• Zur vereinbarten Zeit am festgelegten Tag trat Ezra ben Abraham an das Tor der Bene Attar und klopfte. Athenodoros hatte gesagt, dass er seine Dienste wegen einer Sklavin brauchen würde, die neu in sein Haus gekommen war und die einzig und alleine nur Persisch verstand. Eine interessante Sachlage sich einen Diener ins Haus zu holen mit dem man nicht kommunizieren konnte, doch Ezra ben Abraham hatte schon eine Vermutung für welchen Zweck die Neue hauptsächlich gekauft worden war. Die Logik ließ nur einen Schluss zu, mal sehen ob er Recht hatte. Er musste zugeben, dass er durchaus schon neugierig auf das persische 'Mädchen war.

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  • Die Diener öffneten langsam das schwere Tor und einer von ihnen trat auf Ezra ben Abraham zu:

     " Shlomo!", sagte er, sei gegrüßt: " Ezra ben Abraham, mein Herr erwartet dich." Ein junger Knabe eilte hin zu dem Gast und küsste als Zeichen seines Respektes seine eigenen Finger und führte sie zur Stirn:

    " Ich geleite dich in das Andron, Herr" -


    Aber da Ezra ben Abraham für Athenodoros ein besonderer Gast war, kam ihm dieser als Geste der Hochachtung schon entgegen und umfasste kurz beide Unterarme von Ezra:

    "O phile, Freund", sprach er ihn auf Koiné mit Alexandriner Akzent an: "Welch Freude, dich hier zu sehen."


    Zwei weitere Jugendliche eilten herbei, sie trugen Krüge mit Rosenwasser, weiche Tücher und Schüsseln.

    Zur Gastfreundschaft der Stämme gehörte die Hand- und Fußwaschung, denn die Straßen der "Königin der Wüste" waren staubig.


    Es war für Athenodoros wirklich eine Freude, den Gastfreund zu erblicken, doch gleichzeitig schlich sich auch Wehmut, ja Bitterkeit in seine Gedanken.

    Dieser Mann und er teilten eine Vergangenheit.

    Eine Vergangenheit, die im Dunkel der Zeit verschwunden war und niemals wiederkehren würde. Ezra war klug; zweifelsohne kannte er Athenodoros Geheimnisse.

  • Er musste auch gar nicht lange warten, denn bald schon wurden die Tore für ihn aufgemacht und der Buchhändler in Empfang genommen. "Schalom, junger Freund", begrüßte er den jungen Diener höflich, der ihn in das Andron führen wollte. Doch sie kamen nicht weit, Athenodoros, alias Waballat ben Attar, kam ihnen nämlich schon von selbst entgegen, um Ezra ben Abraham Willkommen zu heißen.


    Auch er berührte seine Unterarme, während er den Gruß erwiderte, natürlich ebenfalls auf Griechisch so wie dies in Alexandria einst gang und gäbe gewesen war. "Chaire, alter Freund, die Freude ist ganz meinerseits." Auch wurde sogleich eine Hand- und Fußwaschung an ihm durchgeführt, was für Ezra ben Abraham eine besonders hohe Ehre war. Währenddessen begann er schon einmal ihr heutiges Gespräch: "Ich denke ich muss einmal wieder in das Balaneion gehen, um meine Knochen zu wärmen und die Trägheit herauszuschwitzen. Die Freuden der Thermen Alexandrias gehen einem alten Mann doch etwas ab, wenn man deren süße Früchte erst einmal kosten durfte. Wie sagte nicht schon einst Thales von Milet; 'Das Prinzip aller Dinge ist Wasser; aus Wasser ist alles, und ins Wasser kehrt alles zurück' ", dabei lachte er in Anspielung darauf, dass gefühlt alle alten Männer in Alexandria scheinbar den ganzen Tag im Wasser der dortigen Thermen verbracht hatten zur Entspannung und zur Linderung ihrer körperlichen Gebrechen. Ezra ben Abraham war da jetzt nicht so ein frenetischer Anhänger der öffentlichen Badekultur gewesen, doch hatte er trotzdem gerne ab und zu einen Abstecher in die Thermen gemacht. Das Balanaion Palmyras war an Größe und Komfort natürlich eine völlig andere Liga. Leider.


    Ezra ben Abraham hatte absichtlich zuerst mit diesem leichten und einfachen Thema begonnen, wo er wegen des Grunds seiner Einladung seinem Gastgeber nicht allzu gleich thematisch vorpreschen wollte, wo sie ja noch quasi auf der Türschwelle standen.

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  • Draußen vor der Thyra >>>


    Nun nahm ich Nilofer bei der Hand, ging zu ihr bis zu der Porta und klopfte an.

    Eine Luke im Holz ging auf und ein paar dunkle Augen starrten in meine, dann fragte man uns nach unserem Begehr:

    „Chaire, wir sind Gastfreunde von Jabel ben Attar, und er schickt uns.“, sprach ich.


