Andron - Überall war heller Tag, nur hier war Nacht, mehr als Nacht ...*

  • DAS ZIMMER


    Das Haus war erwacht. Diener brachten Fackeln, Öllampen und verschiedene Speisen, Getränke wurden aufgefüllt, Kissen aufgeschüttelt und die Klinen zurechtgerückt. Athenodoros wies auf die Klinen, damit sich Nilofer und Phraotes hinlegen konnten; er selbst blieb sitzen. Scope, die Wächterin war vor dem Zimmer zurückgeblieben.

    Athenodoros wies auf die Getränke: "Bedient euch,  meine jungen Freunde" sprach er: "Seid ohne Furcht. Und hört die traurige Geschichte von Alexandra, meinem geliebten Weib."

    Anippe war auch gekommen, blass um die Nase versah sie ihren Dienst, und dann hub der Ben Attar zu sprechen an:


    " Möglich ist es, dass ihr mich für ein Monstrum haltet. Doch seid versichert, all das, was geschah, tat mir in der Seele weh. Alexandra ist nämlich tatsächlich meine Gattin, die einzige schöne Tochter eines Makedonen aus Palmyra.
    Lange Zeit schien es, als könne sie keine Kinder bekommen, doch vor vierzehn Jahren erlebten wir das große Glück: Sie brachte Alexandros zur Welt, meinen einzigen Sohn und Erben.
    Leider gab es eine Sklavin in unserem Haus, die sich durch Alexandra schlecht behandelt fühlte. Und was soll ich sagen: Sie hat sie verflucht.
    Alexandra selbst konnte den Namen der Hexe nennen.  Die Fluchtafel wurde entdeckt und verschiedene grausigen Dinge wurden bei der Frau gefunden. Aber obwohl ich sie sofort verkauft habe, war die Macht der Hexe größer; der Fluch brach sich Bahn und der Zustand der armen Alexandra verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Ein kakodaimon, ein böses Wesen hat sie in Besitz genommen und verleiht ihr zuweilen unmenschliche Kräfte. Sie erkennt die meiste Zeit niemanden mehr.
    An manchen Tagen ist sie jedoch so wie sie in Alexandria war, sie glaubt auch noch, dass sie dort wäre, und sie spricht wie eine vornehme Dame. Aber niemand weiß, wann dieser Zustand wieder umschlägt.  Sie hat schon sich selbst und auch andere verletzt. Ja selbst auf meinen kleinen Alexandros ist sie schon losgegangen.
    Ich bin verflucht, meine jungen Freunde und all das Glück ist von meinem Heim gewichen, seit Alexandra in diesem Zustand ist.
    "


    Er wischte sich über die Augen, so leid tat...er sich.



    Sim-Off:

    * Plinius VI, 16

  • Auch wenn unser Gastgeber beteuert hatte, kein Monstrum zu sein, so fröstelte es mich immer noch, wenn ich mir seine Worte noch einmal in Erinnerung rief, wie er über seine Frau gesprochen hatte, die er in jenem Zimmer wie eine Gefangene hielt. Dort hatten die Sklaven bereits Getränke und Speisen aufgetragen hatten. Wahrscheinlich konnte man es mir anmerken, wie eingeschüchtert ich immer noch war, als ich mich bei den Getränken bediente, nachdem Athenodorus uns dazu aufgefordert hatte. Etwas nervös nippte ich an meinem Wein und lauschte nun den Worten des Palmyreners, der nun die Geschichte um seine Frau zum Besten gab. Offenbar war Alexandra Opfer eines bösen Zaubers geworden. Der Zauber einer Hexe! Und noch etwas anderes erfuhren wir. Die Gattin des Athenodros hatte ein Kind geboren - einen Sohn, der Alexandros hieß. Ich fragte mich insgeheim, was mit dem Jungen geschehen war, denn er war uns bisher nicht vorgestellt worden. Ob er auch Opfer dieses Hexenfluchs geworden war? Oder vielleicht auch Opfer seiner eigenen Mutter? Vielleicht gab es aber auch eine ganz einfache Erklärung für seine Abwesenheit.

    Ja, sie war schon sehr traurig, diese Geschichte! Ich zweifelte nicht an ihrem Wahrheitsgehalt. Allerdings verstand ich immer noch nicht, weshalb er seine Frau sich in solch üblen Zustanden allein ließ. Dieses Zimmer war wie ein Verlies gewesen, ein Grab, in dem Alexandra lebendig begraben war. Fast schon glaubte ich eine Träne im Auge unseres Gastgebers erkennen zu können. Doch nein, es musste wohl etwas anderes gewesen sein!


