XENON II | Man sieht nur mit dem Herzen gut...

  • Ich hatte zwei Briefe zu schreiben: Einen, in dem die Lüge in den Worten einer bevorstehenden Hochzeit verborgen war und der niemals an seinen Bestimmungsort kommen würde. Der Andere, in dem die Wahrheit geschützt durch die Lüge versteckt war. Beide Briefe würden über mein weiteres Schicksal bestimmen. Und nicht nur meines. Auch das der beiden Sklavinnen, die ich ins Vertrauen gezogen hatte und mit denen ich eine Schicksalsgemeinschaft eingegangen war.


    An

    Phraotes

    Haus des Waballat Ben Attar Athenodoros

    Delta Viertel

    Alexandria

    AEGYPTUS


    Phraotes!

    Ich möchte dir auf diesem Wege die frohe Kunde von meiner bevorstehenden Hochzeit mit Athenodoros verkünden. Ja, ich habe mich unsterblich in unseren Gastgeber verliebt und werde ihn, sobald ich das einverständnis meines Vater habe, ehelichen. Ja, ich bereue es, wegen dir mit meinem Vater gebrochen zu haben. Doch wenn er davon hört, welch edler Herr um mich wirbt, wird aller Zwist zwischen uns vergessen sein!

    Es tut mir sehr leid für dich, die Hoffnungen, die du dir gemacht hattest, zunichte zu machen. Gewiss wirst du in Alexandria ein nettes Mädchen finden. Zum Trost sende ich dir ein Gedicht, womit mich meine alte bactrische Amme immer getröstet hat:

    "Cuenbgrf, ovggr xbzz fb fpuaryy mhehrpx, jvr qh ahe xnaafg. Nyrknaqre vfg uvre va Cnyzlen. Jve zhrffra iba uvre syvrura!"


    A+N= <3


    Nilofer


    Es tat imr im Herzen weh, diese Zeilen zu schreiben. Doch ich vertraute darauf, dass er nicht blind sein würde, sondern das Wesentliche mit Hilfe Initialen am Ende entschlüsseln konnte.

    Der zweite Brief fiel mir um ein vielfaches leichter zu schreiben. Denn der Inhalt sowie der Adressat entstammten der Welt des Fantastischen.



    An

    Pakūr Meherzad

    Ktesiphon

    PARTHIA


    Geliebter Vater!


    Es grüßt dich deine dich liebende Tochter Nilofer! Bitte vergieb mir, denn ich gegen deinen Willen gehandelt und schweren Verrat an dir geübt, als ich mich auf den jungen Phraotes eingelassen habe. Ich habe nun erkannt, wie dumm meine Flucht gewesen ist und bitte dich, mich wieder als deine Tochter zu nennen.


    Ich bin nun hier in Palmyra gestrandet. Der ehrenwerte Wallabat Ben Attar Athenodoros hat mich in seinem Heim freundlich aufgenommen. Seine Fa milie gehört zu den Vornehmsten Palmyras! Da seine Liebe zu mir entbrannt ist und auch ich mich unsterblich in ihn verliebt habe, möchte er mich nun zu seiner Frau nehmen. Doch seinem Werben möchte ich nicht entsprechen, solage du mir nicht deine Erlaubnis dazu gibst. Vater, ich bitte dich, mich wieder als dein Fleisch und Blut anzuerkennen. Dich als Gast auf meiner Hochzeitsfeier wieder zusehen wäre mein größter Wunsch!


    Deine dich lebende Tochter

    Nilofer


    PS: Liebe Grüße an Mutti!


    Schmunzelnd legte ich den Calamus zur Seite. Dann versiegelte ich beide Briefe und bat Anippe, sie gleich morgen abzuschicken. Dann ging ich zu Bett.

  • Eine ruhige Nacht lag hinter mir. Ich hatte nicht lange gebraucht, bis ich eingeschlafen war. Als am Morgen dann die ersten Sonnenstrahlen in das Zimmer hineinlugten, waren die beiden Sklavinnen erwacht. Auch ich hatte dann nicht länger schlafen können. Anippe musste sich sputen, damit sie noch die beiden Briefe an die Karawanenführer übergeben konnte. Währenddessen half mir Idunah bei der Morgentoilette, um dann kurz darauf auch das Zimmer zu verlassen. Ich hatte ihr mit Handzeichen zu verstehen gegeben, dass sie mir ein Frühstück bereiten sollte und hoffte nun, dass sie mich auch richtig vestanden hatte.


