Im Hause des Chayim ben Asael

  • Aus Parthien kommend war Ezra ben Abraham nicht sofort nach Palmyra zurückgekehrt, sondern war den Weg nach Westen gegangen, durch das zerstörte Osrhoene hindurch, über den Euphrat zurück ins Imperium und dann entlang der Straße über Hierapolis Bambyke und Beroea auf direktem Wege nach Antiochia am Orontes. Dies war eine relativ spontane Reise gewesen, denn eigentlich hatte der Jude bei seinem Aufbruch nach Hatra nicht geplant gehabt auch in die syrische Provinzhauptstadt zu kommen. Doch die Wege des Herrn waren unergründlich und wer war er schon, dass er dessen Sprüche in Frage stellte?


    Nun es war nämlich so gekommen, dass Ezra ben Abraham noch in Parthien auf eine Karawane traf, die auf den Weg nach Seleukia Pieria gewesen war, um exotische Ware dorthin zu schaffen, damit sie auf Schiffe verladen und nach Rom geschickt werden konnte. Im Gespräch mit ihnen hatte er zufällig von einem Juden in Antiochia erfahren, der mit dem Führer der Karawane befreundet war und eben diesen wollte der Nomade besuchen auf ihrer Durchreise. Das besondere an dem Juden war, dass er früher als junger Mann mehrere Male die Seidenstraße entlang gereist war seiner Geschäfte wegen und diese hatten ihn mitunter auch mehrmals an die Ufer des Iaxartes bis nach Alexandria Eschate geführt. Gleich als Ezra ben Abraham das vernommen, hatte er beschlossen diesen Mann kennenlernen zu wollen und so hatte er sich der Karawane bis nach Antiochia angeschlossen.


    So kam es, dass er und der Karawanenführer Antiochia betreten hatten und sich langsam durch die Gassen bewegten, während die anderen draußen vor der Stadt geblieben und dort ihr Lager aufgeschlagen hatten. Das Ziel der beiden war das Haus des Chayim ben Asael, welches mitten im Kerateion, dem jüdischen Wohnviertel Antiochias, lag. Ezra ben Abraham war im Laufe seines Lebens schon mehrmals in der großen Stadt am Orontes gewesen, doch zu seiner Schande musste er sich eingestehen dabei Kerateion niemals besucht zu haben. Er kannte schlicht niemanden dort, weshalb seine Geschäfte ihn nie dahin getragen hatten, doch das würde sich ja mit heute ändern.

  • Die Begrüßung durch den Hausherrn war sehr herzlich, auch für Ezra ben Abraham, obwohl der ja ein Fremder war. Doch schon sein jüdischer Hintergrund genügte, dass er von Chayim ben Asael wie ein alter Freund aufgenommen wurde. „Ein Bücherhändler für literarische Kuriositäten also! So so, da bringst du mir interessanten Besuch ins Haus, Našrihab!“ sprach er in Richtung des Karawanenführers, nachdem er Ezra ben Abraham begrüßt hatte. Sie gingen alle drei ins Andron, wo der Hausherr seinen Gästen ihre Klinen anwies. Dem Hausdiener (auch Chayim ben Asael beschäftigte genauso wie Ezra ben Abraham keine Sklaven, sondern nur freie und bezahlte Diener) befahl er Speis‘ und Wein aufzutischen, ehe er sich selbst ebenfalls auf der zentralen Kline niederließ. Nachdem sie alle in dieser Art bequem gebettet waren, eröffnete der Sohn des Asael das Gespräch. Er plauderte zuerst mit Našrihab dem Karawanenführer über seinen derzeitigen Aufenthaltsgrund in Antiochia und gab anschließend einige Geschichten über die jüngsten Entwicklungen in der Stadt bekannt. Viel Getratsche über die jüdische Bevölkerung hier im Kerateion (es schien so, als würde auch Našrihab viele hier im Viertel kennen), dazu ein paar weiteren Geschichten von den höheren römischen und griechischen Kreisen, gewürzt mit ein oder zwei abschließenden Bemerkungen zu den aktuellen Entwicklungen in der kommunalen Politik der Stadt. Und weil hier auch die syrische Regia stand natürlich auch nicht ohne Bemerkungen und Andeutungen über die laufenden Ereignisse auf provinzieller Ebene.

  • Endlich waren alle übrigen Themen soweit erschöpft, dass der Hausherr das Gespräch zu Ezra ben Abraham lenkte und mehr von ihm und seinen Geschäften wissen wollte. So erzählte er ein wenig von seinem Unternehmen und schloss seinen Bericht mit seiner Reise nach Hatra und was er da erworben hatte. Bei der Beschreibung der serischen Schriftrolle machte Chayim ben Asael große Augen und bat darum diese Schriftrolle sehen zu dürfen. So stand Našrihab freundlicherweise auf und verließ das Haus, um zu ihrem Lager draußen vor der Stadt zu laufen und sie von dort zu holen. In der Zwischenzeit unterhielt Ezra ben Abraham seinen Glaubensgenossen mit seinen eingehenderen Erläuterungen über jenen mysteriösen Gegenstand. Nach der Rückkehr des Nomaden nahm Ezra ben Abraham ihm den Kasten ab und händigte ihn Chayim ben Asael aus. Dieser öffnete ihn und machte dann ein ergriffenes Gesicht. „Oh Herr…“ murmelte er, während er interessiert die Rolle in die Hand nahm, sie von allen Seiten betrachtete und dabei das Material befühlte. Dann entrollte er sie und sah sich die Schriftzeichen darauf an.