    "Das ist sehr ... tragisch!", meinte ich schließlich nach einer Weile und blickte dann zu Phraotes hinüber. "Das Leben hat dir und deinem Sohn übel mitgespielt! Ich hoffe, er ist wohlauf?" Vielleicht erfuhr ich auf diese Weise etwas über den Jungen.

  • Ich fasste schnell nach Nilofers Hand. Wir schienen zunächst außer Gefahr zu sein, auch wenn wir Athenodoros Geheimnis kannten. Und dennoch, ich war entsetzt. Hatte ich nicht in Ktesiphon vom Westen geträumt, von dieser wunderbaren hellenischen Welt? Das Gute und das Schöne, anders konnte es doch nicht sein!

    War es nicht so, dass Krankheiten des Geistes laut Hippokrates auf einem Ungleichgewicht der Säfte beruhten?

    Massagen, Diäten, Schröpfen, Theaterspiele, Vorlesen und Ölwickel um den Kopf, waren das nicht die Behandlungsmethoden, die die Philosophen empfahlen? Aristoteles hatte in seinem Werk "Peri Psyches" eine gestörte Galle als Ursache für einen gestörten Verstand ausgemacht.


    Niemand hatte je geschrieben, dass man einen Geisteskranken, ganz gleich ob er an phrenetis, Delirium ,oder mania, Wahn, litt, immer nur im Finsteren wie ein wildes Tier halten sollte.


    Aber genau das tat Athenodoros. Wo ich gehofft hatte, Erleuchtung, Liebe, und Freiheit zu finden, fand ich finstersten Aberglauben und Grausamkeit.


    Es ekelte mich an.


    Ich merkte, dass auch Nilofer fröstelte, und ihre Hand war ganz kalt:

    " Eine Tragödie, wahrhaftig.", sprach ich mühesam beherrscht: " UNd was wurde aus deinem Sohn - Alexandros ist sein Name, nicht wahr?"

  • " Es ist freundlich von euch, dass ihr euch für meinen Sohn interessiert.", sprach Waballat: " Alexandros war immer ein guter Junge, auch wenn er seine Mutter  vermisst hat. Er war erst elf Jahre alt, als es mit Alexandra so schlimm wurde.

     Gewiss wundert ihr euch, dass ich von ihm in Vergangenheitsform spreche. Auch er hat mir Probleme gemacht: Sein weicher Charakter kommt nach seiner Mutter. 

    Er hat sich in Palmyra nicht eingelebt und meinte, sich alleine nach Alexandria durchschlagen zu können. Heimweh, versteht ihr. Alexandros ist vor Monaten aus dem väterlichen Haus ausgerissen und seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr.

    Ich mache mir selbstverständlich große Sorgen."


    Athenodoros sagte nicht ganz die Wahrheit. Er hatte diesen Sohn abgeschrieben, nach Kaufmannsmanier unter "Verluste" verbucht. Alle seine Söhne waren im Grunde eine Enttäuschung für den Ben Attar gewesen. Aber den treusorgenden Vater zu spielen, das kam ihm gerade gelegen.

    Athenodoros war noch recht jung. Er konnte noch andere Söhne zeugen, und diesmal vielleicht mit einer edlen Frau, die tatkräftig und klug war, und nicht verrückt wie seine Gattin oder eine notorische Hexe wie seine frühere Sklavin.

    Und solch eine Frau saß direkt vor ihm.


    "Daher habe ich eine große Bitte an Dich, Phraotes, und sei dir versichert, es soll dein Schaden nicht sein. Ganz gleich wie es ausgeht, ich würde dir eines der kleineren Stadtwohnungen der Bene Attar schenken und etwas Kapital und meine Empfehlungen und Beziehungen, so dass du dir vielleicht deinen eigenen Handel aufbauen kannst. 

    Alles was du dafür tun musst ist folgendes: Reise du nach Alexandria in die ehemalige Niederlassung der Bene Attar und fahnde nach meinem geliebten Jungen."


    Er schaute Nilofer an:

    "Die Dame Nilofer wäre  solange selbstverständlich mein geschätzter Gast. Und du, Phraotes, wenn du zurückkommst, ein gemachter Mann. Was sagt ihr zu meinem Vorschlag?"

  • Inzwischen kannte ich Phraotes schon so gut, um aus seiner Miene und seiner Körperhaltung einiges herauslesen zu können. So nahm ich an, dass auch er von unserem Gastgeber angewidert war. Doch da wir keine andere Möglichkeit hatten, mussten wir eben gute Miene zum bösen Spiel machen. Auch er fragte nach Athenodoros' Jungen. Ich hoffte inständig, dass Alexandros nicht auch einem so üblen Schicksal zum Opfer gefallen war. Doch offenbar war ihm die Flucht aus diesem Haus gelungen. Aus den Worten unseres Gastgebers schloss ich, dass er mit seinem Sohn nicht besonders zufrieden gewesen war, weil er das tat, was jedes Kind von Natur aus tun würde - sich nach seiner Mutter sehnen. Alexandros jedoch musste auf die Kaltherzigkeit seines Vaters gestoßen sein und hatte das einzig Richtige getan! Auch wenn sich dieser nun als sorgender Vater darstellte. Mochte Ahura Mazda schützend über ihn wachen, falls er noch lebte!

