[Andaruni] Im Harem des Großkönigs - Ein Leben im goldenen Käfig

  • Was wünscht sich ein Vogel in seinem Käfig, der niemals die Freiheit gekostet hat? Die Freiheit? Das Wissen zu erlangen, was außerhalb seines Käfigs ist? Nein, ein Vogel, der niemals frei gewesen war, ist mit seinem Dasein zufrieden. Der Käfig ist sein Kosmos, auch wenn er noch so beengt ist. Darin unterschied ich mich von den Singvögeln, die hier im Harem von den Damen gehalten wurden. Die kleinen Geschöpfe sangen ihr Lied und ließen ihre Herrinnen darüber vergessen, dass sie selbst wie diese Vögel waren.


    Ich Prinzessin Shireen, 16. Tochter der dritten Nebenfrau des Schainschas Osroes, war vor siebzehn Jahren in diesen Mauern geboren worden. Als Prinzessin hatte ich alle Vorzüge eines luxuriösen Lebens im Harem des Großkönigs genossen. Ein Heer von Sklavinnen hatte seit dem ersten Tag meines Lebens für mich gesorgt. Sie wuschen mich, frisierten mich und sie kleideten mich in die edelsten Gewänder aus Seide und Brokat – Tag für Tag, Jahr um Jahr.


    Als Kind hatte ich den Harem noch als sicheren Ort und Schauplatz etlicher Abenteuer wahrgenommen. Ich hatte eine Unmenge an Spielkameraden – Bruder und Schwestern, sowie die Kinder der Sklavinnen, die in gewisser Weise ja auch alle meine Geschwister gewesen waren und die alle ebenfalls im Harem lebten. Einen ersten Einschnitt in diese Sorglosigkeit erlebte ich mit sechs Jahren. Denn von da an erhielt ich Unterricht von einem griechischen Sklaven, der mich seine Muttersprache lehrte. Durch ihn erhielt ich Zugang zu einer völlig neuen Welt. Die der Literatur und der Philosophie. Natürlich hatte man ihn zuvor zum Eunuchen gemacht, da ihm sonst der Zutritt zum Harem verwehrt geblieben wäre. Ich betrauerte den Tag, an dem er ich zum letzten Mal besuchte, denn er war der Erste, der mir vom Leben außerhalb des Palastes berichtete. In meinen Tagträumen reiste ich in die fernen Länder, von denen er mir oft erzählt hatte. Damals begann meine Sehnsucht nach dem Unbekannten zu keimen.


    Meinen Vater bekam ich nur sehr selten zu Gesicht. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich ihn höchsten sechs oder siebenmal gesehen und mit ihm gesprochen. Als er starb, trauerte ich natürlich, doch in meinem Inneren hatte ich nichts empfinden können.


    Nun da mein Halbbruder Mithridates den Thron bestiegen hatte, begann ich mir einzureden, dass meine Chancen womöglich steigen könnten, einen Fuß nach draußen zu setzen, in die andere Welt. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und besuchte die Mutter des neuen Schainschas, um mir ihre Aufmerksamkeit zu sichern. Sie war sofort sehr angetan von mir und schien mich bereits gedanklich für ihren Sohn als Nebenfrau auserkoren zu haben. Beim nächsten Besuch des Großkönigs wollte sie mich ihm vorstellen...

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    Nilofer

  • Ein Mann verliebte sich einst in einen Schatten




    Ein Mann verliebte sich einst in einen Schatten, den seine Geliebte warf. Nie hatte er ihre Stimme gehört noch ihr Antlitz gesehen. Nur einmal war sie an ihm vorbeigegangen, denn sie lebte abgeschieden im Harem des Palastes, und als sie mich sah, wandte sie ihren Kopf ab und zog ihren Schleier über ihre Schultern.

    Einzig ihre Hand und ihr Handgelenk hatte ich, Phraotes Surena, zu Gesicht bekommen, niemals mehr. Und doch liebte ich seit diesem Tag Prinzessin Shireen, und ich spürte ihre Sehnsucht, frei zu sein.

    Durch viele Hände von Sklavinnen und dann durch die der Eunuchen ging der Brief, den ich ihr schrieb, ohne ihn zu unterzeichnen. Denn auch obwohl ich aus dem Hause Suren stammte und es immer ein Oberhaupt meines Hauses war, welches den König der Könige krönte, war eine Halbschwester des Schahanshah so unerreichbar wie der Mond für mich.