    Und hier steht also wie die serischen Götzenanbeter sich den Anfang der Welt vorstellen?“ Ezra ben Abraham bestätigte ihm das. Dann deutete er auf die aramäische Übersetzung im Zedernholzkästchen. Der Sohn Asaels legte die serische Schriftrolle zurück, überflog schnell den Inhalt und verdrehte dann die Augen. „Haträischer Dialekt, wie primitiv…

  • Da Chayim ben Asael zuvor so großes Interesse an der ersten Schriftrolle gezeigt hatte, hatte Ezra ben Abraham diese Reaktion auf die Übersetzung nicht kommen sehen. „Stimmt etwas nicht mit der Übersetzung?“ fragte er deshalb. Doch der andere winkte ab. „Nein nichts, es ist nur so, dass ich mich nicht besonders für die Märchen von Ungläubigen interessiere. Die fremde Schriftrolle scheint ein sehr exotisches Kleingut zu sein, das sich wunderbar zur Zierde eines Raumes eignet, doch ihr Inhalt ist der von Abgöttern und daher irrelevant. Besser du verkaufst die Schriftrolle als harmloses und unleserliches Kuriosum ohne diese Übersetzung.

    Da hatte es Ezra ben Abraham also mit einem strenggläubigen orthodoxen Juden zu tun, unerwartetermaßen. Eigentlich sah er sich selbst ja auch eher als konservativ an, doch verglichen zu Chayim ben Asael war er selbst vermutlich höchst liberal. Dies war so ein Moment, der ihn kurz stutzig machte, um darüber nachzudenken wie gläubig er nun wirklich war… also verglichen zu seinem Gegenüber, denn auch wenn Ezra ben Abraham gläubiger und praktizierender Jude war, der neue Dinge wie die Römer verneinte, so wäre es ihm nie und nimmer eingefallen mythologische Texte anderer Religionen abzulehnen. Viel zu neugierig war er immerhin darauf ihre Inhalte zu erfahren und so besser zu verstehen lernen wie andere Menschen dachten und sich die Welt vorstellten. Hier unterschieden sich die beiden Männer jedoch wohl.


    Doch natürlich berücksichtigte das Ezra ben Abraham und ging daher nicht weiter auf den eigentlichen Inhalt der Schriftrolle ein. „Seit ich das erste Mal von ihr gehört hatte, hatte sie mein Denken gefangen genommen und ich wusste ich musste sie zumindest einmal sehen. Jetzt befindet sie sich sogar in meinem Besitz und trotzdem muss ich immer noch ständig an sie denken. Doch nicht wegen ihrer selbst, meist sehe ich mehr ihren Herkunftsort vor meinen inneren Augen. Den fernen Osten…

    Chayim ben Asael nickte und blickte ihn wissend an. „Alexandria Eschate, die entfernteste Gründung Alexanders des Großen und der griechischen Welt.

    Ezra ben Abrahams Blick war unwillkürlich in die Ferne gerutscht, als er sich in Gedanken befand. „Ja…“ murmelte er.

    Chayim ben Asael sah ihn an und begann dann zu lachen. Zuerst langsam, doch dann immer mehr steigernd, bis er Ezra ben Abraham auf die Schulter klopfte. Auch Našrihab lächelte, aber leicht unsicher, da er nicht komplett verstanden hatte was genau jetzt so lustig war.


    Mein lieber Freund, es scheint dich das Fernweh ja fürchterlich gepackt zu haben! Das kenne ich gut! In meinen jungen Jahren bin ich auch oft bis zum Horizont gewandert und über ihn hinaus!“ Ezra ben Abraham lächelte verlegen. Vielleicht hatte der Sohn Asaels Recht, vielleicht war es wirklich Fernweh, das ihn in letzter Zeit so umtrieb. Der Duft von Abenteuern, der Drang in unbekannte Welten vorzustoßen und deren Geheimnisse zu entdecken und welch größeres Geheimnis gab es wohl, als zum Rande der bekannten Welt zu gehen, dessen Ruf ihn in Form einer mysteriösen Schriftrolle ereilt hatte?

    Vielleicht hast du Recht“, gab er zu, „ich bin mir darüber noch nicht selbst im klaren. Doch als ich von Našrihab hörte, dass du schon mehrmals dort gewesen bist, wusste ich, dass ich dich kennenlernen muss.

    Chayim ben Asael war geehrt von dieser Bemerkung. „Das ist lange her, jetzt bin ich ein alter Mann“, gab er sich bescheiden, „aber du scheinst ja auch nicht mehr gerade taufrisch zu sein, willst du dir so eine weite Reise wirklich noch der bloßen Neugier wegen antun? Es ist ein beschwerlicher Weg, gefährlich und natürlich auch teuer im Unterhalt, selbst Našrihab hier reist mit seiner Karawane nicht weiter als bis Medien. Wenn du mit den falschen Leuten zusammentriffst, könnte es genauso gut auch deine letzte Reise gewesen sein.

    Das schreckt mich nicht, ich bin an das Reisen gewöhnt! Von Persien bis Anatolien und ins ferne Nubien bin ich schon gewandert, da werde ich den Osten Parthiens ebenso überleben.

    Nicht nur bis nach Parthien, bay*, auch darüber hinaus! Zu wilden Menschen!“ warf Našrihab ein. Auch Chayim stimmte dem zu. „Das stimmt, ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die Steppen des parthischen Mutterlands, Areias, Hyrkaniens und der fernen Margiana sind voll von ungezähmten Völkern ohne festen Wohnsitz, die immerzu mit ihren Herden wandern, doch sind sie alle brave Bauern im Vergleich zu jenen Pferdeherren, die jenseits Parthiens die Lande beherrschen, die Griechen nennen sie Βασιλεία Κοσσανῶν (Basileía Kossanón), die Parther kennen sie als Kušan-xšaθr und wir sagen Kuschan zu ihnen!


