• RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Shahnaz schluchzte noch immer. So verlassen und angreifbar hatte sie sich noch nie gefühlt. Sie fühlte sich alleine ohne jeden Schutz in den sie sich flüchten konnte, was sollte sie da nur machen. Nach einer Weile jedoch versuchte sie sich wieder zu fangen und ihre Tränen abzuwischen. Solch ein Verhalten gebührte einer wahren Prinzessin nicht. Sie rieb sich gerade ihre Augen, als der Mann namens Ezra ben Abraham ihr die Frage stellte, wie sie hier in dieses Haus nach... Palmyra(?) gelangt war (nie hatte sie von solch einem Ort gehört). In diesem Augenblick war Shahnazs Feuer erloschen und jede Widerstandskraft fehlte ihr nach dem jüngsten Schock. So erzählte sie daher ohne jede Sturheit: "Ich weiß es nicht. Alles woran ich mir erinnere ist, dass Männer in mein Gemach kamen, mich packten und fesselten. Dann brachten sie mich außerhalb des Palastes und übergaben mich einem fürchterlichen Mann, der mich hierher brachte. Das ist alles."


    Sie kannte nicht die wahren Hintergründe ihrer Versklavung und das würde so wohl auch noch für eine lange Zeit bleiben, wenn nicht sogar für immer.

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    "Mhm, ich verstehe." Ezra ben Abrahm konnte sich nicht vorstellen, dass eine gewöhnliche Räuberbande einfach so in den persischen Königspalast in Parsastaxra eindringen konnte, doch auch er kannte nicht die wahren Umstände, sondern hatte nur das, was ihm das Mädchen erzählte. So wandte er sich also wieder an Athenodoros: "Sie sagt Unbekannte hätten sie aus dem Palast entführt und dann wäre sie einem Mann übergeben und nach Palmyra gebracht worden. Vermutlich jenem Sklavenhändler, der sie Yarhai ben Mattabol verkauft hatte, bestimmt weiß er mehr, falls du Nachforschungen anstellen willst. Was gedenkst du jetzt mit Shahnaz zu tun?"

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  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    "Ich behalte sie. Da sie von edlem Blut ist, könnte ich sie freilassen und sogar heiraten. Als Ehegattin Nummer Zwei würde sie mir nicht zur Unehre gereichen.", sagte Athenodoros fast vetträumt: " Stell dir vor: Das Blut des persischen Königs in einer Linie der Bene Attar. Vielleicht würde mir Shahnaz Söhne schenken, die mich stolz machen. Weißt du übrigens, dass Shahnaz der Grund ist, warum Alexandros weggelaufen ist? ich hatte sie eigentlich für ihn bestimmt, damit er endlich ein Mann wird. Aber er meinte, sie wäre unglücklich - er war schon immer zu gefühlsvoll, der Junge. Wie seine Mutter Alexandra früher. Dann habe ich Shahnaz für mich beansprucht und das war richtig, denn solch eine Frau braucht einen starken Beschützer. "

    Athenodoros zwinkerte Ezra zu:

    "Vielleicht heirate ich sie aber auch nicht. Das werde ich entscheiden, wenn ich weiß, ob wir überhaupt zusammenpassen - in jeder Hinsicht. Wenn Shahnaz klug ist, kann sie in meinem Haus ihr Glück machen, wenn sie weiter klagt und heult, wird sie nichts anderes für mich sein als Anippe, ja, noch weniger, denn sie ist nicht einmal oikogenes - in meinem Haus geboren."

    Waballat ben Attar Athenodoros sprach hier ganz wie der Geschäftsmann, der er war. Was scherten ihn Glück oder Unglück anderer?

    "Kennst du vielleicht jemanden o Ezra, der Shahnaz in Aramäisch oder Koiné unterrichten könnte?", fragte er. So oder so, er wollte nicht jedesmal einen Übersetzer dabei haben, wenn er mit seinem Eigentum sprach.

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Es klang fast schon wie der Beginn einer interessanten neuen Geschichte, die Athenodoros da von sich gab. Es war einmal ein palmyrener Geschäftsmann, der am Markt eine Sklavin kaufte. Diese stellte sich als eine persische Prinzessin heraus und so heiretete er sie und zeugte mit ihr Kinder, womit alle die, dieser Verbindung entsprungenen Nachkommen palmyrenische Semiten wären, die jedoch auch das Blut großer persischer Herrscher aus alter Zeit, wie Großkönig Dareios oder des mächtigen Xerxes in sich trugen.


