AULÉ : Eine Flucht, die prosaisch mit Datteln beginnt

  • Der Hof des Prostashauses, die Aulé


    Entfernt vom prächtigen Hauptgebäude liegen über den Hof die Küche, Latrinen und die ärmlichen Kammern der Angestellten, sowie Schuppen, Lagerräume und Stallungen. In einer dieser Kammern wurde auch Phraotes untergebracht. Außerdem befinden sich hier Tiertränken.

    Am Ende des Hofes gibt es ein größeres Tor, durch das Lieferanten und Sklaven in den Oikos gelangen können. Zwei Knechte stehen Wache.

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    Anippe vergewisserte sich, dass niemand sie sah, als sie aus Phraotes Kammer kam. Hocherhobenen Hauptes lief sie aber über den Hof und blieb in der Nähe der Küche stehen. Sie tat so, als warte sie ungeduldig. Die Rufe und das Zungenschnalzen der Männer, die gerade anfingen, sich zu erheben, ihr Wasser abschlugen und sich kratzten, überhörte sie geflissentlich. Sie war die oikonomē, die Maiordomus des Herren, und sie hatte es nicht nötig, sich mit jedem abzugeben.

  • Kurze Zeit später nahm ich den schweren Korb und trug ihn nach draußen. In dem Korb unter den Datteln lagen etwas Geld, Proviant und ein paar saubere Kleidungsstücke zum Wechseln. Ich gab Nilofer ein Zeichen, sich dicht an meiner Seite zu halten. Ich war lange abwesend gewesen und mein Gesicht nicht so bekannt, aber Nilofer, die Braut, die kannte wohl jeder in Palmyra. Allerdings war sie immer als elegante parthische Dame aufgetreten, jetzt wirkte sie wie eine Küchenmagd.

    Ich sah die kleine Gestalt von Anippe warten, und ich deutete auf sie und machte ein paar Grunzgeräusche, als sei ich ein nicht gerade geistig helles Exemplar von Mensch.

    Auf Aramäisch sagte ich: "Daddeln?"

  • So wie es mit Anippe abgesprochen war, begaben wir uns mit dem Korb verdorbener Datteln hinaus. Ich hielt mich dicht an Phraotes, der nun den Korb trug. Dabei versuchte ich, meinen Blick gesenkt zu halten, damit mich nicht doch noch jemand erkannte.

    Anippe stand bereits am vereinbarten Treffpunkt und tat so, als warte sie auf etwas oder jemand.

    "Willste welche? Sind richtig gut!" sprach ich sie an und versuchte dabei, einfach und gewöhnlich zu klingen. Eben wie eine einfache Magd.

  • Anippe ging auf sie zu, und sie erhob die Stimme, denn sie wollte gerne, dass die Wächter jedes Wort mitbekamen:

    "Shlomo, da seid ihr ja endlich mit den Datteln! In der Küche warten sie schon! Oh ja, lasst sehen....!", rief sie in einer Mischung aus Griechisch und Aramäisch. Sie hob eine der Früchte hoch und warf sie mit angeekelter Miene zu Boden:

    "Fuuu! Was ist das? Die ist ja schlecht. Lasst mich die anderen sehen? ..... Bei der großen Isis alle verdorben, ", kopfschüttelnd wühlte sie im Korb und schrie jetzt:

    "Wie könnt ihr es wagen, mir solche Ware anzudrehen?! Ich sags meinem Herren, Waballat Ben Attar! Der agoranomos, der Marktaufseher wird diesen Händler verhaften, mit Ruten wird man euch Bedienstete schlagen!"

  • Ich tat so, als sei ich mächtig erschrocken. Ich zog den Kopf ein und fasste nach Nilofers Hand: "Aber nein, gute Frau, bitte bitte nicht böse werden. Mein Patron hat noch mehr Datteln, viele Datteln, gute Ware . Komm doch mit zu seinem Stand und überzeuge dich selbst von der Qualität. Das hier....." , ich wies auf den Korb mit den verdorbenen Früchten: "Ist bestimmt großer Irrtum. Bitte lass deinen Herren nicht den Marktaufseher rufen."

    Ich schielte zu den Wachen, und hoffte sehr, dass sie auf unsere kleine Scharade hereinfielen und uns alle aus dem Tor hinausgehen ließen.

  • Anippe gab sie die größte Mühe, damit die Wächter auf uns aufmerksam wurden. Auf Phraotes gab wirklich alles. Hoffentlich würde unser Plan aufgehen. Warum überfiel mich gerade jetzt eine solche Angst? Aber ich durfte nun keine Schwäche zeigen, sonst war alles verloren. Zum Glück hatte Phraotes mich bei meiner Hand gefasst. So konnte er mich im Notfoll sofort mit sich ziehen, wenn wir davon rennen mussten. Doch bevor es soweit kam, versuchte ich weiter meine Rolle zu spielen.

    "Ja, ein großer Irrtum!" stimmte ich lautstark mit ein. "Bitte komm mit zu unserem Stand! Dort haben wir nur die beste Ware!" Oh ja bitte! Nur weg von hier!

