PARATHMA (Nebengebäude)

  • Grapheion >>>


    Das Nebengebäude lag über dem Hof. Meine Kammer darin war wesentlich weniger bequem als die Gästezimmer im Haus. Sie war klein, roch modrig und besaß lediglich oben eine Luke in der Wand für Luft und Licht. Darin standen nur eine Pritsche und ein Eimer für die Notdurft sowie ein tönerner Krug, der einen Sprung hatte, und dazu diente, Wasser am Gemeinschaftsbrunnen holen. Wenigstens musste ich den Raum nicht mit anderen Männern teilen.

    Was mir Sorgen machte, war die hölzerne Tür mit ihrem einfachen Riegel, die man mit einem gezielten Fußtritt öffnen konnte. Hier war eine junge Dienerin nicht sicher, denn die Kamelreiter, die ich schon auf der Reise mit Jabel kennen gelernt hatte, waren ein raues Volk.

    "Wenn ich nicht hier bin, geh nicht aus dem Zimmer.", schärfte ich Idunah daher ein: "Idunah, so heißt du doch? Nur mit mir oder der despoina Nilofer oder von mir aus mit Anippe solltest du den Hof betreten. Hier gibt es nur Männer; viele haben lange keine Frau mehr gehabt und eine Sklavin ist für sie Freiwild.

    Jetzt aber muss ich auf den Markt - was mache ich nur mit dir? Alleine hier lassen will ich dich nicht. Ich werde dich wohl oder übel mitnehmen müssen und mich darauf verlassen, dass du schweigst."

    Ich wusste aber auch nicht, ob ich ihr trauen konnte, vielleicht konnte mir meine Nilofer mehr über die junge Sklavin sagen. Denn mit Nilofer würde ich mich nun eilig treffen.


    >>> Parthischer Markt

  • >>> Grapheion


    Schweigend war Iduna dem Dunkelhaarigen, ihrem neuen despotés gefolgt, nachdem sie der Herrscher verabschiedet hatte. Ihr Weg führte über den Hof, in Richtung einiger Nebengebäude. Dort würde sie also von nun an nächtigen? Nicht mehr in einem der Gästezimmer im Anwesen des Herrschers und damit in Nilofers Nähe? Nein. Schließlich gehörte sie von nun an diesem Phraotes, wie ihr der Bene Attar klar gemacht hatte. Aufmerksam ließ Iduna ihren Blick durch die Kammer gleiten, welche modrig roch und lediglich oben eine Luke besaß, um Luft und Licht hinein zu lassen. Da waren ja selbst die Behausungen in ihrer Heimat geräumiger und komfortabler, durchzuckte es in diesem Augenblick das Köpfchen der jungen Frau. An ihre Heimat wollte sie nun auch nicht denken. So versuchte sie sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Auf den tönernen Krug zum Beispiel, der einen Sprung aufwies und mit dem wohl das Wasser vom Brunnen geholt wurde. Der Brunnen befand sich inmitten des Hofs und war somit für alle zugänglich. Vielleicht würde dies ihre Aufgabe sein, das Wasser täglich vom Brunnen in die kleine Kammer zu schleppen.


    Die Stimme ihres neuen despotés riss Iduna aus ihren Gedanken. So dass sie leicht zusammen zuckte und ihren Blick rasch in seine Richtung gleiten ließ. Bevor sie dann auch schon zu Boden blickte und dem Dunkelhaarigen schweigend lauschte. Er würde sie hier also einsperren, wenn er nicht zugegen war?


    “Du sperrst mich hier ein?“


    War Idunas leises Stimme zu vernehmen. Bevor sie auch schon verstummte und seiner ruhigen Stimme lauschte. Denn dadurch erfuhr sie, wieso sie diese Kammer nicht alleine verlassen sollte. Natürlich wusste sie das die meisten Männer Sklavinnen als Freiwild ansahen. So nickte Iduna schließlich ergeben.