    Ezra ben Abraham jedenfalls würde sich für so eine Geschichte interessieren, auch wenn sie wenig realistisch war. Es war ohnehin klüger erst dann Pläne zu schmieden, wenn man sich halbwegs mit dem Kind verständigen konnte und dafür musste natürlich zuerst einmal eine allgemein verständliche Sprache her. "Wenn du willst, kannst du sie gerne zu mir schicken für 10 Drachmen pro Lehreinheit. Was wäre dir denn genehmer welche Sprache ich sie lehren soll?"

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  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Zehn Drachmen war ein gepfefferter Preis, aber Unterricht bei Ezra ben Abraham war es vermutlich wert. Dennoch handelte Waballat einen kleinen Rabatt aus, das war er einfach seinem Ruf schuldig:

    "Zunächst Aramäisch bitte, denn wir leben nun mal hier in Palmyra. Und ich würde dich bitten, auch Anippe in den Unterricht mit dazu zunehmen, sie versteht die hiesige Sprache nicht, so dass sie nie alleine auf den Markt oder sonst wohin kann. Zwei Schülerinnen machen gewiss nicht mehr Umstände als eine und falls doch, so erlaube ich dir, Anippe zu schlagen. "

    Athenodoros hatte nicht viel Ahnung vom Unterrichten, das hatte ihn nie interessiert. Sein Sohn hatte die ganze Zeit über Sklavenlehrer gehabt. Schade, dass er weg war, auch er hätte Aramäisch gut brauchen können. ( Athenodoros schüttelte ärgerlich über sich den Kopf; er dachte heute entschieden zu oft an den Bengel, der ihn so aufgeregt hatte. Sollte er zum Hades gehen...):

    "Auf jeden Fall danke ich dir für die Mühe, die du dir mit Shahnaz machen möchtest. Die Empfehlung an meinen Verwandten gebe ich dir gerne."

    Er lachte:

    "Du hälst es irgendwie nirgends lange aus, Ezra ben Abraham. Kaum bist du in Palmyra heimisch, möchtest du weiter in den Osten. Und ich dachte, ich bin es, in dessen Adern Nomadenblut fließt. Du bist entschieden unruhiger... was ist es denn, was du in Hatra suchst? Nur eine alte Bekanntschaft?"

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    So war es also beschlossene Sache. Ezra ben Abraham würde Prinzessin Shahnaz und Anippe die Hausmagd in die Kunstfertigkeit des Aramäischen einführen. Jedoch würde er sie in seiner eigenen heimischen Dialektalvariante, dem jüdisch-palästinischen Aramäisch, und nicht in dem Dialekt Palmyras unterrichten, schlicht aus dem Grund, weil dies nun einmal Ezra ben Abrahams Muttersprache war und es daher keinen Sinn machte ihnen einen fremden Dialekt beizubringen, den er selbst nie benutzte im Alltag. Besser, Shahnaz und Anippe sprachen perfekt Aramäisch nach der Art des jüdischen Volkes, als dass sie versuchten sich in schlechtem Palmyren zu artikulieren und dass sie keine Einheimischen waren, war ihnen ohnehin sogleich an der Nasenspitze anzusehen. Anippe vielleicht noch etwas mehr als Shahnaz. Und die vielen aramäischen Dialekte von Syria-Iudaea bis hinein nach Mesopotamien und Nabataea waren ohnehin untereinander verständlich, sprachliche Probleme würde es für sie also danach ohnehin nie wieder geben, egal welchen Dialekt sie jetzt genau benutzten. Und das Aramäische der Juden hielt Ezra ben Abraham ohnehin für die Nobelste aller Zungen der östlichen Königreiche, wer z.B. wollte (der etwas auf sich hielt) schon Phönizisch wie die Leute von der Küste lernen?


    "Natürlich wird es mir eine Freude sein auch Anippe zu unterrichten, natürlich bei gleichbleibendem Preis, doch falls du mir die Frage erlaubst, wieso lernte sie es nie, wo sie unter deinem Dach ja geboren ward? Gibt es dafür einen bestimmten Grund?" Mit einem Blick auf Shahnaz sprach er weiterhin: "Ich denke es wäre klüger, wenn du für die ersten Wochen jemanden als Geleitschutz mit den beiden Mädchen mitschickst, ich habe so eine Ahnung, dass dein königlicher Wildfang nicht einfach so aufgeben wird bei dem Versuch nachhause zu kommen. Soll ich ihr deine Entscheidung nun mitteilen?"