    Sim-Off:

    * = mittelpersisch für „Herr“, hier als eine sehr respektvolle Anrede gebraucht.

  • Die Kuschan?“ fragte Ezra ben Abraham. „Ja, oder auch Kuschana genannt. Alles Land jenseits von Parthien ist ihnen Untertan, alle Völker dort beugen vor dem Kuschankönig das Knie, Griechen, Iraner wie Inder.“ Ezra ben Abraham brummte. „Wenn diese Kuschana wirklich so schrecklich sind, wie kommt es dann, dass sie den Fernhandel kaum bis gar nicht angreifen? Viele hundert Händler ziehen jeden Tag auf der Seidenstraße entlang, wo sind dann diese Kuschana? Und wie konntest du selbst mehrmals nach Alexandria Eschate, ohne aufgeknüpft zu werden?


    Chayim ben Asael stotterte ein wenig, „Nun, das war so, ähm…“, Ezra ben Abraham hob eine Braue. „Ich denke du wolltest mich ein wenig erschrecken, wie?“ „Nun, also nicht direkt… aber abseits von der Seidenstraße, abseits würde ich nicht gehen, nein.“ Ezra ben Abraham vermutete, dass es auch an anderen Stellen des Kuschanreichs genauso ungefährlich war und dass die Herrschaft dieser Pferdeherren eher eine symbolische war, ungefähr so wie die der parthischen Großkönige über ihre Vasallenkönigreiche. „Es ehrt dich, dass du Sorge um mich hast, doch sei versichert ich werde unbeschadet wieder zurückkommen. Ich bin ja nicht der erste, der diesen Weg gehen will, doch wie war das bei dir, möchtest du mir von deinen Reisen erzählen? Was gibt es zu beachten, wo liegen die Gefahren und wie sieht es im östlichen Parthien und dahinter aus?

    Durch diesen gesichtswahrenden Ausspruch für beide Männer, konnten sie ihre Unterhaltung jetzt wieder auf Augenhöhe weiterführen nach dem kleinen Debakel mit den Kuschana-Aussagen und so antwortete Chayim ben Asael: „Das wichtigste natürlich ist, dass du nicht alleine gehst, sondern in Begleitung einer Karawane. Das macht dich langsamer, dafür umso sicherer. Solange ihr in Parthien seid, sollte euch nichts geschehen durch die regelmäßig am Weg angelegten Karawansereien, außerdem achten die Parther sehr darauf, dass möglichst wenig Räuber ihren Weg auf die Handelswege finden. Hinter Parthien dann in Sogdien ist die Gegend schon wesentlich rauer und nur die großen Städte entlang des Wegs bieten wirklich Schutz, doch ich bin sicher mit genug Bitten an Jahwe, unserem Herrn, und vielleicht einer Söldnergarde, solltet ihr unbeschadet nach Alexandria Eschate kommen.“ Ezra ben Abraham nickte. Das alles hatte er sich zuvor schon so ungefähr gedacht. An Našrihab gewandt fragte er: „Kann ich mit euch mitkommen, sobald ihr wieder nach Medien geht?“ Našrihab nickte. „Gerne, bay! Es freut mich dich in meiner Gesellschaft zu wissen! Sobald wir unsere Ware in Seleukia Pieria verkauft und von da aus unsere Geschäfte in Phönizien erledigt haben, kehren wir nachhause zurück.“ Der Bücherhändler fragte daraufhin wie lange dies denn noch dauern würde und bekam als Antwort darauf, dass Našrihabs Karawane nach dem morgigen Aufbruch in gut einem Monat im Küstenland alles erledigt und dann wieder an Antiochia vorbeikommen würde, dieses Mal dann auf dem Weg zurück nach Medien.

    Und bis es soweit ist, lade ich dich als Gast in mein Haus ein! Bleib solange du willst bei mir, oder so lange bis Našrihab wieder da ist, es wäre mir eine Freude!

    Ezra ben Abraham bedankte sich für dieses freundliche Angebot und nahm es gerne an. So könnte er sich die nächsten Wochen noch ausgiebig mit Chayim ben Asael über den Weg nach Alexandria Eschate unterhalten und nebenbei die nötigen Reisevorbereitungen treffen. Außerdem hätte er auch die Gelegenheit das Kerateion, Antiochias jüdisches Stadtviertel, und dessen Bewohner kennenzulernen.


    Damit sich sein Hausknecht Hermostenes zuhause in Palmyra keine Sorgen machte, würde er ihm gleich morgen schreiben und ihm mitteilen, dass er jetzt gut ein Jahr lang nicht da sein würde, er solle sich solange um Haus und Hof kümmern und auch Ezra ben Abrahams Bücherladen weiterführen. Hermostenes kannte das Prozedere ja, wo dies ja nicht Ezra ben Abrahams erste spontane Weltreise an irgendeinem Zipfel dieser Welt war, um irgendwelchen Kuriositäten hinterherzujagen. So war es also endgültig beschlossene Sache: Ezra ben Abraham würde einen längeren Aufenthalt hier in Antiochia nehmen und anschließend nach Alexandria Eschate in Sogdien aufbrechen!

