• Porta >>>


    Im Aiwan * standen Klinen und bequeme Sessel; dort lud uns der Diener ein, Platz zu nehmen, während er seinen Herren holte. Das Einladungsschreiben von Jabel nahm er mit sich.


    Unaufgefordert brachten einige junge Knaben uns Wasser, Wein, Brot, Salz und Hummus aus Kichererbsen und Sesamsaat, bauten alles vor uns auf und ließen uns ebenfalls alleine.

    Nun saßen wir hier, im Grünen, innerhalb der Mauern eines großen Hauses, weit fort von Ktesiphon.

    Das Dach des Aiwan spendete uns Schatten, und wir genossen das Vertrauen eines reichen Herren, obwohl ich mir sicher war, dass man uns diskret beobachtete.

    Von Schreien oder irgendwelchen Dämonen war auch nichts mehr zu vernehmen.

    Es war zumindest mir schon viel schlechter gegangen.


    Ich nahm den Teller und den Becher: „Lass mich dich bedienen, liebste Nilofer.“, sprach ich.

    Das war keine Schande, denn wir Parther haben nicht nur Sklaven zu unserer Bedienung wie die Römer, sondern oft sind die Diener des Shahanshah und seiner Familie selbst von Adel.

    Wir Surena, die wir das Recht haben, die Könige zu krönen, waren immer Diener des Thrones.

    Doch meine Treue hatte Phraates gehört; was scherte mich Mithridates, diese Ausgeburt des Angra Maynu?**


    Nilofer sollte sich als die Prinzessin fühlen, die sie war. Zumindest noch ein kleines Weilchen.





    Sim-Off:

    * eine Art Veranda    **  Angra Maynu – parthische Entsprechung des Hades


  • Noch immer nahe bei Phraotes betrat auch ich das Haus. Gemeinsam folgten wir dem Diener in den Aiwan. Fast schon fühlte ich mich etwas heimisch. Jedoch war dieses herrschaftliche Haus im Vergleich zum Königspalast in Ktesiphon ein ärmliches Etwas. Doch ich war froh für alles! Der herrliche Ausblick in den Garten ließ mich sogar den markerschütternden Schrei vergessen, den ich zuvor gehört hatte.

    Ich ließ mich zufrieden in einem Sessel nieder und beobachtete die jungen Diener dabei, wie sie vor uns einen Imbiss aufbauten. Dies war ein erstes Zeichen der Gastfreundschaft, die der Hausherr uns entgegen bringen wollte. Das war mehr, als wir erwarten konnten, hier in der Fremde. Auch wenn ich weitaus Besseres gewohnt war, würde ich ihm später meine Dankbarkeit dafür ausdrücken, sobald er sich zu uns gesellte. Nach den entbehrungsreichen Tagen und Wochen während unserer Flucht, sehnte ich mich einfach nur nach einem Becher mit frischem kühlen Wasser. Das war der Preis der Freiheit, den ich gerne zu zahlen bereit war.

    Phraotes, mein Retter, schickte sich an, mich zu bedienen. Zunächst entgegnete ich nichts, da ich es ja gewohnt war, ständig Diener um mich herum zu haben, die für mein Wohl sorgten. Er nahm einen Teller, um mir von den Köstlichkeiten etwas zusammenzustellen. Ebenso schenkte er mir vom Wein und dem Wasser ein. Für eine kurze Zeit wollte er mir noch das Gefühl geben, etwas zu sein, was ich nicht mehr war. "Ich danke dir Phraotes. Aber das musst du nicht tun! " Dennoch war ich ihm sehr dankbar. Nachdem ich auch Ahura Mazda gedankt hatte, dass wir noch am Leben und in Sicherheit waren, gengenoss das kühle Getränk zuerst, bevor ich in das Brot mit etwas Hummus und Salz biss und der herrliche Geschmack, den ich so lange vermisst hatte, sich in meinem Mund ausbreiten konnte.

    "Was wird nun aus uns werden, Phraotes? Meinst du, wir werden hier sicher sein, vor meinem Bruder?", fragte ich ihn nach einer Weile. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, was werden würde, wenn wir an unserem Ziel angekommen waren. Die Freiheit war für mich bisher nur ein abstrakter Begriff gewesen. Doch nun waren wir hier. Wir hatten meinem Bruder getrotzt und waren in einem fremden Reich. Aber wie ich Mithridates kannte, hatte er gewiss auch hier seine Spione.