    Als Athenodoros dann noch einmal wiederholte, dass er ihm gerne seine Empfehlung mitgeben würde, bedankte sich der Bücherhändler noch einmal bei seinem Freunde. Auch er lachte auf die letzte Bemerkung des Gastgebers hin. "Es scheint so, doch das ist der Preis, wenn man einen Buchhandel mit besonders erlesenen Stücken betreiben will. Ich bin in Hatra in der Tat auf dem Weg zu einem Bekannten, da er mir unlängst schrieb, dass er etwas hätte, was mich vielleicht interessieren könnte. Ein Karawanenführer aus Baktrien hatte ihm eine Schriftrolle verkauft, die weit von jenseits des Caucasus Indicus* stammen und die aus einem merkwürdigen fremden Material gefertigt ist, das von seiner Beschaffenheit und Zerbrechlichkeit her wie dünne Äste und trotzdem so glatt wie polierter Marmor** sein soll. So ein Material hat er noch nie gesehen! Darauf soll eine Geschichte in fremden Schriftzeichen geschrieben stehen, doch da diese niemand in unseren Breiten lesen kann, hatte ihr, ihr letzter Besitzer, ein Gelehrter aus Alexandria Eschate***, einen Papyrus mit einer sakischen Übersetzung beigefügt. Doch auch Sakisch ist westlich des Iaxartes*4 kaum jemandem verständlich, weshalb mein Bekannter nach langen Wirren endlich eine Person aufgetrieben hatte, die den sakischen Text ins haträische Aramäisch übersetzen hatte können und er endlich weiß, was auf der originalen Schriftrolle angeblich stehen soll."


    Ezra ben Abraham nahm einen kurzen Schluck, auch um sich in seinem Redeschwall selbst kurz zu unterbrechen. "Ich hoffe ich war jetzt nicht zu ausschweifend, aber du verstehst, dass mich derlei Schriftstücke interessieren, alleine schon wegen derlei Herkunftsgeschichten. Ich möchte diese merkwürdige Schriftrolle aus diesem fremden Material in meinen eigenen Händen halten und die übersetzte Geschichte lesen, ich bin sicher, dass sie sich großartig in meinem Laden machen würde, findest du nicht?"


    Sim-Off:

    * = Antiker Name des Hindukusch


    Sim-Off:

    ** = An dieser Stelle meint er eine Schriftrolle aus Bambus


    Sim-Off:

    ** = Heute Chudschand in Tadschikistan


    Sim-Off:

    *4 = Heute der Fluss Syrdarja östlich des Aralsees

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  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    "Warum Anippe kein Aramäisch kann? Wir haben in Alexandria nur Koiné gesprochen. Du weißt ja, wie Alexandra ist...war. Sie hatte wenig Interesse an Dingen , die außerhalb ihrer Nasenspitze lagen und außer ihrer Muttersprache nie etwas lernen wollen." ,

    Athenodoros sprach hier von seiner griechischen Gattin, Alexandros Mutter: "Ich fürchte, ich bin auch kein guter Lehrer. Zu ungeduldig." Er machte die entsprechende Handbewegung.

    Diese Jagd nach einer Schriftrolle empfand der Synhodiarchos als ungewöhnlich; fast schwirrte ihm der Kopf von all den Begriffen, die sein jüdischer Gast nannte: Sakisch...wer mochte eine Sprache sprechen, die keiner verstand... so fragte er nach dem einzigen, was ihm unmittelbar einleuchtete:

    "Diese Schriftrolle - ist sie von Wert? Und ein neues Schreibmaterial sagst du, leicht und dennoch glatt wie Marmor? Das klingt interessant und wäre eventuell etwas, von dem du mir ein paar Proben mitbringen könntest. Unsere Schriftgelehrten würden sich zu gerne von den Papyruslieferungen aus Aegyptus unabhängig machen. Ja, du hast äußerst erlesene Werke in deinem Laden, hattest du früher schon. Ich erinnere mich noch an dieses Pergament von dieser völlig phantastischen Geschichte aus dem Norden des Imperiums und noch darüber hinaus, es ging um einen Wolf, der den Mond fraß oder so ähnlich.Was hat das den Kindern gefallen! "

    Einen Moment lang tauchte eine Szene vor ihm auf, die er lange vergessen hatte: Eine Gruppe Jugendlicher auf einer Treppe, lauschend, während der Älteste ihnen vorlas und die Sonne goldene Kringel auf ihre Gesichter malte, ein friedliches Bild.


    Anippe lächelte. Auch sie erinnerte sich an die Geschichte, denn sie war eine dieser jungen Leute gewesen.