    Nu saß ich allein an dem Schreibtisch, an dem ich am Abend zuvor noch die beiden Briefe geschrieben hatte. Hoffentlich würde der Brief, der für nach Alexandria bestimmt gewesen war, recht schnell seinen Adressaten finden. Der Andere konnte von mir aus auf dem Weg durch die Wüste verloren gehen. Denn Fakt war, irgendwann würde der Schindel auffliegen. Sobald die Karawane Ktesiphon erreicht hatte und dort feststellen würde, dass es dort keinen Kaufmann mit diesem Namen gab, an den der Brief adressiert war, würden Athenodoros' Männer nicht lange zögern, um ihm von meiner Täuschung zu berichten. Wenn bis dahin Phraotes nicht zurück war, dann... Ein Klopfen an der Tür beendete sofort meinen Gedankengang, ch war von dem plötzlichen Geräusch aufgeschreckt und sah überrascht zur Tür. Das konnte unmöglich Idunah sein! So schnell konnte sie sicher nicht das Frühstück zubereitet haben! Und Anippe? Vielleicht war es Anippe? Doch sie hatte nicht einfach so wortlos geklopft.

    "Herein!", hörte ich mich verunsichert rufen und wartete ab, wer nun die Tür öffnen würde.

  • Waballat trat ein und zeigte Nilofer gegenüber ein Lächeln tiefster Zufriedenheit:

    "So fleißig gewesen, meine Blume aus Ktesiphon", sprach er: "Es gefällt mir, dass man sich auf dein Wort verlassen kann. Kaum drehe ich dir den Rücken zu, sind schon die zwei Brieflein unterwegs. ",

    er ließ sich in den Prunksessel fallen und faltete beide Hände über seinem Bauch zusammen:

    "Und sonst alles nach deiner Zufriedenheit, liebste Nilofer?", erkundigte er sich: "Gib ruhig soviel Geld aus, wie du möchtest, ganz Palmyra soll sehen, dass ich es mir leisten kann. Besonders die Bene Mazin.", wieder lächelte er und dann fragte er:

    "Ammen aus Baktrien - sind die irgendwie besonders? Ich meine, wenn du es wünschst, werde ich dir eine solche besorgen."

    Nilofer sollte nicht denken, dass sie etwas auch nur aufschreiben konnte, ohne dass er es erfuhr. Auch wenn ihr Käfig golden sein würde, auf gewisse Weise war sie seine Gefangene wie Alexandra in ihrem Kerker.

    Er warf einen fast schon anzüglichen Blick auf Nilofers Bauch:

    "Lange wird es ja nach unserer Hochzeit nicht dauern, bis sich da etwas rundet.Da sollte die Baktrierin schon hier sein."


    Er breitete nun die Arme aus: "Komm, meine Braut, gewähre mir einen Kuss", bat er, aber das Glitzern in seinen Augen strafte den bittenden Worten Lüge.

  • Meine Augen weiteten sich, als sich die Tür öffnete und als er eintrat, war es, als habe ich einen Tritt in die Magengrube erhalten. Jedoch versuchte ich dies vor ihm zu verbergen uns setzte schnell ein Lächeln auf. "Geliebter!" brachte ich heraus, um mich nicht doch noch zu verraten. Denn ja, es war genau so, wie Anippe es vorausgesagt hatte. Athenodoros entging nichts, was in seinem Hause geschah. So hatte er auch von meinen beiden Briefen erfahren, die ich am Abend zuvor verfasst hatte. Fragte sich nur, ob er auch so dreist gewesen war und sie gelesen hatte.

    Selbstgefällig ließ er sich in den Sessel fallen, ohne vorher zu fragen. Aber ja, dies alles war sein Eigentum und auch ich würde bald dazu gehören. Da musste man nicht groß fragen, da nahm man sich einfach!

    "Oh ja, mein Liebster! Ich fühle mich wie eine Prinzessin!" gab ich auf seine Frage zurück und lächelte. Seiner Aufforderung, genug Geld auszugeben, würde ich sicher Folge leisten können. So nickte ich und mein Lächeln wurde noch breiter. "Du bist so gut zu mir, mein Geliebter! Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll!" Fraglos würde Athenodoros eines Tages eine Gegenleistung fordern für all den Luxus, den ich mir gönnte. Damit hatte er mich dann in der Hand und ich würde mich ihm unterwerfen müssen. Auch wenn sie nicht sichtbar waren, doch ich erkannte sie, die goldenen Stäbe meines Käfigs, die mich eingesperrt halten würden, sobald ich die Seine war. Dieser Käfig war derselbe, aus dem ich in Ktesiphon geflohen war.

    Seine nächste Bemerkung, als er die baktrischen Ammen erwähnte, traf mich bis ins Mark. Dies war die Bestätigung, dass er meine Briefe auch gelesen hatte. Ob er auch die geheime Botschaft im Phraotes' Brief entschlüsselt hatte? Diese Frage quälte mich so sehr, dass ich mich beinahe verzettelt hätte.

