Xenon I (Kleines Gästezimmer)

  • Shahnaz wusste nicht wie ihr geschah. In einem Augenblick war sie noch ein wohlumsorgter Gast im Hause von Bel Kyrios dem Barbaren und dieser küsste ihr sogar noch die Hand und im nächsten bekam dieser erneut einen Wutanfall und ließ sie von zwei Männern packen und aus ihrem Zimmer zerren. Vor Überraschung hatte sich die persische Prinzessin kaum gewehrt gegen diese neuerliche Grobheit und war einer Schockstarre oder etwas ähnlichem anheimgefallen. Die zwei Sklaven warfen sie in eine Art Besenkammer (zumindest der Größe nach zu schließen) und verließen dann ohne sie das Zimmerchen, doch nicht ohne es hinter sich gut abzuschließen. Shahnaz lag jetzt alleine auf dem Boden in vollkommener Schwärze. Das einzige bisschen Licht war jenes, das durch den unteren Türspalt ihres Gefängnisses zu dringen vermochte. Noch immer wie betäubt lag Shahnaz eine ganze Weile lang still da. Was war soeben passiert? Was hatte das alles nur zu bedeuten? Nachdem sie sich wieder halbwegs gefangen hatte, rappelte sie sich auf alle Viere hoch und kroch zur Tür um gegen sie zu hämmern und zu rufen.


    "Hallo! Hört mich irgendjemand? Ich bin hier! Hallo! So hilf mir doch jemand! Ich bin hier! Ich brauche Hilfe! Kommt und rettet mich! Hilfe! Hallo!"


    Viele Stunden lang pochte Shahnaz gegen die Tür der Kammer und rief um Hilfe, einmal kräftiger, dann wieder sanfter, je nachdem ob sie sich gerade wütend oder traurig fühlte. Gegen Schluss rannen ihr nur noch Tränen über das schöne Gesicht und nach einem letzten, fast schon geflüsterten "Irgendjemand..." klopfte sie noch ein letztes Mal kraftlos an das Holz und hielt dann inne, um leise schlurchzend zusammenzusinken. Allein.

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    Die mitleidige Anippe war zum kleinen Gästezimmer geeilt, auf ihren Armen Decken, im Henkelkrug Wein und im Beutel Datteln und Käse zu Wasser und Brot.

    Schon vor der Tür hörte sie das Schluchzen der neuen Sklavin, mit fliegenden Fingern tastete Anippe nach dem Schlüssel, quitschend öffnete sich die Pforte.

    Trübes Licht fiel vom Flur in das Zimmerchen, dort hatte Anippe eine Kerze angesteckt. Es war mitten in der Nacht, alle Hausbewohner schliefen:

    "Shanase", flüsterte Anippe: "Shanase! Komm - nimm." Die junge Alexandrinerin konnte die neue Sklavin kaum erkennen, aber sie schaffte die Decken hinein, das Beutelchen mit Käse und Datteln und zum Schluss die Kerze.

    "Nimm, nimm das alles. Aber verstecke es. Wenn der Herr erfährt, dass ich dir geholfen habe, ergeht es mir schlecht."

    Anippe tastete nach den Händen des Mädchens:
    "Meine arme Shanase", sagte sie: "Tu doch einfach so, als seist du verliebt, aber ziere dich, so hälst du ihn hin.

    Der Kyrios ist garnicht so schlimm, wenn er glaubt, dass alles nach seiner Pfeife tanzt. Aber Widerstand mag er nicht, da wird er böse."

    Anippe umarmte Shahnaz ganz flüchtig, oh, wie kalt ihre Arme waren, wie sie zitterte:

    "Keine Angst", flüsterte sie beruhigend: "Ich komme wieder. Keine Angst ."

  • Shahnaz befand sich direkt vor der Tür liegend in einem Dämmerzustand, irgendwas zwischen Schlaf und wach sein, als Anippe die Sklavin zu ihr kam. Da sie also nicht völlig wach war bekam sie nur am Rande mit, wie sie hektisch auf sie einschnatterte und ihr verschiedene kleine Dinge in die Hand drückte und gegen Schluss so etwas wie Mitleid ausdrückte dem Ton ihrer Stimme nach. Dann war alles wieder vorbei und Shahnaz war wieder alleine. Wenig später schlief sie wieder tief und fest.