  • Waballat las das Empfehlungsschreiben seines Verwandten Jabel und war neugierig auf die Kaufmannskinder aus Ktesiphon, die er ihm anempfohlen hatte.

    Er wusste beide gut versorgt und trat in den Garten. Da sah er sie schon: Ein Liebespaar? Der junge Mann versorgte seine Geliebte gerade, als sei sie seine Herrin; der Herr des Hauses schmunzelte etwas. Das alte Lied! Ein Sklave der Liebe. Hier mein Täubchen und dort meine Blume, zumindest bis man das Fräulein auf dem Lager hatte.


    Er ging zu ihnen hin: "Ich bin Waballat ben Attar, Synhodiarchos der Bene Attar"., stellte er sich vor: "Willkommen in meinem Haus. Du bist der junge Phraotes und du…." Er kniff die Augen zusammen, um den Papyrusstreifen zu lesen: "Barth Pakūr Meherzad", auch er benutzte ihr aramäisches Patronym "Tochter des Pakur Meherzad".


    Die junge Frau war wirklich von erlesener Schönheit...und beide waren sie jung und kräftig und auf der Flucht; es war ein Wunder, dass sie heil in Palmyra angekommen waren. Solche Fliehenden wurden für gewöhnlich eingefangen und in die Sklaverei verkauft. Wer sich außerhalb des Schutzes der Familie oder des Stammes begab, kam dabei um.

    Jabel musste sie beschützt haben. Sein Neffe war eigentlich kein gefühlvoller Mensch. Weshalb hatte er das getan?


    Auf jeden Fall war Barth Pakūr Meherza immer noch eine freie parthische Dame, keine Sklavin. Und trotz der Strapazen, die hinter ihr lagen….ihre milchige Haut, ihre dunklen großen Augen, ihre weiblichen Formen unter ihrer Tunika, sie war eine wahre Schönheit. Sie brauchte ein Zuhause.Sie brauchte jemanden, der sie beschützen konnte.


    Waballat ben Attar setzte sich zu den beiden jungen Parthern: "Erzählt mir von eurem Vaterhaus und warum ihr hier seid"., sagte er, und er schaute milde und gütig Nilofer an:

    "Vielleicht verrätst du mir auch deinen Eigennamen, mein liebes Kind..."

    Kaum hatte er das ausgesprochen, ärgerte er sich. Den Altersunterschied brauchte man nicht so zu betonen:

    "…. meine liebe Tochter des Pakur Meherza", verbesserte er sich.

  • Mein Retter hatte keine Gelegenheit mehr dafür gefunden, mir auf meine Frage zu antworten. So mussten meine Bedenken erst einmal so stehen bleiben. Der Hausherr war erschienen und begrüßte uns freundlich. Ich hatte keine Ahnung von seinen Hintergedanken und in welche Gefahr wir uns mit unserer Flucht begeben hatten. In meiner begrenzten Welt des Harems war kein Platz gewesen für solcherlei Fragen gewesen. Ich hatte mein Leben dem Herrn der Weisheit anvertraut, der mir meinen Retter in Gestalt von Phraotes Surena geschickt hatte.

    Ich nickte Waballat ben Attar freundlich zu, der mich mit meinem vorgegebenen Vaternamen angesprochen hatte und sich nun zu uns setzte. Zuvor hatten mich seine Augen gemustert, was mir zwar unangenehm war, jedoch ließ ich dies über mich ergehen. Ich war Gast in seinem Haus und in gewisser Weise war ich auch auf seinen Schutz angewiesen. Allerdings hätte er mein Vater sein können! Glücklicherweise hatte ich aber Phraotes an meiner Seite.


    Es war ganz verständlich, dass er Näheres von uns wissen wollte. Wer wir waren, woher wir kamen und wer unsere Familien waren. Als ich damals Jabel meinen Namen nannte, hatte ich mir keine großen Gedanken über jede einzelne Nuance meiner vorgeblichen Familie gemacht. Ich wusste nicht einmal, ob es einen Kaufmann namens Meherzad in Ktesiphon gab. Jabel hatte mir damals jedes Wort abgenommen und keine weiteren Fragen gestellt. Warum sollte dies also bei unserem Gastgeben nicht wieder funktionieren?