    Und das waren die Worte, die ich wählte.


    Eine schöne Frau braucht Neunerlei, sagt man
    Drei weiße Dinge: Zähne, Antlitz und Augapfel
    Drei schwarze Dinge: Haar, Augenbrauen und Augen 
    Drei rote Dinge: Lippen, Wangen und ihr Geheimnis
    Ein König braucht Dreierlei, sagt man
    Ein schnelles Pferd
    Einen Bogen, der standhält
    Einen treuen Diener
    Freiheit jedoch braucht nur Eines, sagt man
    Mut
    Hast du Mut?

  • Auch wenn es den Anschein hatte, mit Mithridates blutiger Thronbesteigung würde nun wieder alles in geordneten Bahnen laufen, hatten mich die jüngsten Ereignisse doch einiges gelehrt. Vertraue nichts und niemandem!

    Natürlich war mein Gang zur Königsmutter nicht unbemerkt geblieben. Neugierige Augen und neidische Blicke hatten mich verfolgt. Im Harem hatte es schon immer eine gewisse Ordnung gegeben. Eine Hierarchie, die genau festlegte, wer am oberen Ende dieser Ordnung stand und wer ganz unten - ähnlich wie es in einem Hühnerstall der Fall war. Ganz unten waren natürlich die Geringsten unter den Bewohnerinnen des Harems angesiedelt: Sklavinnen, die die nächsthöheren Frauen zu bedienen hatten. Oftmals hatten sie ihren Herrn nur einmal aus der Ferne sehen dürfen. Dann kamen die Konkubinen, Sklavinnen, die zumindest einmal von ihrem Herrn für eine Nacht auserwählt worden waren. Natürlich konnte eine solche Konkubine ganz schnell in ungeahnte Höhen aufsteigen, wenn sie nicht nur die Lust ihres Herrn befriedigen konnte, sondern auch im Stande war, sein Herz zu erwärmen.

    Die nächste Stufe in dieser Hierarchie belegten die Nebenfrauen. Zumeist waren dies Frauen aus adligen Familien oder sogar aus königlichem Geblüt. Meine Mutter zum Beispiel war die Tochter eines Vasallenkönigs - Worod, Herrscher von Hatra, gewesen. Sie war damals noch sehr jung gewesen, als Osroes sie zur Frau genommen hatte. Er hatte mit ihr unzählige Kinder gezeugt, von denen nur neunzehn die ersten fünf Lebensjahre überlebt hatten.

    Am oberen Ende der Rangordnung stand die Königsmutter und direkt unter ihr die Hauptfrauen, jene, die dem König der Könige viele Söhne geschenkt hatten. Nach dem Tod meines Vaters und Mithridates Thronbesteigung hatte es gerade dort eine Verschiebung des Machtgefüges gegeben. Umso mehr fanden nun all die Aufmerksamkeit, die nun versuchten, an diesen neuen Verhältnissen zu rütteln.


    Als dieser Brief mich nun erreicht hatte, der gewiss zuvor durch unzählige Hände gegangen war, gemahnte ich mich sofort zur Vorsicht. Zwar schmeichelte mich der Inhalt sehr und die Erwähnung der drei Dinge, die ein König bräuchte, brachten mich auf ganz kühne Gedanken. Dennoch, der Brief war nicht unterzeichnet! Ich wollte nicht den gleichen Fehler wie Phraates begehen, der seine Gutgläubigkeit mit dem Leben bezahlt hatte.

    Natürlich hatte ich meinen engsten Dienerinnen befohlen, herauszufinden, woher der Brief stammte und wer ihn verfasst hatte. Doch die Spur verlor sich irgendwann und so beschloss ich, ihm zunächst keiner Bedeutung zu schenken und versteckte ihn irgendwo zwischen meinen Schriften.