    Dann schaute sie respektvoll zu Shahnaz, wie sie ja richtig hieß. Nun verstand sie, warum die Neue sich so gesträubt und geweint hatte. Sie war eine wirkliche Prinzessin aus Persis und lehnte sich gegen ihr Schicksal auf. Anippe freute sich auf den Unterricht bei Ezra ben Abraham, der so ein feiner Herr war. Außerdem würde sie dann endlich mit Shahnaz sprechen können. Anippe wollte gerne wieder eine Freundin haben, seit ihre beste Freundin verkauft worden war. Obwohl: Vielleicht würde Shahnaz keine Sklavin bleiben, vielleicht ließ ihr Herr sie frei, um sie zu heiraten. Aber auch dann würde sich Shahnaz hoffentlich daran erinnern, WER denn von Anfang an freundlich zu ihr gewesen war, ohne von ihrem hohen Rang zu wissen. Anippe plante vor; sie fand sich ganz schön schlau.


    Auch Athenodoros erinnerte sich wieder an Shahnaz Gegenwart:

    "Bitte sag Shahnaz, dass sie Unterricht erhält. Und wenn sie sich benimmt, darf sie sich ab heute frei im Haus bewegen und muss nicht in die dunkle Kammer zurück. Sie darf mit den anderen Dienerinnen gemeinsam essen. Und .... ich werde ihr ein Zimmer geben, ein eigenes. Ich hoffe, sie weiß ihre Privilegien zu schätzen."

    Plötzlich behandelte er die junge Frau mit neuerwachtem Feingefühl:

    "Anippe bring Shahnaz einen Stuhl, sie soll mit uns essen. Und geh und lass das gynaikon* richten, danach kommst du wieder. "


    Anippe stellte den Stuhl zurecht. Dann richtete sie einen Teller mit einer Kleinigkeit von allen Leckerbissen und schenkte Wein gemischt mit Wasser ein, beides stellte sie auf den Tisch vor die Nähe des Stuhls und zeigte Shahnaz pantomimisch, dass sie Platz nehmen sollte. Danach gehorchte sie den Befehlen ihres despotés.






    Sim-Off:

    * Frauengemach/gemächer

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    "Ich verstehe, so werde ich dafür sorgen, dass sich dies ändert.", antwortete Ezra ben Abraham und fuhr sich durch seinen Bart. Er hatte eigentlich gedacht, dass Anippe in Palmyra geboren und erst danach nach Alexandria gekommen war, oder dass Athenodoros zuhause im Privaten die heimische Zunge Palmyras verwenden würde, jedoch war er anscheinend schon so weit hellenisiert, dass er sogar dort Koiné sprach. Ein nobler Zug, wo auch Ezra ben Abraham das Griechische bevorzugte im Gespräch mit Nichtjuden, jedoch seine Gedanken und Träume würden immer in Aramäisch bleiben.


    Bei der Erwähnung der Schriftrolle aus dem Norden nickte er. "Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich sie Alexandros und seinem Sklaven vor Jahren einst in Alexandria verkauft hatte. Jedoch was diese neue Schriftrolle angeht, so kann ich dir derzeit auch noch nicht mehr sagen, als das was ich schon gesagt habe. Zuvor muss ich sie einmal mit eigenen Augen gesehen haben. Sollte ich sie erwerben, so kann ich sie gerne auch dir zeigen, jedoch denke ich nicht, dass man diese Art Schriftrollen im großen Stil importieren könnte. Sie kommt von sehr weit her, wer weiß schon von wo genau und wer sagt, dass sie nicht die einzige ihrer Art ist? Oder dieses mysteriöse Material sehr selten und schwer zu beschaffen? Bei wem würdest du eine entsprechende Order aufgeben wollen bei all den vielen verschiedensprachigen Zwischenhändlern entlang der Seidenstraße? Und selbst wenn dies möglich wäre, so würde ja selbst schon eine einzige Bestellung Jahre brauchen, bis sie wieder hier ankäme und was würde die mengenmäßig bringen? Eine Karawane voll solcher Rollen vielleicht? Ich fürchte, das wäre zu unlukrativ und dass wir uns auch weiterhin mit ägyptischem Papyrus behelfen müssen." Für einen Moment hatte Ezra ben Abraham wohl vergessen gehabt mit welchem Familienmitglied der Bene Attar er da gerade sprach, doch spätestens beim Anblick des mangelnden Interesses in Athenodoros' Augen bei der Schilderung der Odyssee der Überführung des Schriftrolleninhalts in eine verständliche Sprache, war es ihm wieder eingefallen. Es war nämlich Alexandros gewesen, der ihm immer an den Lippen gehangen hatte, wann immer Ezra ben Abraham eine neue besondere Herkunftsgeschichte eines ausgewählten Stücks in seinem Laden geschildert, oder die übrigen Gründe angeführt hatte, was sie zu etwas speziellem machte, während sich sein Vater anscheinend nur für die wirtschaftliche Seite zu interessieren schien.


