf mich sein wirst?“ fragte Kara also gewohnt frech und setzte sich direkt neben ihre Freundin auf die kleine Bank.

  • Kara kam herein, und Corvina seufzte innerlich. Nein, sie war eigentlich gerade nicht in Stimmung. Die ganze Zeit hatte sie versucht, nicht daran zu denken, dass Nero die Sklavin mitgenommen hatte, aber jetzt, wo sie hier dastand, konnte sie es nicht ausblenden. Was hatten sie mit Kara gemacht? Hatte Nero…? Nein, das würde er nicht. Das würde auch Kara nicht. Corvina wollte keine Gedanken in diese Richtung haben. Aber Kara würde gesehen haben, was ihr Mann getan hatte. Mit wem er es getan hatte. Auf welche weise. Wie oft. Ob er daran Gefallen gehabt hatte.

    Als Kara sie ansprach, zuckte Corvina erst einmal nur verhaltne mit den schultern. Ihr war nicht nach reden. Aber Kara ließ natürlich nicht locker und setzte sich neben sie. Corvina atmete einmal tief durch, versuchte, ihr Nähzeug wieder aufzunehmen und weiterzusticken, aber es schien ihr mit einem mal so unendlich sinnlos. Sie schnaufte. Und sah resignierend zu Kara hinüber. Dann wieder beiseite.


    Sie brauchte mindestens fünf Anläufe, in denen sie immer wieder Luft holte und dann doch wieder beiseite sah, ehe sie endlich doch ihre Stimme fand.

    “Ich bin nicht wütend auf dich, Kara. Es ist nur… du warst da, und ich weiß nicht, was dort passiert ist. Und… ich meine, du hast ihn gesehen, oder? Du hast gesehen, mit wem er…?“

  • Natürlich wusste Kara, woher der Wind wehte. Natürlich wusste sie, was Corvina beschäftigte. Und es dauerte auch nicht übermäßig lange, bis die Freundin endlich mit der Sprache herausrückte. Kara unterbrach sie auch gleich und hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Dann nahm sie ihr das Nähzeug aus der Hand und ergriff beide Hände. “Corvina, du solltest nichts fragen, von dem du nicht wirklich, wirklich die Antwort wissen willst. Und du willst die Antwort nicht wissen.“

    Corvina sah beiseite, aber Kara ging mit ihrem Gesicht ihrem Blick nach und suchte nach Corvinas Augen. Sie wusste, dass Corvina das fragte, weil sie verletzt war und nicht wusste, wohin mit ihrem Schmerz.

    “Corvina… Ich werde dir nicht ins Gewissen reden. Ich weiß, es tut dir weh. Aber ich weiß auch ganz genau, dass dein Mann dich liebt. Er liebt keine andere. Was passiert ist, war nur Sex. Das war keine Konkurrenz für dich. Nur Sex. Nur die Befriedigung von Bedürfnissen. Nicht mehr.“

    Vorsichtig streichelte Kara an Corvinas Gesicht seitlich entlang und wartete, dass sie zu schluchzen anfing. Kara umarmte sie dann richtig und bettete Corvinas Kopf an ihrer Schulter, streichelte ihr über den Rücken und ließ sie einfach mal weinen.

    Ja, Kara hatte durchaus ein schlechtes Gewissen deswegen. Sogar ein sehr schlechtes Gewissen. Und trotzdem wusste Kara, dass sie nicht darauf verzichten wollte. Nur wusste sie eben auch, dass Corvina davon nichts wissen durfte.

  • Kara hatte recht, eigentlich wollte Corvina es gar nicht wissen. Ihr wäre am liebsten gewesen, ihr Mann hätte ihr überhaupt gar nichts davon erzählt, so dass sie weiterhin in ihrem Unwissen hätte verharren können. Es war schon schwer genug für sie, mit dem Wissen zu leben, dass er regelmäßig zu Dede ging und mit ihr schlief, auch wenn sie so wenigstens sicher sein konnte, dass es keine Konkurrenz zu ihr und ihrem Kind war. Und sie glaubte ihm auch, dass er die Nubierin zwar gern hatte, aber eben auch nicht mehr. Auch wenn Corvina sehr wohl mitbekommen hatte, dass es anders herum durchaus mit großen Gefühlen verbunden war. Aber auch da war Corvina fast schon froh, denn Dede würde Nero nicht schaden. Dennoch war es manchmal schwer.

    Aber das jetzt, diese Orgie, das war anders. Es fühlte sich anders an. Und es nagte an Corvina. Diese Fragen nagten so tief an ihr. Als Kara sie da streichelte und ihr sagte, dass Nero nur sie liebte und sie nicht weiter fragen sollte, dauerte es ein wenig. Aber schließlich brachen sich diese Gefühle dann Bahn und Corvina sank in die Umarmung ihrer Freundin und weinte und schluchzte. Sie weinte, bis sie das Gefühl hatte, dass alles heraus war und kuschelte sich dann an Karas Schulter wie damals, als sie Kinder waren.

    “Ich hab nur so Angst, Kara. Dass ich ihm nicht genüge. Dass ich… ich weiß auch nicht… dass ich nicht diejenige bin, die er braucht. Ich...“ Sie konnte es nicht in Worte fassen, was ihre Angst war. Eigentlich hatte ihr Mann ihr nie Grund zu der Annahme gegeben, dass sie ihm nicht genügte oder sie ihm nicht vertrauen konnte. Aber Gefühle folgten halt nicht immer der Logik.