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    Nilofer

  • Nachdem Kronprinz Phraates in die Kerker geworfen und Boten in alle Himmelsrichtungen ausgeschickt worden waren, um die Großen des Reichs zusammenzurufen, wurde auch gleich daran gegangen in einem der Höfe ein Blutgerüst für Mithridates' großen Bruder zu errichten. Denm ganzen Nachmittag und die ganze Nacht arbeiteten die Männer daran, damit der kommende Vormittag endlich das erwünschte Ergebnis bringen mochte. Als die Sonne dann erneut über den Horizont stieg saß Mithridates auf einem Balkon, umringt von einer Schar Getreuer und seinem frischgebackenen Hazarbed Hydarnes von Mihrān und verfolgte das Ende von Phraates von Parthien. Als es endlich erledigt war, war seine Thronfolge endlich vollkommen gesichert. Mithridates war neuer Großkönig und nach dem Tod seines Bruders gab es niemanden mehr, der ihm diesen Anspruch streitig machen konnte. Dies wäre ein Anlass zum Feiern gewesen, doch ging dies nicht, weil durch den Tod Großkönigs Osroes immer noch 40 Tage Hoftrauer herrschten und diese bestand in der Unterlassung von Festgelagen und Jagden. Es mochte auffällig wirken, dass Mithridates angesichts des Todes seines Vaters keinerlei Trauer zeigte, doch kam dies dadurch, dass er sich vollkommen auf die Sicherstellung seiner kommenden Herrschaft konzentriert hatte, für Trauer war hier einfach kein Platz in seinen Augen. Erst wenn alles erledigt war würde er entscheiden, ob er trauern würde.


    Nun gut, jetzt wo Phraates tot war wurde es auch an der Zeit ein wenig im Harem auszumisten, die Konkubinen seines Bruders z.B. wurden ja jetzt nicht mehr benötigt. So schritt wenig später der neue Großkönig mit fünfzehn Soldaten in den Harem und befahl ihnen: "Sammelt alle Konkubinen meines Bruders ein und führt sie in ein geräumiges bewachtes Zimmer im Palast. Die Adeligen sollen ihren Familien zurückgegeben werden, den Rest verkauft am Sklavenmarkt!" So stand Mithridates mitten im Harem und beobachtete wie die Soldaten ausschwärmten, um die Konkubinen des Phraates zusammenzutreiben. Keineswegs gewalttätig, denn meist reichten schon ein paar feste Worte durch die Soldaten, dass die betreffenden Damen aufstanden und mitgingen.


    Sim-Off:

    Hazarbed = parthischer Hoftitel, entspricht einem Premierminister, Oberhaupt der Zentralverwaltung, Kommandant der königlichen Leibwache, Berater und Vertrauter des Großkönigs

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  • Es lag eine bedrückende Stimmung über dem Harem. Noch immer war die Zeit des Trauerns nicht vorüber. Wohlgemerkt die Trauer um Osroes, meinen Vater. Phraates war wie ein gemeiner Verbrecher gehängt worden. Um einen Verbrecher trauerte man nicht. Und doch gab es einige Bewohnerinnen des Harems, die das ganz anders sahen.

    Mit Phraates Ableben hatte es auch im Harem einige Todesfälle gegeben. Mahnaz, die Favoritin des Phraates, hatte sich in der Stunde der Hinrichtung ihres Herrn ihre Pulsadern geöffnet. Mir ihr waren ihre Sklavinnen in den Tod gegangen. Auch die Mutter des gestürzten Großkönigs grämte sich und bat Ahura Mazda, auch ihr einen baldigen Tod angedeihen zu lassen.


    Wenige Tage danach brach Aufruhr aus, als fünfzehn Soldaten des Großkönigs und letztendlich Mithridates selbst, den Harem betraten. Das Schreien der Frauen ließ auch mich aufschrecken. Ich rechnete mit dem Schlimmsten, denn Mithridates hatte sich, wie man so hörte, nicht besonders gnädig gezeigt, mit den Anhängern des gestürzten Großkönigs. Doch die Soldaten kamen nicht mit gezogenen Säbeln, um die Frauen des Phraates niederzumachen. Mithridates erwies sich als gnädiger und versöhnlicher Herrscher, als er ihnen allen das Leben schenkte.


    Glücklicherweise hatte die Königsmutter mich nicht vergessen und ließ nach mir schicken, als der Großkönig sich herabließ und sie bei dieser Gelegenheit mit seinem Besuch zu beglücken. Sie hatte zwei ihrer Sklavinnen nach mir geschickt, die mich unverzüglich zu ihr bringen sollten. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah! Doch vielleicht zeigte der Schahanschah auch bei mir seine Großmut und würde mich anhören.