    Eine Hand wedelte aus der Luke, und ich drückte das Empfehlungsschreiben des Karawanenführers hinein, hörte raue Befehle, und dann wurde mit Hilfe eines ausgeklügelten Zugapparates mit Ächzen und Klirren das Tor geöffnet.

    Jetzt erst meinte der Diener: „Willkommen Barth* Pakūr Meherzad und Phraotes. Ich bitte mir in den Prostas zu folgen. Dort sollt ihr euch ausruhen, bis der Synhodiarchos geruht , euch zu empfangen."


    Obgleich der Mann palmyrenisches Aramäisch sprach, verstand ich ihn gut, weil seine Aussprache dem Reichsaramäischen**, einer alten Verkehrssprache des Ostens, glich.


    Doch mein bewundernder Blick galt meiner Nilofer. So viele Strapazen hatte sie durchgestanden, doch sie war schöner als je zu vor mit ihren dunklen Augen, dem feinen Oval ihres Gesichtes und dem dunklen Haar.


    Besorgt wurde ich nun: Wie ging es ihr, meiner heimlichen Prinzessin, die den Namen ihrer Dienerin angenommen hatte?

    Sie hatte es nicht verdient, ein Leben in Armut, durch Wüste und Wildnis zu führen, wahrhaftig nicht! Sie hatte es nicht verdient, von geldgierigen Straßenjungen beleidigt zu werden!


    Und dennoch mussten wir Heimatlosen gleich vor Synhodiarchos Athenodoros unsere  chelidonisma *** singen, das Schwalbenlied, mit dem griechische Kinder im Frühling um milde Gaben betteln.....


    Ēlth’ ēlthe chelidōn, es kommt, es kommt die Schwalbe...





    Sim-Off:

    * aramäisch. Tochter des **Reichsaramäisch *** Chelidonisma

  • Ein Pfau. Der Schrei eines Pfaues, redete ich mir ein. Obwohl ich es doch besser wusste. Ich wusste, wie der Schrei eines Pfaues klang. Im Garten des Königspalastes von Ktesiphon hatte es Pfauen gegeben und ich hatte bereits als Kind den Schrei eines Pfauen von anderen ähnlich klingenden Schreien unterscheiden können. Ich wollte mir nicht vorstellen, woher dieser Schrei sonst herrühren konnte, denn dieses Tor und diese Mauern waren unsere letzte Hoffnung. So gab ich mich dem Gedanken hin, das dies der Schrei eines Pfaus war und ich Phraotes vertraute, als er sich anschickte, an der Tür zu klopfen.

    Wenige Herzschläge später öffnete sich eine Luke. Nachdem mein Beschützer dem Diener das Begleitschreiben Jabels übergeben hatte, dauerte es unendlich lange Minuten, bis er uns begrüßte und sich die Tür für uns öffnete. Er bat uns, einzutreten und bot uns an, auszuruhen bis der Herr des Hauses uns zu empfangen geruhte. In jenem Moment war ich hin und hergerissen. Mein Körper verlangte nach Ruhe und Entspannung, doch der Geist wollte sich nicht einlullen lassen, denn noch immer kreiste die eine Frage in meinem Kopf herum. Von wem stammte dieser Schrei? Was würde mit uns geschehen, wenn wir dieses Haus betraten? Wir waren waren praktisch mittellos und hier galt auch meine Abstammung nichts. Zumal ich nicht einmal meinen eigenen Namen trug. Ich war Nilofer, die Tochter eines parthischen Handelsherrn aus Ktesiphon, die mit ihrem Geliebten durchgebrannt war.

    Mein Griff um Phraotes Hand wurde fester, als ich mit ihm in dieses Haus eintrat. Ich vertraute ihm. Selbst dann noch, als er mich beruhigen wollte, denn auch er wusste, das dies nicht der Schrei eines Pfauen gewesen war.

  • Der Diener führte uns in den Prostas, der diesem Typ großer Häuser seinen Namen gab. Im Gegensatz zu den alten Zeiten war der Prostas aber kein Wirtschaftshof mehr, sondern war zu einem der Muse und Entspannung dienenden Palmengarten umgestaltet worden.

    Dort fühlte ich mich sofort heimisch, denn es gab einen Aiwan* parthischen Stiles : Eine mit drei Wänden umschlossene Halle, deren vierte Wand entfernt worden war, mit einer herrlichen Aussicht auf den Garten, der da die feuchtere Winterzeit gekommen war, herrlich in Blüte stand.

    Überhaupt schienen es die Palmyrener zu verstehen, das Beste aller Welten zu vereinigen, zumindest was Geschmack und Bequemlichkeit anging.


    >>> Der Garten


    Sim-Off:

    * Aiwan