  • " Nun gut, dann will ich mit euch kommen und mir ansehen, was ihr zu bieten habt.", sie winkte einem der Wächter, der mit einem Stock bewaffnet vor dem Tor stand: "Öffne mir! Ich begleite diese Leute. Ich bin bald zurück.", gebot sie, und als der Mann ein wenig zögerte, schaute sie ihn mit großen Augen an:

    " Bitte schnell, alles muss perfekt sein, bevor despotés Waballat und die despoina erwachen." , sie zeigte einen blauen Fleck vor, den sie noch von ihrem Erlebnis mit Hylas zurückbehalten hatte: " Die parthische Herrin ist ein ganz schönes Biest, wenn nicht alles nach ihrem Willen geht", sagte sie mitleiderheischend, obgleich Nilofer neben ihr stand.

    Der Wärter grinste: "Ich will nicht, dass du Ärger kriegst.", sagte er und zwickte Anippe plötzlich in den Hintern. Sie zuckte zusammen und lächelte weiter:

    "Du bist ja ein ganz Schlimmer. ", sagte sie gedehnt: "Aber ich steh auf so was."


    Der Wächter grinste geschmeichelt und musterte jetzt beide Frauen, und sein Blick verriet ihm, dass Nilofer unter ihrem einfachen Gewand einen wunderbar geformten Körper verbarg:

    "Deine Dattelfreundin ist aber auch nicht schlecht.", sagte er: " Sag mal, Kleine, warum schleppst du dich mit Obst ab? Du könntest mehr daran verdienen, wenn du uns hier den Tag versüßt."


    "Das Süße muss noch etwas warten.", erwiderte Anippe: " Wir kommen mit frischen Früchten wieder. Je schneller wir fort sind, desto schneller sind wir wieder zurück.", sie schob sich ihren Zeigefinger in den Mund und leckte ihn ab: "Wartest du auf uns?"


    Herr Phraotes hatte vorhin so getan, als wäre er nicht die hellste Öllampe auf dem Tisch. Und die Herrin Nilofer spielte ihre Rolle als harmlose Angestellte sehr gut. Sie durften sich unter keinen Umständen verraten, sonst flog alles auf.

  • Anippe lenkte nun mit lauter Stimme ein, so dass die Wache unsere Scharade auf jeden Fall mitbekam. Nun durfte nichts mehr schief gehen. "Danke, dass du uns noch eine Chance geben willst!" sagte ich und folgte ihr zum Tor, an dem der Wächter stand. Mein Herz schlug wie wild. Nur nichts anmerken lassen, sagte ich mir immer wieder. Anippe befahl dem Wächter, das Zor zu öffnen, doch besann sich und erklärte ihm dann, dass ihr eine Strafe drohte, wenn nicht alles perfekt war. Dabei musste ich mich wirklich zusammenreißen, als sie mich als ganz übeles Biest darstellte. Sie wusste eben genau, wie sie den Wächter um ihren Finger wickeln musste, damit er ihr (fast) jeden Wunsch erfüllte. Und tatsächlich, der Wächter schien Mitleid mit ihr zu haben. Oder erhoffte er sich etwa von ihr gewisse Dienste als Gegenleistung? Er kniff ihr in den Hintern und sie begann mit ihm zu flierten. Währenddessen hielt ich mich im Hintergrund und hoffte nur noch, dass wir bald duch das Tor hinaus schreiten konnten.

    Doch schließlich warf der Wächter auch einen Blick auf mich, denn ihm gefiel wohl, was er da sah. Er sprach mich an, doch mir fehlten plötzlch die Worte. Stattdessen errötete ich. Anippe aber rettete die Situation und versprach ihm, dass wir uns später bei ihm revanchieren würden. Nun lächelte ich auch. "Ja, warte auf uns. Wir sind bald wieder mit der frischen Ware zurück!" Hoffentlich ließ er uns nun durch!

  • Ich musste mich sehr zusammen nehmen, den Wächter nicht am Kragen zu packen und ihm den Hals umzudrehen. Vielleicht war es auch eine Ahnung von dem, was Menschen ohne Heimat und von bescheidener Herkunft erwartete. Doch ich sah wie Nilofer hinreißend die eingeschüchterte Dienerin spielte, und so senkte ich den Kopf, obwohl mir das Blut in die Wangen schoss. Wie schaffte man es nur, alles zu erdulden und hinzunehmen? Ich hatte schon früher Sklaven nicht wegen ihres Standes verachtet. Das wäre dumm, denn man konnte auch einmal durch unseliges Geschick in die Hände von Piraten oder in Kriegsgefangenschaft geraten wie der Philosoph Phaidon von Elis, der sogar in seiner Jugend als Bordellsklave dienen musste, bis Sokrates ihn freikaufte. Aber beachtet hatte ich sie auch nicht. Jetzt lernte ich, wie es war, rechtlos zu sein, jeder Bosheit ausgeliefert. Fast war ich froh, Iduna die Freiheit geschenkt zu haben, und dass wir Anippe mit uns nahmen.