    "Mein Name lautet Nilofer," antwortete ich zaghaft und wandte dann meinen Blick zu Phraotes. Gewiss war es unklug, dem Ben Attar meine wahre Identität preiszugeben. Wer garantierte mir, dass mein Geheimnis hier sicher war?

  • Mir gefiel es überhaupt nicht, wie unser Gastgeber meine Nilofer mit Augen verschlang, auch wenn ich immer noch fest dazu entschlossen war, nur Positives von meinem Eutopia, dieser herrlichen westlichen Welt, zu denken.

    Gut, Nilofer war für mich das wunderbarste Geschöpf, das die Götter geschaffen hatten, und ich konnte verstehen, dass dieser Waballat sie anstarrte als sei sie das achte Weltwunder. Aber sie war auch eine parthische Prinzessin, Schwester des Shahanshah... Moment, halte inne, Phraotes, dachte ich: Das kann der Mann nicht wissen. Für ihn ist Nilofer nur ein Mädchen, das von zuhause ausgerissen ist.

    Als sie mich so hilfesuchend ansah, griff ich sofort den Faden ihrer Erzählung auf und spann ihn weiter:

    "Nilofer und ich waren Nachbarskinder, unsere Väter sind Kaufleute.", sagte ich: "Wir haben miteinander gespielt, bis Nilofer in ihr siebtes Jahr kam, und von da in die züchtige Obhut der Mutter und der Frauen, die sie in allen weiblichen Fertigkeiten unterwiesen."

    Damit wollte ich herausstellen, dass Nilofer, auch wenn sie von ihrer Familie weggelaufen, keineswegs leicht zu haben war. Ich dachte mir soeben ein bürgerliches Leben für sie aus, von dem ich ebenso wenig Ahnung hatte wie sie. Wie lebten Kaufmannstöchter? Nicht im Harem, das war das einzige, was ich sicher wusste. Im Harem lebten nur adlige Damen und ihre Dienerinnen.

    Nun erwachte in mir das dichterische Temperament:

    "Ich dachte trotzdem immer, dass Nilofer eines Tages meine Gattin werden würde. Doch ihr Vater, der ehrenwerte Meherzad hatte Schulden bei einem anderen Händler, dem ...ehrenwerten Sanabares...."

    So hieß ein früherer Lehrer von mir, der Name fiel mir nur ein:

    "Sanabares war mächtig und ...ungefähr in deinem Alter, Waballat ben Attar, und meine Nilofer sollte an ihn verschachert werden wie eine Kamelstute..."

    Die kleine Spitze mit dem Alter flocht ich hoffentlich geschickt ein:

    "Nilofer liebte diesen gierigen alten Mann nicht, sie fürchtete ihn. Und ich liebte Nilofer. An einem Tag, als ein fürchterlicher Sandsturm Ktesiphon heimsuchte, fassten wir uns ein Herz und sind davon gelaufen. Und nun sind wir hier. So war es doch, Nilofer?"

    ich schaute die kluge Nilofer an, falls sie noch etwas ergänzen oder hinzufügen wollte, um die Geschichte noch glaubwürdiger zu machen.

  • Auch diesmal hatte ich mich auf Phraotes verlassen können. Er tischte unserem Gastgeber eine plausible Geschichte auf, die zumindest in meinen Ohren glaubhaft schien. Doch welches Urteil hätte ich mir bilden können? Ich die ich niemals das Leben jenseits der Haremsmauern hatte kennenlernen dürfen. Ich hatte keine Ahnung vom Leben der einfachen Leute. Mein Retter aber schien dies zu wissen oder hatte eine gewisse Vorstellung davon. Ich für meinen Teil hatte plötzlich ein Bild in meinem Kopf von Nilofer, der Kaufmannstochter aus Ktesiphon, die mit ihrem Geliebten geflohen war, weil ihr Vater sie einen alten Tattergreis verschachern wollte. Einen, der Waballat ben Attar gar nicht unähnlich war. Phraotes beherrschte fürwahr die Kunst des Erzählens. Ich hörte ihm gerne zu. Aber nun war es an mir, seine Geschichte zu untermauern, so dass sie auf festen und stabilen Füßen stand.