    Als ich ihm entgegentrat warf ich mich sofort voller Ehrerbietung vor ihm auf den Boden, so wie es sich gehörte. "Oh Erhabener! König der Könige, bitte erlaube deiner treuen Dienerin Shireen, das Wort an dich zu richten."


    Während ich noch flach auf dem Boden lag, drang eine weibliche Stimme an mein Ohr. "Sieh, mein Sohn, das ist sie! Das ist Prinzessin Shireen!" Es war die Stimme der ehrerbietigen Mutter des Schahanschahs.

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    Nilofer

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  • Der Harem war genauso wie der übrige Königspalast ziehmlich groß, weshalb es einige Zeit dauerte, bis die Soldaten jeden Winkel nach eventuell noch übersehenen Konkubinen des Bruders fertig durchsucht hätten, weshalb Mithridates also etwas Zeit übrig hatte. Während einige zusammengetriebene Frauen an ihm vorbeigeführt wurden, richtete er seinen Blick auf die vor ihm kniende und sprach sie an: "Du darfst sprechen, du gehörst immerhin zur königlichen Familie."


    Mal sehen was sie ihm zu sagen hätte. Vermutlich wollte sie ihren Status durch eine Heirat mit ihm verbessern, was auch die Worte der Königinmutter implizierten, doch die ignorierte er einstweilen.

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  • Der erwartungsvolle Blick der Königinmutter lag auf mir, nachdem der Großkönig mir gestattet hatte, mich äußern zu dürfen. Zuvor hatte sie über alle Maßen meine Schönheit und mein gebärfreudiges Becken angepriesen. Schließlich sei ich ja keine Fremde, sondern des Großkönigs Halbschwester!

    All das machte es mir nicht leichter. Mir war es bewusst, dass ich all das Vertrauen und die Hoffnungen, die die Königinmutter in mich gesetzt hatte, in jenem Moment zunichte machen würde, sobald ich meine Bitte an den ShahanShah artikuliert hatte. All den Zorn der Königinmutter würde ich damit auf mich ziehen und das war gewiss noch das Geringste, was ich zu befürchten hatte. Ich begann schon zu zweifeln, ob es klug war, meine Bitte zu äußern. Zweifellos hätte ich dann ein gutes Leben in Aussicht, hier in diesen Mauern. Womöglich würde der Erhabene mich sogar ehelichen. Dann wäre ich wieder nur eine von vielen. So wie ich eines von schier unzähligen Nachkommen Osroes war. Niemals würde ich meine Sehnsucht nach dem Fernen und Unbekannten stillen können. Ich würde für immer und ewig in diesen Mauern gefangen sein, so wie die Vögel in ihren goldenen Käfigen hier im Harem.

    "Oh Erhabener, König der Könige, bitte vergib mir meine Vermessenheit! Doch gewähre mir folgende Bitte!" Mein Herz raste, einige Perlen meiner Transpiration zierten meine Stirn. Doch ich musste es tun! Um meinetwillen. "Bitte gestatte mir nur einen Tag außerhalb dieser Mauern, oh Erhabener!" Nur einen einzigen Tag!

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  • Die Welt funktionierte nach festgelegten Regeln. Sie garantierten den Fortbestand der Dinge und wies jedem Ding im Erdkreis seinen Platz zu. Selbst die Götter waren den Diktaten des Schicksals unterworfen und nur sie garantierten für Frieden und Ordnung. Die universellen Regeln zu missachten hieß Chaos in der Harmonie zu stiften. Mochte der erste Schritt zum Verderben auch nur klein und unscheinbar sein, was wenn ein zweiter genauso kleiner Schritt in Richtung Unordnung folgen würde? Und danach wieder? Und wieder? Und nochmal und immer so weiter? Könige würden ihre Kronen verlieren, Pest und Hungersnöte das Volk schlagen und ganze Kulturen in sich einstürzen!