    Als das Gespräch wieder auf Shahnaz kam, sagte ihm Athenodoros, was er dem Mädchen übermitteln sollte. Während Anippe sich daran machte das Mahl für Shahnaz herzurichten, wandte sich Ezra ben Abraham solange an die Prinzessin: "Shahnaz, dein neuer Herr lässt dich etwas ausrichten. Du sollst Unterricht bei mir in seiner Sprache erhalten, damit du in Zukunft direkt mit ihm sprechen kannst, außerdem möchte er dir größere Freiheiten geben, als bisher, wenn du dich gut benimmst. Ein eigenes Zimmer, Essen mit den anderen und freien Zugang zum ganzen Haus. Ich bitte dich eindringlich Kind, nimm an, du willst doch auch nicht, dass es dir hier schlecht ergeht."

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  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Nachdem sich Bel Kyrios (Athen... wie war das nochmal?) und Ezra ben Abraham wieder von Shahnaz abgewandt und ein anderes Gespräch unter sich begonnen hatten, hatte sie Zeit, um sich mit ihren Gedanken zu beschäftigen. Der Gast von Bel Kyrios hatte gesagt sie wäre von nun an eine Sklavin von dem bärtigen Barbaren. Er hatte gesagt sie könne nicht mehr nachhause nach Parsastaxra, sondern müsse dauerhaft in diesem Haus bleiben in jenem Ort, dessen Name sie im Gedächtnis ebenfalls schon wieder fallen gelassen hatte. Jetzt, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte und ihre Tränen versiegt waren, konnte sie sich mit diesem neuen Zustand auseinandersetzen. Die Information, dass Shahnaz von jetzt an unfrei sei verwirrte sie, denn sie fühlte sich nicht als Sklavin. Wenn sie tief in sich hineinhorchte, dann nahm sie die Welt immer noch als eine Prinzessin wahr. Shahnaz hob ihre Handflächen etwas in die Höhe und musterte sie intensiv. Wie fühlte sich eine Sklavin? Und warum fühlte sie sich nicht so, wenn sie jetzt doch eine sein sollte? Es war einfach eine Information, die sie nicht richtig verarbeiten konnte. Vermutlich fehlte ihr das richtige Gemüt dafür, aber es half nichts, sie fühlte sich in ihrem Inneren nach wie vor nicht als Sklavin von irgendjemandem, egal was ihr der logische Verstand auch sonst zu vermitteln suchte. Dieser sagte sie wäre nun unfrei und es wäre klüger jetzt das zu tun was Bel Kyrios von ihr wollte, um seinen Gewalttätigkeiten zu entgehen, während ihr personelles Wesen nichts davon wissen wollte und die Tatsachen verweigerte. Besser sie würde einen Weg hier raus suchen.

    Erneut fragte sich Shahnaz, wieso fühlte sie sich nicht versklavt, wo sie es doch war?


    Ihre Gedanken wurden erst unterbrochen, als der Gast von Bel Kyrios sich erneut an ihn wandte. Die primitive Sprache des Grobians sollte sie lernen und brav sein, dann dürfe sie auch überall im Haus hingehen. Mochten sich ihr Wesen und ihre Logik vorher einen kleinen Schlagabtausch geliefert haben, so hatte ihr Wesen im Moment gewonnen, denn als erste Spontanreaktion auf diese Neuigkeiten antwortete Shahnaz: "Nein", und zog die Brauen zusammen.


    "Nein, das will ich nicht, ich will es einfach nicht! Ich möchte nicht diese Sprache lernen und ich möchte auch nicht überall im Haus hingehen dürfen, alles was ich will ist wieder nachhause zu dürfen, ist das denn so schwer zu verstehen?" Shahnaz wurde zusehends lauter, als sie sich in Rage redete: "Ich will das alles nicht! Ich habe mir das alles hier nicht ausgesucht, ich wurde ohne zu fragen aus meinem Zuhause entführt! Ich will nur wieder dahin zurück! Zu Ahriman mit Bel Kyrios und seiner verdammten Sprache und zu Ahriman mit diesem verdammten Haus! Lasst mich einfach gehen! Ich habe nie etwas gemacht, das all das hier rechtfertigen würde, sucht euch doch eine richtige Sklavin und lasst mir meine Freiheit, denn ich bin keine Sklavin, ich bin Prinzessin von Persis! Ich will..."