    Als sie das nächste Mal aufwachte, hatte sie das nächtliche Ereignis bereits wieder vollkommen vergessen. Sie war zu jenem Zeitpunkt einfach nicht wach genug gewesen, damit sich eine Erinnerung darüber bei ihr bilden hatte können. Deshalb war sie um so erstaunter, als sie mitten in der Finsternis die Hand etwas bewegt hatte und plötzlich gegen etwas weiches aber auch festes angekommen war. Seltsam, was war das nur? Die Prinzessin setzte sich in der Dunkelheit auf und tastete nach dem Gegenstand. Es war Beutel und darin das Ding fühlte sich an wie... ein Stück Käse! Nachdem sie zur Sicherheit auch nochmal daran gerochen hatte war sie sich sicher. Das war Käse! Doch wie kam der nur zu ihr hier in ihr Gefängnis? Jemand musste es hereingebracht haben als sie geschlafen hatte. Shahnaz verspürte Hunger und so biss sie hinein. Beim Aufstützen auf die andere Hand kam sie an noch einen anderen Gegenstand an, der laut scheppernd umfiel und plötzlich spürte sie Nässe zwischen ihren Fingern. Was war denn das schon wieder? Einige Abtastungen später vermutete sie einen Henkelkrug in der Hand zu haben. Dem Geruch nach war Wein darin gewesen den sie verschüttet hatte. Ob noch etwas in ihre Zelle gekommen war? Da Shahnaz sowieso nichts anderes zu tun hatte beschloss sie dieser Sache nachzugehen. In raschen Bewegungen tastete sie den Boden ab. Da schon wieder! Wieder stieß sie gegen etwas, das daraufhin umfiel und sie Nässe unter der Handfläche spürte. Shahnaz roch daran. Nichts. Vermutlich hatte sie jetzt einen Becher Wasser aus Versehen umgestoßen.


    Außer dem Wasser konnte sie noch weitere Gegenstände erfühlen. Da waren noch Decken, etwas Brot und etwas kleines stummelartiges, das dem Geruch nach aus Wachs bestehen musste. Vermutlich eine heruntergebrannte Kerze, die jemand mitsamt der anderen Dinge zu ihr gebracht haben musste während sie schlief. Schade, dass sie von der Kerze nichts mehr hatte, aber die Decken konnte sie noch gebrauchen. Shahnaz nahm sie und wickelte sich fest in sie ein. Dann bettete sie sich wieder auf den Boden, dabei ihren Gedanken nachhängend.

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    Sobald Waballat ben Attar Athenodoros ihre Dienste beim Abendessen nicht brauchte, lief Anippe in Begleitung einer anderen Sklavin zum kleinen Gästezimmer hin. Denn so wie Shahnaz jetzt aussah, nach Tagen im Dunkelheit weggesperrt, konnte man sie gewiss nicht vor die Herren führen. Sie hatte also die Erlaubnis, die neue Sklavin vorzubereiten.


    "Chaire, Shahnase, du sollst dich waschen und umziehen, und ich will dir dein Haar richten!", rief sie: "Heute ist ein Herr gekommen, der deine Sprache spricht, und dem kannst du alles erzählen! Und er wird dir wohl sagen, dass du gehorsam sein musst und froh, dass du hier bist! Und dann benimmst du dich gut, und wir können richtige Freundinnen werden!"


    Die andere Sklavin stellte eine Waschschüssel auf den Boden, goss Wasser hinein und streute einige Rosenblätter. Einen Schwamm legte sie auch hinein.

    "Komm her, aber lass die Augen zu, sonst brennt dir das Licht darin.", warnte Anippe und machte eine Geste mit der Bürste, die sie in Händen hielt.


    Sie verstand noch immer nicht, warum sich die Neue gegen die Liebe so sehr sträubte.


    Anippe selbst war eine verna, eine hausgeborene Sklavin. Seit ihre Erinnerung einsetzte, war Athenodoros wie ein launischer Gott in ihrem Leben präsent. Einst waren sie zu dritt gewesen, drei hausgeborene Sklavenkinder, ein Junge und zwei Mädchen; der Junge und seine Mutter waren schon lange tot, das andere Mädchen war vor ihrer Abreise in Alexandria weiter verkauft worden, und nur sie, Anippe, war jetzt noch übrig.


    Das war sie aber auch nur, weil sie fügsam und schlau war.


    Die Sklavin stellte sich hinter Shahnaz, drückte den Schwamm aus und begann sie behutsam zu säubern.

    "Der Herr, der Persisch spricht,  heißt Ezra,  o despota musst du ihn ansprechen, zumindest auf Griechisch. Er ist sehr nett.", plauderte sie weiter:

    "Schau, ich habe eine frische Tunika für dich. Und ein paar Tropfen Mandelöl - du hast ganz aufgesprungene Lippen. Musstest du viel weinen? Weine nicht mehr, liebe Shanase."


    Anippe plauderte wie ein Wasserfall, denn sie glaubte wie manche Leute, die wenig Erfahrungen mit fremden Sprachen haben, dass wenn sie nur laut genug und viel spräche, würde das andere Mädchen irgendwann schon alles verstehen.


    >>> Andron