    König Mithridates stand nun in diesem Moment im Harem vor einer vor ihm liegenden Frau und Verwandten, die ihn um genau so einen unscheinbaren ersten Schritt in Richtung Chaos bat. Sie wollte aus dem Harem hinaus! Sie, eine parthische Prinzessin aus königlichem Geblüt! Mithridates' Bart zuckte vor Zorn, als der Großkönig mit der Hand ausholte und Prinzessin Shireen eine Ohrfeige genau auf die Wange verpasste. "Nein, Weib! Was erdreistest du dich für einen Frevel zu verlangen! Du bist eine Prinzessin! Die Außenwelt ist dir zum eigenen Schutz verboten! Scher dich zurück in dein Bett und komm daraus erst wieder hervor, wenn du die Ungeheuerlichkeit deiner Bitte begriffen hast! Verschwinde! Weg aus meinen Augen!" Der erzürnte Blick des Arsakiden traf die Königinmutter. Einen Moment war er versucht auch sie zu schlagen, doch unterließ er es doch nochmal. "Wusstest du von diesem schändlichen Vorhaben? Sprich offen zu deinem Gebieter! War das der einzige Grund für ihr Erscheinen vor mir?" spie er die Frage aus. Die wallende Glut seines Zorns war fast mit Händen greifbar. Hoffentlich hatte die Königinmutter eine passable Antwort parat, wollte sie dieser entgehen. Dass Mithridates von Natur aus zu einem sehr cholerischen und aufbrausenden Charackter neigte, war ihr auch nicht gerade zuträglich.


    Mithridates' Reaktion mochte vielleicht für den einen oder anderen Außenstehenden zu hart erscheinen, doch musste man dabei bedenken, dass er unabdingbar an die Gesetze und die Harmonie des Kosmos glaubte. Nichts und niemand war dazu berechtigt sie zu brechen und selbst als Mithridates seinerseits das Herrscherrecht seines Bruders herausgefordert hatte, hatte er seines Ermessens nach bloß im Einklang mit diesen großen Gesetzen gehandelt, welche nach seinem Verständnis aussagten, dass nur die Starken das Recht zu herrschen besäßen.

    Ein weiteres solches Gesetz war nunmal auch, dass Prinzessinnen außerhalb des Harems nichts zu suchen hätten, um sicher vor schmutzigen gewöhnlichen Männern und ihrer lüsternen Blicke zu sein. Dies galt unumstößlich und gerade jetzt als neuer Großkönig musste Mithridates besondere Strenge und Härte demonstrieren, damit die Welt sah, dass er stark war. Stark und mächtig und niemand es wagen sollte ihn herauszufordern, es sei denn er wollte von ihm zermalmt werden!

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  • Die Augen der Königinmutter weiteten sich, als sie die Worte dieser Natter - meine Worte - hörte. Ich hatte den entsetzlichsten Fehler begangen, den es überhaupt gab! Ich hatte den Großkönig erzürnt und zwar aufs Schärfste! Ich, eine seiner unbedeutendsten Dienerinnen, hatte sich erdreistet, mich dem Erhabenen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu nähern und ihn zu bitten mich anzuhören. Dabei hatte ich gegenüber der Königinmutter niemals ein Ansinnen geäußert, welches mich in die engere Wahl der potentiellen Heiratskandidatinnen katapultieren sollte. Ich wollte doch einzig nur ein kleines Stückchen Freiheit, um meine Sehnsucht damit zu stillen. Danach hätte ich mich demütig wieder zurück in meine mir vorgesehene Rolle zurückbegeben. Doch nun war mein Leben ruiniert und das mit nur einer einzigen Frage - der falschen Frage!

    Die Königinmutter, da sie nun selbst im Fokus des Zornes ihres eigenen Sohnes stand, wies alle Schuld von sich. Nein, sie hatte nichts von meinem sonderbaren Wunsch, einfach frei zu sein, wissen können. Unter Tränen versicherte sie ihm, dass sie mich lediglich als 'gute Partie' gesehen hatte und dass auch sie von der elenden Natter getäuscht worden sei.


    Meine Wange brannte wie das heilige Feuer von Hatra. Doch noch um ein Vielfaches schwerer wogen seine Worte, die Mithridates mir entgegengeschleudert hatte. Ohne mein größeres Zutun schossen mir die Tränen in die Augen. Ich hatte hoch gespielt und hatte alles verloren. Diese Mauern würden mich niemals frei geben. Sie waren mein Grab, in welches ich lebendig eingeschlossen war.