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    "Still Mädchen!" fuhr ihr jetzt Ezra ben Abraham dazwischen und stand auf. "Sei still und höre mir zu! Es geht nicht länger darum was du willst, oder nicht willst, du bist versklavt! Sei froh, dass dein Herr dich nicht verstehen kann, sonst hättest du dich gerade in große Gefahr gebracht, nein still jetzt! Ich weiß du hast dir dieses Los nicht ausgesucht, doch das haben wir alle nicht! Auch meine Heimat ist für mich verloren, wir haben alle unser Schicksal zu ertragen, deshalb sei nicht so dumm und fange an damit zu arbeiten! Lerne die Sprache und benimm dich gut, was hast du denn davon dich dagegen aufzulehnen? Was hast du davon außer Kummer und Leid?" Zugegeben es war nicht die reine Emotion, die da aus Ezra ben Abraham sprach, ein Teil davon war auch bloß gespielt, um das Mädchen möglichst zu erschrecken und so ihre Sturheit zu überwinden. Ob er damit Erfolg haben würde, würde sich ja noch zeigen. Persönlich war er ja gegen die Sklaverei als frommer Jude, doch das laut zu äußern wäre in diesem Moment wohl kontraproduktiv gewesen.

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Als Bel Kyrios' Gast sie plötzlich so überraschend anfuhr, klappte Shahnaz wirklich vor Verblüffung den Mund zu und ließ stattdessen ihn sprechen. Mit einer derart heftigen Reaktion hatte sie jetzt auch nicht unbedingt gerechnet. Doch so ganz zeigten die Worte nicht die erhoffte Wirkung, denn Shahnazs Sturheit war noch immer ungebrochen. "Ich bin nicht dumm und ich weiß sehr genau was ich davon habe, nämlich..."

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    "Das weißt du eben nicht wie es scheint", unterbrach sie der Bücherhändler wieder. "So glaube mir doch Kind, ich will dir nichts böses. Dein Herr ist kein gütiger Mann, er wird dich peitschen oder schlimmeres, wenn du dich ihm dauerhaft widersetzt. Wehre dich nicht länger gegen das dir auferlegte Schicksal, denn das hier ist eine Prüfung! Eine Prüfung von Ahura Mazda!" Bedeutungsschwanger hob Ezra ben Abraham einen Zeigefinger in Richtung Himmel. "Zeige deinem Gott, dass du stark genug bist sie zu bestehen und zeige ihm wessen Blut in dir fließt, Tochter des Darayan!"

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Eigentlich hatte sich Shahnaz darüber aufregen wollen, dass der Alte sie schon wieder "Kind" genannt hatte (sie war kein Kind mehr!), doch bei der Erwähnung Ahura Mazdas, war sie wieder still geworden und sie hatte begonnen darüber nachzudenken. Und dann beim Klang des Namens ihres Vaters hatten sich ihre Augen geweitet und sie ein übermenschliches Gefühl von Sehnsucht verspürt.

    Vater...


    Verwirrt blickte sie Ezra ben Abraham an. Was sollte sie tun? Was war der richtige nächste Schritt?

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Anstatt erneut in lautstarken Ablehnungen auszufallen, war Shahnaz ruhig geworden. Ezra ben Abraham hoffte, dass er irgendetwas in ihr angesprochen hatte, das sie schlussendlich zur Vernunft brachte. Jetzt musste er nur noch zusehen, dass sich das Mädchen nicht in neuerliche Schwierigkeiten bringen würde mit ihrer Art. Um den Eindruck seiner kommenden Worte zu verstärken, ergriff er Shahnaz sanft an ihren Schultern und sah sie eindringlich an, während er mit ruhiger Stimme weitersprach: "Lerne die Sprache, Shahnaz und benimm dich. Das macht es leichter, versprochen."

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Kurz erschrak sie, als sie plötzlich so sehr von Ezra ben Abraham vereinnahmt wurde, doch seine Absicht hatte er damit erreicht, Shahnaz war ganz von seinem Blick gebannt, als er sie noch einmal beschwor sich zu fügen. Von dem Juden immer noch beiderseits an den Schultern gehalten blickte sie ihm mit unschlüssigem Gesichtsausdruck in die Augen, während ihr Inneres damit begann an einem noch unbekannten Entschluss zu arbeiten. Die Augen dieses Mannes hatten jedoch auch wirklich etwas hypnotisches. So wie er hatte es noch nie jemand gewagt mit Shahnaz zu sprechen, weder einer der Diener, noch ihr Vater. Was war es was sie wirklich wollte? Sollte sie weglaufen? Sollte sie aufgeben und bei Bel Kyrios bleiben (dessen echter Name war inzwischen schon wieder ganz weg in ihr)? War dies wirklich nur eine Prüfung Ahura Mazdas? So viele Fragen und nirgendwo ein Hinweis was der richtige Weg wäre. Lag die Antwort vielleicht irgendwo in den Augen Ezra ben Abrahams versteckt? Abwechselnd blickte sie von einem Auge zum anderen. Was sollte sie tun für das Richtige? Eine ganze Weile blieb es still.