  • Iulia im Hause


    Mittlerweile waren mehrere Tage vergangen, seit Iulia in ihrem Zimmer Pläne geschmiedet hatte wie die Wogen zwischen ihr und dem Mann aus dem jüdischen Viertel wohl zu glätten wären. Es hatte sie etwas Überwindung gekostet, aber sie war doch wieder ins Kerateion gegangen, dieses Mal aber alleine und wie eine Einheimische gekleidet um nicht weiter aufzufallen. Immerhin wollte sie heute beobachten und nicht beobachtet werden. Dieses Mal fand sie sich in den engen Gassen schon sehr viel besser zurecht und ein zweites Mal würde sie sich bestimmt nicht verlaufen. Nur gut, dass sie schon wusste wo der Mann wohnte seit sie ihm vom Bücherbasar aus nachhause gefolgt war. So mochte es wohl nur eine halbe Stunde gedauert haben, bis sie vor der Tür des Mannes stand und sie anblickte. Ob er zuhause war? Sie konnte es nicht sagen. Beides war möglich. So überlegte sie und starrte dabei die Tür an, dann machte sie wieder kehrt und überquerte schräg die Gasse zur anderen Straßenseite. Dort ging sie weiter bis zur ersten abzweigenden Nebengasse und blieb dann stehen. Hier wollte sie sich anlehnen und möglichst unauffällig den Hauseingang beobachten.

    Iulia brachte so gut eine Stunde zu. Ab und zu kam gegenüber von ihr ein Mann an seine offene Haustür, um sich eine Weile an den Türstock anzulehnen und das Treiben auf der Straße zu beobachten, ehe er wieder verschwand. Nach eineinviertel Stunden, als er wieder mal an seiner Tür stand, sah er Iulia länger als gewöhnlich an und kam dann sogar zu ihr herüber. Er sprach sie in einer ihr fremden Sprache an (ob das Jüdisch war?), woraufhin Iulia nur verständnislos mit den Augen klimperte. Als der Mann begriff wechselte er kurzerhand die Sprache. „Sprichst du Griechisch?“ fragte er sie nach der Art der Hellenen. „Ja“, antwortete Iulia.

    Gut, gut. Chaire Mädchen, sag, benötigst du etwas von Chayim ben Asael? Ich musste jetzt einfach mal herüberkommen und dich fragen wo du ja schon so lange auf seine Tür starrst.“ Iulia fiel fast aus allen Wolken. „Wer? Ich mach was?

    Na mein Nachbar, Chayim! Willst du etwas von ihm?“ Oh, ihre Blicke zur Tür waren wohl doch nicht so unauffällig gewesen wie sie das gern gehabt hätte, schade, da konnte man jetzt nichts mehr machen. „Ähm, ist er denn zuhause?“ fragte sie lahm, nicht wissend was sie sonst auf die Schnelle antworten sollte. „Aber natürlich! Komm mit ich stelle ihn dir vor!“ und ohne irgendeine Antwort ihrerseits abzuwarten legte er seine Hand an ihren Rücken und schob sie mit sich. Iulia ging automatisch mit, noch ganz überrumpelt von dieser Entwicklung. Hm, so hatte sie sich das ganze jetzt auch nicht gerade vorgestellt, was der Mann wohl sagen würde, wenn er Iulia wieder sah? Chayim hieß er also? Sie schluckte und zuckte direkt zusammen, als Chayims Nachbar an der Tür angekommen laut pochte.

  • RE: Iulia im Hause


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    Es dauerte eine Weile bis ihnen geöffnet wurde. Es war der Hausherr persönlich, Chayim ben Asael. Sein Hausdiener hatte heute seinen freien Tag und war entsprechend nicht da. Vor ihm standen sein Nachbar und eine fremde Frau die sehr hübsch aussah. Etwas verwundert begrüßte er sie: „Schalom Tobija, was kann ich für dich tun? Und wer ist das da an deiner Seite?

  • RE: Iulia im Hause


    Die nächsten Momente waren für Iulia die schlimmsten. Sie wusste ja noch wie heftig und abweisend der Mann der hier wohnte (Chayim hieß der wie sie gerade erfahren hatte) reagiert hatte, bloß weil sie ihn an einem öffentlichen Ort angesprochen hatte, was würde er erst dann tun, wenn sie ihn (zugegebenermaßen nicht ganz selbst gewollt) hier jetzt bei ihm zuhause so ohne weiteres überfiel? Sie schluckte, in ihrer Brust machte sich starke Beklemmung breit. Dann, ein Spalt, die Tür öffnete sich!

    Iulia atmete unbewusst ein wenig schneller, dann kam ein Kleiderfetzen in Sicht, dann ein Bein und die öffnende rechte (seine linke) Hand und dann war die Tür ganz offen und einen Schritt heraus trat…

    Ein Fremder.


    Iulia war verwirrt, doch ihr Begleiter, der Nachbar Tobija, begrüßte ihn ganz selbstverständlich: „Schalom Chayim! Schau wen ich dir hier mitgebracht habe, diese junge Dame möchte dich treffen!“ Aus Rücksicht auf Iulia hatte Tobija Griechisch gesprochen. Doch als er ihren Gesichtsausdruck sah war er sich nicht ganz sicher ob es ihr gut ging. „Stimmt etwas nicht… wie heißt du eigentlich?

    Iulia blickte kurz zu ihm, dann wieder zu dem ihr fremden Mann und blinzelte mehrmals. „Mein Name ist Iulia, Iulia Phoebe.

    Der erste Bestandteil sagte Tobija nichts, doch den zweiten Namen „Phoebe“ erkannte er ganz klar als Griechisch und da Iulia wie schon erwähnt heute nur sehr einfache Kleidung trug nahm der Nachbar daher an, dass Iulia eine Griechin war. Keine Einheimische, das hörte man allein schon ihrem fremden Akzent an, doch vielleicht kam sie aus Attika oder vom Peloponnes.

    Ah, so ist das also! Nun, Chayim ben Asael das hier ist Iulia Phoebe, Iulia Phoebe das ist Chayim ben Asael, ihr kennt euch damit jetzt“, beendete Tobija zufrieden seine Vermittlerrolle.

    Chaire, Verzeihung falls ich unhöflich klinge, aber ich hatte eigentlich mit jemand anderes gerechnet. Wohnt hier zufällig noch ein anderer Mann?

