Ein Vorstellungsgespräch

  • ANTE DIEM VIII KAL IUN DCCCLXXXV A.U.C. - der Tag, den mir die Stadtverwaltung von Antiochia für ein Vorstellungsgespräch gewährt hatte, war angebrochen. Ich hatte ihn in aller Frühe mit einem Bad im Balneum der heimischen Domus und einen kleinen Frühstück begonnen und mich sodann in meine neue und vor allem für diesen Termin erworbene Toga einwickeln lassen.


    Schon am Abend zuvor war ich noch einmal sorgfältig das Schreiben der Curia durchgegangen, in dem mir der Tag für das Gespräch mitgeteilt worden war. Dieses Schreiben führte ich nun nebst eigenem Schreibzeug mit mir, als ich das Gebäude betrat, in dem die Curia Antiochiae untergebracht war. Würde dies mein zukünftiger Arbeitsplatz sein?


    Einstweilen jedenfalls hatte ich Schwierigkeiten mich zurecht zu finden und war daher froh, als ich einen Mitarbeiter abfangen konnte, der schnellen Schrittes durch den Eingangsbereich des Gebäudes lief: "Salve! Mein Name ist Manius Furius Luscus, und ich soll mich heute dem Agrimensor Faustus Virgilius Agrippa vorstellen." In meinen Händen hielt ich den Brief der Stadtverwaltung mit dem Termin, vorsichtig aufgerollt, so dass mein Gesprächspartner sich mit einem Blick davon überzeugen konnte, dass mein Anliegen gerechtfertigt war.

  • Der Mann blieb stehen und begutachtete das Schreiben, das ihm da unter die Nase gehalten wurde. Dann grinste er. "Hat der alte Knochen also jemand Neues bekommen zum Ohren abkauen. Den Korridor hier rechts, dann die Treppe hinauf, dann den Gang entlang bis zur zweiten Tür rechts, du kannst es nicht verfehlen."


    Dann ging er weiter seiner Wege. Kurz bevor er am Ende der Halle angelangt war und dort aus einem Nebenkorridor ein junger Mann mit einer Groma erschien, rief er diesem zu: "He Tiberius! Du hast für heute frei! Heute mal keine Litaneien!" über die Schulter zeigte er auf Furius Luscus, der Mann mit der Groma verstand sofort, stoppte auf dem Weg zum Außenportal und fing zu grinsen an. "Gut! Sehr schön, wollen wir was trinken gehen?", "Aber gern doch!" Der Mann holte zu dem anderen auf, dieser stellte sein Messwerkzeug achtlos an der Mauer direkt neben dem Portal ab und dann verließen sie miteinander schwatzend die Curia.

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  • "Ich danke dir!"


    Mehr Zeit blieb mir nicht, Worte an den städtischen Mitarbeiter zu richten, an den ich mich im Eingangsbereich der Curia gewandt und der mir den Weg zum Officium des Agrimensors gewiesen hatte. Denn so schnell, wie er gekommen war, wandte er sich wieder von mir ab und ging auf das eine Ende der Halle zu. Ich bekam noch mit, wie er dort auf einen anderen jungen Mann traf, mit dem er sich verabredete, etwas trinken zu gehen, was die beiden dann in die Tat umsetzten.


    Zu diesem Zweck hatte der junge Mann sich einer Groma, die er mit sich geführt hatte, entledigt, indem er sie an der Mauer nahe beim Portal abstellte. Direkt als ich das Messinstrument in seinen Händen entdeckt hatte, war ein Lächeln über mein Gesicht gehuscht. Als die beiden Männer die Curia verlassen hatten, begab ich mich nicht sofort auf den Weg zum Officium des Agrimensors, sondern ging zu der Groma und sah sie mir einen Moment lang an. Eine Reihe schöner Erinnerungen an meine Zeit in Ephesos trat bei ihrem Anblick vor mein inneres Auge: Würde ich vielleicht auch hier eines Tages mit einer Groma für die Stadt Antiochia arbeiten können?