    "Genauso war es! Dieser fürchterliche Sandsturm, der Ktesiphon an jenem Tage heimgesucht hat, sollte uns zur Rettung verhelfen. Auch wenn es für mich nicht leicht war, meiner Familie den Rücken zu kehren, liebe ich doch meinen Phraotes über alles! Ich habe ihn schon als kleines Mädchen sehr gemocht und mit den Jahren, da wir beide heranwuchsen, wurde daraus eine brennende Liebe. Ähnlich dem heiligen Feuer von Ktesiphon, welches niemals erlischt. Wir hoffen, nun da wir in Sicherheit sind, bald heiraten zu können. Nicht wahr, Liebster!" Diesmal sah ich Phraotes mit einem verträumten Blick an, so wie es Menschen taten, die hoffnungslos ineinander verliebt waren. Unser Gastgeber würde hoffentlich erkennen, dass es keinerlei Anstrengungen bedurfte, eine passende Partie für mich zu suchen oder gar sich selbst Hoffnungen zu machen. Für mich würde es nur einen Mann geben und das war jener, der mich aus meinem tristen Leben hinter den Haremsmauern befreit hatte!

  • Apollodoros musterte beide jungen Leute und grinste in sich hinein; meinte die parthische Dame tatsächlich, dieser junge Mann, der nichts hatte und keinen großen Namen trug, konnte sie beschützen?

    Der Palmyrener war ein Geschäftsmann, der bekam, was er wollte; und war es nicht durch Gold, so durch Drohung oder Diebstahl.

    Was ihm jedoch zu denken gab, war zweierlei: Der Sandsturm, den Nilofer erwähnte….eine Kleinigkeit nur, aber er hatte stattgefunden. Er selbst hatte davon gehört und kannte den ungefähren Zeitpunkt. Außerhalb der üblichen Jahreszeit für Stürme und ungewöhnlich heftig war er gewesen, so dass manche dachten, er sei eine Verwünschung der Götter.

    Vielleicht hatten sie die Tat des Shahanshah, der seinem Bruder das Erstgeburtsrecht stahl, doch nicht gutgeheißen.

    Aber nun erfuhr Waballat ben Attar Athenodoros, dass der Sturm nicht für alle ein Fluch gewesen war. Dem jungen Paar gegenüber gereichte er zum Segen. Tyche war vielleicht mit ihnen, vielleicht aber auch eine andere Gottheit.

    Sowas nahm er nicht auf die leichte Schulter; Geschäfte gingen nur gut, wenn der Segen der Götter auf ihnen lag.


    Zweitens: Die beiden Liebenden waren hier, in seinem Garten, und kein Kratzer entstellte sie.

    Irgendwie konnte Waballat nicht glauben, dass zwei Kaufmannskinder genug Geld aus ihrem Privatvermögen aufgetrieben hatten, sich zwei Reiseplätze in einer Karawane zu kaufen. Die Namen der genannten Väter waren ihm nicht geläufig, es konnten keine großen Handelsherren sein.

    Woher also hatten sie das viele Geld?

    Waballat würde an ein Verbrechen denken, doch danach sahen die beiden nicht aus. Sie machten den Eindruck unbedarfter, verliebter Jugendlicher. Er musste dringend noch einmal Jabel befragen, denn etwas an dieser Geschichte kam ihm nicht geheuer vor, was gar nicht so sehr an dem lag, was die beiden Parther berichteten, sondern an den ganzen Umständen.


    Der Palmyrener kniff die Augen zusammen, besonders Nilofer galt sein dunkler Blick. Sie war jung und schön.

    Eine Partherin- warum nicht? Er hatte keine Vorurteile.

    Nilofer war eindeutig eine erzogene junge Dame; ihr Griechisch klang ihm allerliebst, und wenn er ehrlich war, sprach sie es reiner als er mit seinem Alexandriner Dialekt.