  • RE: Iulia im Hause


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    Chayim ben Asael bot sich eine höchst eigenartige Situation hier an seiner Türschwelle. Sein Nachbar Tobija stellte ihm eine gänzlich fremde Frau vor von der er sagte sie wolle ihn treffen. Doch kaum machte diese selbst den Mund auf hieß es plötzlich sie wolle ihn doch nicht treffen, ja was denn nun? Es sei denn…


    Moment, meinst du vielleicht meinen Hausgast? Ezra ben Abraham aus Palmyra?“ Ja, das konnte sein, immerhin wohnte der ja auch in seinem Haus bis zur Rückkehr der Karawane Našrihabs. „Besser wir besprechen das drinnen, kommt nur herein, ich werde uns eine Erfrischung holen.“ So bat er sie herein auf dass sie es sich im Hausinneren gemütlich machen konnten. Chayim verschwand kurz, ehe er zu Iulia Phoebe und Tobija mit einem herrlichen eisgekühlten Fruchtsaft aus baktrischen Marillen zurückkam und jedem ein Glas reichte. „Bitte sehr! Nun denn“, Chayim ben Asael setzte sich und sah die beiden an. „Was könnt ihr mir näheres über eure Angelegenheit mit meinem Hausgast Ezra ben Abraham erzählen?

  • RE: Iulia im Hause


    Nachdem alle einander bekannt waren lud Chayim ben Asael Iulia und den Nachbarn Tobija in sein Haus ein. So also folgten die beiden in dessen Inneres. Dort ließ sich dann der Hausherr als erstes nieder, ehe sich auch Iulia und Tobija setzten. Sie bekamen auch eine kühle Erfrischung. Diese freundliche Aufnahme beruhigte Iulias Gemüt doch sehr, immerhin hatte sie sehr viel schlimmeres erwartet. Also von dem anderen. Chayim hatte zwar gemeint er könnte Ezra ben Abraham heißen, aber darauf wollte sich Iulia im Moment nicht festlegen. Immerhin hatte sie in dieser Sache heute schon einmal falsch gelegen.

    Tobija nahm einen kräftigen Schluck von seinem Marillensaft. „Ah, das ist ein Fest! Ein wirklich guter Saft, der Herr möge ihn segnen!“ Auch Iulia schmeckte er.


    Nun, da sie alle so derart versorgt waren, wollte Chayim verständlicherweise wissen warum sie hier bei ihm waren und so begann Iulia zu erklären: „Am besten ich beschreibe ihn grob um nicht noch eine Verwechslung zu provozieren. Also es war ein ungefähr fünfzigjähriger Mann, mit grauem Haar und einem Vollbart von Länge und Dicke her gut so wie eine Faust.“ Zur Verdeutlichung ihrer Bartbeschreibung machte Iulia eine Faust und legte sie so ans Kinn wie der Bart des Mannes nun einmal wuchs. „Der Oberlippenbart ist weniger stark ausgeprägt. Auch trug er eine Kappe.“ Ihr war klar, dass sie hier nicht die beste Personenbeschreibung ablieferte, aber hoffentlich half das mit dem Bart. Nun erzählte sie von der eigentlichen Begebenheit: „Als ich neu war hier in Antiochia, ging ich mit jemand weiteres, Callista, nach dem Einkaufen auf der Agora noch etwas Spazieren. Was ich damals noch nicht wusste war, dass wir hierher ins Kerateion gelangt sind. So also verirrten wir uns hier, bis wir an einer Gruppe von Männern vorbeikamen, unter denen jener Mann sich befunden hatte. Ezra ben Abraham heißt er, sagst du?

    Hier schaltete sich Tobija ein: „Genau genommen heißt er Ezra. Sein Vater war Abraham, also Ezra, Sohn des Abraham, auf Hebräisch Ezra ben Abraham.

    Ah“, machte Iulia. Das Vereinfachte das ganze ja gleich, außerdem hatte sie gerade so nebenbei etwas über den Aufbau jüdischer Namen gelernt. „Ja, also dieser Ezra sprach uns an und bot uns seine Hilfe, aber meine Begleiterin vertraute ihm und den anderen Männern nicht, wo sie uns ja fremd und wir zwei Frauen waren, die sich hier nicht auskannten. So tat sie das nur einzig richtige und machte sich bereit mich zu verteidigen für den Fall der Fälle. Aber wir merkten bald darauf, dass die Männer uns nichts böses wollten und so haben wir ihren Rat angenommen und uns bedankt. Doch da sprach er schon nicht mehr mit uns. Später dann an einem anderen Tag habe ich ihn auf einem Bücherbasar hinter dem Tychetempel wieder getroffen. Ihm waren mehrere Bücher heruntergefallen und so wollte ich ihm helfen. Aber er reagierte sehr grob und machte noch einmal klar er wolle nicht mit mir sprechen. Das lässt mich nicht los, dass er so zu mir ist, obwohl wir ja einander fremd sind, ich möchte es ja wieder gut machen, aber er lässt mich bislang nicht. Ich denke ich habe ihn beleidigt und möchte das wiedergutmachen. Es sagen mir zwar alle ich solle die Sache nicht so ernst nehmen und sie vergessen, aber das kann ich nun mal nicht.“ So wusste Chayim ben Asael jetzt die ganze Geschichte. Iulia hoffte er würde ihr helfen können und erwartete seine Antwort.