    Schließlich entwand sich Shahnaz aus dem Griff des Mannes und trat einen Schritt zurück, um etwas mehr Abstand zwischen ihnen zu schaffen. "Falls ich einwilligen sollte diese Sprache zu lernen... dann möchte ich auch angemessen behandelt werden. Verbeuge dich vor mir, wenn ich erscheine und ich möchte mit "Königliche Hoheit" angesprochen werden."

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Lange war Shahnaz still geblieben, offensichtlich das für und wieder abwägend. Ezra ben Abraham hatte die ganze Zeit versucht ihr mimisch zu bedeuten, dass es wichtig war welche Entscheidung sie nun treffen würde. Wie diese im momentanen Fall ausfiel erfuhr er, als Shahnaz beim nächsten mal, da sie sprach, so etwas wie das erste Mal einlenkte. Doch die königlichen Allüren konnte sie trotzdem nicht lassen. "Nein, ich bin Jude, ich verbeuge mich vor niemanden, außer Gott!" antwortete er entschieden. "Was ich dir jedoch versprechen kann ist, dass ich ein gerechter Lehrer für dich sein werde, du musst es nur zulassen. Verschließe nicht dein Herz vor jenen, die dir helfen."

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Also wollte ihr Bel Kyrios' Gast tatsächlich die ihr zustehende Ehrerbietung versagen seines Gottes wegen, doch Shahnaz musste auch zugeben, dass ihr diese Entschiedenheit imponiert hatte. Für Ezra ben Abraham gab es nichts zwischen sich und dem Himmel, genauso wie es Könige handhabten. Das war etwas was Shahnaz verstand. Jedoch diese letzte Aufforderung ihres Herzens wegen ließ einen Teil der alten Sturheit in ihrem Blick zurückkehren. Schon wieder ein Befehl an sie...

    "Gut... fürs Erste."

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Scheinbar hatte Shahnaz vorerst die Waffen gestreckt und eingewilligt tun zu wollen was von ihr verlangt worden war, doch die Veränderung in ihrem Gesichtsausdruck war Ezra ben Abraham nicht entgangen. Shahnaz dachte immer noch an Rebellion, ganz also war sie nicht gebändigt. Es war nicht die Frage ob, sondern bloß wann sie das nächste Mal aufbegehren würde und vermutlich auch, ob er dann zur Stelle wäre, um die Sache wieder hinzubiegen, ansonsten sah Ezra ben Abraham jetzt schon fürchterliche Folgen für sie vorraus. Über seinen Blick gab er ihr zu verstehen, dass er sehr wohl wusste, was in ihr vorging, doch laut sprach er lediglich: "Gut, dann sei es so. Setze dich jetzt, Athenodoros wünscht, dass du mit uns isst und trinkst."


    Auch Ezra ben Abraham ließ sich wieder auf seiner Kline neben Athenodors nieder und fischte ein Stück Rinderrippchen herbei. Auf Griechisch weihte er seinen Gastgeber in die aktuelle Lage ein: "Shahnaz hat eingewilligt Aramäisch zu lernen und sich zu benehmen, sie sollte also wohl keine Probleme mehr machen... vorerst. Wann wünschst du den ersten Termin für eine sprachliche Lektion?"

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham


    Das geistige und verbale Duell mit Bel Kyrios' Gast war vorerst geschlagen. Shahnazs Empfinden nach war es unentschieden ausgegangen, denn das Mienenspiel des Juden hatte auch sie durchaus mitbekommen, als er sie zuletzt dazu aufgefordert hatte sich ebenfalls an den Tisch zu setzen und mit ihnen zu essen. Auch wenn jetzt Frieden herrschte, vermutlich würde es eine Fortsetzung dieser Auseinandersetzung geben. Doch jetzt nicht, denn ein Magenknurren erinnerte Shahnaz daran, dass sie durchaus großen Hunger hatte. So fügte sie sich schon wieder und setzte sich an den Platz, den Anippe zuvor für sie vorbereitet hatte und begann auch zu essen.