    “Bei meiner Geburt erhielt ich den Namen Iduna. Du kannst mich nennen wie du möchtest despotés“.


    Antwortete Iduna auf seine Frage, ob sie tatsächlich Iduna hieß.


    “Ich bin eine gehorsame und folgsame Sklavin despotés.“


    Beteuerte die kleine Germanin mit ihrer ruhigen Stimme und warf dem Dunkelhaarigen abermals einen raschen Blick entgegen. Wenn er sie mitnehmen würde, würde sie ihm folgen.

  • "Ich sperre keine Menschen mehr ein.", erwiderte ich meiner Sklavin: "Ich habe es früher getan, aber es ist Unrecht, einem anderen das zu nehmen, was man selbst ersehnt: Freiheit. Wenn du Idunah heißen möchtest, werde ich dich so nennen.

    Unter welcher Sonne bist du geboren? Wer sind deine Eltern und welches liebliche Land sah deine ersten Schritte?"


    Iduna würde erstaunt sein, dass ich sie nicht wie eine Sklavin behandeln wollte sondern wie eine Freundin. Und doch: Eines Tages würde ich ihre Verschwiegenheit vielleicht brauchen, eine Verschwiegenheit, die über das hinausgehen musste, was man einer Dienerin zumuten konnte, um das Leben meiner Nilofer zu bewahren.


    "Wir gehen auf den Parthischen Markt und treffen uns mit Herrin Nilofer.", sprach ich: "Kein Wort zu niemandem. Kannst du mir das versprechen, Iduna? Dann komm mit mir."



  • Nervös verharrte Iduna vor ihrem neuen despotés. Der Dunkelhaarige schien nett zu sein und in ihr kein Freiwild zu sehen, so wie es der Bene Attar getan hatte. Beim Gedanken an den älteren Herrn wurde Iduna noch immer übel und ein eisiger Schauer rieselte über ihren Rücken. Diese Gefühlsregung versuchte sie jedoch vor ihrem neuen Herrn so gut es ihr möglich war zu verbergen. Und dann war es seine Stimme, auf die sich Iduna konzentrieren konnte, um nicht weiter mit ihren Gedanken bei dieser Schreckenstat zu verweilen.


    “Du hast früher Menschen eingesperrt despotés?“


    Platzte es voller Sorge über Idunas Lippen. Auch wenn sie sich doch eigentlich geschworen hatte, still zu sein, um das Bildnis einer vollkommen, folgsamen Sklaven abzugeben. Denn sie wollte ihrem neuen Herrn unter keinen Umständen das Gefühl vermitteln, dass es ein Fehler war, dieses Geschenk, also die rothaarige Germanin, anzunehmen.


    “Ich danke dir das ich meinen Geburtsnamen behalten darf.“


    Konnte man Idunas weiche Stimme vernehmen, wobei ein heller Schimmer ihre Augen zum leuchten brachte. Denn für einen kurzen Augenblick blickte sie Phraotes direkt entgegen. Bevor sie ihren Blick auch schon hastig senkte und gen Boden blickte.


    “Ich bin Cheruskerin despotés. Meine Familie und ich lebten zusammen mit einigen anderen Mitgliedern unseres Stammes in einem kleinen Dorf in Germania. Mein Vater war dort Heiler. Sein Name war Heron. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Mein Vater hatte kurze Zeit später eine neue Frau an seine Seite genommen. Von dieser Frau bin ich erzogen worden. Ich wollte wie mein Vater Heiler werden. Mit Pflanzen und Kräutern das Leiden der Menschen kurieren.“


    Antwortete Iduna auf die fragenden Worte des Dunkelhaarigen und neigte dabei ihren Kopf leicht auf die Seite.


    “Römische Soldaten überfielen mein Dorf. Ich geriet in Gefangenschaft und wurde als Sklavin in die Urbs Aeterna gebracht.“


    Nach diesen Worten verstummte Iduna, warf Phraotes noch einen raschen Blick entgegen und sah anschließend zu Boden. Jedoch hatte sie ihre Ohren gespitzt, damit ihr auch kein Wort ihres neuen despotés entging.