  • RE: Iulia im Hause


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    Chayim strich sich über den Bart. Er hatte sich die ganze Geschichte des Mädchens angehört, doch wie seine Meinung dazu ausfiel, das wusste er selbst noch nicht. „Auf jeden Fall hast du ihn beleidigt, keine Frage, mein Hausgast ist ein sehr stolzer Mann“, sagte er für den Anfang, „doch es ehrt dich, dass du trotz seiner Ablehnung versuchst mit ihm ins reine zu kommen, auch wenn ihr einander fremd seid und es dir wirklich egal sein könnte wie Unbekannte über dich denken.“ Was er ungesagt ließ war, dass das gleiche Verhalten auch für Einfalt stehen konnte. Dann dachte eben jemand schlecht von einem, solche Leute gab es immer. Doch was Chayim diese Frau vor ihm gewogen machte war, dass sie zweifellos aus besseren Kreisen kam und sich trotzdem redlich darum bemühte mit einem einfachen Mann von der Straße ein scheinbares Missverständnis aufzulösen und zwar aus ehrlichen Beweggründen ohne der Arroganz der führenden Klassen. Und Chayim war sich sicher, dass sie aus ebenjenen kam, sie mochte es zwar mit ärmlicher Kleidung kaschiert haben, doch die Art und Weise wie sie sprach, die Beschaffenheit ihrer Hände und noch einiges weitere sprachen Bände.

    Nun, wo ich im Bilde darüber bin weshalb du hier bist, was meinst du wie soll es weitergehen?

  • RE: Iulia im Hause


    Iulia wusste es auch nicht wirklich. Sie wechselte kurz einen Blick mit Tobija, ehe sie antwortete: „Ähm, also ich war ja heute hierher gekommen, um mehr über Ezra zu erfahren. Ich dachte das wäre eine gute Idee, wo der direkte Weg damals am Bücherbasar ja fehlgeschlagen war. Vielleicht würde ich mehr Erfolg haben, wenn ich z.B. mit den Nachbarn von ihm gesprochen hätte und da ich jetzt schon einmal hier bin… erzählst du mir bitte mehr über ihn?“, schloss sie etwas lahm. Das ganze klang doch etwas merkwürdiger, wenn man es laut aussprach.


    Doch sie durfte jetzt nicht aufgeben, sie wollte diese Sache bis ganz zum Ende durchziehen, damit es endlich aus der Welt sein würde und sie war auf diesem Weg ja schon ein kleines Stück weitergekommen indem sie jetzt hier im Gasthaus von Ezra, Sohn des Abrahams saß und mit dessen Gastgeber sprach. Und mit seinem Nachbarn auf Zeit Tobija.

  • RE: Iulia im Hause


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    Einen höchst merkwürdigen Besuch hatte er da, das musste er schon zugeben, vielleicht ganz anständig, aber trotzdem höchst merkwürdig. Er überlegte ein wenig. Dabei kam er zu dem Schluss, dass er Iulia Phoebe unterstützen würde. Sie versuchte einen scheinbaren Missstand mit einem Mitmenschen auszuräumen, so unbedeutend diese Kluft auch sein mochte, das war eine positiv belegte Tat. So strich er sich wieder über den Bart und begann nach diesen Momenten des Schweigens zu erzählen: "Nun, wie Ezra ben Abraham auf Kränkungen reagiert hast du ja inzwischen sehr gut feststellen können. Was ich dir sonst noch erzählen kann ist, dass er bei mir hier in Antiochia Hausgast auf Zeit ist, doch eigentlich in Palmyra lebt, wo er auch ein eigenes Buchgeschäft führt, welches sich auf ungewöhnliche, besondere und seltene Schriften spezialisiert hat. Dies ist auch der Grund seiner momentanen Anwesenheit hier bei mir, weil er die Rückkehr einer bestimmten Karawane aus Phönizien abwartet, um danach mit dieser auf der Seidenstraße nach Osten zu wandern. Im ist nämlich eine götzendienerische fremde Schriftrolle aus Alexandria Eschate zugefallen und möchte nun dahin reisen zum Ursprungsort der Rolle."

  • RE: Iulia im Hause


    Die Tragweite dieser Neuigkeit ging an Iulia völlig vorbei, da sie keinerlei Ahnung davon hatte was und wo genau dieses Alexandria Eschate war bzw. lag und so vermutete sie des Namens wegen irgendeine beliebige Stadt in Syrien, oder vielleicht auch in Parthien. Nichts besonderes also. "Vielen Dank für diese Auskunft." Sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken, während sie in Gedanken versunken den nächsten Schritten ihres Weges nachhing. Sie kannte jetzt den Beruf des Mannes, doch im Augenblick sah sie nicht so ganz wie ihr diese Information weiterhelfen könnte. Es war immer noch alles etwas vertrickst und verdrukst. "Es hat wohl keinen Sinn es noch einmal auf dem direkten Weg zu versuchen...", sprach Iulia laut, aber zu sich selbst. "Es wäre das gleiche wie letztes Mal, bis repetita non placent*, es das Anliegen also... von einer dritten Partei vorgetragen werden."


    Dieser Gedanke, ja diese Erkenntnis hatte am Rande ihres bewussten Denkens schon die ganze Zeit vor sich hingerankt, doch jetzt erst wo sie es aussprach nahm er eine konkrete Form an. Im Moment schien es ihr der beste Weg zu sein, es war kein anderer in Sicht wie sie ihr Anliegen an Ezra ben Abraham herantragen konnte, ohne dass er gleich wieder blockierte. Fehlte nur noch der passende Übermittler. Sie sah zu Chayim ben Asael auf. "Ehrenwerter Chayim, könntest nicht du... hm, was ist?" fragte sie überrascht.


    Sim-Off:

    * = lat.: "Wiederholungen gefallen nicht"

  • RE: Iulia im Hause


    Chayim ben Asael war herumgefahren, als die Geräusche einer zuschlagenden Tür zu ihnen drangen. Wenig später konnten sie sich nähernde Schritte hören, gleich darauf erschien Ezra ben Abraham im Türrahmen. Der Jude erstarrte, als er diese Göre vom Markt wiedererkannte. „Was tut sie hier!“, brauste er auf mit Blick auf seinem Gastgeber.