    Jetzt war sie wieder ganz auf sich konzentriert, denn das was die beiden Männer miteinander sprachen (dank Ezra ben Abrahams letzter Bemerkung wusste sie wieder, dass Bel Kyrios in Wahrheit Athenodoros hieß), würde sie ohnehin nicht verstehen. Gleichzeitig hatte sie auch wieder Zeit über ihre Lage nachzudenken. Sie fühlte sich noch immer nicht wie eine Sklavin.


    Gelegentlich warf sie auch kurze Blicke auf Ezra ben Abraham. Der Alte hatte heute durchaus Eindruck bei ihr hinterlassen.

  • RE: Der Besuch von Ezra ben Abraham




    Bei der Erwähnung der Schriftrolle aus dem Norden nickte er. "Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich sie Alexandros und seinem Sklaven vor Jahren einst in Alexandria verkauft hatte. Jedoch was diese neue Schriftrolle angeht, so kann ich dir derzeit auch noch nicht mehr sagen, als das was ich schon gesagt habe. Zuvor muss ich sie einmal mit eigenen Augen gesehen haben. Sollte ich sie erwerben, so kann ich sie gerne auch dir zeigen, jedoch denke ich nicht, dass man diese Art Schriftrollen im großen Stil importieren könnte. Sie kommt von sehr weit her, wer weiß schon von wo genau und wer sagt, dass sie nicht die einzige ihrer Art ist? Oder dieses mysteriöse Material sehr selten und schwer zu beschaffen? Bei wem würdest du eine entsprechende Order aufgeben wollen bei all den vielen verschiedensprachigen Zwischenhändlern entlang der Seidenstraße? Und selbst wenn dies möglich wäre, so würde ja selbst schon eine einzige Bestellung Jahre brauchen, bis sie wieder hier ankäme und was würde die mengenmäßig bringen? Eine Karawane voll solcher Rollen vielleicht? Ich fürchte, das wäre zu unlukrativ und dass wir uns auch weiterhin mit ägyptischem Papyrus behelfen müssen."

    "Deine Einwände sind recht und vernünftig.", sprach Athenodoros mit einem kleinen Lächeln: "Es ist nur so, dass ich Informationen sammle. Manchmal bleibt so eine Kenntnis lange im Wüstensand liegen, manchmal wird sie verschüttet oder vom Sturm davon getragen, doch zuweilen eröffnet sich etwas Neues, und wenn du da die Finger drin hast und herausziehst, sind sie mit Gold überzogen. Daher interessiert mich das neuartige Schreibmaterial als reine Möglichkeit. Die Augen offen halten ist nie ein Fehler; auch wenn es neunhundertneunundneunzig Mal sinnlos ist, kann es einen beim tausendsten Mal reich machen."


    Interessiert lauschte er dem Gespräch zwischen Ezra und Shahnaz ; gerade da er nichts verstand, bekam er die Gefühlsregungen gut mit. Die aufgeregte Stimme von Shahnaz klang lieblich wie der Klang der Ziegenglöckchen im Tal von Emesa. Da er sie nicht mehr nur als Sklavin sah, gewann er sogar Gefallen an ihrem hitzigen Temperament. Wie ihre Augen Funken sprühten! Wie hohheitsvoll ihre Gesten waren! Was für ein Prachtweib!

    Wieder begann sich die Vorfreude in ihm zu regen, als er sich vorstellte, wie Shahnaz in seinen Armen lag. Und nun gab die Süße gar nach und wollte Aramäisch lernen...wundervoll. Und sie aß - wer aber aß, wollte leben, das sah doch ein Blinder.


    "Wenn es sein muss, werde ich ihr Haupt mit dem Kranz schmücken und sie verschleiern. Vielleicht werde ich sie in einer Prozession von deinem Haus zu dem meinen führen lassen, mit Hochzeitsliedern und der Hymenaios-Hymne. Vielleicht werde ich ihr die Gaben reichen, die sogenannten Katachysmata, Blumen, Wasser, Reis, Feigen, Nüsse und Honig und sie im Brautgemach entschleiern.
    Aber lieber wäre mir freilich, das Prachtweib so auf mein Lager zu bekommen, ohne das ganze Hochzeitsgedöns.
    "
    , gestand Athenodoros:

    "Sobald sie ein Kind trägt, kann ich sie immer noch freilassen. Auf diese Weise kaufe ich keine Ware, die mir dann doch nichts bringt. Doch das wirst du ihr nicht sagen, wenn du sie in unserer Muttersprache unterrichtest, nicht wahr? Besser ist es, sie von meinen guten Absichten zu überzeugen. "


    Waballat ben Attar Athenodoros liebte niemanden außer sich selbst. Was er noch nicht gemerkt hatte, war, dass er alleine war.