    Zunächst war ich jedoch geladen worden, mich um die Stelle eines Scribas in der Verwaltung zu bemühen. Von der Groma riss ich mich daher wieder los und schlug nun den Weg, der mir gewiesen worden war, zum Officium des Agrimensors durch das Gebäude der Curia ein.


    Der städtische Mitarbeiter, der mir diesen Weg bezeichnet hatte, hatte Recht gehabt: Das Officium war nicht zu verfehlen. Als ich vor seiner Tür angekommen war, hielt ich einen Moment lang inne. Ich dachte an eine Bemerkung, die der städtische Mitarbeiter bei seiner Wegbeschreibung gemacht hatte und die ihr Echo fand in dem kurzen Zwiegespräch zwischen ihm und seinem Kollegen mit der Groma. Demnach war der Agrimensor wohl ein sehr redseliger Mensch. Wie würde ich damit umgehen?


    Fast unbewusst langte ich in den Bausch meiner Toga, in dem ich ein Wachstäfelchen nebst kleinem Stilus aufbewahrte, und nestelte kurz daran. Eigentlich war es doch sicher ein Vorteil für mich, wenn der Agrimensor selbst viel reden würde, so hätte ich weniger Gelegenheit, Fehler zu machen.


    Das Schreibzeug in meinem Sinus ließ ich wieder los, weil ich ja noch mein Einladungsschreiben der Stadtverwaltung Antiochias in einer Hand hielt. Mit der freien Hand klopfte ich nach einem kurzen, aber tiefen Atemzug schließlich an die Tür des Agrimensors Virgilius Agrippa.

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    ???, ---


    "Herein!"


    Hinter der Tür verbarg sich ein rechteckiger Raum, der länger schien als er war, da die Zugangstür ganz in der rechten unteren Ecke war. Die Wände waren hoch und bemalt mit einer Schilflandschaft, der Rest darüber war weiß getüncht. Vier gewaltige hohe Bogenfenster erhellten den Raum, doch war das Licht durch Holzpanele davor gedämpft, wodurch sich ein gewisses Zwilicht bemerkbar machte. Von der Tür aus gesehen ganz weit hinten am anderen Ende des Raums stand ein Mann mit, hinter dem Rücken verschränkten Armen und sah dort zwischen den Panelen hinaus auf die Straße. Er schien tief in Gedanken versunken zu sein und nach seiner Aufforderung zum Betreten des Raums auch keinerlei weitere Notiz zu nehmen.

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  • Das "Herein!" aus dem Inneren des Officiums ertönte prompt. Ich öffnete die Tür und wollte eintreten, doch ein Momentum der Überraschung hinderte mich daran.


    Der Raum, in den ich im Begriffe war zu gehen, hatte nämlich einen ungewöhnlichen Schnitt, und so sah ich mich vom Eingang aus einer recht langen Wand gegenüber, die vom Boden aus bis zu einer gewissen Höhe mit Pflanzenmotiven bemalt war. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich mich einigermaßen orientiert hatte und erkannte, dass die Eingangstür dieses Officiums ganz in einer Ecke des Raumes gelegen war - und dass in einer weiteren, am anderen Ende des Raumes befindlichen Ecke ein Mann stand. Dieser schaute durch die mit Holzpaneelen verkleideten Fenster auf die Straße. Als ich eintrat, rührte er sich nicht.


    War er der Agrimensor Virgilius Agrippa selbst? Der ungewöhnliche Schnitt des Officiums mit der Ecklage der Tür konnte durchaus dazu dienen, Abstand zu schaffen zwischen dem Beamten und eintretenden Gästen. Ich ging nun ein paar Schritte in den Raum hinein, hütete mich aber, die Distanz zu dem Mann in der Ecke ungebührlich zu verringern: "Salve! Mein Name ist Manius Furius Luscus. In den vergangenen Jahre habe ich in Ephesos meine Bildung vervollständigt, vor Kurzem bin ich aber in meine Heimatstadt Antiochia zurückgekehrt, um mich in den Dienst der Stadtverwaltung zu stellen. Mit diesem Anliegen hatte ich einen Brief an den Duumvir Falcidius Phormio geschrieben."