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    Ezra, bitte, setze dich und mäßige dein Gemüt! Dies ist Iulia Phoebe, sie ist genauso mein Gast wie du es bist!“ Chayim hatte mit genug Autorität gesprochen, dass sich Ezra ben Abraham ihm fügte. Immer noch mit finsterer Miene trat er also zu ihnen allen heran und setzte sich. „Schalom Ezra“, versuchte sich Tobija bemerkbar zu machen. Sein Gruß wurde mit einem knappen Nicken quittiert, dann sprach er den Hausherrn an:“Nun Chayim, mit Überraschung muss ich erkennen, dass diese… Frau mich offensichtlich bis in meine privatesten Sphären verfolgt, was hat das zu bedeuten?“ Chayim ben Asael machte eine wegwischende Geste. „Ich habe dazu nichts zu sagen, doch Phoebe bestimmt, lass uns also mehr Licht in diese Sache bringen und hören gemeinsam was sie zu sagen hat! Mit erwartungsvollem Blick drehte er sich damit zu Iulia Phoebe um, sie hatte jetzt das Wort. Ezra ben Abraham tat es ihm nach, wenn auch nur widerwillig.

  • Iulia hatte einen gewaltigen Schreck bekommen, als der Grund ihres Gesprächs so urplötzlich in ihre Mitte getreten war, doch war dieses Gefühl nicht so bedrückend wie zuvor, als sie vor der Tür gestanden und darauf gewartet hatte, dass sie sich öffnen würde. Damals hatte sie Zeit gehabt sich darauf vorzubereiten und sich dabei die nachfolgende Situation in ihrer Nervosität in allen Farben ausgemalt, doch hier war sie ins kalte Wasser mitten in die Situation geworfen worden. Außerdem war da jetzt auch noch Chayim ben Asael als regulierender Faktor an ihrer Seite. So konnte Iulia mit dieser Situation nun wesentlich souveräner umgehen. So fasst sie sich kurz und sprach Ezra ben Abraham (weiterhin auf Griechisch) an: "Chaire, ehrenwerter Sohn des Abraham. Ich bin Iulia Phoebe und hierhergekommen, um Unrecht auszuräumen, das ich und meine Sklavin dir angetan haben. Ich bitte hiermit in aller Form um Entschuldigung, es war niemals unsere Absicht dich zu kränken, wir waren einfach nur zwei Frauen, die sich in der Fremde verlaufen haben." Sie blickte kurz zu Chayim und Tobija, dann wieder zu ihm zurück. "Chayim erzählte mir, dass du ein Händler von seltenen Büchern bist, ich liebe Bücher und würde gern einmal deinen Laden besuchen. Ich hörte auch, dass du demnächst auf eine lange Reise gehst, wenn ich dich danach fragen darf, wann bist du zurück in Palmyra? Dann möchte ich kommen und dir etwas abkaufen, versprochen."


    Iulia war sich bewusst was sie da gerade gesagt hatte, eine so weite und anstrengende Reise war keine Kleinigkeit, aber sie war entschlossen es durchzuziehen. Nicht nur, weil sie dieser Buchladen wirklich interessierte, sondern auch, weil sie hoffte dadurch eine -wenn auch noch so zart gewachsene- Verbindung zu Ezra ben Abraham aufbauen zu können. Irgendwas was sie beide in ihren Interessen verband und dazu beitragen konnte die Kluft zwischen sich zu schließen.

  • RE: Iulia im Hause


    Hatte Ezra ben Abraham zunächst Groll verspürt, so war diese jetzt einer abwartenden Nachdenklichkeit gewichen. Die junge Dame, eine Römerin, hatte einiges unternommen, um ihn ausfindig zu machen, um sich zu entschuldigen. Er mochte keine Römer, aber dass diese junge Frau nicht locker gelassen hatte, bis sie ihm doch noch Respekt entgegenbringen konnte, stimmte ihn doch eine kleine Spur positiver ihr gegenüber. Dann noch kannte sie die Gebräuche bei jüdischen Namen, was man vom Gros der Römer nicht zu erwarten hatte, was ebenfalls eine Art von Respekt war. Zuletzt noch der Wunsch ihm etwas in Palmyra abkaufen zu wollen, wenn er dabei ob der Ernsthaftigkeit doch noch ein paar Zweifel hegte. Er sah sie lange an, während er nachdachte. Schlussendlich seufzte er. "Gut Römerin, ich akzeptiere deine Entschuldigung. Es stimmt, ich werde auf eine lange Reise gehen und sie wird mindestens ein Jahr dauern, ehe ich zurückkehre. Dann noch die Entfernung, weißt du eigentlich wie weit Palmyra von hier entfernt ist? Zwei Wochen durch die Wüste, so viel. Du musst mir also nichts abkaufen, es wäre zu weit von hier weg und würde zu lange dauern, ehe ich wieder hier bin."


    Chayim merkte auf.


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    "Römerin? Du bist eine Römerin? Ich dachte Griechin?" Ezra ben Abraham sah ihn von der Seite mit hochgezogener Braue an. "Wie kommst du auf das? Natürlich ist sie Römerin, sie trägt immerhin einen römischen Namen; Iulia!"

    "Ooh", machte da sein Gastgeber, "und ich dachte wirklich sie sei Griechin. Du sprichst die Sprache ausgezeichnet, Mädchen!" Auch für Tobija schien dies eine Neuigkeit zu sein, dass Iulia eine Römerin war und so meldete er sich zu Wort: "Ach deshalb hast du vorhin so einen komischen Zwischensatz von dir gegeben, den ich nicht verstanden habe! War das römisch? 'Bis repetitat' oder so ähnlich."