    "Ihr seid meine Gäste, solange ihr es wünscht"., sprach Waballat ben Attar Athenodoros und lächelte mit etwas, das man mit gutem Willen für Herzlichkeit halten konnte:

    "Meine Dienerin Anippe wird euch in euer Zimmer führen und ein Bad richten, damit ihr euch erfrischt. Selbstverständlich dürft ihr kommen und gehen, wie ihr wollt; ich sage den Torwächtern Bescheid. Betrachtet das  Haus der Bene Attar ab heute als das eure."


    Sie sollten sich ausruhen. Sie sollten allen erdenklichen Luxus genießen. Besonders Nilofer sollte erkennen, wie leicht und angenehm und sorgenfrei ihr Leben unter seinem Dach sein könnte.

    Den Jungen…. Zweifellos würde er eine Stellung suchen, wenn er heiraten wollte, irgendwie musste er seine junge Familie ernähren. Der andere junge Kaufmann, ebenfalls einer der Bene Attar, der für Waballat arbeitete; Gereon, würde bald nach Alexandria aufbrechen. Wie wäre es, wenn er Phraotes vorschlüge, Gereon zu begleiten?



    Diesmal schaute Waballat auch Phraotes an:

    " Ach ja, eine Bitte habe ich noch von Gastfreund zu Gastfreund." sprach er:" Es gibt hier ein Zimmer, das abgeschlossen ist, ihr erkennt es, da eine nubische Wächterin es Tag und Nacht bewacht. Versucht niemals es zu betreten. Am besten geht ihr nicht einmal in die Nähe. Diese Bitte dient eurer Sicherheit, mehr ist es nicht. "


    Seine Stimme klang nun äußerst kalt und eindringlich, dann wechselte er wieder zum leichten Plauderton:

    "Und nun entschuldigt mich, ich habe zu tun, doch später würde ich mich freuen, euch zu einer ausführlichen deipnon, Abendessen, einzuladen"


    Waballat lächelte wieder sehr freundlich, doch sein Blick änderte sich nicht: "Anippe!"


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    Die alexandrinische Sklavin kam …". Bring meine lieben Gäste in ihr Gemach! Es soll ihnen an nichts fehlen! Du bist mir für ihr Wohlergehen verantwortlich", befahl er.

    Die junge Frau verneigte sich, ihr Blick galt Phraotes und Nilofer: “Sehr wohl, das große Gästezimmer ist hergerichtet.“, sprach sie: „Wenn die verehrten Gäste mir folgen – wie wünscht ihr angesprochen zu werden?"


    Anippes Stimme klang sanft und lieblich, aber in ihren Augen lag eine unbestimmte Traurigkeit.

  • Zwar konnte ich nicht auf eine Masse von Erfahrungen zurückgreifen, wie der Alltag außerhalb des Harems funktionierte, doch hatte ich als eine, die mit zahlreichen anderen Frauen eingesperrt gewesen war gelernt, aus den Gesichtern meines Gegenübers lesen zu können. Dabei hatte ich festgestellt, dass manche die Kunst beherrschten, all ihre Gedanken vor ihrem Gegenüber verbergen zu können. Ichwar davon überzeugt, auch dazuzugehören, die diese Fähigkeit besaß. Andere wiederum waren wie ein offenes Buch, aus deren Gesichtern man alles herausdeuten konnte: wie sie sich fühlten, was ihnen Sorge bereitete oder was sie im Schilde führten. Bei unserem Gastgeber hatte ich ein seltsames Gefühl. Natürlich war mir nicht entgangen, wie offensichtlich er uns musterte und dabei wohl für sich seine Schlüsse zog. Ob man es uns ansah, dass wir ihm etwas aufgetischt hatten, was nicht der Wahrheit entsprach? Welche Konsequenzen hatte es für uns, würde er unsere wahre Identität herausfinden? Doch was mich am meisten beschäftigte, war die Frage, was er im Schilde führte? Natürlich wollte ich Waballat ben Attar nichts übles unterstellen, jedoch durften wir nicht den Fehler begehen, uns von den süßen Worten des Kaufmanns einlullen lassen. Niemand tat etwas Gutes nur um des Anderen willen. Jeder Mensch handelte aus einem inneren Anreiz heraus und je mächtiger dieser Mensch war, umso gefährlicher konnte es sein, sich ihm zu widersetzen. Wieder musste ich an den 'Pfauenschrei' denken, der mit Sicherheit aus der Kehle einer menschlichen Kreatur entsprungen war. Dabei durchfuhr mich ein eiskalter Schauer. Meine gleichbleibende Miene, auf der ein sanftes und zugleich geheimnisvolles Lächeln lag, gab meine Gedanken nicht Preis.