    Ich machte eine kurze Pause vor dem Satz mit der entscheidenden Information: "Vor einigen Tagen habe ich von der Curia die Antwort erhalten, ich solle mich in dieser Angelegenheit am heutigen Tag dem Agrimensor Virgilius Agrippa vorstellen."


    Nun würde sich zeigen, ob meine Worte den Mann in der Ecke des Officiums zu einer Reaktion veranlassen würden.

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    Faustus Virgilius Agrippa, Agrimensor


    Der Mann bewegte sich keinen Millimeter, als der Furier sprach, sondern blickte weiter ruhig zum Fenster hinaus. Auch nachdem er geendet hatte schwieg er noch eine kleine Weile, dann erst kam Leben in ihn. Der Mann brummte, dann: "Hm, mir scheint du hast ihn gefunden. Ich bin Virgilius Agrippa." Jetzt endlich drehte er den Kopf und blickte Furius Luscus an. Der Raum in dem sie waren schien eine Art Scriptorium zu sein, da zwischen den beiden Männern je an der linken und rechten Raumseite je fünf lange Tische quer zur Raumlänge standen*, jeder gut 4-5 Schritte lang mit langen lehnenlosen Bänken dabei. Agrippa bedeutete Furius Luscus mit einer Handbewegung am Ende einer dieser Bänke Platz zu nehmen, dann verschränkte er wieder die Arme hinter dem Rücken und kam langsam den Mittelgang entlang, damit er schlussendlich vor ihm stehen würde. "Du möchtest also in der Verwaltung von Antiochia arbeiten, eine noble Geste. Ich habe dein Schreiben an die Curia gelesen, viel Enthusiasmus war darin, sehr viel Wille dazu dem Imperium dienen zu wollen." Agrippa blieb vor Furius Luscus stehen und fixierte ihn mit seinem Blick. Agrippas Stimme hatte tief und schnarrend geklungen, jetzt studierte er sehr aufmerksam Luscus' Physiognomie. "Sage mir, bist du ein wahrer Furier, oder gehörst du zu einer ehemalig peregrinen Familie, die von einem Furius das Bürgerrecht erhalten hat? Das Siegel war schon gebrochen, als ich dein Schreiben erhielt, doch war es das Wappen das ich aus den Resten vermutete? Die furische Chimära?"


    Sim-Off:

    * = man kann es sich mit der Sitzreihenanordnung wie in einer Kirche vorstellen, oder einer Schule.

  • Nachdem ich meine Vorstellung beendet hatte, ließ der Mann in der Ecke des Officiums sich einen weiteren Moment Zeit mit einer für mich wahrnehmbaren Reaktion. Schließlich erwiderte er jedoch meine Eingangsworte und stellte sich mir dabei seinerseits vor: Tatsächlich war er der Agrimensor Virgilius Agrippa selbst.


    Als er sich danach zu mir umwandte, nickte ich ihm unwillkürlich mit dem Kopf zu, teils um ihn nach meiner Rede auch noch optisch zu begrüßen, teils als Bestätigung an mich selbst, dass ich mit meiner Vermutung richtig gelegen hatte, dass dieser Raum mit seinem eigenwilligen Zuschnitt diesem gehobenen städtischen Beamten selbst zukam und nicht einem untergebenen Mitarbeiter. Für die Arbeit solcher Bediensteter war dieses Officium allerdings durchaus auch angelegt: Wie ich erst jetzt bewusst bemerkte, standen an beiden Längsseiten des Zimmers jeweils fünf Tische mit dazugehörenden Bänken, die einen Mittelgang frei ließen und wie gemacht schienen für die Arbeit von Schreibern.