    “Ich werde dir gehorchen und schweigen.“


    Und genauso geschah es. Schweigend folgte Iduna dem Parther.

  • Hochzeits- und Fluchtvorbereitungen >>>


    Aber wohlan! - ist der Weg doch gemein, und gemeinsam der Morgen.*

    Schon lange vor Sonnenaufgang war ich wach. Und so sehr ich die Hochzeitsvorbereitungen hasste, so sehr halfen sie nun bei unserer Flucht. Da so eine Menge Frauen und Männer bei uns ein- und ausgingen, achteten die Wächter nicht auf unser Gesicht. Für Nilofer und mich lagen einfache Kleidung bereit; Tuniken und Umhänge, wir hatten jeder ein Bündel mit dem Nötigsten. Ich wartete auf Nilofer und Anippe.




    Sim-Off:

    ἀλλ' ἄγε δή, ξυνὰ γὰρ ὁδός, ξυνὰ δὲ καὶ ἀώς All hage dä Euna gar odos, Euna de kai aos

  • Anippe war die erste, die kam. Sie hatte die Nacht bei Athenodoros verbracht, der glaubte, dass seine Braut Nilofer sicher in ihrem Gemach schlief und dass keiner des Haushaltes wagen würde, ihr zu sagen, dass ihr Verlobter sein Keuschheitsversprechen, je näher der Hochzeitstermin kam, unentwegt brach. Doch diesmal hatte Anippes Verfügbarkeit etwas Nostalgisches gehabt; die ganze Zeit hatte sie gedacht: Und Morgen früh bin ich weg; fast an sich musste sie halten, es ihrem Herren nicht ins Gesicht zu schreien. Erst weit nach Mitternacht hatte er Anippe in Ruhe gelassen und war eingeschlafen, sein schweres Bein auf ihrem Leib. Vorsichtig hatte sich Anippe im Morgengrauen befreit. Sie hasste Athenodoros nicht. Er war seit sie denken kann, Teil ihrer Existenz. Erst nach Kainis Tod hatte er sie auf sein Lager gerufen. Auf erotischem Gebiet war er durchaus kein Unmensch, er hatte sich wenigstens Mühe gegeben, und das war mehr als man von Hylas, dem Mitsklaven von Phileas sagen konnte. Den verabscheute sie.


    Nun trat Anippe endgültig ein und schleppte einen Korb mit sich, der voller schimmliger Datteln war.: "Chaire Herr Phraotes. Bitte zieh die einfachen Gewänder an.", sagte sie und stellte den Korb ab. Den hatte sie gestern früh mit Schmutzwasser übergossen und in die pralle Sonne gestellt und darauf gewartet, dass die Früchte verdarben.

  • Ich hatte kaum Schlaf bekommen in der Nacht. Wie hätte ich auch schlafen können! Es war wieder wie an jenem Tag, an dem wir aus dem Palast in Ktesiphon geflohen waren. Doch diesmal gab es keinen schützenden Sandsturm, der unsere Flucht unter seinem Schleier für einige Tage verbarg. Lediglich die geschäftigen Vorbereitungen für die Hochzeit konnten uns ein wenig Schutz bieten, so dass unser Verschwinden im besten Fall erst am darauffolgenden Tag bemerkt wurde. Ein weiterer Schutz war die einfache Kleidung, die Anippe mir besorgt hatte. Niemand erwartete die Braut des Athenodoros Ben Attar in der Tracht einer einfachen Sklavin.

    Ein wenig Wechselkleidung hatte ich in ein Bündel gepackt. Mehr wollte ich nicht mitnehmen.


    Noch vor dem Morgengrauen hatte ich die Tunika übergezogen, hatte ein paar Sandalen angezogen und hatte mein Zimmer, mit dem Bündel in der Hand als handele es sich um Schmutzwäsche, verlassen. So schlich ich mich davon, über den Hof hinüber zu den Nebengebäuden.