    "Oh!" entwich es mir. Sicher merkte man mir meine Erschütterung an. Dieses Haus war von Pech verfolgt und wir waren darin zu Gast! Mich fröstelte bei diesem Gedanken nur noch mehr! Sobald wir wieder allein waren, musste ich unbedingt mit Phraotes reden! mir war nicht wohl bei dem Gedanken, noch länger hier zu bleiben. Aber wo sollten wir sonst hingehen? Wieder fühlte ich mich wie eine Gefangene.

    Doch als Athenodoros dann Phraotes direkt ansprach und ihn um einen Gefallen bat, horchte ich auf. Er sollte für ihn nach Alexandria reisen, um dort nach seinen Sohn zu forschen. Als Dank für seine Mühen wollte er ihm eine kleine Stadtwohnung schenken. Im ersten Moment klang das sehr verlockend. Allerdings bedeutete das auch, dass er sich erneut auf eine gefährliche Reise durch die Wüste begeben musste... und er würde mich hier zurücklassen müssen! Letzteres bereitete mir etwas Bauchschmerzen. Doch andererseits würden wir danach auf eigenen Füßen stehen, bereit für ein gemeinsames Leben in Freiheit!

    "Das ist ein sehr großzügiges Angebot von dir!" Ich sah zu Phraotes hinüber, was er dazu meinte. Falls er zustimmen würde, wären wir zum ersten Mal getrennt, seitdem wir Ktesiphon verlassen hatten. Doch was waren schon ein paar Wochen gegen den Rest unseres Lebens?

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    Nilofer

  • "Es ist eine große Ehre, ehrenwerter Athenodoros.", sprach ich, und hielt mir die Hand vor den Mund: "Doch gestatte mir, dir morgen zu antworten. Die Wahrheit ist, dass mir die Angelegenheit der Dame Alexandra einen gehörigen Schreck eingejagt hat, der mir noch in den Gliedern sitzt, und mir fehlen auch noch etliche Stunden Schlaf. Ich bitte dich daher, mich zu entschuldigen."


    Ich gähnte herzhaft. Meine Müdigkeit hatte ich nur halb gelogen, aber besonders ging es mir darum, mit Nilofer unter vier Augen zu sprechen. Das sich unser Gastgeber nämlich für sie als Frau interessierte, hätte selbst ein Blinder gesehen.


    Ich reichte meiner Geliebten den Arm: "Kommst du, Nilofer. Du bist ganz blass, bestimmt tut es dir gut, dich hinzulegen." Ich fasste ihre Hand: "Ganz kalt - Anippe könnte uns später ein paar erhitzte Zigelsteine bringen?"


    Ich schaute besorgt, und wenn Athenodoros Interesse aufrichtig war, wollte er bestimmt auch, dass es Nilofer in jeder Hinsicht gut ginge. So stand ich auf:

    "Danke für alles und für dein Vertrauen, edler Gastgeber", sprach ich, wie es Anstand und Sitte geboten.


    Doch: Kakou gar andros dora onesin ouk echei*, auch wenn sie mit süßen Worten und in prunkvollem Gewande daherkamen.


    >>> Gästezimmer




    Sim-Off:

    * Des schlechten Mannes Geschenke bringen keinen Segen


  • Auch Phraotes hielt sich eher bedeckt und ging nicht direkt auf das Angebot des Ben Attar ein. Denn auch wenn es verlockend klang war es bestimmt nicht ohne Hintergedanken ausgesprochen worden. Inzwischen glaubte ich nicht mehr daran, dass unser Gastgeber auch nur irgendetwas aus reiner Menschenfreundlichkeit tat. Außerdem war mitten in der Nacht. Wir waren beide müde, auch wenn wir ob der Ereignisse noch sehr aufgepeitscht waren. Doch eigentlich war es der Schlaf, nachdem wir uns sehnten.

    "Oh ja, ich bin furchtbar müde und mit ist kalt! Sicher ist es besser, wenn wir morgen darüber sprechen." Als Bestätigung gähnte ich einmal herzhaft und ließ mich dann von meinem Begleiter, der meine Hand ergriffen hatte, zu unserer Unterkunft führen.

    Auf jeden Fall war es besser, über Ben Attars Angebot erst einmal unter vier Augen machzudenken.

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    Nilofer