    Dass mich Virgilius Agrippa nun mit einer Handbewegung anwies, mich auf eine dieser Bänke zu setzen, fasste ich angesichts meines eigenen Stellengesuchs als Schreiber als ausgesprochen gutes Vorzeichen auf. Nachdem ich seiner Geste Folge geleistet hatte, schritt der Agrimensor langsam auf meine Bank zu und richtete einige aufmunternde Worte an mich, die inhaltlich dem ermutigenden Brief der Curia ähnelten, welcher mich zu diesem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Diesen freundlichen Auftakt unseres Gesprächs erwiderte ich erneut mit einem kaum merklichen Kopfnicken.


    Gleichwohl war mir vollkommen klar, dass die Unterredung schnell eine andere Wendung nehmen konnte. Dies tat sie auch, allerdings in einem durchaus erwartbaren Sinne, denn Virgilius Agrippa stellte zunächst eine Erkundigung nach meiner Herkunft an: "Agrimensor Virgilius, Du sagst es: Meine Vorfahren können sich tatsächlich wahre Furier nennen - und so auch ich -, denn wir bilden den plebejischen Zweig dieser Furier."


    Sollte ich noch mehr zu meiner Familie sagen? Mein Gesprächspartner hatte danach nicht gefragt, doch schien es mir am Platze noch dies hinzuzufügen: "Mein Vater Furius Iuvenalis hat hier in Antiochia als Händler gewirkt, und auch die Familie meiner Mutter Aviana Tullina ist hier seit Generationen verwurzelt."


    Nach dieser Bemerkung beeilte ich mich, die letzte Frage zu beantworten, die der Agrimensor mir ausdrücklich gestellt hatte: "Das Wappen auf dem Siegel meines Briefes, der offenbar auch in Deine Hände gelangt ist, hast Du richtig erkannt. Es ist die furische Chimära, das Wappen meiner Gens."


    Virgilius hatte mich währenddessen aufmerksam angeblickt. Welchen Eindruck machte auf ihn das, was er sah?

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    Faustus Virgilius Agrippa, Agrimensor


    "Aah, also doch die Chímaira! Gens Furia also, ein alter Name. Ein großer Name, ja vielleicht einer der größten ganz Roms mit Sprösslingen wie Marcus Furius Camillus, dem zweiten Gründer Roms. Solche Namen mögen manches Mal eine Last sein, schwer wie sie und ihr Erbe wiegen." Der Virgilier strich sich über den Bart. "Manche fliehen davor und suchen Zuflucht in den einfachen Dingen. Doch so ein Name kann auch ein Türöffner sein für die höchsten Posten des Imperiums! Sage mir, Furius Luscus, hattest du nie den Drang verspürt zur dignitas deiner Gens beizutragen durch eine Karriere im höheren Staatsdienst? Glomm in dir nie der Funke des Ehrgeizes die Stufen des cursus honorum zu besteigen oder als Offizier die Legionen Roms zu befehligen? Die Gaben des Imperiums hinaus zu den Barbaren zu tragen? Anders gefragt, was bewegt dich mit so einem Namen dazu als einfacher Beamter hier in der Curia anfangen zu wollen, wo du doch so viel größeres vollführen könntest? Eine Tätigkeit als kleiner Scriba oder einem Agrimensor unter vielen?" Mit ernstem Blick stand Agrippa da und hielt seinen Blick auf Luscus gebannt, darauf wartend, was die Antwort von ihm sein würde.

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  • Es war zu erwarten gewesen, dass mein Gesprächspartner in der Curia Antiochiae, der Agrimensor Virgilius, unsere Unterredung noch in ganz andere Bahnen lenken würde als bisher. Doch was er nun - in einem ernsten, wahrhaftigen Ton - ausführte und mir als Fragen vorlegte, damit hatte ich im Traum nicht gerechnet.