  • Kara hielt Corvina einfach fest und streichelte sie. Sie hatte ihr ganzes Leben mit Corvina verbracht und wusste daher, was sie meinte, auch wenn sie es nicht in Worte fassen konnte. Corvina war relativ einfach zu verstehen, wenn man sie einmal kannte. Sie hatte immer Angst, etwas falsch zu machen, nicht gut genug zu sein, Erwartungen zu enttäuschen und damit negativ aufzufallen. Sie hatte Angst vor Liebesentzug. Und da war ein Ehemann mit großer Libido eben etwas, bei dem sie sich selbst minderwertig fühlte. Auch wenn das vollkommener Blödsinn war.

    Kara streichelte sie also und ließ sie sich ausheulen. Erst, als sie damit fertig war und wieder in der Stimmung, zu reden, machte sich Kara an die Aufbauarbeit. “Das ist doch Quatsch, Corvina. Der Typ ist total verknallt in dich, und das, obwohl du im Schlaf sabberst.“ Sie wartete, bis Corvina kurz leicht lächelte wegen dem Scherz. “Corvina, du bist seine Ehefrau, und er liebt dich. Und du trägst sein Kind und er ist deshalb total aus dem Häuschen. Du machst alles richtig und großartig. Er fickt nur einfach gern, und gerne sehr hart….“

    Da Corvina kurz mit dem Kopf ruckte, merkte Kara, dass das vielleicht nicht die cleverste Erwähnung war. Aber vielleicht war es auch das, was Corvina brauchte. “Er will dir nicht weh tun. Eben weil er dich liebt. Er will, dass du bei ihm glücklich bist. Mach dir keine Gedanken um irgendwelche anderen. Er könnte genausogut ins Lupanar gehen, um Druck abzubauen, das ist kein großer Unterschied. Und würdest du dir da Sorgen machen oder denken, du wärst nicht gut genug für ihn?“

  • Die Worte taten gut. Nur einmal zuckte Corvina kurz ein wenig zusammen, als Kara meinte, Nero würde es hart mögen. Was hatte sie gesehen?


    Nein, Corvina wollte es lieber nicht wissen. Sie wollte nicht mal darüber nachdenken.


    Sie lehnte sich an die Freundin und atmete tief durch. Natürlich war jetzt nicht alles in Ordnung und wieder gut. Das würde es vielleicht nie sein. Aber es war besser. Sie fühlte sich ein wenig beruhigter. Und Kara hatte ja recht, Corvina würde sich kaum Gedanken machen, wenn Nero in ein Lupanar ginge. Alle Männer taten das, es war das normalste der Welt. Es gab auch Philosophen, die die Männer dafür lobten, dass sie ihre Triebe so auslebten, anstatt ihre Ehefrauen zu belästigen und freien Frauen nachzusteigen und damit gegen die Sitten zu verstoßen.

    Es war ein wenig zwiespältig, dass Nero das nicht tat, sondern so ein Fest besuchte. Auf der einen Seite machte es Corvina misstrauisch, dass er lieber freie Frauen suchte, um mit ihnen zu schlafen. Auf der anderen Seite wusste sie auch, dass er eine Verbindung zu der Frau suchte, mit der er schlief, da er ein durchaus sehr stark von Gefühlen geleiteter Mann war. Wenn er gänzlich ohne Gefühl seine Triebe befriedigen würde, wäre er irgendwie auch nicht der Mann, den sie liebte. Aber es machte es schwer, da sie einfach anders fühlte. Sie wollte nur ihn und käme nicht einmal auf die Idee, einen anderen Mann berühren zu wollen.

    “Nein, bei einem Lupanar würde ich mir keine Gedanken machen. Und ich vertraue ihm ja auch. Ich hoffe einfach nur, dass es andauern wird und er sich nicht verliebt.“

  • Kara ruckte einmal mit der Schulter, damit Corvina den Kopf hochnahm und sah sie ernst an. “Glaub mir, Corvina. Jeder Frau, die versuchen sollte, ihn dir wegzunehmen, kratze ich höchstpersönlich die Augen aus.“ Dann gab sie Corvina einen sanften Kuss auf die Stirn. “Glaub mir, du musst dir da keine Sorgen machen. Ich hätte nicht auch nur eine Frau in der Nähe deines Mannes gesehen, die ihn dir ausspannen wollen würde. Und alles, was er am morgen wollte, war, schnell wieder zurück zu dir.“


    Ja, das stimmte. Oh, Kara wollte definitiv nochmal mit dem Tiberier ins Bett steigen. Gerne auch mehrfach. Es war wundervoll gewesen, was er getan hatte, und Kara strebte definitiv eine Wiederholung an. Aber sie würde niemals auch nur andeuten, dass der Tiberier Corvina verlassen sollte. Und sie würde auch Ashkan nicht verlassen. Das eine war Gefühl, vielleicht sogar echte Liebe, das andere war einfach nur verdammt guter Sex.

    Und auch die hässliche Alte, die der Tiberier außer ihr noch beglückt hatte, schien jetzt nicht so, als strebe sie eine Ehe an. Überhaupt glaubte Kara nur, dass das nur am körperlichen Zusammenspiel der beiden liegen konnte, denn die Frau war alt gewesen und sah nicht halb so gut aus wie Kara. Ja, definitiv war Kara hübscher. Und überhaupt.


    So oder so aber, Corvina hatte nichts, worüber sie sich ernsthaft Sorgen machen musste.

  • Corvina sah Kara noch einen Augenblick lang unsicher an, dann nickte sie und umarmte ihre Freundin nochmal, diesmal erleichterter. Sie war froh, dass sie Kara hatte. Auf ihre Freundin konnte sie sich verlassen, und sie glaubte ihr, dass Kara für sie kämpfen würde, wenn sie etwas mitbekommen würde.


    Eine Weile saßen sie einfach nur beieinander, bis Corvina ihr Nähzeug wieder aufnahm und weitermachte, und sie ein leichteres Thema wählte, um sich abzulenken und den Kopf nun dieses Mal wirklich frei zu bekommen.