    Als ich die Tür zu Phraotes Zimmer öffnete, sah ich, dass er nicht mehr allein war. Anippe war bereits da. Ich trat rasch ein und schloss wieder die Tür hinter mir. Der Alexandrinerin warf ich ein verschwörerisches Lächeln zu. Dann trat ich zu meinem Geliebten und umarmte ihn zur Begrüßung. "Seid ihr bereit?" fragte ich und mein Blick fiel von Phraotes zu Anippe, denn ich war es! Nur noch weg! Das war es, was ich wollte.

  • Anippe wartete ab, bis beide Parther ihre einfache Kleidung angezogen hatte; Nilofer band sie ein Tuch um den Kopf. Sie wirkten jetzt nicht wie hochgestellte Persönlichkeiten, aber auch nicht wie Sklaven, dazu trugen sie zuviel Stoff am Leib. Am ehesten sahen sie wie ärmere Palmyrener aus.

    "So, Herrin, nun ist Theaterzeit.", sagte sie: "Wir müssen aus dem Haus, und zwar möglichst unerkannt." Sie zeigte auf den Korb mit den verdorbenen Datteln:

    " Wir werden so tun, als wärt ihr Lieferanten eines hiesigen Obsthändlers. Schaut, dass euch keiner sieht und geht Richtung Küche. Ich halte euch auf, und dann mache ich euch eine Szene über die verdorbene Ware...", ihre dunklen Augen glitzerten. So etwas gefiel ihr, und sie mochte ihren Einfall:

    "Ich begleite euch dann, um mich bei eurem Chef zu beschweren. Die Wächter werden uns gehen lassen. Jeder will doch, dass Athenodoros Hochzeit perfekt ist."


    >>> Aulê

  • Anippe band mir noch ein Tuch um den Kopf, welches ich dann noch zurecht zupfte. Danach unterbreitete sie uns ihren Plan, der sehr raffiniert klang! Schon seit unserer Rückkehr vom Markt hatte ich mir das Hirn zermartert, wie wir es unbemerkt aus dem Haus schaffen konnten. Doch ihre Idee mir den verdorbenen Datteln war einfach genial.

    "So machen wir es!" Ich nickte Anippe und Phraotes zu. "Dann lasst uns mal beschweren gehen!"

  • Wir hatten nun schon so oft etwas vorgeben müssen, zu sein, was wir nicht waren, dass ich nur die Schultern zuckte, während ich mir ein Tuch wie einen Turban um den Kopf schlang und den Korb nahm.

    Schnell küsste ich Nilofer. Sie wollte Anippe mitnehmen, und die Sklavin war wirklich raffiniert, aber immer noch dachte ich, dass sie uns Probleme machen konnte, mehr als sie wert war. Ich wollte natürlich nicht, dass meine Nilofer ihr Wort brach. Doch ich hatte das Wort nicht gegeben, und ich begann darüber nachzudenken, ob die Alexandrinerin nicht ein kleines Missgeschick vor den Toren Palmyras ereilen könnte. Der Gedanke kam mir, und ich konnte ihn nicht wegschieben. Ich war schließlich als Surena am Königshof erzogen worden.

    Dann aber dachte ich an das, was Nilofer und ich wollten, nämlich unsere Freiheit. Ich hatte sie Idunah nicht verwehrt, konnte ich sie Anippe verwehren? Hatten wir nicht die ganze grausame, verlogene, utilitaristische Welt des parthischen Hochadels hinter uns gelassen? Und wollten wir nicht aus dem Haus der Bene Attar fliehen, weil uns hier Grausamkeit und Verlogenheit und Utilitarismus wieder eingeholt hatten? Ging man so mit Menschen um, auch wenn sie nur niedriggeborene Sklavinnen waren?


    Es war schon interessant, welche Gedanken einem durch den Kopf gehen konnten, während man einen Korb von Datteln schleppte, die nach süsslicher Verwesung rochen.



    >>> Aulé