    Der Virgilier stellte mir die große Geschichte meiner Gens vor Augen, Namen, die Erinnerungen in mir weckten an begeisterte Erzählungen, mit denen ich in meiner Kindheit aufgewachsen war, hohe und edle Gefühle - und die Frage an mich: Wie verhielt ich, Manius Furius Luscus, mich zu diesem eindrucksvollen Erbe, zu diesem ... Auftrag?


    War es Flucht? Virgilius Agrippa konfrontierte mich mit dieser Frage - war es Flucht, dass ich jetzt hier stand in der Schreibstube eines Agrimensors in Antiochia und um eine Stelle als Scriba bat daselbst, vielleicht auch eines Tages Agrimensor werden würde und nicht in die Fußstapfen meiner Vorfahren trat? Weil diese mir zu groß waren? Weil ich Angst davor hatte?


    Ich spürte es schon in meiner Kehle heraufziehen und kämpfte noch dagegen an, doch dann musste ich laut hörbar schlucken. Mit einem tiefen Atemzug holte ich Luft und versuchte mich zu beruhigen.


    "Es hilft kein Leugnen, Agrimensor Virgilius: Deine Worte haben mich bewegt. Werde ich als Scriba in Antiochia dem Anspruch und der Ehre der Gens Furia vielleicht nicht gerecht? Das fragst Du mich. Du fragst es mich zu Recht."


    Noch einmal ließ ich Worte, die der Virgilier eben zu mir gesprochen hatte, in mir nachhallen.


    "Ich kann Dir viele Dinge erwidern, sagen, dass ich mich als Offizier wohl nicht eigne und noch andere Argumente anführen. Doch ist das nicht die Antwort, die Deine Frage verdient."


    Noch einmal gewährte ich mir selbst eine kurze Pause, um meine Gedanken zu ordnen.


    "Was immer mein Name sein mag, ich muss in das Leben, das er mir vielleicht vorzeichnet, erst noch hineinwachsen. Bis jetzt habe ich nur gelernt und in Ephesos studiert, mir fehlt jede praktische Erfahrung. Ich will ehrlich zu Dir sein und Dir sagen, dass eine Anstellung als Scriba hier für mich ein Anfang ist und dass ich bereit und willens bin, wenn ich diesen Anfang gemeistert habe, weitere Schritte zu gehen, sei es als Agrimensor oder eines Tages auch als Magistrat in dieser Stadt. Jedenfalls aber sehe ich meinen Platz hier in Antiochia, im Osten des Imperiums, der so viele Verlockungen und Chancen für Rom bietet und zugleich so angefochten sein kann. Es wäre mir eine große Hilfe und eine Ehre, meine ersten Schritte hier in der Curia tun zu dürfen."


    Hatte ich jetzt nicht zuviel von mir offenbart? Virgilius Agrippa hatte mit ernstem Zungenschlag eine tiefgründige Frage an mich gestellt, und ich war überzeugt davon, dass er eine aufrichtige Antwort wie die meine verdiente.

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    Faustus Virgilius Agrippa, Agrimensor


    Der Agrimensor sagte wieder eine Weile nichts, während er sehr aufmerksam Luscus' Gesicht studierte. Was ihm dabei durch den Kopf ging konnte man nur raten. Es schien so als versuchte er bloß mit Blicken den Charakter seines Gegenübers kennenzulernen. Am Ende nickte Agrippa und brummte, ehe er sagte: "Es zeugt mehr von Weisheit als von Schwäche zuzugeben, dass man noch nicht so weit ist. Natürlich weiß man das erst mit Gewissheit, wenn man den ersten Schritt getan hat und gerade der ist immer der schwerste." Virgilius Agrippa wandte den Blick von Luscus ab und begann in der Nähe von ihm bleibend im Raum umherzugehen, während er weitersprach: "Ich respektiere deinen Wunsch kleiner als nötig anzufangen, außerdem ist es auch nicht meine Sache darüber zu urteilen. Bedenke jedoch, dass du damit vielleicht gerade die Zeit verlierst, die dir später fehlen könnte, außerdem..." jetzt stoppte er und sah ihn wieder an, "könnte dir dies später auch von deinen Feinden vorgeworfen und als Schwäche ausgelegt werden am Anfang deiner Karriere gezaudert zu haben."