    "Baktrische Ammen?" fragte ich entrüstet. Doch zum Glück fing ich mich wieder. "Oh, baktrische Ammen, ja! Die sind etwas Besonderes! Zumindest war meine besonders. Sie gab mir stets viel Liebe und tröstete mich immer, wenn ich traurig war." Natürlich war mir sein anzüglicher Blick nicht verborgen geblieben, als er auf meinen Bauch starrte. Dort hinein wollte er seine Saat ausbringen, auf dass dann neun Monate später sein ersehnter Sohn geboren würde. "Ich kann es schon kaum erwarten"sagte ich und legte nun auch meine Hand an meinen Bauch, als befände sich dort bereits etwas darin. Im nächsten Moment wurde mir bewusst, wie gefährlich es war, zu sehr mit dem Feuer zu spielen, denn schon breitete er seine Arme aus und bat, nein er befahl mir, ihm einen Kuss zu gewähren. So erhob ich mich von meinem Stuhl und schritt zu ihm hinüber. Da er keinerlei Anstalten machte, sich zu erheben, beugte ich mich zu ihm hin und drückte zaghaft meine Lippen auf seine. Es war fraglich, ob er sich damit zufrieden geben würde. Ich hoffte es.

  • "Zuviel Liebe und Trost soll es aber auch nicht sein!", unterbrach Athenodoros Nilofer: "Sonst wird unser Sohn so ein Weichei wie Alexandros! Er soll hart werden, hart wie Bambus. Es reicht, wenn die Amme in ihren Brüsten genug Milch hat und sauber und ordentlich ist! Aber gut, du sollst deine Baktrierin haben! Ich schicke Sklavenjäger los. Wenn er dort eine geeignete junge Mutter finden kann, soll er ihrem Balg den Schädel einschlagen und sie herschaffen. Du siehst, keine Mühe ist mir zu viel für dich, Liebste"


    Nun drückte Nilofer ihre Lippen auf die seinen, und er schloss die Augen; wie immer machte ihn ihr Duft und ihre blühende Weiblichkeit wahnsinnig. Aber er hatte ein Versprechen abgelegt, daran hielt er sich, auch wenn es schwer fiel.

    "Ich kann es auch kaum erwarten.", stöhnte er: "Welch raffinierte Spielart der Liebe es doch ist, das Begehren durch Abstinenz zu schüren. Aber ...Nilofer, ich halte es kaum noch aus."

    Er erhob sich: "Ich verlasse dich nun, meine Schönste. Schlaf gut."

    Fast floh er den Raum.

  • Ich war heilfroh, dass er nicht begriffen hatte, was es mit der baktrischen Amme auf sich hatte. Doch irgendwie machte er mir nun Angst, Vielleicht tat er ja auch nur unwissend und hatte mich längst durchschaut. Ich wünschte, Phraotes wäre bald hier! Doch es würden noch Wochen vergehen, bis er hier sein würde. Bis dahin musste ich die zukünftige Braut spielen und versuchen, ihn mir vom Leib zu halten. Also lachte ich, als er meinte, einen Sklavenjäger organisieren zu müssen, um mir eine baktrische Amme zu beschaffen. Mit tat die arme Frau jetzt schon leid!

    "Ja, das weiß ich doch mein Liebster! Ach wie jammerschade, dass es noch Wochen dauern wird, bis ich eine Antwort von meinem Vater erhalten werde! Ich begehre dich auch so sehr!" gab ich ihm zur Antwort und heuchelte ihm Begierde vor, die es definitiv nicht gab.

    Als er mich dann darum bat, ihn zu küssen, glaubte ich mich übergeben zu müssen. Doch ich tat es, wenn auch zaghaft. Aber selbst das schien ihn schier in den Wahnsinn zu treiben, vor lauter Verlangen.

    "Und ich erst, mein Geliebter! Am liebsten würde ich für dich jetzt hier und jetzt auf der Stelle... nein! Wir werden uns in Geduld üben!" Ja, ich war grausam! Wie ich sein Verlangen noch weiter schürte und er konnte sich keine Erleichterung schaffen, weil er ein Versprechen gegeben hatte, hatte auch irgendetwas vergnügliches.


    "Bis bald, mein Geliebter!" antworte ich und hauchte ihm noch einen Kuss entgegen, als er sich zum Gehen erhob. Als er aber dann gegangen war, glaubte ich fast, ersticken zu müssen." Phraotes, mein Geliebter, bitte komm bald!" flüsterte ich leise zu mir selbst.