    "Ich danke dir vielmals für deine Großzügigkeit und deine unermessliche Güte!" entgegnete ich unserem Gastgeber. Von einem entspannenden Bad hatte ich auf der langen Reise durch die Wüste geträumt. Doch bevor ich mich der vollkommenen Vorfreude hingeben konnte, richtete ich zunächst meinen Blick auf Phraotes, den unser Gastgeber nun angesprochen hatte. Bei der Erwähnung eines verbotenen Zimmers, welches bewacht wurde, damit es niemand betrat, wurden meine Befürchtungen noch einmal angefeuert. Ich musste dringend mit ihm reden - unter vier Augen, wenn das den überhaupt möglich war!

    Ben Attar verwies uns dann an seine Sklavin weiter, die sich von nun an um uns sorgen sollte. Danach verließ er uns, jedoch stellte er in Aussicht, ihn wieder bei einem gemeinsamen Abendessen wieder zutreffen.

    Eine zierliche Person trat schließlich auf uns zu, die auf den Namen Anippe hörte und sich vor uns verbeugte. Ich taxierte die Sklavin für einen kurzen Moment. Ihre traurigen Augen fielen mir dabei auf. Wovon das herrühren mochte? Es wäre interessant herauszufinden, wie loyal sie gegenüber ihrem Herrn war. Dann wandte sie sich mit ihrer sanften Stimme an uns. Sie fragte, wie sie uns ansprechen sollte. Im Harem hatten die Dienerinnen die Damen jeweils nach ihrer Herkunft und ihrer aktuellen Stellung angesprochen. Als Tochter des Großkönigs und Halbschwester des zukünftigen Schahanschahs gebührten mir Ansprachen wie 'Gebieterin' oder 'Erhabene'. Lediglich meine vertraute Dienerin Nilofer, die für mich wie eine Freundin gewesen war, hatte die Erlaubnis, mich mit meinem Vornamen anzusprechen, solange wir unter uns waren. Doch Ktesiphon war glücklicherweise weit, weit weg!

    "Du darfst mich mit meinem Namen ansprechen - kyria Nilofer," entgegnete ich ich mit einem freundlichen Lächeln.

  • Xenon II >>>


    Am nächsten Morgen ging Anippe mit zwei Briefen auf den Hof und sprach einen der Karawanenführer, die sich dort befanden, um mit dem Synhodiarchos etwas zu regeln, auf Griechisch an:

    "Befehl von Waballat ben Attar.", sagte sie und stemmte die Arme in die Hüfte: "Der eine Brief muss in die Niederlassung nach Alexandria. Und wer begibt sich nächstens nach Ktesiphon?"

    Der Mann kannte sie und deutete auf einen anderen: "Der kann kein Griechisch, Schöne", sagte er.

    "Der versteht mich schon.", sagte Anippe und ging zu ihm:

    "Der Brief - Ktesiphon. ", sagte sie kurz angebunden.

    Auch der Mann nickte und verstaute den Brief.

    Anippe kam zurück. Das war leicht gegangen. Wenn sie nur nicht der despoína Nilofer auf die Schliche kamen!

  • Anippe sollte nicht glauben, sie könne etwas tun, ohne dass er es wüsste. Zwei Briefe waren es, die sie seinen Leuten gegeben, und zwei Briefe waren es, die er las.

    Der erste Brief ging von Nilofer an Phraotes, und welch Lächeln zauberte er auf sein Gesicht. Nilofer sagte sich los von dem Jüngling. Sie war klug genug, zu erkennen, wo ihr wahres Glück lag.

    Der zweite Brief war an ihren Vater; welch liebevolle demütige Tochterworte sie fand.

    Athenodoros war zufrieden.


    Gleich suchte er seine Verlobte auf....>>>