    Agrippa brummte wieder und begann seine Wanderung im kleinen fortzusetzen, dabei wieder auf den Boden blickend. "So viel dazu, kommen wir zu dem weshalb du hier bist. Sei dir bewusst, dass du keinerlei Vorzug erhalten wirst und wenn du ein Cornelius oder Iulius wärst. Nein. Hier bist du nicht besser dran als der einfachste Peregrinus, den die Curia beschäftigt, alles was zählt ist deine Leistung. Vorraussichtlich wirst du Scriba unter der Leitung von Verrius Aviola sein, es kann auch vorkommen, dass du mir assistieren wirst. Gerade dann wisse, dass ich Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit und Aufrichtigkeit erwarte!"

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  • Nach meiner freimütigen Antwort an den Agrimensor Virgilius Agrippa war ich auf das Äußerste gespannt auf seine Erwiderung. Diese Anspannung erwies sich für mich als ein Glücksfall, denn sie gestattete mir, seinen Worten, die er nun an mich richtete, genau zu folgen und sie in mich aufzunehmen. Sie enthielten, das spürte ich sofort, weise Ratschläge für meine zukünftige Karriere, für die weiteren Schritte, von denen ich eben selbst gesprochen hatte, und für Auseinandersetzungen mit Gegnern, die beim Gehen dieser Schritte nicht auf sich warten lassen würden.


    Wie wenig ich aber unmittelbar nach meiner Rückkehr aus Ephesos auf solche Auseinandersetzungen und Machtkämpfe vorbereitet war, zeigte sich mir, als der Virgilier mir abschließend Anweisungen für meinen Einstand als Scriba in der Curia gab: Die Namen "Cornelius" und "Iulius", welche der Agrimensor offenbar als Beispiele für herausgehobene Gentes nannte, kamen mir zwar irgendwie bekannt vor, sagten mir aber nicht wirklich viel, so dass ich etwa einzelne Mitglieder dieser Familien hätte aufzählen können. Ich nahm mir daher vor, mich in den kommenden Wochen in Antiochia noch stärker als in meinen ersten Tagen hier umzuhören und entsprechende Kontakte zu knüpfen.


    Das Fassen dieses Vorsatzes hielt mich natürlich nicht davon ab, mir den Namen desjenigen zu merken, dem ich als Scriba in Zukunft zuarbeiten würde. Ein bekannter Name: Sextus Verrius Aviola war derjenige Scriba gewesen, der im Auftrag der Stadtverwaltung auf mein Bewerbungsschreiben geantwortet und mich zu dem gegenwärtigen Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Dass ich außerdem möglicherweise auch für Virgilius Agrippa selbst würde arbeiten müssen, wie der Agrimensor noch anmerkte, erfüllte mich mit besonders freudiger Erwartung, zumal mich sein Arbeitsgebiet, die Landvermessung, besonders interessierte.


    "Ich danke Dir, Agrimensor Virgilius, für Dein Vertrauen. Sag' mir nur, wohin ich mich begeben muss und wann ich mich bei Verrius Aviola einfinden soll, dann nehme ich meine Tätigkeit sofort auf."


    In Erinnerung an die Ratschläge, die mir der Virgilier für meine weitere Karriere gegeben hatte, fügte ich an: "Auch will ich es beherzigen, was Du mir angeraten hast, meine Möglichkeiten richtig einzuschätzen und Schritte mutig zu gehen, wenn Tyche mir günstig ist."


    Einer Formalie allerdings musste ich noch Genüge tun: "Erlaube mir noch eine letzte Frage. Wie ich Dir sagte, habe ich die vergangenen Jahre zum Studium in Ephesos verbracht und bin erst vor Kurzem nach Antiochia heimgekehrt. Muss ich mich noch irgendwo hier in der Curia in eine Bürgerliste eintragen?"