    Ezra ben Abraham konnte im Geiste nur darüber den Kopf schütteln. Die beiden hatten nicht viel mit Römern zu tun, so viel schien offensichtlich.

  • RE: Iulia im Hause


    "Ich bin mir bewusst was ich gesagt habe und ich weiß wo Palmyra liegt", sagte Iulia mit fester Stimme. Ihr war es ernst mit ihrem Gesagtem und vermittelte das mit jeder Faser ihres Körpers. "Ich werde kommen." Das nächste was passierte war, dass Chayim und Tobija sehr davon überrascht zu sein schienen, dass Iulia Phoebe Römerin und nicht Griechin war. Sie lächelte. "Es stimmt, ich besitze das Bürgerrecht von Geburt an. Griechisch habe ich bereits als kleines Kind von einem apulischen Lehrer gelernt, das dessen Muttersprache war. Ich denke sie ist dadurch auch meine zweite." Ein warmes Gefühl kam in ihrem Herzen auf. Ach Epistokles... so viele Jahre hatte sie schon nicht mehr an ihn gedacht.


    Jetzt da sie erreicht hatte was sie wollte hielt sie die Zeit für gekommen zu Gehen. Sie stand auf und sprach: "Ehrenwerter Chayim ben Asael, weiser Ezra ben Abraham, lieber Tobija, ich danke sehr für euer aller Gastfreundschaft und eurer Wohlgesonnenheit mir gegenüber. Ich werde nun gehen, vielen Dank, dass ihr mich angehört habt. Mögen die Gött... möge Gott über euch wachen!", verbesserte sie sich rasch, dann ging sie. Im Hinausgehen fand sie es sehr eigenartig gerade den jüdischen Gott als Abschiedsgruß angerufen zu haben. Es war ihr erstes Mal gewesen, doch es war ihr als die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Höflichkeit erschienen dies zu tun. Zum Abschied etwas unerwartetes, was niemand von ihr gedacht hätte. Iulia trat hinaus auf die Straße und machte sich auf den Heimweg. Eine Zentnerlast war von ihr abgefallen, sie fühlte sich jetzt direkt federleicht. Mochten andere sie dafür für verrückt erklären, sie hatte es geschafft sich bei Ezra ben Abraham zu entschuldigen, ein Erfolg der ihr viel bedeutete. Es war egal, ob sie ihn nie wieder sehen würde, sie hatte diese Geschichte aus der Welt geschafft und das war es was zählte.

  • Aufbruch ans Ende der Welt


    Našrihab kehrte eineinhalb Monate später mit seiner Karawane aus Phönizien zurück. Es hatte ein paar Tage länger gedauert, ehe sie sich zurück nach Antiochia aufmachen hatten können. Ezra ben Abraham begrüßte den Tag ihrer Ankunft sehr, bedeutete es doch, dass sein Abenteuer endlich beginnen würde. Seine eineinhalb Monate als Gast im Hause des ehrenwerten Chayim ben Asael hatte er gut und ausgiebig zu seiner Vorbereitung genutzt. Er hatte im Grunde alles getan, was er sich zu Anfangs vorgenommen gehabt hatte. Er hatte sich so gut es von Antiochia aus möglich war auf seine Reise nach Alexandria Eschate, entlang der Seidenstraße, vorbereitet. Er hatte mit Chayim über alles nützliche und wissenswerte gesprochen, was dieser zu diesem Vorhaben beisteuern konnte. Er hatte so weit es möglich war wichtige Dinge für unterwegs und einen eigenen kleinen Proviant besorgt und auch weitere Vorkehrungen getroffen,

    unter anderem einen Brief hinaus nach Parthien geschickt.


    Die Karawane lagerte nur einen Tag und eine Nacht vor Antiochia ad Orontem. In dieser Zeit ging Našrihab ins Kerateion zum Haus des Chayim ben Asael, um ihn und Ezra ben Abraham zu besuchen und letzterem beim Transport seines Gepäcks zu helfen. Ezra ben Abraham bekam ein Kamel von Našrihab gestellt solange er mit ihnen wandern würde. Ein eigenes Zelt würde er auch nicht brauchen, da er bei Našrihabs Familie schlafen dürfte. Ezra ben Abraham verabschiedete sich herzlich von Chayim, der ihm ein Freund geworden war, und dankte ihm für alles, dann ging er mit dem Nomaden, um die Nacht im Karawanenlager zu verbringen.


    Am nächsten Morgen begann es. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, am Horizont ließ nur ein Hauch von rot ihren nahen Aufstieg erahnen. Der Himmel hingegen war schon hell und die Sterne verblasst. Im frühen Zwilicht dieses kommenden Tages bauten die Meder ihre Zelte ab und luden sie zusammen mit dem restlichen Gepäck auf ihre Tiere. Als eine Stunde später dann die ersten Strahlen der Sonnenscheibe über den Horizont sichtbar wurden und direkt auf sie in ihre Gesichter schienen, hatten sie Antiochia ad Orontem schon weit hinter sich gelassen. Ezra ben Abraham saß auf seinem Kamel, das gemächlich im Trott der restlichen Herde auf der Straße nach Meroe einherschritt. Dieser würden sie auch nach dem Ort weiter bis Caprocerama und dann nach Nordosten nach Beroea und weiter bis Hierapolis Bambyke an die Grenze des Imperium Romanum an der Schwelle zum parthischen Osrhoene folgen. Ezra ben Abraham genoss die Wärme dieses jungen Morgens in seinem Gesicht und Glück durchströmte ihn zur Gänze. Er war endlich unterwegs an den Rand der bekannten Welt, schon bald in ein paar Monaten würde er die letzten Geheimnisse der serischen Schriftrolle endlich ergründen.