    "Dattteln.", bekräftigte ich und grinste wie blöde.


    Und dann ging das Tor auf, und wir gingen hindurch und standen auf der anderen Seite der Prostas im hellen palmyrenischen Sonnenschein.

    Wir waren frei! Eine weitere Käfigtür hatte sich geöffnet. Nichts wie weg, aber schnell, denn:


    Anēr de pheuron u menei gyras ktypon - Ein Fliehender wartet nicht auf der Leier Klang

  • Anippe war so aufgeregt, dass sie ihre Hand um Nilofers Arm schloss: " Frei, frei, ich bin frei", sagte sie feierlich. Sie war es nie gewesen. Sie war oikogene, im Haus ihres Herren geboren. Athenodoros war der sehr launische Herr ihrer kleinen Welt gewesen. Anippe konnte es nicht glauben, dass sie nun wahrhaftig einen eigenen Wert haben, ein wirklicher Mensch sein sollte, und nicht nur ein Ding, mit dem man tat, was man wollte. Hätte sie Hylas in diesem Moment in Reichweite gehabt, sie hätte es ihm ins Gesicht gespuckt: "Ich.bin. frei. Ich bin JEMAND."

    In Überschwang umarmte sie die Despoina: "Ich danke dir so sehr.", sprach sie, dann wich sie etwas erschrocken über ihre eigene Gefühligkeit zurück, denn ihr Verstand schaltete sich wieder ein:

    "Wir müssen weg hier, gute Herrschaften. Und versuchen, so weit zu kommen wie möglich bis Selene erscheint. Wir haben abnehmenden Mond, was heißt, dass er erst kurz nach Mitternacht aufgeht. Vorher sieht man nicht die Hand vor Augen. Aber wenn wir nichts sehen, dann sieht man uns auch nicht. "

    Sie kramte im Korb und holte ganz unten die Kleidung und das Geld heraus, die fauligen Datteln warf sie zu Boden:

    "Das ist für dich, despotés, jede einzelne davon, für dich. Mögest du an ihnen ersticken.", murmelte sie.

  • Mein Herz schlug wie wild. Entweder würde sich nun das Tor für uns öffen und wir konnten endlich darauf hoffen, endlich frei zu sein, oder unsere Flucht war binnen Sekunden vorbei, bevor sie noch richtig beginnen konnte. Doch der Wächte schenkte uns und unserem Theaterspiel Glauben und ließ uns gehen. Wir zögerten nicht lange und schritten hinaus in die Freiheit! Ein unbeschreiblichs Gefühl der Freude breitete sich in mir auf. Aber noch immer war Vorsicht geboten. So gingen wir noch einige Schritte weiter, bis dass wir genügend Abstand hatten, vom Hause des Tyrannen. Niemand außer Anippe wusste wohl besser, wie es sich anfühlen musste, endlich frei zu sein. Die Alexandrinerin sprach dies mit voller Überzeugung und einer ordentlichen Portion Stolz aus. Dann dankte sie mir. Doch eigentlich hatte ich ihr zu danken, für alles, was sie getan hatte. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft, aus dem Klauen des Bene Attar zu entwischen.

    "Am Besten laufen wir zur Taberna zurück und schließen uns Angus und Iduna an," schlug ich vor. Denn sich alleine durch die Wüste bis nach Antiochia durchzuschlagen, war zum Scheitern verurteilt. Keiner von uns kannte den Weg und ohne Kamele kamen wir nicht weit.

  • "Ja, einverstanden. Und wir sollten uns diesem Angus anvertrauen. Er ist ein Fremder und hat keinen Grund, dem Ben Attar zu helfen. Außerdem habe ich ihm seine Frau zurückgegeben, so dass er bestimmt Verständnis dafür hat, wenn ich nun die meine ebenso befreien möchte.
    Aber Thomalachis darf nichts erfahren von unseren Plänen. Ich glaube nicht, dass sie uns schaden möchte, doch sie ist eine Schankwirtin."

    Ich konnte mir vorstellen, wie sich die Taberna von Thomalachis mit Gästen füllte, die die Skandalgeschichte aus erster Hand erfahren wollten, und für mich waren alle Schankwirte Quelle von Klatsch und Tratsch.

    "Gehen wir!"

    Ich musste mich bemühen, in meiner einfachen Kleidung nicht allzu aufrecht und hochmütig durch die Straßen zu schreiten. Ich schaute meine Haltung von Anippe ab: etwas gebeugt, die Augen zu Boden gerichtet, immer auf dem Sprung. So eilten wir zum Parthischen Markt, zur " Draxt-I- Asurig", wo es schon quirlig hergehen würde. Die Sonne war zwar kaum aufgegangen, aber in Palmyra nutzte man die frühen Stunden aus, bis dann zur heißen Mittagszeit das öffentliche Leben zum Erliegen kam.


    >>> Taberna Draxt-I- Asurig