    Mir war so etwas noch von meinem Vater in Erinnerung, als dieser einst von einer längeren Handelsreise zurückgekehrt war. Doch war ich selbst damals noch ein Kind gewesen, und die Formalien mochten sich geändert haben, so dass ich hier lieber einen Experten um Rat fragte.

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    Faustus Virgilius Agrippa, Agrimensor


    Agrippa nickte. "Ja ich denke es spricht nichts dagegen, dass du Scriba wirst. Vor zwei Wochen ist sowieso einer aus dem Dienst ausgeschieden. Ich werde Verrius Aviola darüber informieren, dass du aufgenommen bist. Komm morgen zur hora prima* wieder in die Curia, dann beginnt für dich deine Anstellung."


    Auf die letzte Frage des Furiers hin antwortete er: "Wenn ich dich richtig verstanden habe bist du hier aufgewachsen? Dann bist du ja schon antiochischer Bürger. Aber das alles ist ohnehin gerade in der Schwebe. Es finden umfassende Reformen in der Provinz statt, näheres erfährst du dann morgen. Vale." Und damit drehte sich der Agrimensor abrupt um und ging wieder ganz nach hinten in die Ecke des Raums zu seinem Fenster und begann wieder mit, hinter dem Rücken verschränkten Händen, aus dem Fenster zu sehen.


    Sim-Off:

    * = 8 Uhr morgens

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  • Vor der Entscheidung über eine Neu-Einstellung in die Stadtverwaltung Antiochias hatte ein mit einer solchen Wahl befasster hoher Beamter jedes Recht, den Bewerber auszufragen und auf Herz und Nieren zu prüfen. Der Agrimensor Virgilius Agrippa war in dieser Hinsicht, wie ich fand, sogar noch sehr großzügig gewesen, indem er sich nur auf einige, sehr gut überlegte Fragen beschränkt hatte, die mich immerhin dazu gezwungen hatten, etwas von meiner Person vor ihm zu offenbaren und ihm so die Gelegenheit zu geben, meinen Charakter einzuschätzen. Dadurch war es dem Virgilier gelungen, unser Gespräch kürzer zu halten, als ich es erwartet hatte.


    Dennoch war ich erleichtert, als ich aus seinem Munde vernahm, dass er mich als Scriba einstellte. Ich merkte, wie der Kloß in meinem Hals, der mich eben noch zu hörbarem Schlucken genötigt hatte, sich auflöste. "Ich danke Dir, Agrimensor Virgilius, für meine Einstellung als Scriba und für die Empfehlungen, die Du mir mitgegeben hast auf meinen Weg in der Stadtverwaltung und in Antiochia. Morgen werde ich mich pünktlich in der Curia einfinden."


    Gerne hätte ich noch die Entgegnung des Virgiliers auf meine Frage nach dem Bürgerrecht aufgegriffen. Mich ließ vor allem die Bemerkung des Beamten über tiefgreifende Reformen aufhorchen, welche der Provinz bevorstünden. Derartige Gerüchte hatte ich nämlich schon in den ersten Tagen nach meiner Rückkehr in Antiochia gehört. Allein ich hatte in diesem Gespräch keine Gelegenheit mehr, den Agrimensor darauf anzusprechen, denn er drehte sich unvermittelt von mir weg und begab sich wieder zu dem Platz am Fenster, an dem ich ihn vorgefunden hatte, als ich den Raum betreten hatte.


    Mich schien Virgilius Agrippa nun vollkommen vergessen zu haben. So blieb mir nur noch, mich mit einem kurzen "Vale, Agrimensor Virgilius!" zu verabschieden sowie das Officium und danach auch die Curia zu verlassen. Ich hoffte, bald wieder mit diesem Beamten zusammenzutreffen.