    Ich hatte keine Sekunde gezögert, nachdem mich der Unmut des Schahanschahs getroffen hatte. Ich hatte mich unverzüglich aus seiner Gegenwart entfernt, war davongelaufen, wie ein törichten Kind, zurück in mein kleines Refugium, wo meine Sklavinnen mich bereits erwarteten. Nilofer, die treueste meiner Dienerinnen, eilte sofort mit einem kalten Umschlag herbei und kühlte damit meine Wange. Sie trocknete meine Tränen und tröstete mich.


    Erst einige Tage später, in denen ich in Furcht vor weiteren Repressalien des Großkönigs und seiner Mutter lebte, gelangte jener Brief wieder in meine Hände. Inzwischen gab es nichts mehr, was mich noch zur Vorsicht gemahnt hätte. Dieser Brief war meine letzte Hoffnung! Wenn auch diese Option fehlschlug, dann starb damit auch meine Hoffnung auf Freiheit für immer

    Noch am gleichen Abend nahm ich ein Stück Pergament zu Hand und schrieb darauf nur einen einzigen Satz:


    Ja, ich habe Mut!


    Nilofer übergab das Schriftstück wieder jenem, von dem sie den Brief erhalten hatte, so dass es seinen Weg zurück zu dessen Verfasser finden sollte.

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  • Die Zeit schien bleiern zu sein, nachdem Nilofer meine Nachricht auf den Weg zurück sandte. Ich wollte mir nicht vorstellen, durch wie viele unzählige Hände er gehen musste, bis er zu demjenigen kam, der nun meine einzige Rettung darstellte. Dabei konnte mir niemand die Gewissheit geben, dass er jemals seinen Zielort erreichen würde. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten und zu warten.

    Indessen bleib mir viel Zeit, um mögliche Szenarien durchzuspielen, wie eine mögliche Flucht durchführbar war. Doch jedes Mal kam ich zum Schluss, dass es unmöglich war! Das Verschwinden einer Prinzessen würde nicht lange unentdeckt bleiben. Das einer Dienerin vielleicht schon...

    Nilofer, ihre treue Dienerin! Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu verleugnen. Die dunklen Augen, das lange lockige Haar, die mandelförmigen Augen und der volle rote Mund. Mit etwas Nachhilfe wäre ein Rollentausch durchaus möglich.

    Und selbst, wenn es mir tatsächlich gelingen sollte, den Harem und den Königspalast hinter sich zu lassen, dann gab es keine Rückkehr mehr! Jedoch war der Wunsch nach Freiheit größer, als alles andere. Der Harem sollte nicht auch noch mein Grab werden!


    Doch was nützen all meine Szenarien, wenn ein ersehntes Zeichen von meinem Retter ausblieb? Schließlich stand ich kurz davor mir einzugestehen, dass auch dieser Versuch, meine Freiheit zu erlangen, gescheitert war. Dabei hatte ich doch so inständig zu Ahura Mazda, dem Herrn des Lichtes und dem Erhalter der Welt gebetet mir ein Zeichen zu senden. Doch dann kam jener Tag des Sturms, der alles hinwegfegen sollte, was mich niederdrückte und bedrängte...

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  • Eine riesige rote Wand aus Staub und Sand wälzte sich erbarmungslos, von der Wüste her kommend, zur Stadt hin und so auch zum Königspalast hin. Es herrschte heller Aufruhr, der auch vor dem Harem nicht Halt machte. Der Staub drang durch die kleinsten Ritze und er machte es schwer, zu atmen.


    In diesem Chaos drang eine geheime Nachricht in den Harem. Von Mund zu Mund, bis sie ihr Ziel erreichte. Es war das langersehnte Zeichen, auf das ich gewartet hatte. Es blieb nicht viel Zeit! Der Sturm war Fluch und Segen zugleich. Durch ihn konnte zumindest für eine gewisse Zeit mein Verschwinden verschleiert werden. Nilofer packte ein paar Sachen und Proviant für mich in eine Tasche. Dann tauschten wir unsere Kleidung. Aus meiner Dienerin wurde Prinzessin Shireen, 16. Tochter der dritten Nebenfrau des Schahanschas Osroes und die in Ungnade gefallene Halbschwester des neuen Shahanshahs Mithridates V. und aus mir Nilofer, eine aus Haraivata stammende Sklavin.

    Mein Antlitz war hinter einem Schleier aus hellblau gefärbter Baumwolle verborgen. So verließ ich den Harem und begab mich zum vereinbarten Treffpunkt.

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